Menschen

Wie es ist, deinen Eltern zu sagen, dass du sexuell missbraucht worden bist

"Als ich das Wort 'Missbrauch' aussprach, brach meine Mutter in Tränen aus." – Daan, 22
Eine Frau umgeben von Menschen
Illustration: Titia Hoogendoorn

Warnung: Dieser Artikel enthält Schilderungen sexualisierter Gewalt.

Wenn du sexualisierte Gewalt erleben musstest, ist es schwer genug, mit der Polizei, einer Ärztin oder einer Psychologin darüber zu sprechen. Am schwersten ist es allerdings oft, mit Menschen darüber zu reden, die dir besonders nahe stehen – vor allem, weil Scham, Schuld und Angst bei solchen Erfahrungen eine große Rolle spielen.

Wie und wann sagst du es deinen Freunden? Oder, oft noch härter: deinen Eltern? Wie werden sie reagieren? Eva, Daan und Franka* erzählen, wie sie damit umgegangen sind und was sie erlebt haben.

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Daan, 22

Als ich 20 war, wurde ich von einem Kollegen missbraucht. Es war nach einem Abendessen bei ihm. Eigentlich hatte ich mich in seiner Gegenwart immer sicher und wohl gefühlt. Nachdem es passiert war, war ich deswegen sehr durcheinander. Es klingt vielleicht komisch, aber mir war anfangs nicht klar, was passiert war, und, dass es sehr schlimm gewesen war. Am nächsten Tag dämmerte es mir langsam.

Erst Monate später brachte ich den Mut auf, meinen Eltern davon zu erzählen. Ich musste es einfach tun. Der Vorfall spielte eine große Rolle in meinem Leben und ich musste ihn einfach mit ihnen teilen. Wir saßen zusammen im Wohnzimmer und ich war extrem nervös. Man konnte es an meiner Stimme hören. "Ich will euch etwas erzählen", stotterte ich. Sofort wussten sie, dass etwas Schlimmes folgen würde. Als ich das Wort "Missbrauch" aussprach, brach meine Mutter in Tränen aus. Sie bekam Panik. Sie war so überwältigt von ihren Gefühlen und wusste nicht, wie sie reagieren soll.

Mein Vater war außer sich vor Wut. Er war nicht sauer auf mich, sondern auf die Situation. Er schrie, dass ich zur Polizei gehen müsse. Ich könne ihm das nicht einfach so durchgehen lassen. Er war kurz davor, zu meinem Kollegen zu fahren und ihn zusammenzuschlagen. Aber ich wollte keine Anzeige stellen. Ich hatte einfach nicht die Energie dafür. Ich wollte die ganze Sache hinter mich bringen und mit meinem Leben weitermachen.

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Aber je länger ich dort saß, desto mehr zog ich mich innerlich zurück. Ich schaltete komplett ab und fühlte Ekel in mir aufsteigen. Vor meinen Augen spielten sich Szenen des Übergriffs ab.

Den Missbrauch noch einmal zu durchleben, war besonders hart. Außerdem schämte ich mich sehr vor meinen Eltern, auch wenn wir keine besonders enge Beziehung haben. Ich hatte das Gefühl, dass ich es hätte besser wissen müssen; dass ich es hätte verhindern können.

Auch bei meinen Freunden ist es nicht einfach. Von Zeit zu Zeit stellen sie mir ein paar gut gemeinte, aber schwierige Fragen dazu. Sie wollen wissen, was genau passiert ist. Jedes Mal, wenn ich davon erzähle, durchlebe ich es wieder – genau wie mit meinen Eltern im Wohnzimmer. Meiner damaligen Freundin erzählte ich erst sechs Wochen später, was passiert war.

