Neulich habe ich zum ersten Mal ein Training abgebrochen, einfach so. Sieben Jahre Pumpen ohne Kompromisse. Und dann reichte es mir. Ich hatte keine Lust mehr. Klemmte meine Trinkflasche unter den Arm und ging in die Umkleide zurück.
Nach 20 Minuten im McFit drückte ich mich durch das Drehkreuz am Ausgang. Ich fühlte mich befreit und schuldig zugleich. Das mag pathetisch klingen, ist aber vollkommen ernst gemeint.
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“Bist du halt wieder nach Hause gegangen, ist doch kein großes Ding”, könnte man sagen. Viele scheitern ja schon am Versuch, sich wenigstens einmal in der Woche aufzuraffen, und enden irgendwann als Fitnesscenter-Karteileichen.
Für mich ist das Gegenteil eine riesige Überwindung: damit aufzuhören. Seit ich 15 bin, renne ich drei- bis viermal die Woche ins Studio. Ich fühle mich körperlich unwohl, wenn ich mir im Familienurlaub die Steppe Südafrikas anschauen muss und geschlagene zehn Tage nicht ins Gym kann.
Ich trainierte, als ich mir einen doppelten Bänderrisses zuzog, in einem dieser unförmigen Skischuhe. Zog eine Einheit mit höllischen Schmerzen durch, nachdem mein Schultergelenk beim Absetzen einer 30 Kilo-Hantel kurz ausrastete.
Für mehr “Gainz”, also Muskelwachstum, durfte auch mal nachgeholfen werden. Zum Beispiel mit dem Booster meines Trainingspartners. Einem Cocktail mit dem Koffeingehalt von sechs Tassen Kaffee, vermischt mit Amphetamin-Derivaten. Schon bei der ersten Übung wurde mir schwarz vor Augen.
Zitternd saß ich auf der McFit-Toilette, bis die Wirkung nach einer gefühlten Ewigkeit nachließ und ich mich nass geschwitzt nach Hause schleppte. Den Rest der Woche meldete ich mich bei der Arbeit krank. Am Montag ging das Training weiter, es war ja Chestday.
Und jetzt soll die jahrelange harte Arbeit für und gegen meinen Körper umsonst gewesen sein? Klamotten bald schlaff an mir herunterhängen wie an einem Kleiderbügel? Nur, weil sich der feine Herr gerade nicht so fühlt. Zugegeben, völlig überraschend kommt das Motivationsloch nicht.
Ich weiß nicht mehr, warum ich mich vor der Arbeit auf leeren Magen ins Fitnessstudio quäle. Ob es sinnvoll ist, das düstere McFit dem Kicken im Park bei strahlendem Sonnenschein vorzuziehen. Und ob das Leben nicht zu kurz ist, um sich zum Frühstück 300 Gramm Haferflocken mit Leitungswasser reinzuwürgen.
Ich schäme mich in diesen Momenten für meine belanglose Gedankenwelt, in der die Fettwerte von Brotaufstrichen von Bedeutung sind. Und mir die Vorstellung, dass meine Klamotten bald so schlaff wie an einem Kleiderbügel herunterhängen, Angst einflößt.
Spaß bringt mir das eintönige Gepumpe jedenfalls schon lange nicht mehr. Ich mache es nur noch für den Haken auf der “to do”-Liste. Für das Gefühl wie damals nach dem Gottesdienst, wenn die Pastorin Stempel für den Kirchenbesuch verteilte und die Konfirmation ein Stückchen näher rückte.
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Es geht immer nach demselben Muster: Liegestütze und Klimmzüge zum Aufwärmen, dann Bankdrücken aus allen erdenklichen Winkeln. Erst die großen, dann die kleinen Muskelgruppen. Das Highlight am Schluss: Bizeps an der Langhantel, bis der Oberarm so angeschwollen ist, dass die Fingerspitzen die eigene Schulter nicht mehr berühren können. Bis zur totalen Erschöpfung.
