Carlos Henrique „Kaiser”, der größte Hochstapler in der Geschichte des Fußballs

Sein Lebenslauf liest sich auf den ersten Blick wie der eines erfolgreichen brasilianischen Fußballprofis. Denn Carlos Henrique Raposo (genannt „Kaiser”) hat bei fast allen namhaften Vereinen in seiner Heimat gespielt. Trotzdem kennt man ihn in der Welt des Fußballs kaum als Fußballspieler, und das aus gutem Grund: In mehr als 20 Jahren Karriere kam er gerade mal auf etwas mehr als 30 Einsätze. Und nicht etwa, weil er von schlimmen Verletzungen heimgesucht wurde, sondern weil er ein verdammt gewiefter Betrüger war, der tausendmal besser networken und socializen konnte als spielen. Und der später über sich selbst sagte: „Ich wollte ein Profifußballer sein, ohne zu spielen.”

Wie so viele andere Brasilianer träumte auch der junge Carlos Henrique von einer Karriere als Fußballer. Und anfangs sah es für den Mini-Kaiser sogar noch vielversprechend aus. Er wurde Mitglied der Botafogo-Jugendakademie, bevor er nach einem kurzen Abstecher bei Flamengo mit 16 nach Mexiko ging. Doch je älter er wurde, desto mehr wurde klar, dass sein Talent nicht für den Profifußball ausreichen würde. Doof nur, dass er sich mittlerweile schon ans Fußballerleben mit all seinen Vorzügen—monetärer genauso wie amouröser Art—gewöhnt hatte. Darum musste irgendeine andere Lösung her, um ja im Geschäft zu bleiben.

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Und diese Lösung sah der mittlerweile 20-Jährige in Bars, die häufig von Fußballgrößen wie Ricardo Rocha, Renato Gaúcho, Romário und Edmundo besucht wurden. Dort gab sich Kaiser als liebenswürdige Großfresse, die sich—in teuren (aber nur von Freunden geliehenen) Klamotten gekleidet—allen selbstbewusst und eloquent vorstellte. Alle waren von dem jungen Mann begeistert, der angab, ein großes Talent zu sein und schon in Mexiko gespielt zu haben. Nachdem seine neuen berühmten Freunde ein paar gute Worte eingelegt und ein paar Telefonate geführt hatten, schaffte es Kaiser tatsächlich in die erste Mannschaft seines Jugendvereins Botafogo.

Doch wie war das möglich, schließlich konnte Kaiser natürlich noch immer nicht besonders gut zocken? Weil er mit Romário und Co. einen perfiden Plan ausgeheckt hatte, den er auch bei allen nachfolgenden Vereinen anwenden sollte. Wechselte einer seiner berühmten Freunde den Klub, brachten sie Kaiser einfach als Beiwerk ins Spiel. Das „schlummernde Riesentalent” trat dann bei den Vertragsverhandlungen stets bescheiden auf und schlug meist einen Vertrag über gerade mal sechs Monate vor. Er wollte kein Millionengehalt, er wollte einfach nur genügend Kohle, um weiterhin als gefeierter Partykönig leichtgekleidete Frauen mit Schampus bespritzen zu können. Und als dann das erste Training anstand, teilte er dem Trainer schnell mit, dass er aktuell noch außer Form sei und erst mal ein paar Wochen mit seinem „Personal Trainer”—den es natürlich nicht gab—trainieren müsse.

Natürlich hat sich das sein Trainer nicht Ewigkeiten angeschaut, weswegen er früher oder später ein erstes Training absolvieren musste. Also bat er einen seiner Teamkameraden, die den Spaßvogel in der Regel sehr mochten, ihn scheinbar hart zu foulen. Humpelnd ging er dann zum Teamarzt und ließ sich für ein paar weitere Wochen krankschreiben. Manchmal musste für die Krankschreibung auch ein kleines Bestechungsgeld her.

Bevor wir diese unglaubliche Geschichte weitererzählen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich das Ganze in den 80er-Jahren abgespielt hat. Zu einer Zeit also, als es vielerorts noch keine detailauflösenden Diagnostikverfahren (wie etwa die Magnetresonanztomographie) gab und der Fußball noch lange nicht so professionalisiert war wie heute. Außerdem gab es viel weniger Kommunikationsmittel als heute: Fernsehen, Radio und Presse waren die einzigen meinungsbildenden Medien. Heutzutage würden Hochstapler über das Internet viel leichter entlarvt werden können. Ließ man früher hingegen bei den richtigen Leuten ein gutes Wort für sich einlegen, hatte man schnell eine Menge Sympathien auf seiner Seite. Und keiner war darin besser als Kaiser.

