„Party unterm Schwarzenbergplatz!“—Das war der wahre Wiener Untergrund

Die Keller von St. Marx

Das ganze Gerede von Underground, Freeteks und geheimen Partys ist meistens nur ein Versuch Veranstaltungen einen kommerziellen Hype zu verleihen oder vielleicht einen Funken Coolness-Faktor—obwohl so ein ordentliches illegales Techno-Festl schon was Feines ist und zugegebenermaßen automatisch anziehender wirkt.

Benjamin war damals, Anfang der 2000er, als die Goa-Szene gerade das Land überrollte, bei Events, die sich wirklich als Untergrund bezeichnen lassen dürfen. Er hat tatsächlich metertief unter dem Schwarzenbergplatz—und vor allem schalldicht—und anderen versteckten unterirdischen Locations Wiens mit der damaligen Szene Schwarzlicht, Drogen und 130 BPM genossen. Kommt mit in den wahren Wiener Untergrund.

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Ich habe technische Chemie studiert und war im Zuge meiner Abschlussarbeit über Abwasseranalyse viel im Kanal des Wien-Flusses unterwegs, auch im Hauptklärwerk von Simmering. So habe ich über eineinhalb Jahre diese gewaltige Stadt unter der Stadt sehr gut kennengelernt. Aber das waren nicht meine ersten Male in den Gedärmen von Wien. Ich bin mehrere Jahre davor, 2001, von Oberösterreich hierher gezogen. Ich kannte aus beiden Gegenden viele Leute aus der Goa- und Psy-Trance-Szene, die Partys organisiert haben—und das nicht nur in Locations, die dafür vorgesehen waren. Angefangen vom Steinbruch in Gunskirchen bis ins Mühlviertel, wo in Abbruchhäusern Goa-Feste veranstaltet wurden. Das war die Zeit, in der Goa und die ganze Sonnenklang-Crowd immer fetter wurden. Viele der damaligen Soundsysteme waren österreichweit und darüber hinaus aktiv—sogar in der Slowakei. Und natürlich wurden auch in Wien diverse Clubs bespielt, manchmal mehr und manchmal weniger offiziell. Ich war einige Male auf Partys, die unterhalb von Wien veranstaltet wurden.

In den ehemaligen Eiskellern der Mautner Markhof-Brauerei in St. Marx war ich beispielsweise auf solchen unangemeldeten Goas. Das sind 15 Meter breite, acht Meter hohe und achtzig Meter lange Kellerhallen, die sich alle außerhalb der Schlachthausgasse befinden. Die gehen unterirdisch bis hinein in den Hang vom Arsenal. Dort ist man dann schon echt tief unter der Erde. Das ist eine riesige Gegend unter den Schlachthöfen und Brauereien, die breitflächig unterkellert ist.

Auf den illegalen Partys in den St. Marx-Kellern waren bis zu 200 Besucher. Zu trinken gab es einfach Bier und Wasser, die Basics—und natürlich verhältnismäßig viele Drogen. Der Großteil an Material, das in die Keller geschleppt wurde, waren die Sound-Anlagen. Das ganze Feen-, Eso- und Schwarzlicht-Zeug, die Fädenkonstruktionen bis Neonschwammerl, durften natürlich auch nicht fehlen—obwohl ich persönlich kein großer Fan davon bin. Die Vorbereitungen für diese Partys haben sicher eine Woche beansprucht.

Um zum Main Floor zu kommen musste man erst durch zwei Tunnels durch. Einer davon war voller Gerümpel und dann kamen die Veranstaltungsgewölbe. Die waren echt riesig, unterteilt mit Vorhängen, dekoriert und das Klo war einfach nur ein weiterer rudimentär markierter Tunnel daneben. Es gibt dort ebenfalls viele kleinere Räume, in denen man erkennt, dass dort sonst Obdachlose wohnen und schlafen.

So hat das ausgesehen. Zumindest bevor die Menschen kamen.

