Le Croco Bleu—Die bizarrste Bar Deutschlands und der Herr Scholl

In der ehemaligen Botzöw Brauerei befinden sich zwei der spannendsten Gastronomien Berlins: La Soupe Populaire, das von Tim Raue geführt wird, und das Le Croco Bleudie gespenstischste, bizarrste, und mit die beste Bar Deutschlands. Wir trafen den Betreiber Gregor Scholl, eine, wenn nicht die, Berliner Bargröße, um uns über Drinks und Barkultur zu unterhalten.

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Der Bar-Manager Herr Hanke macht die Musik etwas leiser, man ist per Sie. Höflich, formell, nicht spießig, aber stylish. Herr Scholl schaut aus wie aus den 20ern, immer nobel, mit Anzug, kreisrunder Brille und einer Taschenuhr.

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Das Blaue Krokodil ist filmreif. Benannt wurde die Bar nach dem Mythos, dass nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Krokodile aus Sicherheitsgründen in die Keller der Brauerei gebracht wurden. Gefunden hat man sie nie. Ob die Legende stimmt? Und wenn ja, könnten sie nicht noch am Leben sein? Immerhin werden Krokodile sehr alt: “Naja, es war sehr kalt im Frühjahr ’45, das haben sie wahrscheinlich nicht überlebt”, meint Herr Scholl.

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Lange stand die Brauerei leer, jetzt wird sie Stück für Stück wohldurchdacht wiederbelebt und Le Croco Bleu macht den Anfang. Die Räume wurden nicht verändert und die ehemalige Kontrollhütte ist heute das Herzstück und die Mischkammer der Bartender. Die Bar ist voller ausgestopfter Tiere und Pflanzen, Grace Jones singt Pull up to the bumper und eine Stahlkonstruktion hält die Decke zusammen: German spookiness vom Feinsten. Und wer weiß, vielleicht verstecken sich irgendwo zwei Monsterreptilien. “Hier kann jeden Tag alles passieren”, so Scholl.

Sie sind schon lange im Geschäft. Was brachte Sie dazu, hier eine Bar zu eröffnen?
Naja, ich wurde gefragt. Ich wollte eigentlich den Westen Berlins nicht verlassen. Dort ist der Rum Trader, ein netter Ort und mein Lebensprojekt. Das Croco Bleu könnte auch zum Lebensprojekt werden. Die Möglichkeit, hier etwas ganz Neues zu machen, interessierte mich. Der Rum Trader ist wunderbar, da muss man nichts ändern. Dort sein, freundlich sein und gute Laune haben, reicht vollkommen. Gute Cocktails und Spirituosen. Hier im Croco Bleu können wir mit jungen Bartendern arbeiten und versuchen, alte Cocktailrezepte neu zu interpretieren.

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Ist das Publikum unterschiedlich im Rum Trader und im Croco Bleu?
Ja, das sind zwei ganz verschiedene Welten. Zwei verschiedene Teile der Stadt: der Osten und der Westen. Das war auch vor dem Ersten Weltkrieg schon so: Berlin und Charlottenburg waren zwei Städte. Es war nicht der Krieg oder die Berliner Mauer, die die Orte voneinander trennten. Es waren schlichtweg zwei verschiedene Städte. Viele Leute aus dem Westen gehen nie in den Osten Berlins. Sie verlassen Charlottenburg nie. Sie fahren nach Afrika oder München, aber nie in den Osten. Der Osten und Westen, das sind zwei unterschiedliche Kulturen, die sich entwickelt haben. Und ich bin gleich gern mal im Osten wie auch im Westen.

Sind die Gäste im Le Croco Bleu jünger als im Rum Trader?
Nein, nicht unbedingt. Es ist einfach eine vollkommen unterschiedliche Mischung an Menschen. Der Rum Trader ist halt eher historisch, dafür ist das Croco Bleu einfach noch zu jung.

