Folgendes Szenario: Du bist im Urlaub in Südfrankreich und gerade eine gute Stunde durch pieksiges mediterranes Gestrüpp zu einem abgelegenen Strand gelatscht, weil ein Travelblog ihn als “idyllischen Ort zum Entspannen” angepriesen hat. Das mit dem Travelblog ist dir ein bisschen peinlich, leider sind die Tipps immer richtig gut. Du schwitzt wie ein Schwein, aber es hat sich gelohnt: Die kleine Bucht ist wunderschön. Mit einem zufriedenen Grinsen gehst du durch den warmen Sand, eine leichte Brise weht durch dein Haar, jeder Schritt ein kleiner Orgasmus. Du suchst dir einen schönen Platz, breitest dein Handtuch aus und legst dich hin. Am Ufer landen die Wellen mit einem sanften Platsch auf dem Sand, ansonsten herrscht herrliche Stille. Du hast gefunden, wonach du gesucht hast. Dein kleines Paradies.
Dann tauchen Marc, Jessica und ihre Pariser Freunde auf, eine fette JBL-Box in der Hand, und machen es sich ein paar Meter neben dir bequem. Auf Knopfdruck verschwindet die ganze Schönheit der Welt im monotonen Geplucker von schlechtem Tech-House. Dein Herz blutet.
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Zuerst glaubst du, dass es sich um ein Versehen handeln muss – vielleicht haben sie dich nicht gesehen. Wie könnten die sonst so egoistisch sein? Mit jedem Beat wächst deine innere Anspannung, eine Konfrontation scheint unausweichlich. Aber dann erinnerst du dich an das Mike-Tyson-Zitat: “Jeder hat einen Plan, bis er eins auf die Fresse bekommt”, und du belässt es bei ein paar demonstrativen Seufzern.
Seit Lautsprecherboxen mit guter Klangqualität kleiner und billiger geworden sind, haben sich öffentliche Plätze in grauenvolle Klanglandschaften verwandelt. Die Bluetooth-Geräte sind eine echte Plage für alle, die in Parks ein bisschen Ruhe suchen oder an der Bahnhaltestelle nicht von Schranz genervt werden wollen. Allein beim Gedanken daran stehen mir die Haare zu Berge. Aber es sind nicht nur die anderen. Heutzutage kann man kaum noch ein gemeinsames Treffen mit mehreren Leuten organisieren, ohne dass jemand fragt: “Wer hat eine Bluetooth-Box?” Egal, wo ihr hingeht.
Sogar Radfahrer – die sich auch so schon allergrößte Mühe geben, ihren Mitmenschen das Leben zu vermiesen – machen bei dem Trend mit. Am Carbon-Rahmen ihrer 10.000-Euro-Räder, mit denen sie durch die Städte heizen, haben sie Lautsprecher in der Größe eines Kleinkindes befestigt, aus denen ihre “Berlin Calling”-Playlist scheppert. Die gleiche Musik hörst du auch abends am lokalen Abhängspot. Diesmal kommt sie aus dem mitgebrachten Lautsprecher eines Mitdreißigers, der sich, nachdem er die Woche in Sales-Pitch-Meetings verbracht hat, jetzt in seinem Jutebeutel ein Soundsystem mit sich rumschleppt und allen in einem 15 Meter Radius den Soundtrack zu ihrem Leben liefert, nach dem sie nie gefragt haben.
Willkommen in einer Welt, in der die Party niemals aufhört, alles laut ist und du dich ständig fühlst wie in einer schlechten Folge Euphoria.
Ich sehe schon einige von euch empört in die Kommentarspalte tippen: “Ähm sorry, dass es noch Menschen gibt, die gerne Musik hören und das Leben genießen.” Natürlich ist Musikhören eine tolle Sache. Ja, es ist sogar notwendig. Menschen, die keine Musik hören – oder noch schlimmer “irgendwie alles” – sind Psychos. Aber Musik hört man zu Hause oder über Kopfhörer. Kurz gesagt: privat, ohne alle um dich herum damit zu nerven. Partys, Konzerte und Bars natürlich ausgenommen.
Nicht alle teilen deinen Musikgeschmack oder wollen überall beschallt werden. Ich setze mich ja auch nicht mit meiner Bose-Box auf die Bank am Ententeich und mache “People=Shit” von Slipknot an. Musik muss – wie flüchtige Gedanken, die dir im Kopf umherschwirren – nicht ständig mit allen anderen geteilt werden.
Das Leben ist so schon anstrengend genug.
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