Dieses Interview ist ein Ausschnitt von einer Folge ‘Extremes’ – einem VICE-Podcast, den es exklusiv auf Spotify gibt. Die ganze Story über Dan Saunders’ Automaten-Hack kannst du hier hören.
Dan Saunders saß in einer Bar in Wangaratta, rund 230 Kilometer nordöstlich von Melbourne, als er merkte, dass er mehr Bargeld brauchte. Also ging er zum nächsten Geldautomaten. Angetrunken stellte er fest, dass der Automat ihm erlaubte, mehr Geld abzuheben, als Saunders auf dem Konto hatte. Nach ein bisschen Herumprobieren hatte der 29-jährige Australier eine Lücke im System entdeckt, die er von da an schamlos ausnutzte.
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In rund fünf Monaten schaffte Saunders es, rund 1,6 Millionen australische Dollar zu verprassen – umgerechnet etwa 935.000 Euro. Er schmiss üppige Partys, charterte Privatjets und zahlte die Studiengebühren seiner Freunde – bis sein schlechtes Gewissen die Oberhand gewann.
Wir haben mit Dan Saunders über sein kurzes Luxusleben gesprochen.
VICE: Wie hat das alles funktioniert? Wie hast du den Automaten-Fehler entdeckt?
Dan Saunders: Ich bin zum Automaten und wollte Geld abheben. Aber ich bekam immer nur die Nachricht “Kontostand momentan leider nicht verfügbar”. Also habe ich 200 Dollar von meiner Kreditkarte auf mein Sparkonto überwiesen, aber ich bekam die Meldung “Transaktion abgebrochen” und der Automat spuckte meine Karte aus. Ich fand das alles extrem sonderbar, also habe ich versucht, 200 Dollar von meinem Konto abzuheben. Einfach um zu gucken, was passiert. Der Automat spuckte das Geld aus und ich bin zurück zur Bar und habe weiter getrunken.
Auf dem Heimweg kam ich wieder an dem Geldautomaten vorbei und habe angefangen, ein bisschen damit rumzuspielen. Ich habe mir wieder 200 Dollar überwiesen und dann das Geld abgehoben. Dann habe ich es mit 500 und dann mit 600 Dollar probiert. Einfach um zu gucken, was passiert. Ich glaube, es war eine Kombination aus Betrunkenheit und Langweile, aber ich habe es einfach weiter und weiter probiert. Es kam mir vor wie ein Zaubertrick.
Was genau passierte mit dem Automaten?
Am nächsten Morgen habe ich die Bank angerufen und nach meinem Kontostand gefragt. Ich war 2.000 Dollar im Minus. Es muss eine Verzögerung zwischen der Auszahlung am Automaten und meinem Kontostand gegeben haben. Das bedeutete, dass ich alle Ausgaben ausgleichen konnte, indem ich jede Nacht eine einfache Überweisung zwischen meinem Kreditkarten- und meinem Sparkonto tätigte. Wenn ich die Überweisung zwischen 1 und 3 Uhr morgens machte, konnte ich Geld quasi aus dem Nichts erschaffen. Das war anscheinend die Zeit, in der die Automaten offline waren.
Du musstest also immer einen Tag voraus sein?
Genau. Am ersten Tag gab ich 2.000 Dollar aus, am zweiten überwies ich 4.000 Dollar, um sicherzustellen, dass mein Kontostand nicht im Minus blieb. Die Überweisung ging nachts durch und wurde am nächsten Tag wieder storniert. Wenn du dieser Stornierung aber einen Tag voraus warst, indem du eine weitere Überweisung getätigt hast, konntest du dem System vorgaukeln, Millionen zu haben.
Wofür hast du das Geld als Erstes ausgegeben?
Zuerst habe ich meiner Frau 1.000 Dollar für unser gemeinsames Konto gegeben, dann habe ich während der Arbeit in der Bar ein paar Runden ausgegeben. Es hat geradezu süchtig gemacht, seinen Kontostand mit einer Taste in die Millionen zu befördern. Ich fühlte mich wie ein Höhlenmensch, der das Feuer entdeckt hatte.
Ist Feiern mit so viel Geld wirklich so cool, wie alle denken?
Ja. Wenn du Fantasie und Geld hast, kannst du Menschen ihre wildesten Träume verwirklichen. Es macht super viel Spaß, insbesondere wenn das Geld wortwörtlich aus dem Nichts kommt.
Halten Menschen dich für reich, behandeln sie dich anders. Wenn ein Typ merkt, dass du viel Geld hast, pitcht er dir plötzlich eine Idee, um noch reicher zu werden. Und die Anziehungskraft auf das andere Geschlecht steigt tatsächlich. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Besuch bei der Bank. Als die Dame hinter dem Schalter meinen Kontostand sah, änderte sie schlagartig ihr Verhalten. Plötzlich war sie hin und weg von diesem Typen, der Millionen auf seinem Konto hatte.
Und was haben deine Freunde gesagt?
Einige fanden es nicht gut und wollten damit nichts zu tun haben. Nur gesagt haben sie mir das allerdings nicht unbedingt. Die meisten fanden es aber OK und verstanden, warum ich das mache. Ein paar haben mich sogar weiter angestiftet.
Hast du es deiner Familie erzählt?
