Seit den 50er Jahren ist die Wahl zur Miss Schweiz ein Teil der hiesigen Unterhaltungsbranche. So gelten auch heute für die Siegerin des Schönheitswettbewerbs nach wie vor dieselben Werte, wie sie schon in den 50ern gang und gäbe waren. Per Definition des Wortes “Schönheitswettbewerb” hat eine Miss vor allen Dingen eines zu sein: schön. In den vergangenen Jahren gab es allerdings Bemühungen, aus der Miss Schweiz Wahl mehr zu machen. Einen Wettbewerb bei dem die Frauen, nicht nur hübsch sind, sondern sich auch philanthropisch engagieren. Unter dem Motto “Beauty and heart go together” wurde 2015 Lauriane Sallin, zum ersten Mal von den Zuschauern zur schönsten Schweizerin gewählt. In ihrer Amtszeit transportierte sie unter anderem Hilfsgüter nach Marokko. Das Vorhaben, bei der Miss Schweiz Wahl nicht nur Schönheit in den Mittelpunkt zu stellen, floppte so gewaltig, dass es nach vergebener Sponsorensuche im Jahr 2017 keine Miss-Wahl gab.
Mit der Miss Schweiz 2018, Jastina Doreen Riederer, setzt die Miss Schweiz Organisation wieder vermehrt auf die ursprüngliche Ausrichtung. So steht erneut “eine starke Persönlichkeit mit Ausstrahlung” im Vordergrund, weshalb auch Lauriane Sallin, die sich als Miss stark sozial engagierte, der diesjährigen Veranstaltung fern blieb. Mit Jastina wurde diese Position nun neu besetzt.
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Seit einem Knatsch hinter den Kulissen der Miss-Wahl hat Jastina mit Ex-Miss Anita Buri eine neue Managerin. Diese nimmt ihre Rolle ernst und sorgt dafür, dass Jastina mal wieder gute PR bekommt. Wie die Schweizer Illustrierte schreibt, organisiert Buri einen Besuch im Bundeshaus, das Jastina als 20-jährige Schweizerin (Schockschwerenot) noch nie besucht hat. Jastina mag wohl all ihre Fragen zur Schweizer Politik beantwortet bekommen haben, doch bei uns sind so einige Fragen offen geblieben.
Wie unwohl hat sich die Miss Schweiz wirklich gefühlt?
Ob es uns gefällt oder nicht, auf dieser Welt gibt es schmierige Typen. Was uns der Besuch der Miss Schweiz gezeigt hat: Auch in der Wandelhalle des Bundeshauses braucht es laut der Schweizer Illustrierten nicht mehr als eine nach gängigen Schönheitsidealen attraktive Frau, um diese an die Oberfläche zu spülen. Jede, die schon einmal mit Creeps (oder zu Schweizerdeutsch Grüseln) zu tun hatte, weiss, wie unangenehm es sein kann, wenn einem ein Mann “nur” ein Kompliment machen möchte, das sich aber einfach irgendwie falsch anfühlt.
Gerade bei einem Besuch des Bundeshauses gäbe es so viele Dinge, die ein Mann sagen kann, um einer Miss ein Kompliment zu machen. Nur schon ein “schön, dass du hier bist”, klingt weniger schmierig als etwa Erich Hess, der feststellt, dass “die Missen ja jedes Jahr hübscher werden”. Oder der 64-jährige SVP-Mann Ueli Giezendanner, der einer 20-Jährigen begeistert mitteilt, dass sie “in echt noch viel schöner aussieht als auf den Fotos.” In ihrer Rolle als Miss Schweiz scheint Jastina solche Bemerkungen wegzulächeln, ähnlich wie eine Kellnerin, die weiss, dass solche unangenehmen Begegnungen kürzer sind, wenn man sie kommentarlos über sich ergehen lässt. Wie wohl sich die junge Frau gefühlt hat, als sich SVP-Nationalrat Mauro Tuena für ein Foto “begeistert zwischen die beiden Missen (Jastina und ihre Managerin Ex-Miss-Schweiz Anita Buri) quetschte”, sei auch dahingestellt.
