Fotos: Screenshots von YouTube aus den Videos: „Samy Deluxe-Rapsupamacht”, „KOLLEGAH-Nero”, „SIDO-Ja man feat. Estikay (prod. by DJ Desue)”
Rap braucht Hunger. Rap braucht Wut. Rap braucht Wissensdurst, den unbedingten Willen zum Sieg und die Erkenntnis, dass alle anderen Scheiße sind. Es ist kein Geheimnis, dass derartige Gefühle und Ansichten besonders in jungen Jahren weit verbreitet sind. Ihr werdet euch entweder erinnern, oder aktuell mitten drin stecken und deswegen einen richtig fiesen Kommentar unter diesen Text schreiben. Das ist ok, Jugend und Wut sind die perfekte Symbiose für Kunst oder wütende Kommentare unter Noisey-Artikeln. Die meisten Rapper legen den Grundstein für ihre Karriere folgerichtig mit dem ersten oder zweiten Album und hecheln dem Erfolg danach entweder qualitativ (Hi, Prinz Porno!) oder finanziell (Was geht, Tatwaffe?) hinterher. Andere schlagen sich mit nervigen „Mach mal wie früher”-Kommentaren herum, während sie versuchen, Tua-Beats nachzuahmen oder behaupten, sie würden jetzt „richtige Musik machen” (Hust, Chakuza!).
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Es gibt wenige Ausnahmen. Künstler, die sich von Album zu Album steigern und dennoch nicht unglaubwürdig oder langweilig werden. Ich werde keine Namen nennen, aber Baba Haft ist so einer (Mist, jetzt ist es mir doch herausgerutscht). Der Grund dafür liegt auf der Hand: Je düsterer Hafts Musik, je hoffnungsloser die Texte, desto stärker kommen seine lyrischen Stärken zum Vorschein. Wer sich realistisch mit der Welt beschäftigt, wird meist zwangsläufig hoffnungslos, nicht etwa altersmilde und satt. Das Ergebnis kann zwar depressiv, aber dafür äußerst beeindruckend werden. Siehe „Unzensiert”. Ein 35jähriger Battle-Rapper hingegen, der krampfhaft versucht allen zu beweisen, dass er immer noch alles wegfickt, obwohl er längst ausgesorgt hat, seinen Frieden mit den Zuständen gemacht hat und sich über jeden Abend mit einer heißen Milch vor dem heimischen Kamin mehr freut, als über einen standesgemäßen Beef, ist überflüssig. Wie ein Wasserhahn. (Punchline!)
Der Vorwurf, zu alt zu sein wiegt schwer in der Szene. Der Grat zwischen „Oldschool-Legende” und „Torch soll sich begraben gehen” ist schmal. Kürzlich durfte das Ali As erfahren, nachdem er sich mit einem Rapper namens Gold Roger (und jedem anderen auf Twitter) angelegt hat und in diesem Ding namens Internet, dass er ja so gut beherrscht, plötzlich als meckernder Opa mit Krückstock wahrgenommen wurde. Eigentore schießen sich bekanntlich leichter als Fallrückzieher im gegnerischen Strafraum. Da helfen auch keine Bill Cosby-Memes mehr. Fler und Eko können ein Lied davon singen (und tun dies ja auch zuhauf), wie lange es dauert, bis man ein gewisses Image wieder los wird. Die jungen Hüpfer an den Tastaturen warten nur auf verbittert wirkende Kreaturen oder angebliche Faker, denen sie mit ihrer überlegenen Ironie den Garaus machen können.
Erfahrung hingegen ist natürlich eine gute Sache. In einer Zeit, in der Jugendlichkeit als das Nonplusultra gilt und der Mehrwert eines Menschen an seiner Leistungsfähigkeit festgemacht wird, zählt Erfahrung meist wenig. Jung und frisch muss es sein, dann hat es einen Wert. Das ist allgemein gesprochen natürlich Nonsens. Zu was Erfahrung im (deutschen) Rap hingegen oft führt, lässt sich dieser Tage gut beobachten. Ob Eminems „Campaign Speech”, Kollegahs „Nero” oder Samys „Rapsupermacht”, das enorm hohe Level ist unbestritten einzigartig. Von Technik her zumindest (Sparkassen-Swag!) Line um Line rattern sie herunter, vierfach verklausuliert, achtfache Quadratur des Kreises, 16 Bars für die Homies und Ottos. Aber Rap ist keine Mathematik. Sorry, MoTrip. Übrig bleibt beim geneigten Hörer deswegen meist ein Gefühl der Leere. Worüber hat der jetzt gerade gerappt? Was genau ist hängen geblieben? Fehlanzeige! Nichts Persönliches mehr zu erzählen, kein Grund mehr etwas zu bekämpfen, keinen Hass auf die Zustände. Das schlimmste, was einem Lyriker/Musiker passieren kann.
Also wird endlos auf der Technik herumgehackt, ein Bilderrätsel jagt das nächste, Tripletime meets Gesangshook. Streicher, Chöre, das ganze Repertoire. Oder eben ein Bugatti im Video und eine Villa am Pool. Wenn man richtig verzweifelt ist, nennt man sich „Chefbaus” und dreht Katzenmeme-Musikvideos im Codein-Look. Ab und zu blitzt in diesen krampfhaft auf jung getrimmten High-End-Produktionen jedoch auch mal der alte Witz auf. Lässt sich nicht vermeiden. Wenn Sido in seiner neuen Single rappt: „Ihr habt die Muskeln immer angespannt / Aber für meine Zunge brauch’ ich keine Hantelbank”, dann ist das Schmunzeln groß. Nicht, weil er neben seinen „Ohne Fleiß keinen Preis” und „Jeder kann es schaffen”-Floskeln mal wieder disst, sondern weil er etwas gefunden hat, was ihn und uns wirklich stört. Und was zudem noch wahr ist. Mehr braucht es oftmals nicht. Dann verzeiht man ihm auch irgendwie seine ständige kulturelle Aneignung. Vielleicht ist as aber auch nur ein neidischer Vorwurf meinerseits, kann ja auch nicht jeder ein Ossi-Sinti-Westberlin-Reptiloiden-Papa-Gangster sein.
„Lasst doch mal die Neuen ran” hört man immer wieder, in den einschlägigen Kreisen. Das ist Blödsinn, die Neuen haben ihre Nischen und Wege gefunden, wer was kann (oder eben auch nicht) bekommt schnell Gehör. Viel eher muss es heißen: „Lasst doch mal die Alten gehen.” Zumindest wenn Sie nichts mehr zu erzählen haben. Torch hat es, perfekt verpackt und mit der nötigen Prise Ironie versehen, schon vor 16 Jahren gewusst. „Wir sind am Ende / Raprentner ohne Rente / Haben den Anschluss verpasst nach der Rapwende.”
Moment mal. Vor 16 Jahren war das? Ach du Scheiße! Eventuell ist die Journalisten-Rente das nächste was ansteht, ich werde mir darüber ernsthaft Gedanken machen, während ich sämtliche „Wie”-Vergleiche auf Savas’ neuem Album „Essahdamus” analysiere. Bis nächstes Jahr dann.