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Warum immer mehr Gamer virtuelle Abbilder ihrer Ex-Freundinnen erstellen

Stell dir vor, du würdest dir über dein Beziehungsende hinweg helfen, indem du deine Ex-Freundin einfach als Gaming-Avatar kreierst und so weiterhin Zeit mit ihr verbringen kannst. Einige Modder haben das getan.

Auch Natalie aus Perth wurde so zum virtuellen Avatar und bereits 10.289 Mal heruntergeladen.

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Natalie ist eine Open-Source Mod in dem Fantasy-Rollenspiel Skyrim, einem der beliebtesten Spiele auf der Gaming-Plattform Steam mit einer der aktivsten Modding-Communities überhaupt. Jeder, der sich Sykrim für den PC kauft, hat vollen Zugriff auf Natalies digitale Inkarnation. Sie trägt schlichte, bäuerliche Kleidung und hat zwei Lippenpiercings. Natalie kann entweder einem anderen Avatar auf Schritt und Tritt durch die Welt von Skyrim folgen oder zuhause bleiben und sich um den „Haushalt” kümmern.

Diejenigen, die Natalie auf Skyrim runterladen, kennen sie unter einem anderen Namen: „Enjoy My Girlfriend.”

Kreiert hat sie der 24-jährige Modder Rhys Ian Harris, der den Avatar nach dem Abbild seiner Ex-Freundin erschaffen hat. Jeder Skyrim-Gamer, der also nach einer weiblichen Gefährtin sucht, die sich pflichtbewusst um seinen Charakter kümmert, kann sich Natalie—deren Rasse ursprünglich die „Temptress”war—, runterladen.

Kurz nachdem Harris, der unter dem Namen „HarrisModifications” spielt, Natalie im April 2014 hochgeladen hatte, präsentierte sie ein männlicher Moderator des YouTube-Kanals MxR Mods in einem Video mit dem Titel „Enjoy My Girlfriend”. In seiner Rezension (NSFW) ist unter anderem zu sehen, wie Natalie am Feuer eine gelbliche Flüssigkeit umrührt. Sie wird dabei von einem anderen weiblichen Avatar angegriffen und sechs Mal mit einem Schwert ins Gesicht gestoßen.

Harris behauptet, dass seine Ex-Freundin „hundertprozentig damit einverstanden” gewesen sei, dass er seine Mod hochlädt.

Wir haben für diesen Artikel auch versucht, mit der echten Natalie zu sprechen, was sie allerdings ablehnte.

Es ist relativ leicht nachzuvollziehen, warum die meisten Gamer die Charaktere in einem Spiel nach ihrem Belieben gestalten. Es kann schon ziemlich faszinierend sein, dabei zuzusehen, wie eine muskelbepackte, allmächtige Version seiner selbst riesige Monster-Horden zerschlägt und die Welt rettet. Auch fällt es leichter, so richtig in das Spiel einzutauchen, wenn man selbst in seiner digitalen Haut das Schwert in der Hand hält und es seinem Gegner in den Magen rammt.

Nach einer Reihe von Gesprächen mit Harris und anderen Gamern wie ihm hatte ich den Eindruck, dass auch die Gestaltung und Steuerung von Avataren, die einer ehemaligen oder aktuellen Freundin ähneln, für viele Gamer ein besonderes Spielerlebnis hervorrufen. Für manche ist der Avatar ihres Lovers ein guter Weg, um besser ins Spiel reinzukommen, oder sogar, um in der echten Beziehung für ein bisschen frischen Wind zu sorgen. Andere hingegen—und zwar größtenteils Männer—genießen offenbar auch das Gefühl, sich Avatare ehemaliger Partner zu unterwerfen und sie zu kontrollieren.

Natalie, die von ihrem Ex-Freund als Teil seiner Mod „Enjoy My Girlfriend” auf Skyrim hochgeladen wurde, trinkt Wasser. Screenshot: HarrisModifications.

Auch bei XCOM 2 haben wir einen solchen „Ex-Freundinnen-Avatar” gefunden. Das Sci-Fi Strategiespiel kam dieses Jahr heraus und Spieler befehligen hier ganze Truppen von Charakteren. Der Gamer „Hobbes” entwarf das erste Mal einen Avatar, der seiner damaligen Freundin ähnelte, als 2012 XCOM: Enemy Unknown von Firaxis Games erschien.