Viel später war ich auch bei einer Projektierungsphase, um diese St. Marx-Keller in ein „altvernatives Jugendzentrum“ umzubauen, weil es dort so viel ungenützten Platz gab. Dort kenne ich mich also auch gut aus. Es gab definitiv eine Mehrfachnutzung der Keller dort, was illegale Partys betrifft. Damalige Kollegen des Projekts, die mehr aus der Punk-Richtung kamen, waren auch erstaunlich gut mit den Marxkellern vertraut. Dort haben sich über die Jahre ja verschiedenste Leute eingemietet: Es gab dort unten Schießclubs, Räumlichkeiten der Gewista und sogar Champignon-Züchter.

Im Zuge des Umbaus des Schwarzenbergplatzes, 2002 bis 2004, und des dazugehörigen Hochstrahlbrunnen, stand der eigentlich immer mit einem Betonsockel verschlossenen Erhaltungsgang—für Wartungsarbeiten—offen. Dieser Zugang befand sich auf den damaligen Grünflächen und führte nach unten in die gigantischen Kanalanlagen. Der Zugang nach unten war einfach nur mit Baustellengittern umzäunt, mit weißen Folien eingepackt und zuplakatiert. Das wurde der Eingang für eine Reihe improvisierter Partys unter dem Schwarzenbergplatz. Der Eintritt war relativ normal, vielleicht ein Zehner pro Person—da gab es schon den Euro. Der Einlass wurde streng auf eine bestimmte Zeit beschränkt, von circa 2:00 bis gerade mal 3:00 wurden oben die Gitter auseinander gehalten und wir wurden reingewunken. „Geht da runter und dann rechts,“ kam als Ansage und dann auch: „Du kannst natürlich jederzeit wieder rausgehen, aber dann bist du halt wirklich draußen und darfst nicht mehr rein.“

Man bekam einen Stempel und einer kurzer Fußmarsch führte zu den Floors. Es waren zwei Räume, aber nur zu je 100 Quadratmeter, also viel kleiner im Vergleich zu den Eiskellern. Da war nichts auf langer Hand vorbereitet, aber gesteckt voll mit Leuten. Da standen wir dann vor einer echt fetten Anlage und bei den Partys unter dem Schwarzenbergplatz gab es hauptsächlich harte Getränke, was ich auffallend fand. Ein Floor war Goa, so richtig full on, und der andere war drei Minuten zu Fuss entfernt und spielte Psy-Trance.

Dort unten war es extrem eng und man ist fast aneinander geklebt. Gerade weil die Gänge so schmal waren, so schwitzig, und wie in einem Weinkeller von Schwarzschimmel bis Moos befallen, war das schon ziemlich grauslich. Und bei so vielen Besuchern konnte man unmöglich vermeiden, an den Wänden anzukommen. Es ist sicher nicht gesund, sich in diesen mindestens 100 Jahre alten Gängen zu lange aufzuhalten. Zum Teil waren das ehemalige Arbeitsräume, die nicht mehr wirklich genutzt wurden und vom Abgang am Schwarzenbergplatz aus relativ gut erreichbar waren.

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Diese riesigen Gänge unter dem Karlsplatz und Schwarzenbergplatz sind sehr tiefe Punkte, die sich sehr gut für die Wassersammlung eignen. Da gibt es riesige Höhlensysteme unter uns, massige Zisternen und Flutbecken, die nur dafür da sind, sich bei Regenfall mit Wasser zu füllen. Unterhalb des Schwarzenbergplatzes verlaufen ja der Kanal vom Wienfluss—unterirdisch von Pilgramgasse bis Stadtpark—und der Hauptkanal, der ja seit dem 19. Jahrhundert Wiens Abwasser bis Simmering leitet. Die beiden Kanäle laufen jedenfalls 3 bis 4 Kilometer parallel unter der Stadt. Die meisten Bereiche sind begehbar, mit Gittern und stählernen Schleusentüren—mit Drehmechanismus, wie man sie sich auf einem U-Boot vorstellt. Über diese kommt man zum wasserführenden Teil der Kanäle. Dort gab es keine Goa-Partys, aber die Dritte Mann-Tour startet auch dort in der Nähe beim Karlsplatz.

