Depressiver, Satiriker, Spitzenkandidat von Die PARTEI – Wir haben mit Nico Semsrott gesprochen

Es ist gerade alles ein bisschen viel bei Nico Semsrott. Für die Partei Die PARTEI macht er als Berliner Spitzenkandidat Wahlkampf. Seine Bühnentour als Satiriker, auf der ihn der Fotograf Andreas Hopfgarten seit 2014 durchs deutsche Hinterland begleitet, ist bis April 2018 ausverkauft. Die Washington Post und der Independent schrieben über ihn, die BBC nervt mit Anfragen. Der 31-Jährige reagiert darauf immer noch mit Skepsis und Zweifel: “Was soll das, was stimmt bei denen nicht? Oder was stimmt mit mir nicht?”, sagt er. Alle wollen was von ihm. Wir auch.

VICE: Du wirkst nicht wie jemand, der gerne vor Hunderten Menschen spricht. Warum machst du es trotzdem?
Nico Semsrott: Aus Verzweiflung. Alles, was ich mache, gilt erst mal dem therapeutischen Ziel der Schmerzlinderung. Ich hab ganz viele schlechte Gefühle und will aus denen was Schönes oder halbwegs Konstruktives machen. Deswegen lande ich zwangsläufig auf der Bühne. Natürlich ist das widersprüchlich, aber widersprüchlich verhalten sich ja fast alle Menschen.

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Auch in deinem Programm geht es um Widersprüchliches: Flüchtlingskrise, Faschismus, Religion, aber auch Liebe und Sex. Wie passt das zusammen?
Flüchtlingskrise würde ich es nicht nennen, eher Rassismus. Das sind einfach die Themen, die mich interessieren. Das passt in mir ja auch zusammen, warum also nicht auch auf der Bühne? Es ist total normal, dass wir alle zwischen unseren Trieben und halbwegs intelligenten Gedanken hin und her schwanken.

Jetzt machst du Wahlkampf als Berliner Spitzenkandidat von der Partei Die PARTEI. Hilft die Bühnenerfahrung?
Schon. Zum Beispiel kenne ich durch meine Bühnentouren leider schon ziemlich viele Orte in Deutschland.

Leider?
Ja, klar. Ganz oft bin ich in irgendwelchen Orten und denke mir: Oh mein Gott, hier müssen Menschen leben? Kein Wunder, dass die so wählen, wie sie wählen. Ich wäre auch wütend. Wenn ich mit der Regionalbahn durchs flache Land tuckere, wird mir die Tristesse schon sehr bewusst. Aber eigentlich unterscheidet sich das, was ich mit Die PARTEI mache nicht so sehr von dem, was ich sonst mache. Die Bühne ist eine andere, aber sonst sind es die gleichen Mittel: etwas so ernst nehmen, dass die anderen wieder denken, dass das lustig ist. Und ich habe inzwischen einen einigermaßen guten Instinkt dafür entwickelt, was Pointen angeht.

Gibt es da innerhalb Deutschlands Unterschiede?
Nein, außer wenn ich in Bayern oder im Osten unterwegs bin. Da merke ich, dass die Opposition in meinem Publikum sitzt.

Kotzen die sich bei dir aus?
Es gibt unterschiedliches Feedback und sicher noch viel mehr Meinungen und Positionen, die ich nicht mitbekomme. Was ich immer wieder am beeindruckendsten finde, ist, dass viele Depressive auf mich zukommen und sagen, ich fühle mich von dir verstanden.

Warum überrascht es dich, dass du dich als jemand, der selbst depressiv war, in andere Depressive hineinversetzen kannst?
Jede Depression ist anders. Ich wundere mich immer noch darüber, dass mein Programm als lustiger Unterhaltungsabend ausgeschrieben ist, obwohl so viel Ernstes darin vorkommt. Dieses Spannungsfeld finde ich faszinierend. Deswegen finde ich es auch bemerkenswert, wenn Leute danach zu mir kommen und etwas über ihre Depression erzählen.


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Und welches Feedback bekommst du von AfD-Anhängern?
Alles mögliche. Den ganz normalen Shitstorm, Aufforderungen, das Land zu verlassen oder irgendwo hingesteckt zu werden. Ich lese mir das aber gar nicht durch und drücke einfach auf Spam. Wenn überhaupt. Eigentlich sollte man immer dagegenhalten, mit den Leuten diskutieren. Aber ich habe nicht die Energie dafür. Ich stecke meine Energie lieber in ein Video oder einen Auftritt. Ich habe wirklich nicht viel Energie, wie du vielleicht gemerkt hast. Ich merke langsam, dass es ein Fehler war, meine Auftritte im Stehen zu machen.

Hassen dich seit deiner Kandidatur für Die PARTEI andere Leuten als davor?
Ich habe keinen Überblick darüber, wer mich nicht mag. Ich weiß nur, dass keiner mich so wenig mag wie ich mich selbst.

Gibt es trotzdem irgendwas, dass du besser kannst, als euer Kançlerkandidat Serdar Somuncu?
[denkt lange nach] Ich glaube nichts. Naja, ich kann besser im Bett liegen. Und wahrscheinlich bin ich besser darin, glaubwürdig Nicht-Wähler anzusprechen.

Die BILD zitierte Peter Altmaier damit, dass er auf die Frage, ob ein Nicht-Wähler besser sei als ein AfD-Wähler, mit “aber selbstverständlich” geantwortet habe. Es ist umstritten, ob er das wirklich so gesagt hat, aber würdest du die Aussage grundsätzlich teilen?
Das wäre natürlich eine gute Strategie für ihn, weil die CDU dann mehr Sitzanteile bekommt. Man könnte das dann konsequent in den Stil von Angela Merkel einbetten: die Leute möglichst so einschläfern, dass die Politik ganz in Ruhe und für sich arbeiten kann. Das oder nicht zu wählen, beides ist undemokratisch. Beides ist scheiße.

Hilft dir dein Pessimismus dabei, mit der Gegenwart umzugehen?
Ja, schon. Optimisten handeln nicht, Pessimisten schon. Ein Optimist sagt, es wird schon nicht so schlimm werden und lehnt sich beruhigt zurück. Ein Pessimist rechnet mit dem Schlimmsten und wird hoffentlich handeln. Forscher haben nachgewiesen, dass Leute die optimistisch in ein Projekt starten, ihr Ziel weniger wahrscheinlich erreichen werden, als Pessimisten. Das liegt daran, dass der Pessimist schon die ganzen Hürden sieht und sich fragt, was alles schiefgehen könnte. Während der Optimist sagt, ‘Cool, ich bin quasi schon am Ziel.’ und dann komplett enttäuscht und demotiviert ist, wenn es doch nicht so gut läuft.

Wärst du als Pessimist dann nicht besser bei der AfD aufgehoben?
Nein, aber ich bin ja nicht dumm. Ich denke mir nicht so wie die AfD eine Geschichte aus und sage, alle die da kommen, sind böse Menschen. Mein Menschenbild ist nicht so dumm. Ich weiß, dass es in jeder Gruppe Arschlöcher gibt. Die sind in jedem Land gleich aufgeteilt und deswegen mache ich Rassismus nicht mit. Mein Pessimismus wirkt an der Stelle, dass ich davon ausgehe, dass Rassisten und Fremdenfeinde weiter Zulauf bekommen und man dagegen vorgehen muss. Das ist meine Form von Pessimismus.

Solltest du in den Bundestag einziehen, welche Frage stellst du dann Angela Merkel?
Warum sie sich nicht für Politik interessiert.

Noch mehr Fotos aus Andreas Hopfgartens Serie über Nico findest du hier .

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