Nein, die hätten sich nur Sorgen gemacht. Ich habe vielen Leuten erzählt, dass ich Investmentbanker oder im Immobiliengeschäft bin. Ich habe lauter verschiedene Sachen erzählt, weil ich viele Menschen kennengelernt habe. Es war eigentlich immer nur ein Satz. Niemand hat sich wirklich dafür interessiert. Sie wussten, dass ich viel Geld hatte – ihnen war egal, woher es kam.
Es ist unfassbar, dass der Bank das viereinhalb Monate lang nicht aufgefallen ist. Hattest du keine Angst, dass du erwischt wirst?
Doch, ich habe sogar davon geträumt. Einmal hatte ich einen Albtraum, dass ein SWAT-Team vor meinem Hotelzimmer steht. Ich bin schweißgebadet aufgewacht und habe gemerkt, dass es nur ein Traum war. Dann klingelte es an der Zimmertür und ich habe mich tierisch erschrocken. “OK, das war’s. Jetzt holen sie mich.” Das wäre, ehrlich gesagt, sogar eine Erleichterung gewesen. Aber es war nur das Zimmermädchen, das frische Handtücher vorbeibrachte.
Wenn du den Großteil deines Lebens immer mehr oder wenig artig warst und dann plötzlich anfängst, etwas Falsches zu tun, dreht dein Körper durch. Ich hatte Panikattacken. Ein Teil in mir wollte, dass es aufhört, aber ich hatte den Punkt ohne Wiederkehr bereits überschritten. Mein Leben änderte sich dramatisch. Die Bank rief mich ständig an: “Waren sie gerade dort? Waren sie letztens da?” Und ich sagte immer nur: “Ja, das war ich.” “Kein Problem, wir fragen nur nach.” Es war richtig absurd.
Warum hast du dich gestellt?
Irgendwann habe ich mich gefragt: Wer bist du? Du hast es ein bisschen übertrieben letzte Zeit, aber wofür stehst du? Bist du Dan aus Australien oder bist du der Typ aus einem Film, der einfach eines Tages mit Millionen in der Tasche untertaucht? Und was passiert dann? Ich wollte nicht einfach spurlos verschwinden und meine Familie alleine lassen.
Die Polizei habe ich nie kontaktiert. Ich habe mit den Überweisungen aufgehört und mich im Juni oder Juli 2011 bei der Bank gemeldet. Sie sagten mir: “Das ist jetzt eine Sache für die Polizei. Wir können nicht mit Ihnen sprechen. Sie sitzen ganz schön in der Klemme.” Und das war’s. Eigentlich wollte ich ihnen sagen, dass ich 80.000 Dollar Bargeld in einem Hilton-Wäschebeutel besitze, die sie gerne haben könnten. Dann habe ich zwei Jahre nichts mehr von ihnen gehört. Weil ich die Sache aber nicht aus meinem Kopf bekam, konnte ich nicht einfach mit meinem Leben weiter machen. Wer beschafft sich schon Geld auf so eine Art, ohne dass das in die Hose geht?
Hattest du dir schon überlegt, wohin du fliehst?
Ich wäre nach Spanien gezogen, vielleicht nach Mallorca. Mein ganzes Geld hätte ich wahrscheinlich nicht zu einer anderen Bank überwiesen, sondern zu Casinos. Casinos stellen nämlich keine großen Fragen. Sie reden auch nicht wirklich über ihre Kunden oder darüber, wie viel Geld die haben.
Wie kam am Ende die Polizei ins Spiel?
Wegen der Schuldgefühle und der Panikattacken ging ich zum Psychiater. Ich brauchte jemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Der erste wollte mir nicht wirklich weiterhelfen, der zweite Psychiater war einfühlsamer. Er sagte mir nicht, was ich tun solle. Wenn ich mich allerdings stellen würde, könnte ich wieder ein reines Gewissen haben und die Sache hinter mir lassen.
Um die Sache zu klären habe ich mich dann an die Herald Sun gewandt, die größte australische Tageszeitung, und ein Fernsehinterview gegeben. Es hat drei Zeitungsartikel und einen Fernsehauftritt gebraucht, bis man mich endlich ernstnahm.
Hast du mit deinem Handeln anderen geschadet?
Ich hatte gar nicht das Gefühl, dass das Geld überhaupt existiert, bis ich etwas damit gekauft oder es irgendwohin überwiesen habe. Bis zu diesem Punkt war es einfach eine Zahl auf dem Bildschirm. Ich habe niemandem etwas weggenommen.
Wie lief die Gerichtsverhandlung?
Ich dachte, dass ich richtig Ärger bekomme, aber am Ende hat niemand so richtig verstanden, was ich getan hatte – weder die Richterin noch die Staatsanwaltschaft. Es war alles sehr komisch. Die Bank lieferte nur ein Minimum an Beweisen. Ich plädierte auf schuldig, bekam ein Jahr im Gefängnis und 18 Monate auf Bewährung.
Wie war es, danach wieder für 22 Dollar die Stunde in der Bar zu arbeiten?
Ich habe gelernt, dass man bei solchen Verlockungen schnell sein wahres Ich verliert. Aber so langsam werde ich wieder normal. Ich fühlte mich wie Macaulay Culkin nach Kevin – Allein in New York: Gerade noch bist du total angesagt und dann plötzlich nicht mehr. Das ist schon schwer zu schlucken. Es gab auf jeden Fall eine Zeit, in der ich mir dachte: Wärst du mal nach Spanien gegangen.
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