Trotzdem ließen sich auch nicht alle veräppeln. Bestes Beispiel dafür ist sein früherer Mitspieler Ricardo Rocha: „Sein einziges Problem war der Ball”, erzählt der frühere Spieler von Real Madrid unter lautem Lachen. „Er meinte über sich, dass er Stürmer sei. Komisch nur, dass er nie ein Tor schoss oder eine Vorlage gab. Er war immer verletzt. Wurde der Ball über links gespielt, flüchtete er schnell auf die rechte Seite. Er hatte kein Talent, dafür war er aber ein sehr, sehr guter Mensch. Alle haben ihn sehr gemocht.”

Das lag auch daran, dass er genau wusste, wie er seine Teamkameraden um den Finger wickeln konnte.

Der erste Teil der Masche: Du brauchst eine überzeugende Rolle und die richtigen Freunde. Foto: Twitter

„Wenn wir als Team in einem Hotel absteigen sollten, bin ich immer schon zwei, drei Tage vorher angereist und nahm zehn Frauen mit. Die quartierte ich einen Stock tiefer ein. Als wir dann vollständig waren, musste meine Mannschaft für Eskapaden nicht das Hotel verlassen, sondern nur eine Etage nach unten laufen”, versichert Kaiser.

Das Gehalt wurde mit jedem renommierten Verein auf dem Lebenslauf mehr, genauso wie die neugeknüpften Kontakte und Freundschaften. Auf diesen Kerl war einfach Verlass, wenn es darum ging, die Mannschaft zu unterhalten und gute Sausen zu organisieren. Kaiser führte ein immer ausschweifenderes Leben. Das war aber kein Problem, „Vitamin B” sei Dank.

Der zweite Teil der Masche: Du musst stets an dich glauben, obwohl du als Spieler nix taugst ... bis die anderen es dir gleichtun.

Dank seiner engen Freundschaft zu Renato Gaúcho kam Kaiser als Nächstes bei Flamengo unter. Dort verkündete er vollmundig, all das zu zeigen, was er bei seiner ersten Profistation in Brasilien aufgrund der vielen Verletzungen nicht abrufen konnte. Was folgte? Null Tore, null Minuten Einsatzzeit.

Die Tatsache, dass er sich auch bei Flamengo als sportlicher Totalausfall entpuppte, tat seiner „Karriere” aber keinen Abbruch. Dank seiner (manchmal auch gekauften) Fürsprecher und seiner perfekt gespielten Rolle des von Verletzungspech verfolgten brasilianischen Stürmertalents konnte er ohne Probleme ein zweites Mal nach Mexiko wechseln, bevor er in der US-amerikanischen Premier Development League sein nächstes Opfer fand. Auch da hieß es aber wieder: Null Tore, null Minuten Einsatzzeit.

Doch das war mittlerweile fast schon egal, schließlich war ihm das gelungen, was man ansonsten nur aus Hochstapler-Filmen made in Hollywood kennt. Er hatte eine fiktive Persönlichkeit kreiert, seine Rolle durch tägliches Training perfektioniert und so sehr selbst daran geglaubt, dass die Leute in seinem Umfeld es ihm einfach gleichtun mussten. Auch wenn er ab und zu den Bogen definitiv überspannte.

Als er noch bei Botafogo spielte, bekam Kaiser regelmäßig Anrufe von anderen Vereinen auf seinem „Handy”. Das Dumme: Er benutzte dafür ein Spielzeugtelefon und versuchte es auf Englisch, indem er einfach Englisch klingende Wörter erfand. Ronaldo Torres, heute Physiotherapeut bei Fluminense, damals Kaisers Mitspieler bei Botafogo: „Eines Tages wollte ich von ihm wissen, mit wem er gerade telefoniert hat. Da hat er mit dem dämlichen Spielzeug in seiner Hand laut zu lachen angefangen, dieser Trottel! Wir haben ihn aber alle unglaublich gemocht”.

1989 kehrte er nach Brasilien zurück, wo er bei Bangu de Rio de Janeiro anheuerte. Dort ist ihm nach Meinung einiger „Fans” auch das einzige Tor seiner Karriere gelungen, auch wenn das die meisten eher für eine Legende halten. Übrigens war es auch bei Bangu, wo er einen der besten Tricks seiner Betrügerlaufbahn abzog.

