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Wie es für Schwarze Menschen ist, in Deutschland mit krausem Haar aufzuwachsen

Zwei Männer mit Zöpfen

Für die meisten Leute sind Haare Keratinfäden, die aus ihren Köpfen wachsen. Für viele Schwarze Menschen aber sind Haare ein Teil ihrer Identität. Auch bei mir. Jeder Schwarze Mensch in Deutschland hat besondere Geschichten aufgrund seiner Haare erlebt. Bei mir waren es Heulkrämpfe im Kindesalter, weil ich auch glatte Haare haben wollte, so wie alle anderen Kinder. Und immer wieder fassen Menschen ungefragt meinen Kopf an. Ob gefragt oder ungefragt: Ich bin kein Streichelzoo.

Ich trage meine Haare fast nie länger als drei Tage hintereinander in der gleichen Frisur. Für viele Weiße Menschen scheint das schon verrückt zu sein. Aber für mich ist eine Frisur nichts anderes, als ein neues Outfit oder frisch lackierte Nägel. Die konstante Veränderung gehört einfach zu meinem Gesamtbild dazu. Ich bin schnell gelangweilt, wenn meine Haare zu lange gleich aussehen.

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Ein anderer Aspekt ist der kulturelle. Mein Vater ist Nigerianer. In Nigeria gibt es alle paar Meter Haarsalons und Frauen nehmen den Style ihrer Haare sehr ernst. Ob in Nigeria oder in Deutschland, oft werden Kinder, Nichten oder Neffen zum Haartermin mitgebracht, sodass man mit einer Schar von Menschen in einem Raum sitzt, während einem die Haare gemacht werden. Das gegenseitige Haareflechten verbindet, man isst zusammen und verbringt viele Stunden mit Personen, die man vorher vielleicht gar nicht kannte. Viele Freunde habe ich gefunden, während ich ihre oder sie meine Haare gemacht haben. Wenn man fünf bis zehn Stunden in einem Raum mit einer Person verbringt, kann es sich danach anfühlen, als kenne man ihre ganze Lebensgeschichte.


Aus dem VICE-Netzwerk: Woher kommst du wirklich?


In den USA gibt es zurzeit Shows wie Insecure, Grown-ish oder Atlanta, in denen Schwarze Menschen mit allen Facetten ihrer Haare repräsentiert werden. Aber leider noch nicht in Deutschland.

Wenn man von klein auf kein öffentliches Vorbild hat, fühlt man sich vor allem als Kind “anders” oder nicht “normal”. Schwarze Menschen werden in Deutschland oft als Ausnahme dargestellt – oder in Form einer Quote. Dabei geht die Normalisierung Schwarzer Haare unter. Ich werde oft als Exot angesehen, obwohl ich mein ganzes bisheriges Leben hier verbracht habe.

Solange nicht jeder Schwarze Mensch in Deutschland mit Braids, Locs oder natürlichen Haaren den gleichen gesellschaftlichen Stellenwert erlangt hat wie ein Weißer Mensch mit glattem Haar, und solange in Frage gestellt wird, wie professionell oder wie integriert er ist, nur weil seine Haare anders strukturiert sind, als es hier üblich ist, ist es wichtig, über dieses Thema zu reden. Schwarze Menschen werden nicht verschwinden, aber sie wollen auch nicht länger eurozentrische Schönheitsideale nachahmen.

Ich habe sechs meiner Freunde fotografiert und sie gefragt, wie es ihnen mit ihren Haaren geht, was sie durch sie schon erlebt haben und wie es war, in Deutschland mit ihnen aufzuwachsen.

Awa, 21: “Ohne meine Haare wäre ich nicht ich”

VICE: Was bedeuten dir deine Haare?
Awa: Meine Haare sind für mich ein Tool, um meine Identität zu unterstreichen. Sie zeigen, wie es mir gerade geht und wie ich mich fühle. Ich habe kein Problem damit, meine Haare zu schneiden, aber ohne meine Haare wäre ich nicht ich.

