An der Global Drug Survey 2014 haben vor allem glückliche und gesellschaftlich integrierte Menschen teilgenommen. DIE ZEIT beschrieb den Durchschnittskonsumenten vor einer Woche so: „Unauffällig und zufrieden, nicht kaputt und abhängig in der Gosse liegend.” Die GDL 2014 bekämpft das Klischee des isolierten Junkies. Das ist gut. Das klärt die nüchterne Minderheit unserer Gesellschaft auf, trotzdem kann es auch anders gehen. Die Geschichte von Peter ist nicht die eines Vorzeige-Konsumenten.
Abgesehen vom Bachelor in „Mikrobiologie/Immunologie” erfüllt Peter keine einzige Anforderung von Curriculum vitae-Fetischisten: Der Vater schizophren, die Mutter Grasdealerin, eine Kindheit am Seeufer, Notwohnungen, soziale Isolation, Alkohol, ein ETH-Studium kurz vor dem Master abgebrochen. Dann begann „alles andere”. „Alles andere” ist ein Cocktail aus Pillen und Pulvern, der dem ehemals „coolsten Studenten”—Titel verliehen vom „Departement Chill” auf StudiVZ—Antrieb und Entscheidungskraft nahm: „Ich glaube LSD hat die Struktur meiner Entscheidungen zerstört. Eine Woche, so weit kann ich kaum planen. Vielleicht liegt es aber auch am Alltag als IV-Rentner.”
Videos by VICE
Unser erstes Telefongespräch:
Peter: Wir können uns frühestens Freitag treffen. Jetzt muss ich erst mal schlafen.
VICE: Es ist Dienstagmorgen.
Ich habe etwa 160 Ritalin-Tabletten genommen und bin schon mindestens drei Tage wach. Ich sollte wiedermal schlafen.
Was?! Alle auf einmal?
Nein, über drei, vier Tage hinweg. Vielleicht war es auch eine Woche.
Eine gemeinsame Freundin machte uns mit Peter an besagtem Freitag so bekannt: „Ich habe in dieser WG an der Langstrasse gewohnt. Als ich einmal nach dem Ausgang heimgekommen war, sass da ein Typ in der dunklen Küche. Vor sich ein Metzgerbeil mit fünf Lines drauf. „Hallo, ich bin der Peter.” Die Lines konnte ich ihm an dem Abend ausreden.”
Das ist eine tolle Anekdote. Aber Peter: Viele Menschen nehmen Drogen. Was macht es bei dir anders?
Für die anderen, für die, die mit mir das Zeug genommen haben, war das immer Spass und so. Für mich war es nie Spass, konnte es gar nicht sein.
Was war es dann?
Ich wusste immer, was Drogen mit Menschen machen können. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich Drogen nehme, um meine Kindheit zu kommentieren. Eine Art von Selbstunterlaufung. In der Menge kannte und kenne ich keine Grenzen. Ich halte schon einiges aus – irgendwann bin ich einfach nicht mehr gesprächsfähig.
Gibt es denn keine Substanz, die du kontrolliert nehmen kannst?
Naja, ich habe ja nie gekifft…
Du hast nie gekifft? Deine Mutter verkaufte seit den frühen 80ern Gras!
Eben, weil ich das auch miterlebt habe. Ich vertrage Gras auch nicht. Wirklich gar nicht. Aber seit ganz kurzer Zeit gönne ich mir hie und da einen Joint.
Zu unserem zweiten Treffen verabreden wir uns bei der Chinawiese im Seefeld. Das ist nah beim Affenfelsen, Peters eigentlichem Elternhaus: „Alle zwei Jahre mussten wir die Wohnung wechseln, aber hier war immer daheim. Da vorne soll das Chaotikon I gewesen sein. Eine Besetzung mit Baracken, in der meine obdachlose Mutter kurze Zeit lebte, als sie mit mir schwanger gewesen war. Dann kam die Zeit des Affenfelsens. Unter der Woche gehörte er uns! Am Sonntag kamen Spaziergänger und haben uns „Gesindel” geschimpft.”
Der Affenfelsen war der Treffpunkt der Zürcher Kifferszene in den 80ern und 90ern. Damals konnte man hier offen dealen. Peters Mutter sass oben ohne da und bot ihr Hasch an. Als er klein war, tobte Peter „füdliblutt” mit seinem Kumpel dem See entlang und erbettelte das Münz für den Badieintritt von Passanten. Auch den kleinen Pit kontrollierten die Herren Polizisten. Da rief er aus: „Die Bullen spinnen!” Die Herren Polizisten wandten sich an seine Mutter: „Hat Ihr Sohn nicht gelernt, dass man Polizisten respektvoll behandeln soll?” „Das habe ich eben selbst nicht gelernt!”, gab Peters Mami zurück.
Peter ist auch Schmiere gestanden, während sein Mami „The Power Of Love” auf den Affenfelsen gesprayt hat: „Das ist da elf Jahre stehen geblieben. Die Schweizer Illustrierte hat es abgedruckt. Jetzt steht exakt an der Stelle „The Tower Of Babylon”.” Waren Mami und Peter nicht mit den fünfzig Leuten der Affenfelsen-Szene zusammen, waren sie mit zehn bis zwölf Gästen in ihrer jeweiligen (Not-)Wohnung.
Wie kam es dazu, dass bei euch immer volles Haus war?
Die sind alle zu meinem Mami gekommen, weil sie bei ihr Gras gekauft haben und sie so ein herzlicher Mensch ist.
Und wie war es als kleines Kind mit einem Umfeld aus ständig bedröhnten Typen?
Ehrlich gesagt, habe ich nicht viel mitbekommen von den Marihuana-Gurus im Schneidersitz. Die haben sich nicht für mich interessiert. Eher noch die zwei, drei Heroin-Fixer, die gekommen sind.
Hast du in dem Fall das Heroinelend der frühen 90er hautnah miterlebt?
Einer der Fixer hat immer mit mir Mario Kart auf der Super Nintendo gespielt. Am 25. Dezember wollte er auch zu uns, aber wir waren unterwegs zur Familienweihnacht. Wir sassen bei der Grossmutter am Esstisch und der hat sich währenddessen den goldenen Schuss gesetzt. Ich bin an seiner Beerdigung gewesen.
Als Jugendlicher verzichtete Peter auf Alkohol, Drogen und Sozialkontakte. Auf der Maturreise in Italien liess er sich zu zwei Gläsern Weisswein überreden: „Ab dem Moment war es für mich klar: Ich will Alkoholiker werden!” Durch den Alkohol kam er aus sich raus und zunächst liessen sich die ausartenden Abstürze mit dem Studentenleben vereinbaren. Irgendwann im Verlauf des Masterstudiums geriet Peter in eine persönliche Krise, brach das Studium ab und isolierte sich. Der Alkohol war ihm nicht mehr genug. Also probiert Peter neue und neue und neue und wieder neue Substanzen aus. Einmal berauscht, schmeisst sich Peter immer mehr ein. Das macht er jetzt mindestens acht Jahre lang so.