Also gibt es auch zwei unterschiedliche Trinkkulturen?
Naja, es gibt einige jüngere Generationen, die hier im Osten leben, zu mir kommen und sagen: “Wundervoll, wir fahren jetzt auch mal in den Westen, in den Rum Trader”. Die jüngere Generation ist komplett anders und sieht Berlin als ein Ganzes. Es hat sich viel verändert.

Sind Ihre Cocktail-Rezepte klassisch oder Ihre eigene Erfindung?
Sie basieren auf klassischen Rezepten, die wir neu interpretieren und verändern.

Hier ist ein Rezept für Fairy Floss – dem Sazerac á la Croco Bleu.

Was ist Ihr Lieblingsgetränk?
Gin mag ich sehr gerne, aber auch Rum und Champagner.

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Was halten Sie vom deutschen Gin-Boom?
Den gibt es. Ich weiß nicht, ob der Markt nicht schon gesättigt ist und viele schmecken einfach auch sehr ähnlich. Zwei scheinen erfolgreich zu sein. Und Sie wissen, um eine Marke erfolgreich zu machen, reicht nicht nur eine gute Idee. Es ist eine lange Geschichte. Ich glaube der DUKE Gin wird bleiben, ich kenne den Betreiber und er hatte Glück, einen guten Kooperationspartner zu finden. Und dann den Schwarzwald-Gin Monkey 47, der wird auch bleiben.

Mögen Sie den Monkey 47?
Nein, den mag ich nicht. Ich meine, es ist natürlich ein guter Gin, aber so über-aromatisch. Ich bin Freund des trockenen London Dry Gin. Viele Marken bringen neue Gins auf den Markt. Zum Beispiel Beefeater. Ich sehe keinen Sinn darin, Beefeater 24 rauszubringen und die Kronjuwelen zu zerstören. Das war ein wunderbarer Gin. Manche Marken glauben, sich neu erfinden zu müssen.

Trinkt man Gin pur?
Nein, eigentlich immer nur in Drinks. Außer Queen Mum. Die wurde auch über 100. Gin hatte sie so viel (er zeigt mit Fingern das Maß an) und Tonic war so viel (er zeigt ein viel kleineres Maß an) drin. Ich sprach mit einem Koch, der für sie arbeitete. Er erzählte mir, dass, wann immer sie mit der Queen Mary unterwegs war, es Tafelwasser auf den Tischen gab. Und ihr Tafelwasser war Gin. Eines Tages wurde ihr Tafelwasser bei einem offiziellen Dinner verwechselt und versehentlich dem jungen Prince Charles zu trinken gegeben. Sie war eine zarte Person und hatte wohl meistens einen leichten Schwips. Der Legende nach wird man ja von Gin nicht betrunken.

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Wird Gin durch die Wacholderbeeren und Gewürze fast zur Medizin oder zu einem “gesunden” Getränk?
Ja, eigentlich schon.

Gin feiert ja auch global ein Comeback.
Ja, das denke ich. In den 90ern, zum Beispiel, war Gin nicht en vogue. Niemand trank Gin, sondern Batida de Coco oder Baileys in Deutschland, und Wodka in den USA. Ich habe gelesen, dass der Wodka-Markt global leidet und dass jetzt Whiskey die Vorherrschaft übernimmt.

In den USA gibt es jetzt ein konstantes Interesse an Bourbons, speziell aus kleineren Brennereien. Allein in Brooklyn gibt es einige Brennereien, die in den letzten 10 Jahren ins Leben gerufen wurden.
Die jüngere Generation probiert sehr viel aus. In den 60ern und 70ern gab es in Deutschland vielleicht vier bis fünf Whiskeys. Es hat sich viel verändert. Die gesamte Gesellschaft hat sich verändert. Es gibt viele gute Kochmagazine, länderspezifische Restaurants oder Supermärkte. Die Auswahl hat sich enorm vergrößert. Auch mit den USA wird vertraglich sichergestellt werden können, dass wir halbe Gallonen voller Whiskey importieren dürfen.

Also hat TTIP auch seine guten Seiten?
Ich glaube schon, man wird sehen. Ich weiß es nicht. Die Amerikaner sind vorsichtig im Spirituosenmarkt.

