Linz bekommt ein neues Gratis-Festival und wir haben ein paar Fragen dazu

Linz bekommt ein neues vielversprechendes Musikfestival mit dem Namen Stream. Nach Jahren des kontinuierlichen Rückgangs elektronischer Veranstaltungen macht die Stadt an der Donau wieder einen oder mehrere Schritte nach vorne. Einer, der das neue Festival entscheidend mitbestimmen wird ist Markus Reindl. Er ist seit vielen Jahren als Musiker und DJ (zum Beispiel bei A.G.Trio und Ages) tätig und fast genau so lange für das Programm zahlreicher Veranstaltungen, die den Schwerpunkt im Bereich der elektronischen Musik haben. In Linz waren das zuletzt zum Beispiel die La’Do Clubabende im OK Deck oder aktuell das Projekt UNTEN im OÖ Kulturquartier.

Noisey: Stream wird das neue Musikfestival in Linz heißen und es ersetzt das Linzfest. Wie habt ihr es geschafft, die Stadt von einer Umwandlung des Festivalkonzeptes in Richtung elektronische Musik zu überzeugen? Man kann ja doch behaupten, dass dies zwei völlig unterschiedliche Konzepte sind.
Markus Reindl: Hier ist auch die Vorgeschichte wichtig. Das Linzfest wurde nach dem Druck von verschiedenen politischen Seiten abgedreht. Im letzten Jahr wurde dann in der Kulturabteilung der Stadt Linz ein neues, innovatives, Konzept entwickelt, das Musik im Wechselspiel mit Digitalisierung beleuchten soll. An diesem Punkt wurde ich dann als künstlerischer Leiter bestellt und ich darf dieses Konzept jetzt interpretieren und mit Inhalten befüllen. Dass das Ganze jetzt vor allem als Festival für elektronische Musik verstanden wird, hängt vielleicht zum Teil an meiner Person, aber eigentlich wird das Programm etwas breiter aufgestellt sein.

Verlief dieser Entscheidungsprozess hin zu Stream und dem neuen Konzept harmonisch oder gab es hier auch Widerstände? Ich nehme ja an, dass diese Kunst nicht jedermanns Kunst sein wird. Gab es Unkenrufe?
Natürlich trauern auch Menschen dem alten Linzfest nach, was ich verstehen kann. Aber die Entscheidung, dieses nicht mehr fortzuführen, wurde ja schon viel früher und auf einer anderen Ebene getroffen. Unsere Arbeit ist bisher auf sehr viel Wohlwollen gestoßen.

Es heißt, Stream sei unter anderem ein Kopfnicken in Richtung Steamingdienste á la Spotify. Viele stehen dieser Hinentwicklung zur Vorherrschaft der Streamingdienste auch kritisch gegenüber. Wie glaubst du, ist dieser Spagat zu schaffen? Man kann ja nicht mehr ohne, wenn man seine Musik verbreiten will.
Als Musiker habe ich da natürlich schon eine klare Meinung, als Kurator möchte ich aber auch hier eher Aspekte beleuchten. Persönlich ist mir wichtig, hier zwischen technologischer Entwicklung und ökonomischen Prozessen zu unterscheiden. Es gibt in Nischen zum Teil sehr gut funktionierende Alternativmodelle, aber im Mainstream sind hier – schon wieder – Machtstrukturen entstanden, die dringend einer Kontrolle bedürfen. Der Begriff “Stream” steht, davon abgesehen, aber natürlich auch für ganz andere Sachen. Zum einen liegt unsere Bühne direkt an der Donau und auch technologisch gibt es mit Livestreaming noch einen spannenden weiteren Aspekt, um nur zwei zu nennen.

