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Als ich bei meinem letzten Heimatbesuch an meinem alten Lieblingsspielplatz vorbei spaziert bin, tat sich mir ein völlig neues Bild auf. Was in meiner Erinnerung als einer der schönsten Orte meiner Kindheit abgespeichert war, schien nur noch wenig mit früher zu tun zu haben. Bei der Rutsche sah ich junge Mamas, die sich gegenseitig mit Blicken straften, bei den Parkbänken wurde getuschelt wie damals am Schulhof und nach genauerem Hinsehen war ich mir ziemlich sicher, dass die Latzhosen-Mama bei der Sandkiste kurz davor war, der Mutter eines kleinen Mädchens das Spielzeug-Schäufelchen über den Schädel zu ziehen.
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Was ich an diesem Oktobertag noch nicht wusste: Mütter, die sich gegenseitig regelrecht bekriegen und am Rücken ihrer Kinder battlen, sind bei weitem kein Einzelphänomen. Spätestens, wenn man sich auf eines der einschlägigen Foren im Internet verirrt, merkt man, wie allgegenwärtig dieses Thema außerhalb der kinderlosen Blase und rund um die Spielplätze dieser Welt wirklich ist.
Als Phänomen hat das Ganze längst einen Namen: Der Begriff “Mommy Wars” beschreibt die spezielle Art des gegenseitigen Eltern-Disses mit gleichzeitiger Selbsterhöhung. Und weil es in unserer Gesellschaft wirklich schon genug Anschuldigungen und Fingerzeige gibt, habe ich mich gefragt, was ein Lösungsansatz für mehr Harmonie am Spielplatz wäre.
Schon bevor ein Kind geboren ist, sieht man sich mit tausenden Entscheidungen konfrontiert, die zu treffen sind—gehört man zur Fraktion, die sich das Geschlecht sagen lässt, will man stillen, oder das Kind vielleicht sogar geschlechtsneutral groß ziehen? Es ist ja verständlich, schließlich will man für seinen Nachwuchs nur das Beste und es gibt zahlreiche Ratgeber, Artikel, Erziehungsstile und Schulmodelle, die verschiedenste Vor- und Nachteile haben. Und da es quasi in der Natur des Menschen liegt, sich zu vergleichen, sind bei so vielen Varianten auch die (Vor-)Urteile nicht weit.
Dies wird nicht zuletzt bei der Doku-Soap Mein Kind – Dein Kind—Wie erziehst du denn? auf VOX deutlich. In der Sendung vergleichen (ähnlich wie bei Frauentausch) je zwei Mütter ihre völlig unterschiedlichen Ansichten von guter Erziehung. Ein Zuschauer-Panel kommentiert und diskutiert dann im Anschluss die Erziehungsmethoden beider Eltern vor dem Fernseher. Von Verständnis und Aufklärung ist dabei aber keine Spur. Wenn man sich die Episodentitel ansieht—in allerbester Wrestling-Manier ‘Astrid vs. Petra’ oder ‘Elisabeth vs. Tamara’ genannt—, ist das wohl auch gar nicht gewünscht. So schüren Medien die Unsicherheit der Mütter weiter.
“Wenn dich völlig Fremde darauf ansprechen, ob du denn nicht genügend Milch produzierst, um deine Kleine zu stillen, ist das schon gewöhnungsbedürftig.”
Das Kind hat heute nur 160 der 180 empfohlenen Milliliter des selbstgemachten, schonend erwärmten Superbreis zum Abendessen genuckelt? Rabenmutter! Man setzt sich selbst extrem unter Druck, ist unsicher und versucht sich selbst zu bestärken, indem man seine eigene Herangehensweise zur einzig wahren kürt, bestätigt mir die Psychologin Dr. Reiff.
Diese gefährliche Mischung aus Unsicherheit, heilloser Überforderung und dem Wunsch, das schönste, klügste und beste Kind zu erziehen, lässt viele Mütter ihre Manieren vergessen. Anstatt sich gegenseitig in dieser Ausnahmesituation zu unterstützen, kommt es unter jungen Eltern oft zu Missgunst, Argwohn und Konkurrenzkampf.
Und es ist auch ein bisschen paradox: Plötzlich sind da wieder Menschen, die einem sagen, wie man zu leben und zu tun hat. Nachdem man seine ganze Teenagerzeit für etwas Freiheit gekämpft hat, wird sich auf einmal wieder eingemischt—und das ausgerechnet an dem Punkt im Leben, der eigentlich zu den erwachsensten überhaupt gehören sollte.