Ich suchte mir professionelle Hilfe, um die Flashbacks erträglicher zu machen. Am Ende machte ich eine Körpertherapie und ging zur psychologischen Beratung. Dank einer speziellen Traumatherapie lernte ich, mit den Bildern umzugehen, die immer wieder in meinem Kopf auftauchten. Dazu habe ich Tantra und Körperarbeit-Therapie gemacht, um wieder eine Beziehung zu meiner Sexualität aufzubauen. Das alles hat mir sehr geholfen, aber der Missbrauch wird immer ein Teil meines Lebens sein. Deswegen erzähle ich auch heute noch Menschen davon, die ich neu kennenlerne – aber nur, wenn ich mich in ihrer Gegenwart wohlfühle.

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Ich will denjenigen, die das Gleiche durchgemacht haben, sagen, dass es wichtig ist, mit Menschen, die einem nahestehen, darüber zu sprechen. Wenn du darüber sprichst, ist der Missbrauch nicht länger dieses große Geheimnis, das du alleine mit dir rumtragen musst.

Franka*, 27

Als ich sieben war, wurde ich von meinem Halbbruder gezwungen, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Ich musste ihm zum Beispiel mit Gummihandschuhen einen runterholen. Er nannte das "Doktor spielen".

Obwohl er mir nie explizit verboten hatte, mit jemandem darüber zu sprechen, wusste ich, dass ich mit niemandem darüber reden wollte. Der Missbrauch war mein Geheimnis. Ich schwor mir selbst, dass ich die Sache mit in mein Grab nehmen würde. Darüber zu sprechen, hätte meine Familie zerstört.

Ich dachte immer, dass meine Eltern nichts davon mitbekommen hätten, gleichzeitig dachten sie, dass ich mich nicht daran erinnern könne. Durch dieses bizarre Missverständnis tänzelten wir jahrelang umeinander herum, bis meine Mutter eines Tages meinen Freund fragte: "Weißt du von Franka und ihrem Halbbruder?" Es war ihre Art, herauszufinden, ob ich mich noch erinnern kann. Als ich ihre Frage hörte, wusste ich, dass ich das Geheimnis nicht länger für mich behalten konnte.

Als meine Mutter mich eines Tages nach einer gemeinsamen Shoppingtour nach Hause fuhr, hielt sie plötzlich auf einem Parkplatz an. Sie machte das Auto aus und sagte: "Ich habe nie gewusst, ob du dich an etwas erinnern kannst."

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Mein ganzer Körper verspannte sich, ich biss meine Zähne fest aufeinander. Ich hatte immer noch Angst davor, die Büchse der Pandora zu öffnen. "Ich erinnere mich", sagte ich und überlegte noch, wie offen ich über alles sprechen sollte. Aber meine Mutter fragte mich direkt: Was genau war passiert? Wie oft? Wann? Hat er es auch getan, wenn sie zu Hause waren? Ich glaube, sie wollte damit herausfinden, ob sie es hätte verhindern können. Mein ganzer Körper sträubte sich, aber ich beantwortete ihre Fragen. Sie saß still da und hörte zu.

"Haben wir etwas falsch gemacht?", fragte sie schließlich vorsichtig. Ich hörte ein Zittern in ihrer Stimme. Sie weinte. Ich merkte, dass sie sich schuldig fühlte. Gleichzeitig war da auch die Wut auf ihren Stiefsohn.

Nachdem wir 30 Minuten im Auto gesessen hatten, war ich durch. "Ich möchte nicht, dass du dir die Schuld für irgendetwas gibst", sagte ich zum Abschluss. Meine Mutter gab mir eine dieser unbeholfenen Umarmungen, bei der wir uns über dem Schaltknüppel lehnen mussten. Sobald ich mein Haus betrat und meinen Partner sah, brach ich zusammen.

Obwohl meine Mutter sehr behutsam und verständnisvoll gewesen war, begann ich, wiederkehrende Flashbacks zu bekommen. Wenn ich Gummi roch oder ein Kind auf dem Schoß eines Erwachsenen sah, kam alles wieder hoch. Ich entschied mich dazu, mit meinem Halbbruder über den Missbrauch zu sprechen. Ich wollte wieder die Kontrolle über mein Leben gewinnen.