Statt wie früher beim Fußball mit meinen Teamkollegen herumzublödeln, höre ich im Studio Podcasts. Längst hat Lage der Nation das Massiv-Album Blut gegen Blut 3 aus der Playlist verdrängt. Denn das stumpfe Gepumpe muss ja mit einem intellektuellen “Mehrwert” ausgeglichen werden.
Und trotzdem komme ich immer wieder ins Grübeln. Es gibt keinen Ball oder Gegenspieler, den man ständig im Blick haben müsste. Nur die immer gleiche Frage, warum ich nicht aufhöre. Denn eigentlich ist das Pumpen ja ein Überbleibsel aus der Schulzeit, in der ich mein Selbstwertgefühl mit Hantelcurls pushte.
Weil mich der Sportlehrer nach einer verunglückten Kür am Barren am Arm packte und sagte: “Du musst was tun.” Weil ich bei den Einzelkämpfen, für die es in unserer Klasse halb ernstgemeinte Ranglisten gab, nicht aus dem Tabellenkeller kam. Und wir glaubten, Mädchen mit präpotentem Rumgemackere von uns überzeugen zu können.
Für viele meiner Freunde war das Pumpen einfach nur der ideale Sport, um auf dem Pausenhof eine gute Figur zu machen. Für mich war es die Chance, aus meinem sozialen Milieu rauszukommen. Sich wenigstens äußerlich von den Trägern gelber Timberland-Stiefel und Winterjacken von Canada Goose abzugrenzen.
In ihren Augen als “asozial” zu gelten, wurde zum Trainingsziel. Mit jedem Eiweißshake kam ich einem Männlichkeitsideal näher, bei dem man “stabil” zu sein hatte und sich ständig “gerade” machen wusste. Floskeln, die schon damals völlig hohl klangen. Aber es ging ja auch nur um den Körper und nicht die Ansichten der Fitness-YouTuber und Deutschrapper.
Für den Geist begann ich, meinen Bücherbestand über die Schullektüre hinaus zu erweitern. Alle Lebensbereiche mussten optimiert werden. Mit den Jahren drifteten meine körperlichen und intellektuellen Ziele auseinander. Die Anzahl der Scheiben auf der Hantelstange bestimmten nicht mehr darüber, ob man für voll genommen wurde. Die Pumper im Freundeskreis wurden weniger.
Das selbstbedruckte “Brazzers”-Tanktop, das wir beim Bierathlon nach der Abi-Prüfung voll Stolz trugen, verschwand hinten im Schrank. Der Fitness-Lifestyle war nun fast so uncool wie Kollegah und Farid Bangs Sprüche über Bizepse, die von Salat schrumpfen. Losgekommen bin ich trotzdem nicht.
Auch wenn ich immer den Wunsch hatte, von der Monotonie und Einsamkeit des Fitnessstudios wegzukommen. An die Mannschaftsabende nach dem Fußballtraining dachte, bei denen es Pizza und Bier in rauen Mengen gab. Und ich mit einem leichten Glimmer auf meinem Mofa nach Hause tuckerte.
Ich versuchte auch ein paarmal halbherzig, vom Pumpen loszukommen. Doch für’s Boxen fehlten mir die koordinativen Fähigkeiten. Und der Trainer des Fußballvereins, bei dem ich vorspielte, rief mich nach dem Probetraining nicht mehr an. Geärgert hat mich das nicht wirklich. Und es gibt auch keinen Grund für Mitleid.
Denn begabt bin ich vor allem im Weitermachen. Das liebe ich ja auch am Pumpen, es ist gerecht. Natürlich starten manche mit dickeren Armen und andere mit einer Hühnerbrust, aber am Ende zählt das Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, sich zu quälen. Mehr nicht.
