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ASCII-Porn: Die nerdige Geschichte der ersten Internet-Pornografie

Brüste als ASCII-Kunst

Einige Bilder und Links in diesem Artikel sind NSFW.

“xxx” by xyz on ascii-art.de
‘xxx’ by xyz | ascii-art.de

Wenn ihr die Worte Pornografie und Internet hört, denkt ihr wahrscheinlich an hochauflösende Filmclips auf Pornhub oder das letzte Nacktbild, das euch euer Tinder-Date ungefragt geschickt hat. Der Begriff ASCII-Porn sagt euch da vermutlich weniger – obwohl ihr ihn in seiner simpelsten Form bestimmt schon mal gesehen habt: ( . )( . ) und 8==D.

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ASCII ist eine Abkürzung für den American Standard Code for Information Interchange. Bei dem Code werden insgesamt 128 Buchstaben, Ziffern und Satzzeichen jeweils einer Zahl zugeordnet, damit sie digital abgebildet werden können. In den 1970er und 80er Jahren, als neue Geräte wie der Matrixdrucker und Foren wie Usenet populär wurden, begannen Leute, ASCII-Zeichen zu Bildern zusammenzufügen – einige davon versauter als andere.

ASCII-Porno gilt als die erste Pornografie-Form, die übers Internet verbreitet wurde. Denn mit den damaligen Internetverbindungen dauerte es extrem lange, Bilddateien zu laden. ASCII-Kunst hingegen lud genauso schnell wie jeder andere Text. Wer ein wenig sucht, findet heute noch viele der ASCII-Gifs oder ganze Filme, die ausschließlich aus Code bestehen.

Der erste ASCII-Porn erschien im Videotext

Schon lange bevor es ASCII oder das Internet gab, haben Menschen Text in Bilder verwandelt. Bereits im Mittelalter verzierten Schreiberlinge religiöse Schriften an den Seitenrändern mit Illustrationen aus Schriftzeichen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert wurden Fernschreiber entwickelt. Die Geräte funktionierten ähnlich wie eine Schreibmaschine, waren aber über ein elektronisches Netz mit anderen Fernschreibern verbunden. Wurde an einem Gerät etwas getippt, kam das Signal fast zeitgleich beim Empfängergerät an. So konnte man Texte über weite Distanzen verschicken – oder eben Bilder, die an der Schreibmaschine getippt worden waren.


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Ein ASCII-Künstler namens “goto80” schreibt Motherboard per E-Mail, dass die ersten textbasierten Pornos vermutlich über Videotext verschickt wurden. In Deutschland gibt es den Videotext seit 1980 – und die verpixelten, knallbunten Textseiten halten sich auch heute erstaunlich hartnäckig.

Der Videotext informiert nicht nur über Fernsehprogramm, Wetter und Aktienkurse, sondern macht auch bildgewaltig Werbung für Sex-Hotlines und Sex-Chats. Die erotischen Highlights aus der Videotext-Ära werden beispielsweise im Projekt Teletext Babez vom deutschen 8-bit-Künstler Dragan Epenscheid für die Nachwelt festgehalten.

Teletext Babez
Screenshot: Teletext Babez

Der ASCII-Künstler Jellica schreibt Motherboard via Twitter, dass er in den 80er-Jahren das erste Mal ein erotisches ASCII-Bild sah, also bevor es überhaupt Internet gab. “Mein Opa brachte einen lebensgroßen ASCII-Ausdruck einer nackten Frau von der Arbeit nach Hause. Das Bild ist auf mehreren Seiten mit einem Matrixdrucker gedruckt worden.”

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Bild: Imgur | MisterKissKissBangBang

Damals wurde ASCII-Porn über die Vorgänger heutiger Internetforen, Telenet oder Usenet, verteilt. Oder ganz old-school auf Speichermedien wie gebrannten CDs oder Disketten ausgetauscht.

“In der Schule hatte immer irgendjemand eine Diskette dabei, die er von seinem Vater gemopst hatte”, sagt Jellica. “Bei uns in Frankreich gab es Disketten mit erotischen Bildern auch als Beilage zu Computerspielheften. Es gab viele verschiedene Computersysteme und unterschiedliche Textformate wie PETSCII auf dem Commodore 64 oder dem Videotext.”

