Meine Angst macht mich langsam nervös

Die Autorin

Ich erinnere mich, wie ich mit 12 Jahren zum ersten Mal Annie Hall sah. Er wurde sofort zu meinem Lieblingsfilm, obwohl ich nicht einmal die Hälfte von dem verstand, was vor sich ging. Die Drogenwitze, Sexwitze und wiederholten Anspielungen auf irgendeinen Typen namens Freud gingen weit über mein pubertäres Verständnis hinaus—doch die Hypochondrie, die Selbstironie und die ununterbrochene Besorgnis faszinierten mich.

Ich war eine Zwölfjährige Anfang der 2000er und ich hatte endlich jemanden gefunden, mit dem ich mich identifizieren konnte: ein Mann mittleren Alters mit Halbglatze im New York der 1970er. Er nannte es „Neurotiker”, was im Grunde bedeutet: ein funktionierender Irrer. Der Film ließ all diese Charakterschwächen charmant, sogar begehrenswert, erscheinen. Für eine ganze Weile war ich stolz auf meine sogenannte Neurose. Ich sagte mir schon in diesem jungen Alter, es sei OK, wenn ich ununterbrochen besorgt und ängstlich durchs Leben ging. Das ist das, was mich witzig macht, so wie Woody Allen. In gewisser Hinsicht stimmt das auch, und deswegen habe ich wahrscheinlich die Tatsache ignoriert, dass ich in Wirklichkeit eine schwere Angststörung habe.

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Meine früheste Erinnerung an Katastrophendenken spielte sich ab, als ich etwa neun Jahre alt war. Ich versuchte einzuschlafen, doch meine Gedanken waren unruhig. Ich fing dann oft an, in meinem Kopf mit Gott zu reden. Ich flehte ihn an, mich dünn zu machen, aber ich fragte auch: Kannst du meine Gedanken hören, Gott? Und danach kam dann der Gedanke: Fick dich, Gott, ich hasse dich. Dann bekam ich Panik und entschuldigte mich bei Gott. Tut mir leid, Gott, tut mir so leid. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt hab. Dann passierte es wieder. Fick dich, Gott, du bist scheiße. Ich sabotierte ständig meine eigenen Entschuldigungen. Mit demselben Gedanken, mit dem ich um Verzeihung bat, beschimpfte ich ihn wieder. Fick dich. Fick dich, Gott. Ich hasse dich. Es war ein Teufelskreis und ich konnte ihm nur entkommen, indem ich meine Augen aufmachte und den Fernseher einschaltete.

Obwohl ich nicht länger an Gott glaube—oder es mir zumindest inzwischen egal ist, dass er hören kann, wie ich ihn beschimpfe—, kann ich nicht zu lange mit meinen Gedanken alleine sein. Egal wie angenehm sie anfangen, mein Gehirn findet einen Weg, meine glücklichsten Tagträume in etwas zu verwandeln wie: Was, wenn ich das Kind von jemandem babysitte und es dabei töte? Dann taucht das Bild eines Kleinkinds, auf das ich aufpasse, vor meinem inneren Auge auf. Sie greift nach einem Küchenmesser, während ich abgelenkt bin. Ich sehe, wie sie sich selbst ersticht und stirbt. Es ist alles meine Schuld. Der Gedanke lässt mein Herz rasen und mein Körper spannt sich an. Ich werde überflutet von einer Welle des Schuldgefühls.

Natürlich sage ich mir, dass das bescheuert ist und dass es sinnlos ist, darüber nachzudenken. Warum zur Hölle sorge ich mich darum, am Tod eines fiktiven Kleinkinds schuld zu sein? Ich versuche, an etwas anderes zu denken, doch alles kommt auf dieses verdammte Kind zurück, das sich mit einem großen Küchenmesser ersticht. Und das ist der Zeitpunkt, an dem ich die Augen öffne und Netflix schaue. Dank diesem Kind habe ich mir alle 275 Folgen von Cheers in einer Woche angesehen. Dank meinen Bemühungen, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich einen nicht diagnostizierten Gehirntumor habe und/oder von einem brutalen Stalker umgebracht werde, habe ich alle Folgen von Frasier gesehen. Und so weiter. Ich habe alle Folgen von How I Met Your Mother gesehen—das sagt eigentlich alles darüber aus, wie verzweifelt ich es vermeiden will, mit meinen Gedanken alleine zu sein.