Während einer XCOM-Mission erschaffen und steuern die Spieler eine Truppe Soldaten, die mit einer bestimmten Taktik ganze Alien-Schwärme ausschalten müssen. Der Spieler ist der „Kommandant” des Teams. Wie Hobbes und andere Spieler Motherboard gegenüber berichteten, hatten sie die Idee, sich auf die erweiterten Anpassungsoptionen des Games zu konzentrieren, um Kleidung, Haare, Gesicht und Persönlichkeit der Figur so gut wie möglich an ihre Ex-Freundin oder Freundin anzupassen. Manch einer hat eine ganze Armee aus Ex-Freundinnen zusammengestellt, was schon irgendwie merkwürdig ist, wenn man bedenkt, dass XCOM 2 extrem gnadenlos ist: Stirbt eine Figur, kann sie danach nicht wieder „auferstehen.”

Hobbes erweckte seine damalige Freundin für das Spiel mit blauen Augen und dunkelblonden, zu einem Dutt zusammengebundene Haare zu virtuellem Leben. Als Namen wählte er seinen Lieblings-Kosenamen für sie aus. Seine ehemalige Freundin schaute Hobbes beim „Puppen spielen”, wie er es nennt, über die Schulter. Kurz darauf näherten sich allerdings die Angreifer und besiegten Hobbes und sein XCOM-Team. Der Arzt des Teams war zu diesem Zeitpunkt bereits tot.

Hobbes erinnert sich noch daran, wie seine Freundin dabei zusah, wie sie selbst lebensgefährlich verletzt und schließlich getötet wurde. „Sie blieb ganz still”, so Hobbes, „das sagt wohl alles.”

Sie waren sein Mädchen gewesen. Es war seine Aufgabe, sie vor Feinden zu beschützen.

Als XCOM 2 dieses Jahr veröffentlicht wurde, dachte Hobbes, dass es vielleicht witzig sein würde, eine Truppe von zehn Soldaten so zu modifizieren, dass sie all seinen Ex-Freundinnen ähneln würden. („Außer den egoistischen oder verrückten”, sagte er.) Sieben davon starben.

„Manche von ihnen hätten auf jeden Fall einen besseren Tod verdient”, sinniert er.

Obwohl er die Gruppe seiner Ex-Freundinnen, die alle früher oder später sterben würden, absichtlich kreiert hatte, seien ihm die digitalen Avatare irgendwie ans Herz gewachsen. Da er sie nach den Abbildern von Frauen gestaltet hat, die er kannte und mit denen er sogar eine Beziehung führt, sei in ihm ein gewisser Beschützerinstinkt ausgelöst worden.

Bisher mangelt es noch an verlässlichen Studien über mögliche Gründe, aus denen Gamer ihre Freundinnen in ihren digitalen Eskapismus integrieren. Das legt nahe, dass das Phänomen entweder doch nicht so weit verbreitet ist, oder bisher zu wenig Beachtung in der Öffentlichkeit erfahren hat, so Cyberpsychologe Nick Yee, der sich mit den Beweggründen für Gaming auseinandersetzt. Auch das Lara-Croft-Syndrom ist außerhalb von Medientheorie-Kreisen eher unbekannt. Es beschreibt die Affinität heterosexueller Männer, tödliche—aber physisch begehrenswerte— weibliche Körper aus der Third-Person-Perspektive zu dominieren.

Lara Croft ist eine der wenigen weiblichen Protagonistinnen in Videospielen, und ist vor allem für zwei Eigenschaften berühmt: Für ihre beeindruckenden Kampftechniken und für ihren fast schon spitzen, großen Busen. Beide Eigenschaften könnten den durchschnittlichen männlichen Gamer einschüchtern. So eine Frau zu kontrollieren, könnte ihm wiederum also durchaus das Gefühl geben, mächtig und ultramaskulin zu sein. Anders gesagt hat er in Tomb Raider die Möglichkeit, männliche Dominanz zu behaupten, die er fernab der digitalen Welten vielleicht niemals erleben wird.

Lara Croft, 2013. Bild: Wikimedia Commons

Eine weibliche Bewohnerin des Spiels Second Life, nennen wir sie „Avi”, musste die Nebenwirkungen des Lara-Croft-Syndroms am eigenen Leib erfahren, als ihr Ex-Freund, ein bekannter Content-Creator in Second Life, einen Avatar-Körper gestaltete, der im Grunde eine Kopie des ihren war.