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Seine Reaktion war nicht, was ich mir erhofft hatte. Er war etwas überheblich und es schien ihm nicht besonders leid zu tun. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ein Gewicht von meinen Schultern genommen wurde. Ich bin froh, dass ich mein Leben jetzt ohne Geheimnisse leben kann.

Eva, 26

Mit 19 reiste ich mit dem Rucksack durch Australien. Als ich eines Nachts in Sydney aus war, wurde ich von meiner besten Freundin getrennt. Ein DJ aus der Bar, in der ich war, bot mir an, mich nach Hause zu fahren. Als ich in sein Auto stieg und er die Türen verriegelte, wusste ich, dass ich in Gefahr war. Anderthalb Stunden später schaffte ich es aus dem Auto, total desorientiert.

Mein erster Impuls war, meine Mutter anzurufen. Ich konnte ihr aber nicht sagen, was genau passiert war. Trotzdem merkte sie, dass es mir nicht gut ging. Wir hatten Verwandte in Sydney und meine Mutter schlug vor, dass ich erstmal zu ihnen gehe.

Einen Tag später kam ich wieder in Kontakt mit meiner verlorenen Freundin. Ich stand noch unter Schock, sagte immer wieder nur: "Er hat mir etwas angetan." Wie ein verletztes kleines Vögelchen. Ich war unfassbar sauer, dass meine Freundin an dem Abend verschwunden war. Ich schrie sie an und sagte ihr, dass ich sie nie wiedersehen will. In Wahrheit wollte ich sie nah bei mir haben.

Ein paar Tage später, als mir immer klarer wurde, was passiert war, schrieb ich eine E-Mail an meine Schwester. Es war eine sehr emotionale Mail. Ich beschrieb alles, was passiert war. Weil ich aber nicht wollte, dass sie sich Sorgen macht, beendete ich die Mail mit: "Alles wird wieder OK, mach dir keine Sorgen um mich."

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Meine Schwester rief sofort meine Eltern an. Die versuchten dann, mich zu kontaktieren, aber ich wollte auf keinen Fall über die Sache sprechen. In den folgenden Monaten fühlte ich mich sehr einsam in Australien. Ich hoffte, dass sich das alles ändert, sobald ich wieder zu Hause in den Niederlanden war.

Die Vergewaltigung hat meine Eltern richtig mitgenommen. Manchmal sprechen wir über das Thema, aber nie explizit über das, was mir widerfahren war. Wenn du eine Tochter hast, ist so ein Übergriff wahrscheinlich dein schlimmster Albtraum. Deswegen habe ich nicht sofort darüber gesprochen. Ich wollte ihnen diesen Schmerz ersparen.

Obwohl wir immer noch nicht wirklich darüber gesprochen haben, haben sie mir in praktischer Hinsicht sehr geholfen. Zum Beispiel dabei, einen Psychologen zu finden. Ich würde mich aber immer noch freuen, wenn sie die Sache mal bei einer Flasche Wein ansprechen. Wir stehen uns sehr nah und sehen uns oft. Deswegen wundere ich mich manchmal, warum wir nie wirklich darüber reden. Es ist wahrscheinlich einfach zu schmerzvoll für meine Eltern.

Ich bin immer noch froh, dass ich darüber gesprochen habe. Der Missbrauch ist wie dieser große Rucksack, der viel zu schwer ist, um ihn alleine zu tragen. Er hat mich verändert. Das merke ich daran, wie ich heute über Dinge nachdenke – oder wie ich Männer betrachte. Ich vertraue ihnen nicht mehr so leicht wie früher. Das Erlebte ist ein Teil von mir geworden und das kann ich nicht einfach für mich behalten.

*Frankas echter Name ist der Redaktion bekannt.

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