Selbst die Sonne hat keine Lust auf den ganzen Mist, ein dicker grauer Himmel hängt über Südthüringen. Darunter schleichen Männer mit steifem Nacken um unser Auto. In ihren Händen halten sie Bierdosen so fest umklammert wie ein Adler seine Beute. Aus zusammengekniffenen Augen spähen sie ins Fahrzeug und aufs Nummernschild.
Mehrere Menschen hatten uns vorher noch gewarnt, wir sollen bloß nicht über die A73 kommen. Auf diesem Weg würden die Neonazis anreisen. Alles klar, hatten wir geantwortet. Jetzt drehe ich mich zur Fotografin auf dem Beifahrersitz: “Ich glaube, wir haben die A73 genommen.”
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Wir sind in Kloster Veßra, kurz vor unserem Ziel, aber der Verkehr bewegt sich kaum noch vorwärts. Dafür strömen links und rechts schwarz gekleidete Menschen vorbei. Auf ihren Shirts stehen Schriftzüge wie “Jubeljahr 1933”, “NS Zone” und “Wer A sagt, muss auch Dolf sagen”.
Seit der Autobahnabfahrt vor über zehn Kilometern gab es mehrere Kontrollen, an denen Polizisten Fahrzeuge herausgewunken haben. Doch auf einmal sind keine Beamten mehr da, stattdessen Unmengen von Neonazis. Auf der Straße vor uns sieht alles nach Heil Hitler aus. Als die ersten Finger auf uns zeigen, schließen wir vorsichtshalber die Fenster.
Während alle noch über linke Gewalt in Hamburg diskutieren, über geworfene Steine und angezündete Autos, marschierten am Samstag in der südthüringischen Kleinstadt Themar 6.000 Neonazis auf. Es ist das größte rechte Konzert der letzten Jahrzehnte in Deutschland.
Es treten Bands wie Stahlgewitter auf, die in ihren Texten die 88 und die Wehrmacht besingen. Dabei ist auch die Lunikoff Verschwörung um den ehemaligen Sänger von Landser. Letztere ist die erfolgreichste neonazistische Musikgruppe in der Geschichte der Bundesrepublik. 2003 wurde sie wegen rassistischer und antisemitischer Inhalte als kriminelle Vereinigung verboten und ihre Mitglieder zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Auf der Bühne außerdem eine bunte Mischung brauner Redner: Mitglieder der Parteien NPD, Die Rechte und Der Dritte Weg, ebenso Thügida, Reichsbürger und die russische Kampfsportorganisation White Rex, die Neonazis ausbildet. Menschen wie Günter Deckert kommen zu Wort – früherer Vorsitzender der NPD, Holocaust-Leugner, mehrfach wegen Volksverhetzung bestraft.
Unter dem Namen “Rock gegen Überfremdung” bellen sie ihre Furcht vor dem Untergang des Abendlandes durchs Mikrofon in Tausende kahlrasierte und gescheitelte Köpfe. Dabei ist Thüringen das Bundesland, in dem die wenigsten Ausländer leben. “Uns wurde in der Flüchtlingskrise kein einziger Asylbewerber zugewiesen”, sagt Themars Bürgermeister Hubert Böse (CDU). “Der Ausländeranteil liegt bei 2,7 Prozent, die Menschen sind alle gut integriert.”
Die schiere Menge an Neonazis in Themar ist beängstigend, vor allem weil man selten so viele von ihnen an einem Ort sieht. Bei “Rock für Deutschland”, einer ähnlichen Veranstaltung in Gera, kamen Anfang Juli 800. Heute aber scheinen sie sich aus allen Ecken des Landes zusammengerottet zu haben, um für einen Tag hier ihr Germania auszurufen.
Wir stellen das Auto ab und wagen einen kurzer Streifzug durchs Reich. Alle sehen aus, als müsste man noch immer zwingend kurze Haare tragen, am ganzen Körper tätowiert sein und Wehrmachtssprüche auf der Kleidung tragen, um sich Neonazi nennen zu dürfen.
