In Fernsehserien lieben wir „Creeps” (den Begriff kann man im Deutschen vielleicht am besten mit den Worten Widerling, Soziopath, oder Perversling umschreiben—es geht also um rundum unangenehme Menschen). Nehmen wir zum Beispiel Frank Underwood von House of Cards: Er ist ein durch und durch bösartiges und verstörendes menschliches Wesen, aber wir können einfach nicht aufhören, bei seinem von Intrigen gepflasterten Weg zur Macht mitzufiebern. Und was waren wir schlecht darin, mit unserer Begeisterung für Walter White hinterm Berg zu halten—dem unvorstellbar bösartigen Antihelden von Breaking Bad.
Im echten Leben sind Menschen aber—komischerweise—weniger scharf darauf, sich mit ‚Creeps’ abzugeben. In der Regel hat man keine mordenden Methdealer in seinem engeren Freundeskreis—und man hält auch lieber Abstand von Menschen, die herumlaufen und an den Arschlöchern von Katzen schnüffeln oder sich ohne ersichtlichen Grund während einer Unterhaltung unablässig die eigene Hand ablecken.
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Dr. Adam Kotsko, einem Wissenschaftler am Shimer College in Chicago und Experte für den perversen Reiz von abgründigen Eigenschaften des menschlichen Charakters, hat sich damit auseinandergesetzt, warum wir geradezu besessen von Personen sind, die uns eigentlich „ein unangenehmes Gefühl von Angst oder Unwohlsein” verursachen sollten. Das Ergebnis seiner Forschung kann man in seinem neusten Buch Creepiness nachlesen, das quasi dort ansetzt, wo er in seinen früheren Werken Awkwardness und Why We Love Soicopaths: A Guide to Late Capitalist Television aufgehört hat.
Ich habe Adam vor Kurzem mal angerufen, weil es in letzter Zeit einen geradezu explosionsartigen Anstieg von verstörenden Charakteren in Serien gab. Wir haben über die verschiedenen Bestandteile von „Creepiness” gesprochen und darüber, warum wir—wie er in seinem Buch erklärt ( von dem du hier einen Auszug lesen kannst)—„anfällig dafür sind, von jemand anderem angewidert zu sein, weil wir ständig Gefahr laufen, von uns selber angewidert zu sein.”
VICE: Hi Adam, wann hast du dir zum ersten Mal Gedanken über den Creep, bzw. Creepiness, gemacht und was hat dich dazu gebracht, darüber ein Buch zu schreiben?
Adam Kotsko: Ursprünglich hatte ich nur vor, über ‚Awkwardness’ [Unbeholfenheit, Ungeschicklichkeit, Peinlichkeit] zu schreiben, aber dann kam mir die Idee, eine Trilogie über negative Charaktereigenschaften zu verfassen. Das ganze fing eigentlich als Witz an: Ein Kollege von mir war gerade dabei, eine Trilogie zu schreiben und ich war deswegen etwas skeptisch. Ich sagte, „Oh, der kann eine Trilogie schreiben, dann kann ich bestimmt auch eine Trilogie schreiben”, und das tat ich dann tatsächlich auch. Als ich dann aber anfing, über ‚Awkwardness’ zu schreiben, kam ich gar nicht mehr wirklich drum herum, auch über ‚Creepiness’ zu sprechen. Die größte Angst einer Person, die ‚awkward’ ist, ist von anderen als ‚creepy’ wahrgenommen zu werden.
Was für einen Ansatz hast du denn gewählt, um die verschiedenen Aspekte von Creepiness zu definieren?
Meine Forschung bestand vor allem darin, mit vielen verschiedenen Menschen in verschiedenen Settings darüber zu sprechen, was sie als ‚creepy’ definieren—und vor allem welche Fernsehcharaktere sie ‚creepy’ finden. Wie ich in dem Buch auch schreibe, war dann das Burger King-Maskottchen das Paradebeispiel, auf das sich alle einigen konnten.
Was macht den King-King denn zu einem derartig klassischen ‚Creep’?
Es scheint so, dass der Schlüssel zu seinem hohen Grad an ‚Creepiness’ ist, dass er viele unangenehme Eigenschaften vereint. Er ist zuerst einmal invasiv: Er versucht immer, bei irgendjemandem einzubrechen oder so. Er versucht, einem immer irgendetwas anzudrehen. Er klaut nicht, sondern will dir einen Hamburger geben. Ich glaube aber, dass das, was ihn wirklich ‚creepy’ macht, die Tatsache ist, dass du nie weißt, was er eigentlich will oder was er davon hat, weil er ständig diese Maske trägt, die seine Gesichtszüge total verdeckt. Er hat dieses ständig eingefrorene Grinsen und es ist diese komische Kombination aus Verlangen, das rätselhaft ist und gleichzeitig deine persönlichen Grenzen überschreitet.
