Mustafa aus Damaskus erzählt, wie ein Ringerverein in Berlin seine neue Heimat wurde

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie ‘Neue Nachbarn’, in der junge Geflüchtete aus ganz Europa Gastautoren auf VICE.com sind. Lies hier das Editorial dazu.

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Mustafa ist 22 und von Damaskus in Syrien. Er ist vor einem Jahr in Berlin angekommen und wohnt in einem Wohnheim für Geflüchtete.

Ich bin Mustafa, ich bin 22 Jahre alt und komme aus Damaskus in Syrien. Seit einem Jahr lebe ich in Deutschland, in Berlin. Vor vier Monaten habe ich mit dem Ringen angefangen. Die Jungs hier sind meine besten Freunde geworden. Saleh zum Beispiel, er spricht besser deutsch als ich und hat für euch aus dem arabischen übersetzt, was ich erzähle.

In Syrien habe ich noch nicht gerungen, aber mit meinem Bruder, meinen Cousins oder Freunden gerauft, ohne Regeln oder Taktiken. Mein Freund Abdul lebt im selben Wohnheim in Berlin wie ich, er hat mich zum ersten Mal hier zu diesem Verein mitgenommen. Wir ringen hier dreimal die Woche zusammen, mit allen hier verstehe ich mich, obwohl wir nicht dieselben Sprachen sprechen: russisch, arabisch, polnisch, deutsch. Durch das Ringen sind wir uns sehr nahe, ohne viel miteinander zu sprechen. Wir verstehen uns mit Bewegungen. Manchmal zum Beispiel fühle ich mich frustriert, wenn ich denke, dass ich zu schwach bin, oder eine Bewegung noch nicht schaffe. Aber mein Trainer zeigt es mir dann noch mal und sagt: “Versuch es nochmal, langsamer.” Sie motivieren mich und unterstützen mich, wenn ich nicht weiter komme.

Die erste Stunde hat mir sofort gefallen. Beim Ringen brauchst du sehr viel Energie, schon für ganz kurze Übungen. Ich bin gewöhnt an Ausdauer-Training, weil ich Fußball spiele, aber nach dem ersten Training war ich sehr müde, es gibt keine anstrengendere Sportart als Ringen. Am schwersten ist es, wenn wir gegeneinander ringen, aber auch die Aufwärmübungen brauchen Kraft. Ich liebe ringen, weil es stärker und mutiger macht als alle anderen Sportarten. Seit ich ringe, ist Fußball für mich mehr ein soziales Spiel als ein Sport.

Mustafa (22) in der Turnhalle | Foto: Nicolas Schwaiger. Der Fotograf besucht die Ringer seit drei Monaten immer wieder beim Training.

Mein Tag geht um neun Uhr los, bis 13 Uhr habe ich Sprachkurs, bis 14 Uhr einen Integrationskurs. In dem Kurs lerne ich viel über Deutschland und wir haben schon zwei Ausflüge gemacht, ins Umweltschutzzentrum, und ins Ägyptische Museum. Einmal die Woche gehe ich in die Moschee. Ansonsten gehe ich aber nicht so viel raus, sondern nach den Kursen gleich ins Wohnheim, um mir etwas zu kochen. Wenn ich Ring-Training habe, koche ich besonders viel, meistens Kartoffeln und Hähnchen. In meiner Schule in Syrien habe ich gelernt, arabische Gerichte zu kochen. Ich glaube, ich kann das ganz gut.

Die Ringstunde geht von acht bis halb zehn, danach bin ich müde, schlafe aber meistens nicht sofort, sondern hänge im Bett noch bis ungefähr ein Uhr am Handy: auf Facebook und auf WhatsApp um meinen Geschwistern in Syrien zu schreiben.

Meine Eltern sind in Syrien gestorben, meine Geschwister leben noch dort.

Mustafa (rechts) und sein Freund Saleh (33) beim Training

Gerade versuche ich, hier in Deutschland einen Job zu bekommen, aber das soll das Ring-Training nicht einschränken. Ich will weiterhin immer zum Training kommen und bei Turnieren mitmachen, wenn ich so weit bin. Ich will immer besser werden, und—wenn ich soweit bin—an so vielen Meisterschaften teilnehmen wie möglich. Ich weiß aber auch, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Mein Trainer sagt, im Mai bin ich vielleicht bereit für mein erstes Freundschafts-Turnier. Mit 22 ringe ich bei den Männern mit, das ist zu hart, wenn ich noch nicht bereit dafür bin.

Bis dahin werde ich weiter trainieren. Ich komme immer sehr pünktlich, gebe jedem die Hand zur Begrüßung und wechsel ein paar Worte mit ihnen. Wir holen zusammen die Matten heraus und schieben sie später wieder zurück. Der Verein bedeutet mir viel, ich bin sehr dankbar, hier zu sein. Jetzt gehe ich mich umziehen, das Training fängt gleich an.

Die Weddinger Löwen leben von den Mitgliedschaftsbeiträgen, 10 Euro im Monat, die das Jobcenter für die unter 18-Jährigen erstattet. Jugendwart Tolga reicht jeden einzelnen Eintrag selbst an—in seiner Freizeit, ehrenamtlich. Manchmal scheitert ein Antrags an Kleinigkeiten wie dem falschen Papier (er zeigte uns etwa einen Antrag, der zurückkam, weil er ihn auf weißem statt auf braunem Papier ausgedruckt hatte), und er muss ihn nochmal von vorne ausfüllen. Wenn es gut läuft, kommen ungefähr 200 Euro im Monat zusammen. Eine Matte fürs Ringen kostet ein Vielfaches davon. “Wir haben viel weniger Geld zur Verfügung als andere Vereine, aber unsere Jungs sind bei Turnieren oft trotzdem besser. Sie trainieren sehr hart. Unser Ziel ist die Bundesliga”, sagt uns Tolga.

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Wenn ihr den Weddinger Löwen helfen wollt, eine weitere Matte zu kaufen, dann tut es.
Hier könnt ihr spenden:

Spendenkonto des Weddinger Ringervereins 09 e.V.:
IBAN: DE23 1001 0010 0095 7241 03
BIC: PBNKDEFF

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