Frauen sind nur wenige gekommen, dafür geben sich die Männer umso maskuliner. Breite Oberkörper haben viele von ihnen, sie taumeln mehr, als dass sie laufen. Fast verkrampft wirken sie, so als habe sie all der Hass, den sie in sich tragen, unter Hochspannung gesetzt.
Sie sammeln sich vor dem Gasthaus “Goldener Löwe”, ein wichtiger Szenetreffpunkt der Gegend. Er gehört Tommy Frenck, einem NPD-Politiker, der Bürgerwehren gründete, Fackelmärsche organisierte, seinen zehn Kilometer entfernten Heimatort Schleusingen einst zur Frontstadt erklärte und einem Kubaner eine volle Bierflasche auf den Kopf schlug. Frenck ist es auch, der hinter “Rock gegen Überfremdung” steckt.
Über eine Webseite verkauft er Waffen wie Armbrüste und Macheten und Neonazi-Artikel, Aufkleber mit “I <3 HTLR” zum Beispiel. “Hitler ist ja verboten”, sagt Frenck dazu. “Und HTLR heißt ja Heimat, Tradition, Loyalität und Respekt … Warum sollte man das verbieten?”
Das Geschäft läuft offenbar gut für ihn. Vor dem Gasthaus steht unübersehbar abgestellt sein Auto, ein schwarzer Hummer. Zum Führergeburtstag gab es im Restaurant das Schnitzel für 8,88 Euro. Weil der Andrang an diesem Tag groß sei, riet er Gästen auf Facebook, vorher zu reservieren.
Kloster Veßra gehört heute ganz den Neonazis. Die Türen der Häuser sind geschlossen, Gardinen vor die Fenster gezogen. Selbst der auf Plakaten beworbene Flohmarkt findet an diesem Samstag nicht statt. Nur ein Mann mit grauen Haaren und Oberlippenbart dreht auf einer Wiese seine Runden mit einem roten Rasenmäher. In dem nur wenige Minuten entfernten Gasthaus hat er vor mehr als drei Jahrzehnten seine Frau kennengelernt.
Da gehe keiner mehr hin aus dem Ort, sagt er. An die Rechten habe man sich eben gewöhnt. “Das sind Menschen wie du und ich”, sagt er. Und außerdem habe er auch in Frankfurt gewohnt, “direkt in so einem Türkenviertel”. Kriminalität sei da nunmal ein Problem. “Da ticken die Uhren anders”, sagt er. Das könne hier auch ganz schnell passieren, wenn man nicht aufpasse. Schließlich hätten schon “Asylanten” aus Suhl in der Nachbarschaft eingebrochen. Aber die da oben, das seien eben alles Marionetten.
Nebenan im Zentrum von Themar ist die Aufregung kaum zu spüren. Polizisten haben die Kleinstadt mit gerade einmal 3.000 Einwohnern abgeriegelt und versuchen so, die Neonazis vom Ortskern fernzuhalten. Die Bundesstraße, die hier entlang führt, ist gesperrt, auch der Supermarkt bleibt heute geschlossen. Die Vögel zwitschern an gegen den Lärm der rechten Musik, die in der Distanz wummert.
Bevor die Neonazis kamen, kannte kaum jemand Themar. Und auf einmal gilt es als braunes Nest. Früher lebten hier auch viele Juden. Dann ergriff erst Hitler die Macht und später rollten Züge alle, die noch nicht geflohen waren, in den Tod. In der ganzen Stadt erinnern Stolpersteine daran.
In einer Seitenstraße stehen zwei ältere Frauen und ein Mann in Hausschuhen. “Wir haben Adolf noch miterlebt, haben im Bunker gesessen”, sagt er, schaut mit großen Augen durch seine starke Brille in Richtung des Konzerts und schüttelt den Kopf. Sollen die Rechten doch woanders hin. Wie viele hier hoffen sie, dass nach dem Wochenende einfach alles wieder ist wie sonst. Dass der Supermarkt wieder offen ist und die Bundesstraße. Dann pantoffeln sie zurück hinter die Fassade des Fachwerkhauses.