Da gibt es auch ein sexuelles Element, nehme ich mal an.
Genau. Sexuelles Verlangen scheint sich hier in Bereiche einzuschleichen, in die es eigentlich nicht hingehört. In der Werbung ist die Art, wie die Hamburger präsentiert werden, geradezu pornografisch. Das Verlangen nach Sex mit einem Sandwich sollte man wahrscheinlich nicht haben.
Wer wäre denn ein gutes Beispiel für einen ‚Creep’ in der heutigen Serienlandschaft?
Lena Dunhams Charakter in Girls ist eigentlich ziemlich ‚creepy’—zumindest am Anfang der Serie, ich glaube sie wächst da in gewisser Weise raus. Ein Beispiel für ihre ‚Creepiness’ ist vielleicht die Art, in der ihre Nacktheit in der Sendung präsentiert wir. Sie wird dem Zuschauer geradezu aufgedrängt. Es hat etwas Übertriebenes. Es ist nicht wie bei den anderen HBO-Sendungen, bei denen das einfach im Hintergrund stattfindet—es wird wirklich exzessiv eingesetzt. Und dann ist da auch die Beziehung zu ihrem Freund Adam, der selber ziemlich ‚creepy’ ist. Die beiden haben dieses komische, degradierende Sexding miteinander laufen und es wird relativ schnell ziemlich klar, dass sie diese Art von Verhalten aktiv einfordert, damit sie abgründigere Memoiren schreiben kann. Es ist nicht so, als würde sie das wirklich mögen oder wollen—es hat mehr was davon, dass sie meint es tun zu müssen und das ist schon etwas ‚creepy’.
Du hast mal gesagt, dass eins der Hauptmerkmale von Charakteren, die man als ‚Creep’ bezeichnen würde, ist, dass sie sich nicht in die „sozialen Hierarchien” einfügen können und bestimmte gesellschaftliche Grenzen überschreiten. Wie funktioniert so etwas im Fernsehen?
Ich würde sagen, dass es dafür ein ganz generelles Muster gibt. So gibt es zum Beispiel diese Figur, in der Regel eine männliche, die besessen von einer Frau ist, die sich weit außerhalb ihrer Reichweite befindet. Wenn diese Figur nach einer gewissen Zeit nicht einfach aufgibt, sie also weiter darauf besteht, dann wird es irgendwann ‚creepy’, weil man weiß, dass beide niemals zusammenkommen werden. Man fragt sich dann, was diese Charaktere überhaupt davon haben. Ich schätze mal, Steve Urkels ständige Avancen an das Nachbarsmädchen—über einen einen Zeitraum von zehn Jahren—sind das Paradebeispiel von creepy.
Warum nehmen Drehbuchautoren denn so gerne die Figur des ‚Creeps’?
Der ‚Creep’ vereint quasi zwei Eigenschaften. In der Regel wird eine ‚creepy’ Figur für ihr ‚creepy’ Verhalten zum Sündenbock gemacht, ausgeschlossen oder anderweitig bestraft. Man kann sich von diesen Individuen also abgrenzen, und das macht Menschen Spaß.
Wenn du einen ‚Creep’ in einer Serie hast, dann siehst du aber auch jemanden, der das bekommt, was er will. Ihrem Verlangen, auch wenn es unkonventionell, komisch oder abstoßend ist, wird schließlich nachgegeben. Ich würde sagen, dass auch darin ein Teil der Faszination besteht. Man kommt in den Genuss, jemandem zuzuschauen, der eine oftmals grenzüberschreitende Handlung vollzieht, die man selber niemals tun würde—das gibt einem Genugtuung. Dazu gibt es auch noch die Genugtuung, diese Person abzulehnen. Ich würde sagen, dass der ‚Creep’ in der modernen Gesellschaft zunehmend die Funktion eines etwas sonderbaren Ablassventils einnimmt.
Glaubst du, dass wir in gewisser Weise unsere abseitigeren Charakterzüge auf solche Figuren projizieren?
Ja, bei der ‚Creepiness’ gibt es immer dieses Element der Projektion. Nimm zum Beispiel einen neurotischen jungen Mann, der sich nicht traut, Frauen anzusprechen oder sogar glaubt, dass diese Arschlöcher bevorzugen oder ihn niemals beachten werden. Diese Menschen projizieren ihre eigenen sexuellen Sehnsüchte—ihre eigene Sehnsucht, die sie selbst als creepy empfinden—auf diese Figur des Arschlochs, die immer die Frauen abbekommt. Es gibt immer ein Verlangen, sich in gewisser Weise von Aspekten des eigenen Selbst zu trennen. Das ist es, was diese sonderbare Dynamik der ‚Creepiness’ erschafft.
Titelbild: Frank Underwood von House Of Cards. Screenshot via YouTube