Zusammen mit dem Mixology Magazin und weiteren Größen der Berliner Barkultur haben Sie einen Verein ins Leben gerufen.
Um ein Stipendium für junge Bartender aus der ganzen Welt zu vergeben: Der Heinz August Schröder Verein zur Förderung der Barkultur. Der wird dieses Jahr seinen Betrieb aufnehmen. Aber das war anfangs ein bisschen schwierig.

Weil es immer ums Geld geht?
Nein, es geht nicht immer ums Geld. Geld ist ein Aspekt. Ein anderer ist das deutsche Gesetz: Einen südamerikanischen Bartender nach Deutschland für sechs Monate zum Arbeiten zu holen, ist nicht einfach.

Die Idee war, dass verschiedene Bartender in verschiedenen Bars in Berlin arbeiten und Wissen erlernen, weil ich finde, dass die Berliner Barszene zurzeit eine der interessantesten weltweit ist. Wir sind auf demselben Level wie Paris oder London, vielleicht nicht wenn es um die Kunden geht, aber wenn es um Bartender geht. Die Qualität hier ist hoch, es gibt interessante Bars. Nicht so wie in New York. In New York ist die Barszene kommerzieller. Für den deutschen Mittelstand ist es einfacher, sich selbst zu verwirklichen, eine eigene Bar zu eröffnen, als in New York.

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Speziell in New York passiert es häufig, dass eine Bar zwar eröffnet, aber aus finanziellen Gründen auch gleich wieder geschlossen wird.
In Berlin gibt es circa zwölf Bars von jungen Bartendern mit wenig Budget. Das ist in New York oder London nicht möglich.

Wie hat es Sie eigentlich in die Barwelt verschlagen?
Oh, das ist lange her. Once upon a time and far away. Ich studierte Komposition und arbeitete in einer Bar. Es war einfach viel günstiger hinter der Bar zu trinken, als dafür zu bezahlen.

Hat Komposition eine Ähnlichkeit mit Cocktailmixen?
Naja, es ähnelt sich ein bisschen, aber es ist nicht das Gleiche. Damals gab es wenig Wissen ums Cocktailmixen, keine Bücher. Ich kannte einen wundervollen älteren Herren, der mir einiges beibrachte. Alte klassische Cocktails konnte man schwer nachmachen, weil die Zutaten nicht mehr erhältlich waren. Als ich in Berlin ankam, eröffnete ich die Le Bar du Paris Bar und dort machten wir einen Whisky Sour nach einem Rezept aus den 20ern. Mit einem Tropfen Rotwein, sehr trocken. Und niemand wollte ihn trinken. Es war ein sehr gutes Rezept, aber es interessierte niemanden. Es war die Zeit der Cocktailkirschen. Die Jungen haben es jetzt schon einfach. Wie schwer es für mich war, diese ganzen Dinge zu besorgen! Es gab ein einziges Geschäft mit gutem Rum. Und ich hatte Beziehungen zu französischen und amerikanischen Offizieren. Also bekam ich französischen Rum aus Martinique aus den Geschäften, die den Besatzungstruppen vorbehalten waren. Das war der einzige Weg, an die Waren zu kommen. Das war in ganz Deutschland so.

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Was halten Sie von Barfood?
Wir servieren ausschließlich Oliven. Wir haben Käse versucht, aber davon wurden die Leute sehr müde.

Welcher Cocktail oder Stil interessiert Sie zurzeit am meisten?
Stilmäßig ist es momentan sehr vielseitig. Es tut sich einiges mit Sake, Rum, Gin und es gibt wieder viele Champagner-Cocktails.

Was ist mit Eis? Welches Eis verwenden Sie?
Wir haben eine Hoshizaki-Eismaschine. Um es mit den Worten von Harry Craddock zu sagen: “Ice is nearly always an absolute essential for any cocktail.”

Vielen Dank für das Gespräch!

Fotos: Grey Hutton