Die deutsche Zopfkultur muss rein bleiben | Alle Screenshots aus dem Video
Sie haben es wieder getan. Mitten in einem live im Radio übertragenen Gespräch zwischen dem Verleger Jakob Augstein und der Theologin Margot Käßmann in Berlin am Montagabend sprang plötzlich ein halbes Dutzend junger Männer im Publikum auf und skandierte minutenlang: “Augstein, Käßmann, hört gut her: Die Zukunft wird identitär!” Die Sendung konnte erst fortgesetzt werden, nachdem Sicherheitsleute die Störer aus dem Saal geworfen hatten.
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Augstein sagt danach, ihm sei “ein kalter Schauer den Rücken hinunter” gelaufen. Aber als die Lichter im Saal angingen und er die Rufer endlich sehen konnte, habe er sich gewundert: “Das waren alles ganz adrette, nett aussehende, junge Leute.” Augstein gibt zu, vorher noch nie von “Identitären” gehört zu haben, er habe sich aber nach dem Vorfall ein bisschen eingelesen und kommt zu dem Schluss: “Das sind die Bodentruppen der AfD.”
Ganz so einfach ist es nicht. Obwohl es einige Berührungspunkte zwischen AfD und Identitären gibt, hat die Jugendorganisation der AfD, die als etwas radikaler geltende “Junge Alternative”, sich vor Kurzem erst von den Identitären distanziert. Man wolle nichts mit einer Gruppe zu tun haben, die der Verfassungsschutz beobachtet. Ähnliches kennen wir von der FPÖ. Aber wer sind diese Leute nun?
Die Antwort ist nicht schwer zu finden, den die Identitären wollen nichts sehnlicher, als bekannt zu werden. Vor ein paar Tagen hat der bayerische Ableger deshalb ein Video mit dem Titel “Identitäre Bewegung Bayern stellt sich vor” veröffentlicht. Das knapp vierminütige Video ist tatsächlich ziemlich aufschlussreich—aber nicht so, wie die Macher sich das vorgestellt haben.
In dem Video passiert so einiges, aber grundsätzlich kann man es auf drei Bestandteile herunterbrechen, die auch die ganze Identitäre “Bewegung” ziemlich gut zusammenfassen: völkisch begründeter Rechtsradikalismus, gutes Design und geradezu bodenlose Spießigkeit. Aber der Reihe nach:
Völkischer Rechtsradikalismus
Die Identitären wehren sich natürlich mit Händen und Füßen gegen die Einschätzung, sie seien rechtsradikal, rechtsextrem oder rassistisch. Die Bewegung, die vor ein paar Jahren zuerst in Frankreich entstand, dann erst in Österreich Fuß fasste und sich nun immer schneller auch in Deutschland ausbreitet, begründet ihren Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik nämlich vordergründig nicht rassistisch, sondern ethnopluralistisch.
Jedes “Volk” oder jede “Kultur”—das Wort “Rasse” finden Identitäre nämlich bäh—habe demnach seinen ganz eigenen Charakter. Dabei ist erstmal kein Volk besser als ein anderes. Damit die Völker ihre Eigenarten erhalten, ist es aber sehr wichtig, dass sie “an ihrem Platz” bleiben und sich so wenig wie möglich vermischen. Und deshalb ist Migration die Wurzel allen Übels.
Konsequent zu Ende gedacht bedeutet das, dass die Identitären sich eine Art globale Apartheid wünschen. Wer in dieser Welt Sushi essen will, müsste sich halt einen Flug nach Japan buchen. Mit der historischen Realität hat die Idee von den “reinen Völkern” ziemlich wenig zu tun: Komplexe Kultursysteme wie zum Beispiel das östliche Mittelmeer (der Geburtsort der griechischen Demokratie, dreier Weltreligionen und des Hummus) oder auch das Rheinland (in dem sich in der Spätantike germanische Stämme mit der von den Römern kolonisierten keltischen Urbevölkerung vermischten) dürfte es in einer identitären Welt gar nicht geben.