Die Politik, sagen einige Bürger von Themar, habe versagt. Dass Tausende Rassisten in ihre Stadt einfallen, liegt aber vor allem an Bodo Dressel, ehemaliges AfD-Mitglied und Bürgermeister der Nachbargemeinde, der seine Wiese am Ortsrand für das Konzert zur Verfügung gestellt hat. Das Grundstück hatte er ursprünglich gekauft, um ein Autohaus zu bauen. Weil aber dahinter Naturschutzgebiet liegt, bekam er dafür keine Erlaubnis. Einige Bürger vermuten deshalb, dass er sich mit den Neonazis an der Stadt rächen wollte.
Themar und auch der Landkreis wollten die Veranstaltung nicht genehmigen. Mehrere Verbotsanträge blieben aber erfolglos. Ein Verwaltungsgericht entschied schließlich, dass das Konzert als politische Versammlung gelte und deshalb stattfinden dürfe.
Bloß eine kleine Gegendemonstration zieht durch Themar. Mit Kreide haben sie auf den Asphalt geschrieben: “Bei uns ist nur das Brot braun.” Auf dem Marktplatz sitzen Menschen auf Bänken und trinken Kaffee gegen rechts. An den Laternen hängen Protestplakate, an Häusern Banner. Die Neonazis bekommen von all dem nichts mit.
Das Konzertgelände ist umstellt mit Bauzäunen, die mit schwarzer Folie umwickelt sind, um die Sicht zu verdecken. Die Bühne befindet sich unter einem großen, weißen Zelt. Überall wehen schwarz-weiß-rote Fahnen.
Wie in einem Gehege gepfercht stehen die Neonazis herum. Und draußen stehen die Medien vor dem Affenkäfig, gucken und warten. Rechte kommen, Rechte gehen. Am Eingang durchsuchen sie Polizisten gründlich auf Waffen.
Die Beamten halten die Neonazis möglichst weit entfernt von allen anderen. Mehrere Hundertschaften sind aus ganz Deutschland angerückt, auch einen Wasserwerfer haben sie mitgebracht. Die Kosten dafür trägt das Land. Auch deshalb fordert Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nun, zu überprüfen, ob für solche Veranstaltungen tatsächlich das Versammlungsrecht gelte.
Während die Steuerzahler die Sicherung des Konzerts finanzieren, verdienen die Veranstalter. Der Eintritt, den sie Spende nennen, kostet 35 Euro. Das bedeutet insgesamt Einnahmen von mehr als 200.000 Euro. Dazu kommen noch Erlöse aus dem Verkauf von Getränken und Merchandise. Selbst nach Abzug der Kosten bleibt wohl ein stattlicher Betrag. Und weil das Ganze als Versammlung gilt: steuerfrei.
Auf dem Mittelstreifen der Straße, die direkt an der Wiese vorbeiführt, stehen Absperrungen. Etwa 20 Journalisten beäugen das Geschehen auf der einen Seite, auf der anderen laufen die Rechten von den Parkplätzen zum Konzert.
Wie auf einem Laufsteg stolzieren sie vorbei, strecken den Rücken durch für die Kameras. Aus ganz Europa sind sie gekommen – aus Russland, Tschechien, Italien, Österreich und der Schweiz. Einige tragen Kutten der in Deutschland verbotenen Organisation Blood & Honor. Verbotene Tattoos haben sie mit Pflastern überklebt.
“Drecksau!”, ruft einer über die Absperrung. “Ich schlage euch tot!”, ein anderer. Sie müssen direkt an den Journalisten vorbei, sind oft nur eine Armlänge entfernt. Viele haben die Wangenmuskeln angespannt, halten den Mittelfinger in die Luft und schauen uns mit bohrendem Blick ins Gesicht. Als wollten sie uns spüren lassen, was sie gerne mit uns machen würden, wenn sie nur könnten.
Daran zweifeln muss man nicht: Der Verfassungsschutz beobachtet so viele Neonazis wie nie zuvor. Auch rechtsextreme Straftaten haben in den letzten Jahren stark zugenommen.