Man sollte auch meinen, dass jede Frau selbst entscheiden dürfte, was sie mit ihren Brüsten anstellt. “Wenn dich aber völlig Fremde darauf ansprechen, ob du denn nicht genügend Milch produzierst, um deine Kleine zu stillen, ist das schon gewöhnungsbedürftig”, erzählt mir Marlene, die ich auf einem Spielplatz in Salzburg treffe. “Es war eine bewusste Entscheidung, nicht zu stillen. Aber bisher habe ich mich immer rechtfertigen müssen—nie vor Familie und dem engen Freundeskreis, sondern vor teils wildfremden Menschen.”
Solche Aussagen und vermeintlich gut gemeinten Ratschläge frustrieren und verunsichern die Jungmütter zusätzlich. Wird diese und jene klitzekleine Entscheidung tatsächlich den Lebensweg des Kindes negativ beeinflussen? Man muss nur überlegen, wie oft man selbst seinen Eltern die Schuld für etwas gibt. “Seit ich selbst ein Kind habe, hat sich das Bild von meinen Eltern stark gewandelt”, sagt Marlene weiter. “Sie haben bestimmt das Beste für mich gewollt—und auch so weit wie möglich danach gehandelt. Manchmal hat es einfach nicht gereicht. Ich hoffe, Ilvy sieht es einmal ähnlich und geht gnädig mit mir um.”
Ich hake also bei der Psychologin nach. “Es stimmt schon: Indirekt wird vieles vor allem den Müttern angelastet. Egal, ob da ein bisschen zu viel an Babyspeck ist, das Kind sich mit über zwei Jahren noch immer nicht bequemen will, sich angemessen zu artikulieren oder es sich im Supermarkt vor der Fleischtheke auf den Boden wirft. Der Nachwuchs wird ausschließlich als Produkt ihrer Erziehungsbemühungen gesehen und im Endeffekt ist es immer die Mutter, die mitleidig belächelt wird.” Von befreundeten Müttern erfahre ich von dutzenden Situationen, die der beschriebenen ähneln. Nach all den Aussagen graut mir immer mehr davor, später einmal selbst zur Zielscheibe solcher Vorwürfe zu werden.
Dabei gibt es laut Dr. Reiff auch in der Kindererziehung nicht den Heiligen Gral. Mütter würden es sich oft viel zu schwer machen, da sie die Angst, etwas falsch zu machen, ständig begleite. Solange man genug Liebe und Verständnis für den Sprössling übrig habe, könne man so schnell aber gar nicht falsch liegen. Trotzdem seien einige Mütter, die in ihre Praxis kommen, regelrecht verzweifelt. Häufig erzählen sie von Cliquenbildung am Spielplatz und Mobbing.
Werte wie Offenheit, Freundlichkeit, Respekt und Toleranz, die sich Eltern für ihre Kinder wünschen, scheinen diese im Umgang miteinander oft zu vergessen. Das stellt auch Jana König in ihrem Buch Wenn Mütter rot sehen fest. Darin schreibt sie über die absurdesten Ausfälle von den Schlachtfeldern der “Mommy Wars”. Ein ganzes Kapitel widmet sie dabei dem Thema Fremdbetreuung.
Hannah*, die bereits kurz nach der Geburt ihres Sohnes wieder Vollzeit arbeitet, erzählt mir von ihren eigenen Erfahrungen. Als ich sie treffe, matscht sie gerade mit ihrem Zweijährigen in einem Kübel voller Farbe herum—ohne Giftstoffe und abwaschbar, versteht sich. “Es ging gar nicht anders!“, sagt sie und ergänzt, dass sie aber auch selbst gleich wieder arbeiten wollte. “Ich arbeite in einer PR-Firma; nach zwei Jahren Karenz wäre ich weg vom Fenster gewesen. Gleichzeitig wäre mir die Kindererziehung allein nicht genug. Ich brauche den Ausgleich. Da helfen mir Arbeit, Sport und die paar Stunden ohne meine Kinder, die man auch durchaus genießen darf. Das musste ich erst lernen.”
“Entscheidet sich eine andere Mutter anders als wir selbst, haben wir fast keine Möglichkeit, dies gutzuheißen. Das würde ja bedeuten, dass wir selbst die falsche Entscheidung getroffen hätten.”
