„Die PKK gehört zu uns“

Am Samstag haben mehr als 6.000 Menschen in Köln gegen die Angriffe des türkischen Militärs auf die PKK demonstriert. Die meisten von ihnen waren Kurden aus ganz Deutschland.

Einen Tag vor der Demo treffe ich mich in einem kurdischen Verein in Dortmund mit Barış. Der Name ist türkisch und bedeutet Frieden. Er ist außerdem nur ein Pseudonym. Barış will wie viele andere junge Kurden seinen Namen und sein Gesicht nicht veröffentlicht sehen. Zu sehr schwebt der Schatten des PKK-Verbots über ihnen. Kaum eine kurdische Demonstration kommt ohne PKK-Sprechchöre aus und die Sympathien in der kurdischen Gemeinschaft sind klar verteilt.

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Auch im Dortmunder Kulturverein wacht das Konterfei des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan über alles. Unter der ikonischen gelben Fahne mit dessen Porträt laufen kurdische Nachrichten im Fernsehen. „Hier wird noch viel umgebaut und verändert”, erzählt Barış. „Hier unten sollen ein paar Wände eingerissen werden, damit wir mehr Platz haben. Oben werden die Räume an einen Anwalt, eine Moschee und auch an eine türkische Gruppe vermietet.”

Demonstrationen als Familienausflug

Barış ist einer der jungen Kurden, die seit dem Angriff des Islamischen Staates auf das syrisch-kurdische Kobane im vergangenen Jahr regelmäßig Demonstrationen in Dortmund organisieren. Er ist 25 Jahre alt und kommt, als wir uns treffen, gerade von seiner Arbeit „auf dem Bau”.

Schon als kleines Kind war Barış auf Demonstrationen. „Ich war fünf oder sechs, als ich mit meiner Familie nach Deutschland gekommen bin”, erzählt er. „Ich erinnere mich noch daran, wie wir damals in Busse eingestiegen und zum Beispiel nach Straßburg zu Großdemos gefahren sind.”

Auch Harun (Name geändert), der sich in dem kurdischen Verein in Dortmund engagiert, war bereits mit sieben Jahren auf seiner ersten Demo. „Ich bin damit aufgewachsen”, sagt der 35-Jährige.

Der Aktivismus der beiden ist keine Rebellion gegen die Elterngeneration, sondern hat mit Familienausflügen begonnen. Beide sind als Kinder nach Deutschland gekommen, hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. „Als meine Eltern 1986 nach Deutschland gekommen sind, waren wir immer der Meinung, wir würden wieder zurückgehen. Man hat sich damals gedacht, dass man das vielleicht durch Demonstrationen hier etwas beschleunigen könnte. Dass sich dadurch etwas an der Situation ändert”, erklärt Harun. „Dadurch sind wir dareingewachsen. Außerdem haben wir alle jemanden in der Familie, der von dem Konflikt direkt betroffen ist.”

Auch für Barış ist die eigene Familiengeschichte die größte Motivation für seinen politischen Aktivismus: „Mein Vater war sechs Jahre lang in der PKK und musste darum aus der Türkei flüchten und hat uns dann später nachgeholt. Mein Vater kann wegen des Konflikts nicht in die Heimat und konnte nicht mal meinen Opa sehen, als der gestorben ist.”

Am nächsten Morgen fahre ich zusammen mit Harun zur Demonstration in Köln. Mit uns warten noch einige andere kurdische Männer auf den Zug. Viele von ihnen sind deutlich älter als Harun. „Die Hälfte von denen”, sagt er, „saß in der Türkei im Gefängnis.” In Konflikte mit den Behörden geraten kurdische Aktivisten auch in Deutschland regelmäßig. Oft geht es dabei um die Fahne der verbotenen PKK. Vor Kurzem wollte das Mainzer Ordnungsamt auf einer Demonstration neben PKK- und Öcalan-Fahnen sogar Fahnen verschiedener legaler kurdischer Gruppen und die Farbkombination gelb-rot-grün verbieten.

Von einer Unterstützung der PKK, der „Arbeiterpartei Kurdistans” hält das allerdings niemanden ab: „Ob die die Fahne jetzt verbieten oder nicht. Zumindest bei uns in den Häusern wird die immer hängen. Die PKK gehört zu uns und das werden sie mit dem Verbot eines Symbols nicht ändern”, sagt Harun. „Die Bundesregierung”, meint er, „folgt da nur ihren wirtschaftlichen Interessen und will die Türkei nicht verärgern.”