OK, nachts nicht schlafen zu können und deswegen amerikanische Sitcoms anzusehen, klingt nicht so übel. Allerdings gab es zwei besonders extreme Vorfälle in meinem Leben, die mich zu dem Schluss brachten, dass dieses „Neurotiker”-Ding doch nicht so liebenswürdig ist.

Es war in meinem letzten Jahr an der Uni. Ich war bei Freunden zu Besuch und beschloss um 3 Uhr nachts, nach Hause zu fahren. Ich hatte zwar ein paar getrunken, doch ich wollte unbedingt in meinem eigenen Bett schlafen. Es war das erste (und einzige) Mal, dass ich gefahren bin, nachdem ich getrunken hatte, ich war nicht betrunken, doch ich wusste, wenn ich kontrolliert würde, käme ich wegen Trunkenheit am Steuer dran. Es war mitten in der Nacht in einem kleinen Studentenstädtchen und die Straßen waren komplett leer. Ich sagte mir, es sei schon in Ordnung, die drei Kilometer nach Hause zu fahren, doch während ich fuhr, verließ mich langsam die Zuversicht. Was, wenn ich total betrunken bin und es nicht merke? Ich hielt bei einem Imbiss, um mir eine Flasche Wasser und einen warmen Snack zu holen. Danach verließ ich den Parkplatz und kam sicher zu Hause an.

Am darauffolgenden Morgen spielte ich die Heimfahrt nochmal in meinem Kopf ab—doch währenddessen überzeugte ich mich selbst, dass ich beim rückwärts aus dem Parkplatz herausfahren irgendetwas angefahren hatte, ohne es zu merken. Die Angst, dass es wahr sein könnte, fraß mich letztendlich so sehr auf, dass ich bei dem Imbiss anrufen musste. Ich fragte: „Ist gestern Nacht vor Ihrem Laden etwas passiert? So gegen drei Uhr morgens? Ein Autounfall oder so?” Der Imbissverkäufer dachte kurz nach, murmelte ein bisschen und sagte dann nein. Ich war erleichtert, aber auch unheimlich verängstigt. Das war das erste Mal, dass mein Katastrophendenken in die wirkliche Welt überschwappte. Ich wusste die ganze Zeit über, dass es paranoid von mir war. Ich wusste, dass ich niemanden auf dem Parkplatz angefahren hatte, doch diesmal brauchte ich die Bestätigung von jemandem, der nicht ich war: von einem verwirrten Imbissmann.

Den Rest des Jahres—fast jedes Mal, wenn ich Auto fuhr—tauchte in meinem Kopf das Bild einer Leiche auf, die an den Hinterreifen meines Autos hing. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte es sich dann an, als würde ich vielleicht wirklich eine Leiche hinter mir herziehen. So idiotisch das auch ist, mir wurde dadurch klar, dass ich eine ziemlich verkorkste Art habe, mit Schuldgefühl umzugehen, und das ist die Emotion, die den größten Einfluss auf mein destruktives Denken hat. Jedes Mal, wenn ich etwas tue, das ich bereue, lässt meine Angststörung nicht zu, dass ich es vergesse.

Das bringt mich zum zweiten Vorfall. Als ich mit Anfang 20 bei einem Hardcore-Punkkonzert war, hatte ich betrunken Sex mit einem Typen, den ich gerade erst kennengelernt hatte. Das Kondom platzte. Am nächsten Tag überzeugte ich mich selbst, dass ich mir AIDS eingefangen hatte. Keine kleinere Geschlechtskrankheit wie Gonorrhö, Chlamydien oder sogar Schwangerschaft. Nein, richtiges AIDS. Ich wusste, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering war, doch der Gedanke ließ mich trotzdem nicht los. Wann immer ich etwas Zeit für mich hatte, ohne Freunde und andere Ablenkungen, kam er wieder. Ich stellte mir vor, wie ich die Diagnose erhielt und es meinen Eltern sagen musste. Ich sah immer wieder das Bild meiner Mutter, die in Tränen ausbricht, gefolgt von einem Bild von Gott, der sagt: „Fick dich, Alison!”

