Berliner Studenten wollen ein Gedicht an der Fassade ihrer Uni überstreichen

“Reiner Blödsinn!”, ruft Eugen Gomringer ins Telefon. “Es ging nie darum, jemanden zu diskreditieren.” Der 92-jährige Poet hat vor über 60 Jahren ein Gedicht geschrieben, um das jetzt ein Streit entbrannt ist. Es lautet – aus dem Spanischen übersetzt – folgendermaßen:

Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer

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Fragt man Eugen Gomringer, was er mit “avenidas” aussagen wollte, sagt er: “Es geht mir um verbindende Element, um das ‘und’ oder im Spanischen ‘y’ und die dadurch entstehende bildliche Konstellation.” Fragt man hingegen den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Alice-Salomon-Hochschule, ist die Interpretation des Gedichts, das fettgedruckt auf der Außenfassade der FH prangt, eine andere. In einem offenen Brief an den Rektor schreiben sie: “Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen* ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren.” Es erinnere auch unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind.

Zwar beschreibe Gomringer in seinem Gedicht keineswegs Übergriffe oder sexualisierte Kommentare. Doch es erinnere daran, dass “wir uns als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für unser körperliches ‘Frau*-Sein’ bewundert zu werden.” Eine solche Bewunderung könne zu Angst vor Übergriffen und dem konkreten Erleben solcher führen.

Der AStA fordert deshalb, das Gedicht zu entfernen. Der Akademische Senat der Hochschule unterstützt das Vorhaben. Jetzt dürfen Studierende und Lehrende Vorschläge einreichen, wie die Fassade neu gestaltet werden soll.

Der Dichter versteht die Vorwürfe überhaupt nicht. Er habe mit dem Gedicht lediglich drei bis vier schöne Sachen zusammengebracht. Ohnehin sei es ihm nur darum gegangen, eine schöne Gesamtkonstellation zu entwickeln, sagt er. “Das Gedicht erzeugt eine schöne, positive Stimmung.” Er als “Bewunderer” erfreue sich lediglich an einer Gesamtszene aus Alleen, Frauen, die dort spazieren, und Blumen. Tatsächlich ist der Vorwurf des Sexismus für Gomringer so weit weg von seinem Gedicht, dass er im Gespräch mit VICE trotz wiederholter Nachfragen kaum darauf eingeht. Stattdessen erzählt er leidenschaftlich, was für eine Kunstform das Gedicht darstellt (konkrete Poesie) und warum es in Schulen häufig gelesen und sogar von Fußballclubs verwendet wird. “Ich fände es einfach schade, wenn es nicht mehr dort hängt”, sagt Gomringer. “Viele Menschen haben sich gefreut, wenn sie die Fassade gesehen haben.”

Auch der Rektor der Hochschule, Uwe Bettig, findet die Kritik überzogen. In einem Interview mit der FAZ sagt er, er teile die Kritik, dass die Zeilen zu “Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führen”, in keinster Weise. Er nehme die Rückmeldung der Studierenden aber dennoch ernst, insbesondere, weil sich offenbar einige diskriminiert fühlten. Vielleicht sei ja eine Kompromissform denkbar, bei der das Gedicht erhalten bliebe und die Kritik in künstlerischer Form zur Geltung gebracht würde, so Bettig. Einen solchen Vorschlag will die Hochschulleitung nun selbst in den Wettbewerb einbringen. Generelle Voraussetzung für die neue Fassadengestaltung ist, dass die Vorschläge “nicht diskriminierenden Inhaltes” sind. Wir hätten da eine Idee:

Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Männer
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Männer und Frauen und
keine dummen Anmachen

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