Auf der Straße gegen ISIS und die AKP

Am Samstagmittag füllt sich der Ebertplatz in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs. Der eigentlich eher graue Fleck verwandelt sich mit der Zeit in ein buntes Fahnenmeer. Auch hier dominiert das ikonische Porträt von „Serok Apo” (Führer Apo), wie Abdullah Öcalan von vielen Kurden genannt wird. Nachdem das türkische Militär zum ersten Mal seit Jahren die PKK in den irakischen Kandil-Bergen angegriffen hat und außerdem Hunderte Kurden und türkische Linke in der Türkei verhaftet wurden, hatte die kurdische Studentenorganisation YXK zu der Demonstration aufgerufen. „No pasaran! Stopp dem AKP-ISIS Faschismus” ist auf dem Fronttransparent zu lesen.

Vor Demonstrationsbeginn werden von der Ladefläche eines LKW Reden geschwungen. Kurdische Frauenorganisationen, Jesiden, die Marxistisch Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) – hier darf jeder mal. Viel wichtiger: Der Platz hat sich zu einem Ort des Aufeinandertreffens und Wiederbegegnens entwickelt. Hier treffen alte Guerilleros aufeinander, die schon vor Jahrzehnten gemeinsam in den Bergen gekämpft haben. Alte Frauen halten Plakate mit Fotos ihrer im Kampf gestorbenen Söhne vor sich. Hier treffen sich aber auch junge Aktivistinnen und Aktivisten aus verschiedenen Teilen Deutschlands, die sich schon von klein auf bei Demos wie dieser begegnet sind.

Noch bevor es wirklich los geht, kommt es zur ersten Provokation durch zwei junge Männer, die mit einer Türkeifahne in der Windschutzscheibe neben der Auftaktkundgebung vorfahren. Direkt werden sie von Polizisten gestoppt und kontrolliert. Barış erzählt mir, dass türkische Nationalisten im Internet dazu aufgerufen hätten, die Demo zu stören. Während die beiden durchsucht werden, sammelt sich eine große Gruppe Jugendlicher auf der anderen Straßenseite. „Türkei Terrorist” schallt es über die Straße. Noch bevor sich die Stimmung weiter hochschaukeln kann, kommen einige kurdische Ordner angelaufen, bilden eine Kette vor den Jugendlichen und geben ihnen zu verstehen, dass man keine Eskalation wünscht. Noch nie hatten die Kurden in Deutschland einen so guten Ruf wie heute, das will hier niemand aufs Spiel setzen. Deshalb verläuft die Demonstration trotz weiterer kleiner Provokationen durch türkische Nationalisten völlig ruhig. Selbst die Polizei schreitet nicht ein, als in der Demo immer wieder verbotene PKK-Fahnen auftauchen.

Figen Yüksekdağ (HDP)

Die Demonstration endet mit einer Kundgebung auf dem Heumarkt, einem der zentralen Plätze in der Kölner Innenstadt. Zwischen Cafés und Restaurants sind hier mittlerweile mehr als 6000 Menschen zusammengekommen. Die prominente Hauptattraktion ist die Rede von Figen Yüksekdağ. Die Türkin ist eine von zwei Vorsitzenden der prokurdischen „Demokratischen Partei der Völker” (HDP), die seit der Wahl im Juni im türkischen Parlament sitzt.

Was den ganzen Tag über jedoch am meisten auffällt: Auch wenn die Kurden für ihren Kampf gegen den Islamischen Staat viele Solidaritätsbekundungen bekommen, hier sind vor allem Kurden und türkische Linke auf der Straße. Die Deutschen, die hier mitlaufen, sind vor allem Linke, Kommunisten, junge Antifas. Den politischen Mainstream sucht man hier fast vergeblich.

Während auf dem Papier Hoffnungen in die Kurden gelegt werden, gibt es auf der Straße große Berührungsängste. Das hat auch mit einem aus deutscher Perspektive schwer verständlichen Führer- und Märtyrerkult innerhalb der kurdischen Gemeinschaft zu tun—und mit der schwierigen Geschichte der PKK. Um anschlussfähiger zu werden, müssten kurdische Gruppen noch einen weiten Weg des sich Öffnens und Erklärens gehen. Dass in den Konflikten in Syrien, Irak und der Türkei kein Weg an der PKK und ihrer Guerilla vorbeiführt, hat das letzte Jahr bereits eindringlich gezeigt.