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Wieso interessiert sich die SVP plötzlich für Frauen?
Dass sogar beim Kaderanlass für SVP-Frauen ein Mann die Führung übernimmt, sagt eigentlich schon alles über die Beziehung der Partei zu Frauen aus. Die SVP gibt sich alle Mühe, Frauen politisch das Leben zu erschweren. Ob es um kleine Dinge, wie kostenlose Verhütungsmittel für Frauen unter 20 geht, oder grössere Geschichten, wie sich dem Problem der Gewalt in der Ehe anzunehmen – die SVP ist konsequent dagegen. Wir halten fest: Die SVP-Männer kommen der Miss Schweiz mit Schmeicheleien zu ihrem Aussehen entgegen, verzichten in der politischen Realität aber darauf, sie als Frau zu unterstützen.
Ist Jastina Doreen Riederer die Schweizer Kim Kardashian?
Die gesamte Szenerie von Jastina im Bundeshaus ist in etwa so irritierend wie der Besuch von Kim Kardashian vor einigen Wochen bei Donald Trump im Oval Office. Laut Schweizer Illustrierte sagt Jastina selbst, dass sie noch nie abgestimmt oder gewählt hat. So wird im ganzen Text auch nur eine politische Forderung angesprochen: Dass Jastina gegen eine Frauenquote ist. Bei ihrem Argument, dass die Kompetenz einer Person und nicht das Geschlecht ausschlaggebend sein soll, würde ihr wohl keine Feministin dieser Welt widersprechen.
Es gäbe viele Themen, die für eine junge Frau in der Schweiz relevant wären wie zum Beispiel Lohngleichheit, die gerade im Detailhandel (wo sie ursprünglich ihre Ausbildung machte) besonders gross ist, eine vergünstigte Abgabe von Verhütungsmitteln oder eine angemessene Repräsentation im Parlament. Dennoch ist ihr einziges politisches Statement das zur Frauenquote. Wieso nutzt die Miss Schweiz, die mit ihrem Bundeshaus-Besuch Vorbildcharakter haben möchte, die Möglichkeit nicht, ein immerhin unter Frauen weniger kontroverses Thema anzusprechen?
Wann trauen wir schönen Frauen mehr zu, als schön zu sein?
Was der Besuch der Miss Schweiz letztlich am meisten zeigt: Auch wenn Jastina noch so sehr versuchen würde, aus dem gängigen Bild der Miss Schweiz auszubrechen, stellt die People-Presse, die per Definition über mehr oder weniger berühmte Menschen berichtet, eine der grössten Hürden dar. Im Text der Schweizer Illustrierten könnte man “Bundeshaus” problemlos durch “Schokoladenfabrik” ersetzen und hätte nach wie vor die gleiche Textaussage. Zum Beispiel: “Staunend steht Riederer in der Eingangshalle der Schokoladenfabrik und schaut zur Glaskuppel hoch: ‘Ich hätte nicht gedacht, dass es so gross ist.’” Oder: “In der Schokoladenfabrik zaubert die junge Miss selbst dem alten Schokoladenfabrikmitarbeiter ein Lächeln ins Gesicht.”
Die Grundaussage bleibt dieselbe: Schöne Frau geht irgendwohin und alle Männer verlieren den Verstand. Ob Jastina mit ihren “mörderisch hohen” Absätzen die Treppen des Bundeshauses “hochstöckelt” und mit ihrer “langen Haarpracht und dem transparenten Sommermäntelchen” im Bundeshaus oder in der Schokoladenfabrik “alle Blicke auf sich zieht”, ist letzten Endes irrelevant.
Auch wenn gängige Medienberichte von Jastina gerne das Bild eines verwöhnten Mädchens zeichnen, hat jede 20-Jährige mehr zu bieten als ein schönes Gesicht und einen “dicht bewimperten Blick”. Wenn aber das Fazit des Texts von ihrem ersten Besuch im Bundeshaus ist, dass Jastina auch gerne so einen “grossen goldenen Spiegel hätte”, bevor sie wieder “aus dem Bundeshaus hinausstöckelt”, dürfte die Sache mit der politischen Aufklärung noch einige Jahrhunderte andauern.