Es gibt kein völlig unverdientes Gegentor in der Nachspielzeit oder einen Sparringspartner mit doppelt so langen Armen. Nur das erwartbare, aber dafür ehrliche Resultat deines Einsatzes. Schon öfter kam mir der Gedanke, dass sich zwischen den Hanteln vor allem die Letztgewählten beim Fußball tummeln. Kollegah-Fans und ich eben.
Ich machte also weiterhin Kreatin-Kuren, bei denen ich täglich sechs Liter Wasser trank, damit sich die Muskeln mit Wasser vollsaugen. Vielleicht, weil mich die Eitelkeit im Griff hatte. Und ich mir im Studium neue Feindbilder baute, mit denen ich auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden wollte.
Die Kommilitonen, die im Hörsaal selbstgekochten Mate-Tee aus recycelten Marmeladengläsern schlürfen. Breite Schultern und frische Seiten sollten aussagen: “Schaut mich an, ich spanne am Wochenende keine Slackline im Park. Oder treffe mich mit Freunden zum Bouldern, wo wir uns nach jedem erfolgreichen Aufstieg an der Kletterwand über dem Kopf abklatschen.”
Mittlerweile habe ich einen Freund, der regelmäßig bouldert. Mein Mitbewohner latscht mit Birkenstocks durch unsere Wohnung. Es ist mir peinlich, dass unsere Freundschaft in diesem Text als Beweis meiner gewachsenen Toleranz herhalten muss. Aber andersherum gibt es dieses Naserümpfen ja auch.
Menschen, für die im Fitness-Studio nur Love Island-Kandidaten und Gewalt-Assis in Uncle-Sam-Jogginghosen herumlaufen. Mit dem Stereotyp des stumpfen Amateur-Bodybuilders, der säckeweise Reis und ganze Hühnerfarmen in sich hineinstopft, konnte ich besser leben als mit dem des Schiebermütze tragenden Langzeitstudenten.
Und ganz unwahr ist das mit dem Reis jetzt nicht. Um Muskelmasse aufzubauen, habe ich oft weit über meinen Hunger gegessen. Eine Arbeitskollegin diagnostizierte mir mal beim Anblick der Reisberge auf meinem Teller eine Essstörung.
Denn eine Essstörung habe, wer krankhaft auf sein Essen achte, referierte sie. Ich wehrte ab. Bei Essgestörten dachte ich an magersüchtige, von Selbstzweifeln geplagte Teenagerinnen. Aber nicht an mich, einen aufgeschwemmten Amateur-Bobybuilder in einem zu engen H&M-Hemd. Das ist Jahre her.
In den letzten sechs Monaten habe ich 16 Kilo abgenommen, von 90 runter auf 74. Die 100-Kilo-Marke beim Bankdrücken schaffe ich schon lange nicht mehr. Ich würde gerne behaupten, dass ich mit meinen Kräften besser haushalte, mich nicht mehr übers Pumpen definieren muss. Aber ich stopfe die hinzugewonnene Zeit einfach mit Arbeit voll.
In Wahrheit geht es wahrscheinlich gar nicht um Kraftwerte und definierte Bauchmuskeln. Es kommt darauf an, auf wie viel Lebensfreude man verzichtet, um seinem Selbstbild gerecht zu werden. Ob im Büro oder bei McFit.
Vielleicht habe ich ja mit dem gedrosselten Gepumpe den ersten Schritt gemacht. Ein albernes Schönheitsideal hinter mir zu lassen, das ich mit Andreas Gabalier und Sebastian Yotta teile. Festzustellen, dass ich mit 23 Jahren keine Hanteln mehr brauche, um auszudrücken, wer ich sein will.
Aber deshalb einfach aufhören? Ich weiß es nicht. Lieber nehme ich mir vor, mich ab und zu so richtig gehen zu lassen. Bis zum Zapfenstreich in der Kneipe bleiben, nächtelang Fußball Manager zocken und stangenweise Toblerone futtern. Das könnte viel Disziplin erfordern, also genau das Richtige für mich.
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