Mit diesem Geschirr rennen nicht nur deine Dinnergäste davon

Ronit Baranga will vielleicht nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen, aber ihre Arbeit tut es— keine Frage. In den letzten paar Jahren schuf die israelische Keramikerin Kunstwerke, die auf den ersten Blick wie Geschirr aussehen, auf den zweiten aber unsere Annahmen über die Nützlichkeit von Objekten hinterfragen. Und manchmal verstören sie die Betrachter auch ziemlich.

Wie in einem lebendig gewordenen Jan Švankmajer-Film sind Barangas Geschirr sonderbare Körperteile gewachsen—Finger, Münder, Zähne, Zungen, die Backen eines Babys—, als hätte ein betrunkener Genetiker Wedgewood-Porzellan mit menschlicher DNA versetzt. Dieses Geschirr sorgt definitiv für ein atypisches Dinner-Erlebnis.

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Teekannen sehen aus, als würden sie gerade versuchen, davonzurennen, Teetassen mit metastasierten Mündern scheinen in der Flüssigkeit zu ertrinken, die sie eigentlich fassen sollten. Teller mit leicht geöffneten Lippen verlangen, gefüttert zu werden—vielleicht nicht nur mit Essen.

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Oh mein Gott. Hat das Porzellan Sex mit sich selbst?

Um mehr über ihre Arbeiten zu erfahren, kontaktierte ich Baranga und bat sie, stellvertretend für ihre Keramik-Münder zu sprechen. Ich wollte herausfinden, ob wir je mit Geschirr zu Abend essen können, das mindestens so hungrig ist wie wir selbst.

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MUNCHIES: Hallo, Ronit. Was hat es mit den Körperteilen auf sich? Ronit Baranga: Die Finger und der Mund sind die sinnlichsten Organe des menschlichen Körpers und haben deshalb eine besondere Kraft, wenn sie von ihm getrennt werden. Die „nahtlose” Kombination dieser Organe in Tellern oder Tassen, sodass sie als eins erscheinen, schafft meiner Meinung nach neue Objekte, die ihre Umgebung „fühlen” und darauf reagieren.

Ich sehe den Mund auch als Öffnung zu einem tieferen, weiter innen gelegenen Raum.

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Wie kamen diese Arbeiten zustande? Die Inspiration für diese Serie mit dem Geschirr stammt noch von meiner Zeit an der Kunsthochschule. Mit Ton etwas zu gestalten, war in den Augen der Kunstprofessoren keine hohe Kunst. Sie betrachteten es mehr als Handwerk. Sogar an der Fakultät für Keramik durften wir keine Teller oder Tassen machen. Die Idee war, mit Ton Kunst zu schaffen. Das beeinflusste mich sehr. Später entschied ich mich dafür, mich mit genau diesem Thema auseinanderzusetzen und bildende Kunst mit nützlichem Geschirr zu verbinden.

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Du hast geschrieben, dass deine Arbeit „selbst entscheidet, wie sie sich in einer Situation verhält”. Wie meinst du das? Meine Arbeit bietet eine neue Sichtweise auf Dinge, die wir als selbstverständlich betrachten. Das Keramik-Geschirr ist nur eine Metapher. Und ich finde, die Metapher des sich selbst fütternden, schreienden, wegrennenden Geschirrs ist eine sehr mächtige. Die Modifizierung des ursprünglich nützlichen Geschirrs betrifft uns, zieht uns an oder schreckt uns ab und bringt uns hoffentlich zum Nachdenken.

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Machen Münder und Finger auf Tellern und in Tassen die Objekte nicht automatisch weniger nützlich? Genau das ist die Idee dahinter—aber sie haben dann ihren eigenen, neuen Zweck.

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Hast du schon mal Essen in diesem Geschirr serviert? Nur ein Mal, bei einem großen Familienessen an einem Feiertag. Ich habe die sechs Schüsseln auf Fingern mit jeweils unterschiedlichem Essen gefüllt und als Teil eines religiösen Fests in der Mitte des Tisches platziert. Sie dienten als Sederteller. Diese Installation drückte die Spannung zwischen den Teilnehmern eines großen, bedeutungsvollen Familienfestmahls aus. Die Schüsseln stellte ich so auf den Tisch, dass es den Eindruck erweckte, sie würden auseinander driften und versuchen, dieser sozialen Situation zu entkommen, an der sie teilnehmen müssen.

Nichtsdestotrotz verlief der Abend positiv. Wir hatten alle sehr viel Spaß und keiner—außer den Schüsseln—wollte davonrennen.

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Vielen Dank für das Gespräch, Ronit.