Im Rahmen unseres Schwerpunktes zu sexueller Belästigung haben wir unter dem Hashtag #NichtMehrWegschauen dazu aufgerufen, dass Betroffene uns ihre Erlebnisse in Bezug auf sexuelle Belästigung anonym zusenden. Aus einigen dieser Mails ging hervor, dass Frauen oft nachts, wenn sie alleine am Heimweg sind, mit unangenehmen bis furchteinflößenden Situationen konfrontiert sind und sich unwohl fühlen. Ich kenne das. Immer, wenn ich weiß, dass ich nachts alleine unterwegs sein werde, auch, wenn es nur ein kurzer Heimweg ist, trage ich einen Pfefferspray bei mir, fest umklammert in meiner Jackentasche. Gebraucht habe ich ihn zum Glück noch nie.
Viele verstehen nicht, warum manche Frauen ein mulmiges Gefühl im Bauch haben, wenn sie nachts allein unterwegs sind. Oder warum ich zum Beispiel auch für kurze Strecken ein Taxi nehme oder am Weg nach Hause mit einer Freundin telefoniere, die auch gerade am Heimweg ist—so lange, bis wir beide zu Hause sind.”„Scheiß dich nicht so an”, “Dir passiert schon nichts” und “Du übertreibst doch nur” sind Dinge, die ich in diesem Zusammenhang oft zu hören bekomme.
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Wird man nachts auf der Straße sexuell belästigt, blöd von der Seite angesprochen oder folgt einem ein hartnäckiger Typ minutenlang, hat man im Ernstfall nur wenige Auswege. Im schlimmsten Fall sind gerade keine anderen Menschen in Sichtweite, es ist dunkel, man hat keinen Handyakku mehr. Vielleicht ist man ein bisschen angeheitert von der gerade verlassenen Party und nicht so schlagfertig, wie man gerne wäre. Ich wäre einem möglichen Angreifer mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit körperlich unterlegen und die zusätzlichen Faktoren geben mir auch nicht gerade ein verstärktes Gefühl von Sicherheit.
Nach den Vorfällen zu Silvester in Köln hat der Wiener Polizeipräsident Pürstl uns Frauen öffentlich dazu geraten, dass wir nachts generell in Begleitung unterwegs sein sollten. Diese Äußerung brachte ihm viel Kritik ein, ihm wurde vorgeworfen, dass er Frauen durch seine Verhaltenstipps ihre Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung in öffentlichen Raum abspreche. Dass er die Verantwortung wieder in die Hand der Frauen lege, und nicht bei den Männern ansetzt, vor denen man überhaupt erst Angst haben muss.
Natürlich stimmt das. In einer idealen Welt müssten wir Frauen uns keine Sorgen machen. In einer idealen Welt gäbe es nämlich keine sexuelle Belästigung, keine Ungerechtigkeit und keine Männer, die denken, es turnt Frauen an, wenn sie ihnen nachts “Hey sexy Lady, komm mit!” aus dem heruntergelassenen Fenster ihres Autos hinterherrufen, die einem eine leere Gasse lang nachgehen und fragen, warum man denn nun nicht mit ihnen mitgehen will oder einen sogar festhalten wollen. In der echten nun mal schon. So viel Realismus muss sein, so weh er auch tun mag.
Vor einiger Zeit habe ich in einer Tageszeitung gelesen, dass ein Mädchen nachts am Heimweg von einem Mann bis in ihr Haus verfolgt wurde und er dann im Fahrstuhl versucht hat, sie zu missbrauchen. Das Ganze hat sich in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung zugetragen. Seit ich von diesem Vorfall gelesen habe, bin ich noch aufmerksamer als vorher. Ich lasse die Tür hinter mir nicht langsam zufallen, sondern drücke sie schnell zu. Ich höre nur leise und auf einem Kopfhörer Musik, damit ich hören kann, ob jemand hinter mir geht. Ich nehme mir so gut wie immer ein Taxi—und nicht mal dort ist einem Sicherheit garantiert.
Ein Taxifahrer, der mich einmal nachts nach Hause gebracht hat, hat mich anfangs eigentlich recht höflich gefragt, ob ich noch etwas mit ihm trinken möchte. Ich habe verneint, ihm gesagt, dass ich jetzt nach Hause und schlafen wolle. Er meinte, ich solle ihm meine Nummer geben, dann meldet er sich morgen bei mir, wenn ich ausgeschlafen bin, damit wir etwas gemeinsam unternehmen können. Auf meine Ausrede, dass mein (erfundener) Freund davon nicht sehr begeistert wäre und ich ihn nicht treffen kann und will, ist er nicht näher eingegangen. Er wollte sich nicht davon abhalten lassen. Ich wollte ihm meine Nummer nicht geben, habe mich aber nicht getraut, ihm das direkt ins Gesicht zu sagen.
Er wurde immer aufdringlicher, blieb hartnäckig. Ich sagte ihm, er solle mir doch seine geben, dann melde ich mich bei ihm. Er ist mit mir ausgestiegen und hat mir genau zugesehen, wie ich sie eingespeichert habe, er wollte sicher gehen. Die Nummer ist immer noch in meinem Handy. Ich habe mich in dieser Situation nicht getraut, ihm selbstsicher und selbstbestimmt gegenüber zu treten, weil niemand in der Nähe war. Ich dachte, es wäre sicherer, wenn ich seine Forderung nett umgehe. Ich habe ihn vertröstet und war erleichtert, als ich schließlich die Tür hinter mir zugedrückt habe.
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Solange es Typen gibt, die uns belästigen, müssen wir Lösungen finden und uns Dinge einfallen lassen, die uns ein Gefühl von Sicherheit geben. Für manche von uns mag ein selbstbewusster Blick das notwendige “Fuck You!” ins Gesicht von Männern sein, die uns belästigen. Ich traue mich das nicht immer. Ich brauche gewisse Dinge, Gedanken, Telefonate, die letzten Endes auch nur eine Form von “Begleitung” sind, um mich sicher zu fühlen. Sich als Frau nachts nicht mehr allein auf die Straße zu wagen, wäre absurd. Das wäre tatsächlich die Resignation, vor der viele nach Pürstls Verhaltenstipps gewarnt haben. Dennoch müssen wir auf uns aufpassen. Das hingegen ist nämlich keine Resignation, sondern lediglich realistisch.
Natürlich ist es schade, dass ich mir im Vorhinein überlegen muss, wie ich mich am Heimweg sicher fühle. Was ich einpacken, was ich bedenken muss, welchen Weg ich nach Hause nehme. Ich würde gerne nachts durch die Stadt spazieren können, ohne mich paranoid umzusehen, ob jemand hinter mir geht oder nachzudenken, warum das Auto neben mir plötzlich nur noch im Schritttempo dahinrollt. Aber in manchen dieser Situationen habe ich wirklich Angst, dass mir etwas passiert. Und bis unsere Gesellschaft den Zustand erreicht hat, in dem wir Frauen uns über solche Dinge keine Gedanken mehr machen müssen, müssen wir auf uns selbst und aufeinander aufpassen.
Verena auf Twitter: @verenabgnr
Titelfoto: Sigfrid Lundberg | flickr | CC BY-SA 2.0