Der dritte Teil der Masche: Deine Liebe für den Fußball kennt keine Grenzen. Abbildung: Kevin Domínguez/Kaiser Magazine

In einem Spiel gegen Coritiba platzte dem skandalumwitterten Klubpräsidenten Castor de Andrade über den erneuten Rückstand seiner Mannschaft der Kragen und er wies seinen Trainer per Walkie-Talkie an, diesen unnützen, weil dauerverletzten Spieler, den alle nur Kaiser nannten, sofort einzuwechseln. Sollte jetzt auffliegen, dass der überhaupt nicht Fußball auf Profiniveau spielen konnte? Nein, denn Kaiser hatte mal wieder einen echten Geistesblitz. Er blickte sich seelenruhig im Stadion um und schnauzte einen gegnerischen Fan dermaßen an, dass sich daraus eine handfeste Schlägerei entwickelte. Vom Schiri bekam Kaiser die rote Karte und wurde schon wieder vom Spielen verschont. Am Ende der Partie kam ein aufgebrachter Präsi in die Kabine gestürmt und wollte Kaiser die Hölle heiß machen. Doch der kam ihm mit Tränen in den Augen zuvor:

„Bevor Sie etwas sagen: Der liebe Gott schenkte mir einen Vater und nahm ihn mir wieder, dann gab er mir mit Ihnen einen zweiten Vater. Und ich werde niemals zulassen, dass jemand meinen Vater einen Dieb nennt.” Castor de Andrade verzieh ihm daraufhin nicht nur den Platzverweis, sondern verlängerte auch noch seinen Vertrag um weitere sechs Monate.

Der vierte Teil der Masche: Ab nach Europa als gehypter Brasilianer. Foto: Twitter

Schon damals hatten brasilianische Fußballer in Europa einen guten Ruf. Darum überrascht es nicht, dass er auch im alten Kontinent bei einem Profiklub unterkam, genauer gesagt beim GFC Ajaccio auf Korsika. Der französische Verein und seine Fans waren aufgrund der Ankunft von Kaiser komplett aus dem Häuschen. Zum ersten Training kamen gleich mal viele Hundert Schaulustige, die dem neuen Star aus Südamerika beim Kicken zuschauen wollten. Um nicht sofort als Betrüger aufzufliegen, musste also eine Lösung her. Also schoss er einfach alle Bälle, die auf dem Platz waren, schnell Richtung Publikum und küsste dabei freudestrahlend das Vereinswappen auf dem Ajaccio-Trikot. Die Menge tobte, und statt Ball- gab es nur Lauftraining. Und ja, gut laufen konnte selbst Kaiser.

Übrigens sollte dem kritischen Leser klar sein: Nicht alle der hier zusammengetragenen Anekdoten werden sich genau so und nicht anders zugetragen haben. Ganz im Gegenteil, man sollte sogar davon ausgehen, dass der Hochstapler hier und da ein bisschen dicker als nötig aufgetragen hat. Oder es manchmal überhaupt nicht so genau mit der Wahrheit genommen hat. Etwa als er behauptete, 1984 dem Kader des argentinischen Spitzenclubs Independiente angehört zu haben—also in dem Jahr, als der Verein aus Avellaneda die Copa Libertadores gewinnen konnte. Auch seine Behauptung, dass er sich den Spitznamen „Kaiser” nicht selbst gegeben, sondern von Freunden erhalten habe (weil seine Spielweise sie angeblich an die von Beckenbauer erinnerte), könnte am Ende ein weiteres Puzzlestück seines schlauen Schachzugs gewesen sein. Ein Kaiser verkauft sich einfach besser als ein Raposo. Das tut dem Legendenstatus um seine Person natürlich keinen Abbruch, sondern schmückt ihn umso schöner und unterhaltsamer. Außerdem muss er einfach brilliant getrickst und gelogen haben, sonst hätte er die Masche nicht über ganze zwei Jahrzehnte aufrechterhalten können.

Bleibt eigentlich nur noch die Frage nach dem Warum. Auch dafür hat unser Münchhausen natürlich eine fantastische Antwort bereit:

„Ich bereue nichts. Die Vereine haben schon immer die Spieler übers Ohr gehauen und machen das noch heute: Jemand musste sich einfach mal an ihnen rächen.”

Erst Kaiser und jetzt auch noch Robin Hood.