Rechtsradikal wird die ganze Sache, wenn man sich anhört, wen es nach Meinung der Identitären zu bekämpfen gilt. Nämlich die “Heuchler”, die “den großen Austausch” der europäischen Bevölkerung vorantreiben: ein unheiliger Zusammenschluss aus “linkem Establishment” und “One-World-Globalisten”, die die Völker für ihren “Profit” ausbeuten. Auf gut Deutsch: internationale Plutokraten, die das arme deutsche Volk ausbluten (dabei wird natürlich nicht erwähnt, dass das arme deutsche Volk über Jahrzehnte Exportweltmeister war). Diese Mischung aus Kapitalismuskritik und Verschwörungstheorie ist klassisch rechtsradikal.
Gutes Design
Zusammen mit dem Hang zu publikumswirksamen Guerilla-Aktionen wie der Besteigung des Brandenburger Tors oder das Reinplatzen in Theaterstücke ist es vor allem ihr nicht völlig beschissenes Design, das Journalisten immer wieder dazu verleitet, die Identitären als “hip“, “modern”, den “neuen heißen Scheiß der Rechten” oder, besonders eigenartig, als “Femen, nur ohne Brüste” (Welt) zu bezeichnen.
Das Symbol der Gruppe ist ja auch ganz ok: der griechische Buchstabe “Lambda”, den die spartanischen Hopliten auf ihren Schildern trugen, als sie an den Thermopylen gegen die Perser kämpften. Wobei man sich ziemlich sicher sein kann, dass die Geschichts-Legastheniker von den Identitären das Symbol nicht aus einem Buch, sondern aus dem rassistischen Splatter-Film 300 übernommen haben.
Aber ist der Hype wirklich gerechtfertigt? Immerhin hat mittlerweile jede Paintball-Arena gut produzierte Werbevideos. Gute Videos sind erstens immer leichter zu machen, und zweitens werden wir auf Facebook den ganzen Tag mit schnittigen Filmchen mit atmosphärischer Gänsehaut-Musik zugeballert. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis ein paar Rechte das auch hinkriegen. Nach diesem Maßstab wäre ja sogar die FDP hip.
Bodenlose Spießigkeit
Das ist der Faktor, der in der Berichterstattung über die “hippen” Identitären bis jetzt immer zu kurz gekommen ist. Eigentlich überraschend, denn sie geben sich alle Mühe, diese Seite herauszukehren.
Auf der einen Seite sind da diese ganzen Gedichtbände, die sie immer wieder in die Kamera halten. Der Identitäre ist praktisch die ideale politische Bewegung für Leute, die sich mit Gedichtbänden in “Cafés” setzen und dann die ganze Zeit damit verbringen, demonstrativ über die Leute an den anderen Tischen zu schnauben, weil die auf ihre Handys schauen. Seht her, knatscht der Identitäre, ich kann einen Gedichtband richtig herum halten! Ich laufe gerne durch den Wald, um einfach mal ganz entschleunigt Hugo von Hoffmannsthal zu lesen und dann ganz entschleunigt ein Video davon auf Youtube hochzuladen.
Weibliche Identitäre sitzen währenddessen am liebsten mit geflochtenen Zöpfen in Kornfeldern und ärgern sich über den “Gender-Wahnsinn” (vielleicht aber auch darüber, dass sie nicht mit den Jungs im Wald Wehrsportübungen machen dürfen). Das Ganze ist heftig von der Ästhetik der vorletzten Jahrhundertwende geprägt, aber immer nur von den kitschigen Teilen: Jugendstil-Frisuren, “Wandervogel” (aber ohne die homoerotischen Tendenzen, bitte!), Zivilisationsflucht und Romantik. Man muss sich nur mal den Tumblr-Blog des Identitären-“Postergirls” Alina von Rauheneck (eigentlich Wychera) anschauen, um zu sehen, was diese Leute unter “deutscher Kultur” verstehen: im Tchibo-Kleid im Wald rumlaufen, gefühlvolle Fotos von sich machen, wehmütig über die Welt nachdenken und dann grässliche Gedichte darüber schreiben.
Eigentlich witzig, wie recht Augstein mit seiner Beschreibung hatte. Identitäre sind nämlich genau solche Leute, die sich irrsinnig freuen, wenn jemand sie als “adrett” beschreibt. Diesen ganzen Bürgerschreck-Look der Oldschool-Nazis mit den Stiefeln und den Glatzen finden sie grauenhaft, dafür fehlt ihnen auch der Mut. Im Grunde sind die Identitären weder hip noch jugendlich. Sie sind einfach nur die langersehnte Antwort auf die Frage, wie man gleichzeitig rechtsradikal und ein brutaler Spießer sein kann.