Ich hatte solche Angst, dass ich mich mehrere Wochen lang nicht testen ließ. Stattdessen schickte ich dem Typen von jener Nacht eine SMS: „Hey, du bist gesund, oder? Also, keine Geschlechtskrankheiten?” Als ich die Worte schrieb, wusste ich schon, dass das eine dumme Idee war. Ein paar Stunden später antwortete er und hatte keine Ahnung, wer ich war. Er hatte nicht einmal meine Nummer gespeichert. Das verschlimmerte mein Schuldgefühl. Ich sagte ihm: Ich bin’s, das Mädchen, das du gefickt hast. Dann sagte er endlich, natürlich sei er sauber. Ich glaubte ihm nicht. Statt mich testen zu lassen, schrieb ich ihm in der folgenden Woche noch einmal, in dem vollen Wissen, dass ich nur noch ein schlechteres Licht auf mich warf. Er sagte noch einmal, er sei gesund. Und er bat mich, ihn nicht mehr zu kontaktieren. Halt, du willst also nicht noch mal abhängen? Ich dachte, du magst schräge Mädels. Ich ließ mich endlich testen und hatte tatsächlich keine Krankheiten. Ich wusste es schon vorher, aber ich suchte in Wirklichkeit nach Bestrafung. Ich fühlte mich, als müsse es einfach Folgen für mich haben, wenn ich einen Mann in meinen Körper ließ, der sich nicht einmal die Mühe machte, meine Nummer zu speichern.

Diese beiden Vorfälle sind die einzigen Male, dass meine Angststörung außer Kontrolle geraten ist, doch ich hatte schon immer Angst, jemandem davon zu erzählen. Ich wusste, dass dies keine Beispiele sind, die mich wie eine witzige Figur in einem Woody-Allen-Film wirken lassen. (Auch wenn ich sie zugegebenermaßen tatsächlich witzig finde, auf eine sehr düstere, beschämende Art.) Glücklicherweise scheint das Älterwerden mich ein wenig zu beruhigen. Das will heißen, das Katastrophendenken, die Besorgnis und die Angst sind nicht mehr so intensiv wie damals. Allerdings sind sie alle noch vorhanden. Ich stelle mir immer noch häufig meinen Tod vor, und ich habe Probleme damit, bestimmte Wörter wie „Krebs” oder „Schizophrenie” auszusprechen. Wenn mich Leute grüßen, an die ich mich nicht erinnere, dann nehme ich an, dass ich Alzheimer im Frühstadium habe, oder dass mir an dem Abend, als ich der Person begegnet bin, jemand K.O.-Tropfen verabreicht hat und ich es nicht einmal bemerkt habe.

Dann gibt es da die immerwährende Angst im Zusammenhang mit meiner Karriere, und die Angst vor dem Scheitern. Ich fühle echte Panik, wenn ich daran denke, dass ich ganz einfach meine Fähigkeit, zu schreiben und Witze zu machen, verlieren könnte. Wenn ich auf der Bühne etwas Neues ausprobiere und es kommt schlecht an, dann denke ich an Dinge aus meiner Vergangenheit und sage mir, dass ich wohl mit 17 den Höhepunkt erreicht hatte, oder dass ich mein Gehirn irgendwie auf „weniger witzig” umgepolt haben muss, als ich mit 22 zweimal in einem Monat Shrooms gegessen habe. Wenn ich eine andere Medizin nehme oder auch nur eine Kleinigkeit an mir ändere, so meine Vorstellung, dann werde ich zu einer völlig anderen Person, zu einem talentlosen Möchtegern. Ich befürchte, dass eine ernsthafte Beziehung mir die Motivation zum Erfolg nehmen wird. Ich befürchte, dass mehr Geld mich um meine Arbeitsmoral bringen wird. Im Grunde habe ich Angst davor, mich zufrieden zu fühlen, weswegen ich meine Angststörung auch bisher ignoriert habe.

Ich habe morgen meinen ersten Termin bei einem Therapeuten und ich hoffe, er hat ein paar konstruktivere Ansätze damit umzugehen als ich. Vielleicht bekomme ich sogar etwas von dieser „Zufriedenheit” ab, auf die ihr ausgeglichenen Leute alle so abzufahren scheint.