Das ist schon eine skurrile Vorstellung: Du gehst mitten in der Nacht auf einer menschenleeren Straße beim Ersten, rauchst vielleicht gerade eine, und merkst nicht, dass unter dir 200 Leute Drogen schmeißen und zu Techno abgehen. Das war immer der große Vorteil der Keller. Wenn dich niemand beim Reingehen erwischt hat, warst du im Untergrund und schalltoten Raum sicher. Man konnte voll aufdrehen und so laut sein, wie man willst—das hört oben keine Sau.

Im Steinbruch Lindabrunn gab es auch manchmal illegale Partys, aber die wurde immer aufgelöst von der Polizei—gerade weil man dort alles ewig weit gehört hat. Soweit ich weiß, haben auch Leute bei der Meierei im Stadtpark Elektronik aufgelegt, bevor sie umgebaut wurde. Dann sind da einige Bunker unter dem Südbahnhof—alle circa aus der Nazi-Zeit. Und in einem davon wurde ein Eisenbahnklub betrieben. Ein Mitglied hat den dann mal für eine Privatparty, nur mit Einladung, aufgesperrt. Auch unter der U6 beim Westbahnhof gibt es Verbindungsgänge und Ausweichstrecken von der U3, in denen teilweise veranstaltet wurde.

Die Partys unter dem Schwarzenbergplatz gab es aber definitiv öfter—jedes Monat oder alle zwei Monate. Ich weiß das noch genau, weil wir die ein paar Mal verpasst hatten, bevor wir dann zum ersten Mal reingekommen sind. Wenn man Glück hatte, ist man damals auf den offiziell angemeldeten Veranstaltungen über einen Flyer für solche Untergrund-Partys gestolpert. Und normalerweise steht auf Flyern beziehungsweise dann auf den Events immer und überall ganz groß: Wer veranstaltet, welches Soundsystem, DJ-Namen und wer noch so mitmacht. Diese illegalen Untergrund-Ankündigungen waren aber immer sehr minimalistisch: „Party unter dem Hochstrahlbrunnen, Doors: 2:00 bis 3:00, Schluss.“ Keine Infos zu Artists oder Veranstalter—verständlicherweise—, obwohl ich einen der DJs dort unten aus dem Chembran-Keller in Linz gekannt habe.

Und oft waren es immer die selben Gestalten, die solche Partys und illegale Locations aufgestellt haben. Die haben dann geglaubt, dass man Geld damit machen könnte, was aber selten so war. Es gab ein paar in meinem Freundeskreis, die sich ständig nach solche illegalen Partys umgesehen haben. Ich war immer gerne dabei: fünf Stunden tanzen und zufrieden wieder heimgehen. Es gibt oft Zugänge in diese Stadt unter der Stadt hinter alltäglichen Türen, an die man keinen zweiten Gedanken verschwenden würde, wenn man vorbeigeht. Es gibt viele Räume, die nur während der Bauarbeiten von Tiefgaragen und Untergrundbahnen benutzt werden, als Lager oder Abstellplatz für Tunnelbohrgeräte—oder als Möglichkeit für diese Giganten zu wenden. Wenn alles fertig gestellt ist, werden diese Flächen nicht mehr genutzt.

In der U3-Station Schweglerstraße (sorry, hier stand noch bis vor Kurzem eine Station die es gar nicht gibt) hat vor ein paar Jahren ein Wiener Künstler in einen Versorgungsgang ein komplettes Kinderzimmer eingerichtet—als Kunstinstallation. Zwei Jahre war dann das eingerichtete Zimmer hinter einer offenen Versorgungstür, hinter die nie wer geschaut hat. Ganz Wien ist voller ungenutzter, leerer Räume—frag nur die ganze Sprayer.

Diese unterirdischen Partys waren nach einigen Jahren eher erledigt—die Events am Schwarzenbergplatz sowieso, weil der Zugang ja zu war. Am Ende war ich noch ein paar Mal auf unterirdischen Partys, aber das war dann nicht mehr so spannend. Im Keller eines Hauses, das jemandem von den Veranstaltern gehört, ist der Untergrund plötzlich nicht mehr so spektakulär, wenn man schon einmal unter dem Schwarzenbergplatz getanzt hat.

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