Viele Vollzeit-Mamas würden das nicht verstehen. Das belegt auch eine Studie, laut der 42 Prozent der unter 45-jährigen Österreicher eine Erwerbstätigkeit von jungen Müttern nach wie vor kritisch sehen. Einige Male wurde Hannah deshalb auch schon direkt gefragt, warum sie dann überhaupt Kinder bekommen hätte, wenn sie sich nicht rund um die Uhr sie kümmern wolle, erzählt sie weiter. “Mittlerweile stehe ich da drüber”, sagt Hannah auf meine Frage, wie man mit solchen Totschlagargumenten am besten umgeht. “Anfangs gab es aber viel Tränen und Zweifel. Schließlich waren es mein Mann und meine engen Freundinnen, die mich bestärkt haben, meinen Weg zu gehen und nicht zu viel auf Meinungen von außen zu geben.”
Anscheinend kann man heute Bauchgefühl und Mutterinstinkt nicht mehr einfach so vertrauen, ohne dafür von jemandem angefeindet zu werden, der mit Sicherheit der größere Experte ist und drei anderslautende Blogs zum Thema gelesen hat.
Eine Mama bringt es in einem Kommentar auf den Punkt: “Entscheidet sich eine andere Mutter in vergleichbarer Situation anders als wir selbst, haben wir fast keine Möglichkeit, dies gutzuheißen. Das würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass wir selbst die falsche oder zumindest eine fragwürdige Entscheidung getroffen hätten.”
Was Mütter zu den Streitereien bewegt, wird mir immer klarer. Gerade am Spielplatz fällt mir aber auf, dass die (ohnehin rar gesäten) Väter von der ganzen Angifterei nicht wirklich betroffen scheinen. “Ein Papa verdient sich ja schon einen Orden, wenn er nur mal brav bei der Schaukel anschubst”, sagt die Mutter von Elias dazu. Ob da dabei dann der Nachwuchs gemäß der Jahreszeit angezogen ist oder Apfelschnitzchen mitgenommen wurden, ist eigentlich nebensächlich.
Was dazukommt: Noch immer beziehen nur 0,3 Prozent der erwerbstätigen Männer Karenzgeld. Sie verbringen so gerade in den frühen Jahren weniger Zeit mit ihrem Nachwuchs und gehen deshalb pragmatischer mit dem Thema um. Dr. Reiff bestätigt: “Konkurrenzkämpfe unter Vätern existieren sehr wohl, sie verschieben sich oft nur zeitlich etwas nach hinten. Das kann man dann zum Beispiel bei sportlichen Wettbewerben der Kleinen beobachten.”
“Man ist ständig übermüdet und hat eine dünne Haut. Da kann man Dinge leicht falsch verstehen.”
Unzählige verzweifelte Forenbeiträge, Kommentare und Gespräche mit jungen Müttern und einer Psychologin später glaube ich zwar, die Gründe für die ewigen Sticheleien verstanden zu haben, frage mich als kinderlose Mittzwanzigerin aber noch immer, was man wirklich tun kann, um diesem gegenseitigen Niedermachen ein Ende zu setzen.
Vielleicht sollte man sich die Ratschläge einfach sparen—selbst die gut gemeinten. “Man ist ständig übermüdet und hat eine dünne Haut. Da kann man Dinge leicht falsch verstehen.”, meint auch die Psychologin. Wenn das Kind der Freundin sich auf den Boden wirft und weint, sollte man eventuell einfach nicht mit Tipps für die Trotzphase kommen. Stattdessen helfen ein Stück Schokolade, ein Kaffee oder eine Umarmung vielleicht mehr. Oder einfach nur Verständnis, ganz ohne Bevormundung.
Der wichtigste Punkt ist aber vermutlich die Akzeptanz dafür, dass Menschen verschieden sind und man auch selbst nicht immer unfehlbar ist. Ob man sein Kind nun vegan aufzieht und mit trockenen Reiswaffeln vollstopft oder seinen Sprössling am liebsten in der halben Valentino-Kinderkollektion im Dreck spielen lässt—am Ende muss es jeder selber wissen. Wichtig ist, dass man sich nicht gegenseitig an die Gurgel geht, nur um seine eigene Überlegenheit zu demonstrieren.
*Name auf Wunsch von der Redaktion geändert.