„Es war meine Körperform, die er als Grundlage für die Dinge, die er machte, benutzte”, erzählte Avi Motherboard. Als sie ihn dann verließ, bot er ihre digitale Körperform auf Plakaten in der Spielwelt anderen Second Life Bewohnern zum Verkauf an—und das ohne ihre Erlaubnis. Schlimmer noch, fügte Avi hinzu, begann ihr Ex nach ein paar Monaten, ihre Köperform zu verändern—er machte ihre Brüste größer, ihre Taille kleiner und ihre Beine länger.

„Er war richtig wütend, dass ich ihn verlassen hatte”, so Avi weiter. „Er nahm sich also mich vor und ‚idealisierte’ mich nach seinen Vorstellungen. Irgendwie unheimlich.”

Zwar glaubt der Cyberpsychologe Yee, dass das Lara-Croft-Syndrom eine brauchbare Theorie ist, die zugrunde liegenden Motive dafür, warum ein Gamer seinen Partner oder Ex-Partner ins Spiel integriert, seien aber um einiges komplexer.

Mehr als fünf Jahre lang hat Yee über 35.000 MMORPG-Spieler für sein Daedalus Project zu ihrem Spielverhalten befragt. Die Ergebnisse der Forschungsinitiative legen nahe, dass die Wahrscheinlichkeit, in Videospielen eine andere Geschlechterrolle als die eigene anzunehmen, bei Männern drei bis fünf Mal höher ist als bei Frauen. Cyberfeministinnen haben in der Vergangenheit schon behauptet, dass das für Männer lediglich ein neuer Weg sei, Kontrolle über weibliche Körper auszuüben.

„Nur wenige Männer würden offen zugeben, dass sie eine Frau spielen, um den weiblichen Körper zu kontrollieren, selbst wenn es wirklich der Fall wäre.”

Auf Yees Frage nach den Gründen für die Wahl weiblicher Avatare gaben aber die meisten männlichen Spieler eine Standard-Antwort zu Protokoll: Es sei einfach angenehmer, einen weiblichen Avatar von hinten zu sehen als einen männlichen, wenn man aus der Third-Person-Perspektive spielt. Außerdem bekämen weibliche Avatare in Online-Spielen mehr Freebies und Geschenke.

Gerade die Selbstverständlichkeit dieser Antworten sei unheimlich, so Yee, wenn nicht sogar potenziell irreführend.

„Wenn wir als Wissenschaftler diese Frage stellen, wissen wir oft nicht, ob die Gamer nur eine gesellschaftlich akzeptable Antwort abspielen”, sagte Yee. „Nur wenige Männer würden offen zugeben, dass sie eine Frau spielen, um den weiblichen Körper zu kontrollieren, selbst wenn das tatsächlich der Fall wäre.”

Keiner der männlichen Spieler, mit denen Motherboard für diesen Artikel gesprochen hat, erwähnte, dass auch etwas irgendwie Perverses daran sein könnte, ihre ehemaligen oder aktuellen besseren Häften zu digitalisieren und zu kontrollieren.

„Vielleicht erschaffen sich die Gamer also Avatare, um etwas zu haben, worüber sie nachdenken können, etwas, das sie anschauen und sogar anschreien können—ein bisschen wie eine Art Bewältigungstherapie.”

Jaime Banks, Professorin für Kommunikation an der West Virginia University, glaubt nicht, dass es geschlechtsspezifisch ist, „seinen Partner zu spielen.” „In vielen Spielen wird der männliche Körper ebenso sexualisiert [wie der weibliche]”, merkte Banks an, die sich mit den Beziehungen zwischen Spieler und Avatar beschäftigt.

Sie führte zwei Gründe dafür an, warum männliche Gamer ihre Ex-Freundinnen oder Freundinnen im Cyberspace heraufbeschwören: sie dienen ihnen als „Übergangsobjekte”, um nach einer Trennung ein Trauma oder Verlustängste zu verarbeiten, oder als „evokative Objekte”, sagte Banks und bezog sich damit auf die Theorie der Cyberpsychologin Sherry Turkle, die besagt, dass „wir mit den Objekten denken, die wir lieben; und wir die Objekte lieben, mit denen wir denken.”

„Wenn wir uns von jemandem trennen, kann das schon sehr stressig und verwirrend sein—und manchmal ist es sogar verwirrend, in einer Beziehung zu sein—es scheint nicht immer Sinn zu ergeben”, führte Banks aus. „Vielleicht erschaffen sich die Gamer also Avatare, um etwas zu haben, worüber sie nachdenken können, etwas, das sie anschauen und sogar anschreien können—ein bisschen wie eine Art Bewältigungstherapie.”

