Christina, die Autorin dieses Beitrags (Foto von Daniel Gottschling)
Ehrlich jetzt, braucht die Welt wirklich noch einen Artikel über die unheimlich benachteiligte und verspottete Minderheit der Rothaarigen, den Gingers? Vermutlich nicht. Nach der legendären South Park-Folge über Ginger-Kids und Kuriositäten wie dem Kick a Ginger Day, der übrigens am 20.
Videos by VICE
August glücklicherweise ohne dass ich irgendeinen Schaden erlitten hätte vonstatten gegangen ist, braucht niemand mehr eine Anklage gegen Bullys, die in einem roten Haarschopf ein geeignetes Ziel für Spott und Häme sehen. Immer wenn ich weinerliche Artikel oder Kommentare Rothaariger lese, wundere ich mich.
Noch nie habe ich mich irgendwie diskriminiert gefühlt aufgrund meiner Haarfarbe. Außer vielleicht als Frau, an der nur ihre Haare wahrgenommen werden, und nicht etwa andere weibliche Attribute. Die fallen bei mir zwar auch nicht unansehnlich aus, aber sie sind halt anscheinend nicht so leuchtend oder auffällig.
Wenn meine Haarfarbe irgendwas bewirkt, dann höchstens erhöhte Aufmerksamkeit. Wenn ich noch einmal den intelligenten Anmachspruch, man habe gehört, Frauen mit roten Haaren hätten keine Seele, höre, zieh ich dem Typen eins mit meinem Hexenbesen über.
DAS sollte nicht nötig sein, um den Blick von den Haaren abzulenken. (Foto von Paige Shoemaker)
Auch Kommentare in Bezug auf die typischen Features, die mit roten Haaren kommen (helle Haut und Sommersprossen), wie zum Beispiel “Hui, auf dir kann man Punkte verbinden spielen!”, brauch ich nicht immer wieder hören. Es wäre nett, einmal nicht auf meine Haarfarbe angesprochen zu werden. Wo sind die ganzen Machos, die sich vielleicht mal auf Titten und Arsch konzentrieren?
Die sind bei mir auch echt, nur danach fragt mich ja keiner. Was aber (und hier möchte ich mich sehr wohl als beeinträchtigt darstellen) WIRKLICH nervt, ist das seltsame Zusammengehörigkeitsgefühl, das Rothaarige aufgrund ihrer vermeintlichen Opferrolle zur Schau tragen. Letztens wurde ich von einem Ginger (klassisch: leichenblass, sommergesprosst und hellrot gelockt) mit erwartungsvoller Miene gefragt, ob das meine Naturhaarfarbe sei. Dann zog er anerkennend nickend wieder von dannen und ich fühlte mich gegen meinen Willen in eine Art Geheimkult oder Studentenverbindung aufgenommen.
Leute wie die Fotografin Charlotte Rushton, die mit ihrem Fotoprojekt “Ginger Snaps” Aufmerksamkeit auf die neue Form des Rassismus gegen Rotschöpfe lenkt, provozieren pseudo-wissenschaftliche Artikel wie hier bei den BBC News, die das Phänomen des “ginger baiting” und vor allem den Status der Rothaarigen als schutzlos Ausgelieferte, “as a visible minority not protected by law” behandeln: Kinder, die in der Schule gehänselt und ausgeschlossen werden, Männer, die als unmännlich und verweichlicht gelten … Erst bei Frauen scheint sich das Blatt zu wenden: Poeten wie James Joyce oder Mark Twain schwärmten von rothaarigen Frauen, warnten aber vor ihrem komplizierten und oft recht unangenehmen Charakter.
Man könnte auch sagen, Rothaarige sind schwer ins Bild zu kriegen. (Foto von Kevin Dooley)
Ja, stimmt schon. Ich selbst bin vermutlich auch nicht gerade einfach oder ein Sonnenschein, aber ob das wirklich an meiner Haarfarbe liegt? Diese Verbindung scheint zumindest noch niemand an mir festgestellt zu haben, und bisher hat mich auch noch kein talentierter Schriftsteller zu seiner Muse erkoren. Für ein paar Songs hat meine inspirierende Wirkung jedoch anscheinend gereicht, wobei meine roten Haare im Entstehungsprozess sicher eher unwichtig waren im Vergleich zu meinem konstruktiven und vollkommen nutzlosen Beitrag zu den Akkordfolgen (ich leide an schwerer Unmusikalität).
Um nochmal auf meine von der Gesellschaft ausgestoßenen LeidensgenossInnen zurückzukommen: Von jeher werden Rothaarige gefürchtet, ein höchst versierter User begründete diesen Sachverhalt in einem Kommentar zu dem BBC-Artikel folgendermaßen: “Redheads are feared because they are believed in folklore to be the devil’s children and have red hair because they were conceived during their mother’s menstruation.” So gesehen finde ich Rothaarige jetzt auch irgendwie gruselig.
Wenn das alles Menstruationsblut ist, müssen die Mütter ziemlich bleich aussehen. (Foto von Eddy Van 3000)
Aber Gott sei Dank gibt es so optimistische und ermunternde Seiten im Internet wie den britischen Blog “Ginger Parrot”, der den Besitz eines roten Haupthaars zu einer Ehre erhebt und sogar einen monatlichen Aufruf startet, sich als Ginger of the Month zu bewerben: “To be recognised as Ginger of the Month is a high honour and should be considered as one of the greatest of all lifetime achievements.”
Leider habe ich es nicht zum Ginger of the Month September geschafft und mir aus Trotz gleich eine Packung Haarfärbemittel Farbe Schokobraun gekauft. Ich bin es ja eigentlich gar nicht wert, in den heiligen und ehrenvollen Bund der Rothaarigen aufgenommen zu werden: vor dem Redhead Day Anfang September habe ich mich schändlich gedrückt.
Langsam gehen mir die Ausreden aus, aber bis zu den Herbst-Events im kommenden Jahre werde ich (wenn ich meine schokobraune Trotzphase überwunden habe) bestimmt zum besten Ginger der Welt, dann werde ich endlich dieses großartigste aller Lifetime Achievements erreicht haben. Wer weiß, vielleicht findet sich dann ja sogar einer, der meinen tollen Arsch bemerkt.
Weitere Artikel zum Thema:
Rothaarige Mädchen tragen Mützen