Was ist das Unangenehmste, das dir wegen deiner Haare jemals passiert ist?
Das Unangenehmste für mich war, als ich in der fünften Klasse das erste Mal einem Afro getragen habe und mir gesagt wurde, dass ich aussähe, als hätte ich in die Steckdose gefasst. Danach habe ich mir jeden Tag, fünf Jahre lang, die Haare geglättet.

Wie war es für dich, mit deinen Haaren aufzuwachsen?
Schmerzhaft. Meine Mum hat meine Haare immer gebraidet, weil sie nicht wollte, dass sie andauernd angefasst werden. Ich habe drei kleine Schwestern und es war einfacher, allen Braids zu machen, als jeden Tag Haare zu kämmen. Mit zwölf hab ich ein Glätteisen bekommen und habe meine Haare täglich geglättet – bis sie tot waren. Ich wollte nicht immer anders angeguckt werden und anders aussehen als alle anderen, weshalb ich mir irgendwann auch die Haare blondierte. Es ging mir immer um Akzeptanz und Integration, wenn es um meine Haare ging, bis ich endlich lernte, sie so zu lieben und zu akzeptieren, wie sie sind.

Shani, 25: “Ein Haarstyle, aus dem ich Stolz ziehen kann”

VICE: Was bedeuten dir deine Haare?
Shani: Bevor ich meine Locs hatte, bedeuteten sie mir nicht so viel. Aber durch die ganze Pflege, die sie in Anspruch nehmen, baute sich immer mehr eine Verbindung und Wertschätzung zu ihnen auf. Locs besitzen auch ein negatives Stigma in der westlichen Welt, oft werden sie mit Unsauberkeit und Ungepflegtheit assoziiert. Als Afroamerikaner sehe ich sie aber als eine Verbindung zu meiner jetzigen und meiner verlorenen Kultur. Ein Haarstyle, mit dem ich mich kulturell identifizieren und aus dem ich Stolz ziehen kann.

Was ist das Unangenehmste, das dir wegen deiner Haare jemals passiert ist?
Puh … es gibt einiges! Vor ein paar Jahren war ich im Urlaub in der Türkei mit meinen Freunden shoppen. Während sie sich in der Kabine umzogen, haben ein paar Mitarbeiter angefangen, direkt vor mir über meine Haare zu diskutieren. Irgendwann ging es so weit, dass die beiden anfingen meine Haare, ohne etwas zu sagen, anzufassen und intensiv zu analysieren. Dann haben sie noch eine andere Mitarbeiterin dazugeholt, um ihr meine Haare zu zeigen. Meine eigentliche Präsenz, ich selbst, wurde gar nicht wirklich wahrgenommen. Irgendwann musste ich selbst meine Locs aus ihren Händen nehmen und ihnen sagen, dass das nicht geht. Daraufhin entschuldigten sie sich kurz, fragten mich, ob dies meine echten Haare wären und komplimentierten mich. Aber ich fühlte mich wie ein Untersuchungsobjekt. Für mich war das ein richtiger Schreck.

Wie war es für dich, mit deinen Haaren aufzuwachsen?
Ich bin als Kind in Amerika aufgewachsen und dort hatten eigentlich fast alle um mich herum die gleichen Haare wie ich, also hat es sich normal angefühlt. Alle mussten ähnliche Prozesse durchmachen, wenn es um Haarpflege ging. Zum Beispiel morgens die Haare kämmen lassen, was, wie wir alle wissen, am Anfang ein Terror sein kann. Es war uns aber allen klar, dass wir in unsere Haare, wenn wir sie behalten wollten, etwas mehr Arbeit hineinstecken müssen.

Ich ging die ersten Jahre meines Lebens auf eine katholische Schule, wo Jungs ihre Haare nicht in Braids oder als zusammengebundenen Zopf tragen durften. Deshalb musste ich immer bis zu den Sommerferien warten, bis ich mir Cornrows machen konnte. Erst als ich nach Deutschland kam, wurde ich mit unangenehmen Fragen konfrontiert. Ich sage damit nicht, dass so etwas in den Staaten nicht passiert, aber zu dieser Zeit war ich nicht von Menschen umgeben, die sich so wegen meiner Haare verhielten.