„Creecher” hingegen, den ich in einem Gamer-Forum kennenlernte, erzählte mir, dass das bei ihm nicht geklappt habe. Er hat seine Ex-Freundin als „Narbe” in seinen Gedanken beschrieben und fügte hinzu, dass die Avatare, die er nach der Trennung nach dem Abbild seiner Ex gestaltet hat, nicht dabei geholfen hätten, mit der Trennung zurecht zu kommen.

„Ganz im Gegenteil”, sagte er. Es wäre eine ständige Erinnerung an sie gewesen. Creecher gab zu, dass seine Gewohnheit, seine Ex-Freundin eins zu eins als Avatar in die Spielwelt zu übernehmen, nicht ganz gesund sei und schien erleichtert, zu erfahren, dass er damit wahrscheinlich nicht alleine ist.

„Gut.”, sagte er. „Ich bin also nicht komplett durchgeknallt.”

Motherboard hat sich auch mit einer Frau unterhalten, die einen Avatar erschaffen hat, der ihrem Mann zum Verwechseln ähnlich sieht.

Jacqueline Trudeau—der Name ihres Avatars in Second Life—bewohnt das Spiel schon seit mehr als elf Jahren. Ihre Hauptbeschäftigung im Spiel ist das Bootsdesign: Für ihr Unternehmen Trudeau Classic Sailing Yachts entwirft sie hochwertige Segelboote und Skipper, auf denen die Bewohner des Second Life romantische Ausflüge verbringen. Obwohl sie mit ihrer digitalen Handwerkskunst sogar ein bisschen Geld verdient, hält ihr Ehemann ihr Hobby für reine Zeitverschwendung. Er selbst spielt keine Videospiele.

Jacqueline Trudeau und ihr Ehemann segeln auf einem ihrer Boote durch die Welt von Second Life. Screenshot: Jaqueline Trudeau.

Trudeau hat aber einen Avatar erschaffen, der ihm bis ins kleinste Detail ähnelt. Er dient ihr als Requisite in ihrem Segelboot-Unternehmen.

„Ich benutze ihn oft für Werbefotos”, erklärte sie. Trudeaus Ehemann ist in der Spielwelt in enger Badehose und sportlicher Sonnenbrille zu sehen, die er, wie sie erklärt, außerhalb der virtuellen Welt niemals tragen würde. Im echten Leben ist er seekrank und außerdem könnten sie sich niemals die Instandhaltung eines Bootes leisten. In den Online-Werbeanzeigen ist das Pärchen aber küssend auf einem ihrer Boote zu sehen, auf dem sie gen Sonnenuntergang segeln.

„Das ist meine Art, ihn mal mit raus aufs Boot zu nehmen”, sagte Trudeau.

Schöne gemeinsame Erfahrungen in der Welt der Avatare können auch in Beziehungen im echten Leben frischen Wind bringen.

Eskapismus wird oft als individuelles Unterfangen betrachtet, als ein Mittel, um seine privaten Fantasien auszuleben. Solange unsere Partner aber einen wichtigen Bestandteil unserer Identität ausmachen, können sie auch in unseren eskapistischen Landschaften einen Platz einnehmen und in Online-Rollenspielen so deutlich vorkommen wie in unseren Träumen. Weit weg von den Sorgen des grauen Alltags können wir in der digitalen Welt unsere Beziehung zu ihnen und ihren Einfluss auf uns neu überdenken.

Schöne gemeinsame Erfahrungen in der Welt der Avatare können auch in Beziehungen im echten Leben frischen Wind bringen. Sich die bessere Hälfte in einem neuen Kontext und mit jugendlichem Gesicht vorzustellen, trägt definitiv das Potenzial mit sich, einer zwischenmenschlichen Beziehung neuen Schwung zu verleihen—obwohl es den Gamern natürlich auch erlaubt, über ihre verflossenen Lieben nachzusinnen. Den Avatar eines Partners zu verändern, ohne ihm dabei in die Augen schauen zu müssen und seine Reaktion darauf zu sehen, könnte sich aber auch seltsam anfühlen.

Natalie und Harris haben sich getrennt, kurz nachdem er die Mod erstellt hat. Die Trennung hatte aber wohl nichts damit zu tun. Seine Pläne, die Mod mit neuen Quests und einer Stimme zu aktualisieren, hat er aber nicht weiterverfolgt.