Jellica erstellt Bilder im verpixelten Videotext-Stil. Er sagt, es gehe ihm nicht in erster Linie um pornografische Inhalte: “Ich wollte einfach ein Kunstprojekt mit alten Computern machen, etwas außerhalb der Norm.” Er wolle zeigen, dass hinter der Nerd-Kultur noch viel mehr steckt als das, was man in Serien wie The Big Bang Theory zu sehen bekommt. “Ich finde das nicht besonders erotisch oder erregend. Es macht einfach Spaß, hier und da ein sexy Bild zu erstellen.”

Verschiedene Screenshots auf dem Videotext

Screenshot: Videotext RTL, RTLII, DMAX

ASCII-Porn als Kunstform

In der ASCII-Szene sind Künstlerinnen und Künstler oft unter einem Kürzel aus drei Buchstaben bekannt, wie Blazej Kozlowski (“bug”), Faux_Pseudo (“F_P”) und Joan Stark (“jgs”). Die Künstlerin Stark wurde Motherboard in Gesprächen über ASCII-Kunst besonders oft empfohlen. “Ihre Kunst ist immer sauber und elegant”, sagte eine andere ASCII-Künstlerin, die seit 18 Jahren in der Community aktiv ist. Sie möchte anonym bleiben, damit ihr Arbeitgeber sie nicht mit ihrer erotischen Kunst in Verbindung bringen kann. “Ihre Darstellung von Mary Poppins ist das ideale Beispiel für gelungene ASCII-Kunst. Es ist simpel, sofort erkennbar und meiner Meinung nach in jeder Hinsicht perfekt.”

Laura Brown (“ldb”) erstellt seit 1998 ASCII-Kunst. Via Twitter-Nachricht schreibt sie, dass alles mit ein paar einfachen Zeichen begann: “Simple Darstellungen wie (_|_) Hintern und Brüste (o)(o) waren wahrscheinlich die frühesten Formen von ASCII-Porn.”

Bald kamen komplexere Bilder dazu, wie “Meriday in the Morning” von Mike Jittlov von 1993. Es gibt auch Sex-Videospiele im ASCII-Code und seinem Nachfolger PETSCII, etwa das Spiel Stroker.

Videospiel Stroker
Das PETSCII-Game ‘Stroker’ | Screenshot: Stroker

Manche ASCII-Kunstwerke schaffen den Sprung in den Mainstream. Einer der bekanntesten Künstler ist der Slowene Vuk Ćosić. Sein Projekt ASCII History of Moving Images von 1998 soll sogar Szenen im Film Matrix inspiriert haben. Deep ASCII, seine textbasierte Interpretation des Porno-Klassikers Deep Throat aus dem Jahr 1972, war sogar in einer Museumsausstellung zu sehen.

“Ich habe Deep Throat als Vorlage gewählt, weil es einen hohen Wiedererkennungswert hat”, sagt Ćosić. “Außerdem wurde das Videospiel Pong im selben Jahr veröffentlicht. Mir gefiel, dass diese zwei Meilensteine in zwei wichtigen Entertainment-Formaten fast gleichzeitig auftauchten.”

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‘Deep ASCII’ von Vuk Ćosić, 1998. Programmiert von Luka Frelih, produziert von Ljubljana Digital Medialab

Künstler der ASCII-Szene erhalten selten Anerkennung für ihre Arbeit. Denn ASCII-Kunst lässt sich besonders leicht kopieren.

“Ich wollte Grußkarten mit ASCII-Kunst online verkaufen. Ohne Erfolg. Stattdessen wurden Kopien meiner Arbeiten auf anderen Seiten zum Verkauf angeboten, natürlich ohne mein Kürzel”, sagt Brown. “Leute denken, dass ASCII-Kunst umsonst ist. Dabei ist es genauso Kunst wie ein Foto oder ein Gemälde.”

Obwohl ASCII-Kunst älter ist als das Internet selbst, ist sie auch heute noch überall zu finden, zum Beispiel auf Twitter als “In this house“-Meme oder als ASCII-Kaninchen. Auch in zahlreichen Chat-Diensten, Facebook-Gruppen und Foren halten ASCII-Enthusiasten die Kunstform am Leben. Und auch ( . )( . ) und 8==D werden wohl immer wieder per Copypaste ihren Weg in Chatfenster und Foren finden.

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Dieser Artikel ist zuerst auf der englischsprachigen Seite von Motherboard erschienen.