In Themar zeigen die Konzertbesucher ihre Verachtung offen, gerade gegenüber Frauen. Immer wieder ruft irgendjemand “Schlampe!” und “Ich ficke dich!”. Eine Fotografin bespucken sie, eine Journalistin mit Kopftuch beschimpfen sie als “Putzlappenfrau”.
So geht es den ganzen Nachmittag weiter. Ein kleingewachsener Mann fasst sich in den Schritt, leckt sich mit der Zunge den Mund und sagt: “Nimm mich doch mal als Wichsvorlage!” Einer weiterer fragt: “Willst du meinen Schwanz lutschen?” Wieder ein anderer zischt: “Morgen kommt ein Nafri in dein Bett!” Seine Freunde lachen.
Später steigt eine Frau durch die Absperrung, stürmt auf einen Fotografen zu und versucht ihn zu greifen, bevor Polizisten sie wegziehen. Sie habe zwei Kinder und wolle Privatsphäre, ruft sie.
Der Zustrom an Rechten nimmt selbst am späten Nachmittag nicht ab. Sogar die Veranstalter scheinen überrascht davon. Sie müssen Zäune umstellen und das Gelände erweitern, dann geht ihnen auch noch die Stempelfarbe aus. Besucher bekommen ab dann mit Edding ein Kreuz auf den Handrücken gemalt. Ohne Haken.
Ein Mann mit blonden Haaren, der aussieht wie H.P. Baxxter nach längerer Heroinabhängigkeit, geht mit seinem Kumpel auf eine Gruppe Polizisten zu: “Und, wart ihr auch in Hamburg?” Die Beamten nicken. “Scheiße, oder?”, sagt er, sein Blick wandert rüber zu den Journalisten. “Hättet ihr mal ein bisschen fester zugetreten.”
Die Musik auf der Bühne ist vor allem Lärm, was genau sie da singen, kann man auf der Straße nicht verstehen. Die Sprechchöre zwischen den Liedern aber schon. “Frei, sozial und national!”, schallt es aus dem weißen Zelt. Auch: “Rudolf Heß! Rudolf Heß!”
In seinem Kleingarten auf der anderen Straßenseite nickt ein untersetzter Mann mit Hornbrille im Takt. Sollen die doch ihren Kram machen, meint er. Ihm sei das egal. Und überhaupt: Was wolle man da schon machen? Es ist das, was einige heute sagen: Die Rechten, das sei schon schlimm. Aber solange sie nicht randalierten wie in Hamburg, sei doch alles in Ordnung. Hauptsache, der Supermarkt bleibt ganz.
Doch auch, wenn dieses Konzert vorbei ist – die rechte Hetze wird nicht verstummen. Schon Ende Juli findet auf genau derselben Wiese am Ortsrand “Rock für Identität” statt, zu dem letztes Jahr 3.500 Neonazis kamen. Bands wie Frontalkraft werden dann singen: “Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen. Weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut, auf dem Asphalt.”
Zwei Welten treffen hier in Themar aufeinander. Deutschland im Jahr 2017, dazu gehören eben nicht nur die Ehe für alle und die schrittweise Legalisierung von Cannabis, sondern auch solche Veranstaltungen. Und wir Journalisten stehen herum wie Krawalltouristen. Wir hier, die dort. Einmal in den Abgrund schauen, tief in den rechten Schlund, dann wieder ins Auto steigen und verschwinden. Weit weg von den Neonazis.
Am Ende gibt es 46 Anzeigen wegen Körperverletzung, Verstößen gegen das Waffengesetz, Bedrohung, Beleidigung, Sachbeschädigung und das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole. Eine davon für den Sänger der Band Blutzeugen, der auf der Bühne mehrfach “Sieg Heil!” gerufen hatte.
Und während wir auf dem Rückweg mit 170 Stundenkilometern über Adolfs Autobahnen rasen, heben in einem großen, weißen Zelt in Themar Hunderte Menschen den rechten Arm zum Hitlergruß und brüllen “Heil! Heil! Heil!” in die finstere Nacht.