Libell, 24: “Meine Haare sind ein großer Teil meiner Identität”

VICE: Was bedeuten dir deine Haare?
Libell: Meine Haare geben mir Selbstbewusstsein und Freude, können aber trotzdem auch sehr frustrierend sein. Sie sind anscheinend nicht nur für mich ein Grund für Aufmerksamkeit, denn auch in meinem Umfeld sorgen meine Haare für Neugierde – positiv und negativ. Prinzipiell kann ich sagen, dass sie ein großer Teil meiner Identität sind. Dementsprechend bedeuten sie mir sehr viel. Ich verbringe viel Zeit damit, sie zu verstehen und zu pflegen. Ich bin dankbar dafür, dass ich mich mit meinen Haaren wohl fühle, sie mit viel Stolz trage und die Möglichkeit habe, sie zu gestalten.

Was ist das Unangenehmste, das dir wegen deiner Haare jemals passiert ist?
Als junges Mädchen habe ich viele Fehlversuche erlebt, sei es das Bleaching und die Färbungen; komische, schiefe Ponys oder meine natürliche Haarstruktur mit zu viel Hitze zu beschädigen. Es passiert mir sogar heute noch, dass ich aus einem plötzlichen Impuls heraus etwas mit meinen Haaren mache, das ich schnell bereue. Aber das gehört für mich zum Lernprozess dazu.

Wie war es für dich, mit deinen Haaren aufzuwachsen?
Ich bin mit einer jamaikanischen Mutter aufgewachsen und in der Welt einer Schwarzen Frau wird das Thema Haare sehr groß geschrieben. Das bedeutet unter anderem, dass ich schon seit klein auf die vielen verschiedenen Prozesse, Styles und Frisuren bei mir oder meinen Verwandten miterlebt habe. Es ist ein ziemlich intimes Ereignis, wenn wir als Frauen zusammenkommen und uns umeinander kümmern. Es verbindet uns, und ist auch eine Komfortzone.

Joshua, 20: “Ich habe mir als Kind oft blonde, glatte Haare gewünscht”

VICE: Was bedeuten dir deine Haare?
Joshua: Meine Haare prägen für mich meine Interkulturalität.

Was ist das Unangenehmste, das dir wegen deiner Haare jemals passiert ist?
Ich habe mir als Kind oft gewünscht, blonde, glatte Haare zu haben, um so wie der Großteil der anderen Kinder auszusehen.

Wie war es für dich, mit deinen Haaren aufzuwachsen?
Die ersten fünf Jahre meines Lebens habe ich in London mit meiner Mutter und meinem Vater verbracht. Ein Großteil meiner nigerianischen Familie wohnt bis heute dort. Früher hatten wir entsprechend viel Kontakt. Meine ältere Cousine lernte an mir, Haare zu flechten, und ich fühlte mich wohl, so das Haus zu verlassen. Als ich nach Berlin zog und ein Großteil der Kinder blonde, glatte Haare hatten, änderten sich meine Präferenzen und ich fühlte mich mit meinen Haaren immer unwohler. Daher hatte ich während der Grundschule immer nur kurze Haare und wenn sie etwas länger wurden, versuchte ich mir die Haare mit Wax oder Gel zurecht zu machen. Ich bin froh, dass ich mittlerweile meine Haare so tragen kann, wie sie sind und ich mich dabei wohlfühlen kann.

Duke, 29: “Ich habe mir meinen Kopf immer glatt rasiert – im Nachhinein sehr schade”

VICE: Was bedeuten dir deine Haare?
Duke: Ich verbinde mit meinen Dreads keinen kulturellen Hintergrund. Es ist hier der momentane Style, der mir gefällt. Kann sein, dass ich die Haare nach Laune wieder abschneide. Damals haben mich Rapper wie Waka Flocka oder Chief Keef dazu inspiriert, mir meine Haare seit fünf Jahren nicht mehr abzurasieren.

Was ist das Unangenehmste, das dir wegen deiner Haare jemals passiert ist?
Mir ist eigentlich noch nichts Unangenehmes wegen meiner Haaren passiert.

Wie war es für dich, mit deinen Haaren aufzuwachsen?
Ich bin in einer bayerischen Kleinstadt mit meiner Weißen Familie groß geworden. Meine Mama hatte selber glatte Haare, deshalb konnte sie mir nicht beibringen, wie man mit meinen Haaren umgeht. YouTube gab es da auch noch nicht und in meiner Umgebung hatte auch keiner Afro-Haare wie ich. Als Junge habe ich mir meinen Kopf immer selbst glatt rasiert, im Nachhinein sehr schade. Die Haare haben mir zu der Zeit nicht sehr gefallen, und ich dachte, man kann nicht viel daraus machen. Erst später, mit 17 oder 18, als ich in eine Großstadt gekommen bin, habe ich gemerkt, dass es sowas wie einen Schwarzen Barbershop gibt, wo man sich freshe Konturen schneiden kann, oder sich selber Waves machen kann. Vorher wusste ich nicht, dass das geht. Ich dachte, das wächst bei manchen halt so.

Tsellot, 23: “Kein Grund, mir Fragen wie ‘Wäschst du überhaupt deine Haare?’ zu stellen”

VICE: Was bedeuten dir deine Haare?
Tsellot: Meine Haare sind ein Teil meiner Identität. Es mag einige geben, die sich wundern, warum Haare überhaupt so eine große Rolle in der POC-Community spielen. Für mich ist es ein Weg, auf der einen Seite individuell und auf der anderen Seite ein Teil einer Community zu sein. Mein Haar ist mein Spielplatz – hier tobe ich mich am liebsten aus.

Was ist das Unangenehmste, das dir wegen deiner Haare jemals passiert ist?
Da gibt es so einige Geschichten … Ich hatte vor ein paar Jahren einen Vorfall am Flughafen in den Staaten. Man hat mir unterstellt, etwas in meinen Haaren versteckt zu haben, und ich sollte meine Haare durchkämmen. Was die Sicherheitskräfte am Flughafen natürlich nicht berücksichtigt haben, ist, dass es mühsam war, meine Locken so definiert hinzukriegen, und dass Kämmen die Frisur komplett zerstört. Und vor allem: Wie und was soll ich in meinem Afro versteckt haben? Hätte da ein einfaches Tasten nicht gereicht? Auf meinen Einwand ist keiner eingegangen.

Wie war es für dich, mit deinen Haaren aufzuwachsen?
Anstrengend und Aufregend.

Anstrengend, weil man mir oft das Gefühl gegeben hat, ein exotisches Objekt zu sein. Ich verstehe, dass eine gewisse Neugier da ist, da mein Haar von der wahrgenommenen Norm abweicht. Aber das ist kein Grund, mir einfach ungefragt in die Haare zu fassen und mir Fragen wie ‘Wäschst du überhaupt deine Haare?’ zu stellen. Außerdem war ich geprägt von dem damaligen Schönheitsideal ‘weiß, dünn, glatte blonde Haare’ und oft frustriert darüber, dass ich keine glatten Haare hatte wie alle anderen Mädchen in meinem Umkreis. Ich musste früh lernen, mich selbst zu akzeptieren, und erkennen, dass Individualität etwas Schönes ist.

Aufregend, weil ich festgestellt habe: Man kann so ziemlich alles mit meinen Haaren machen. Dank meiner Mutter wechselte ich schon von klein auf meine Frisuren fast wöchentlich. Einige der schönsten Erinnerungen meiner Kindheit sind definitiv die Sonntage, an denen meine Mutter meine Haare mehrere Stunden lang geflochten hat und wir unsere Geheimnisse ausgetauscht haben. Ich habe mich ihr immer so nahe und von ihr verstanden gefühlt. Ich kann es kaum erwarten, das mit meinen Kindern zu teilen.

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