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Wir haben uns das Electric Love Festival angesehen:


Stream wird eng mit dem Ars Electronic Center kooperieren, heißt es. Wie kann man sich das vorstellen? Es heißt ja, es soll die Frage aufgearbeitet werden, wie sich Digitalisierung und Musik gegenseitig befruchten. Elektronische Musik ohne Digitalisierung ist ja heute gar nicht mehr vorstellbar.
Das stimmt, das ist sie so nicht. Und wenn Musiker glaubhaft vermitteln können, dass sie von jedweder Digitalisierung unbeeinflusst arbeiten, dann finde ich diese Ausnahmesituation erst recht spannend. Ich möchte hier vor allem interessante Geschichten erzählen lassen. Denn jede Musikerin, jeder Musiker und jede Band, unabhängig vom Genre, hat heute Geschichten parat, die es vor der Digitalisierung so vielleicht nicht gegeben hätte. Dafür möchten wir einen Platz schaffen, um eben auch sichtbar zu machen, wie denn die Protagonistinnen und Protagonisten ihren Weg ins Programm gefunden haben. Manchmal wird das nämlich nicht so offensichtlich sein, wie man vielleicht glauben könnte.

Foto von Robert Bauernhansl

Es wird auch Workshops und Diskussionsrunden geben. Wie wollt ihr die den Leuten schmackhaft machen?
Der Umstand, dass diese im Rahmen eines städtischen Festivals bei freiem Eintritt stattfinden, ist schon einmal ein nicht zu unterschätzender Faktor. Ich glaube, dass die Menschen in Linz noch nicht so übersättigt sind, wie vielleicht anderswo. Trotzdem müssen wir natürlich auch entsprechend darauf hinweisen. Ich werde aber auch spannende Musik-Acts bei den Talks präsentieren und möchte damit Menschen ansprechen, die sonst vielleicht nicht kommen würden.

Die Kernlocation wird die Uferpromenade sein. Das stelle ich mir schon sehr ansprechend vor – glaubst du, wirkt sich Wasser grundsätzlich positiv auf die Stimmung aus? Wie soll diese Bühne aussehen, gibt es mehrere Floors a lá Popfest?
Geplant ist eine Hauptbühne, die auch gestalterisch den Charakter des Festivals mittragen wird, und ein weiterer Nebenschauplatz, der aber wahrscheinlich nur installativ bespielt wird. Dazu gibt es dann das Ars Electronica Center als Stützpunkt und Ort für Talks & Workshops und am Samstag in der Nacht breitet sich Stream überhaupt über das Stadtzentrum aus, um dort in einem Club-Festival zu münden. Linz hat mit der Donau, die mitten durch die Stadt fließt, schon einen großen Bonus und den werden wir atmosphärisch auch nutzen.

Das Popfest in Wien oder auch das Electric Spring sind ja ähnlich konzipiert: Freier Eintritt. Ausschließlich heimische Acts. Wie werdet ihr in etwa programmatisch vorgehen? Wird das Programm hauptsächlich auf Liveacts aufgebaut sein?
Das Konzept urbaner Festivals ist ja international in den letzten Jahren noch einmal verstärkt aufgegriffen worden und wir werden hier auch klar Akzente setzen und ein eigenes Profil schärfen. Ziel ist es, heimische Acts gemeinsam mit internationalen zu präsentieren, Netzwerke abzubilden und Entwicklungen aufzuzeigen. Dazu kommt natürlich, dass wir in Linz mit einer anderen Szene und für ein anderes Publikum arbeiten als in Wien.



Haben die vergleichbaren Wiener Festivals in irgendeiner Form Vorbildwirkung, oder wollt ihr es in Linz neu beginnen lassen? Darf es Ähnlichkeiten geben? Ohne es negativ zu meinen: Wie tief willst du graben, um Acts zu finden?
So wie ich früher viele Wochenenden in Plattenläden verbracht habe, um nach Platten zu graben, ist es mir natürlich mittlerweile wichtig, spannende, neue Acts zu entdecken, sei es regional oder international. Dabei darf man aber natürlich auch nicht die Verbindung zum Publikum aus den Augen verlieren, ich muss mich schon manchmal auch selbst daran erinnern, dass vielleicht nicht für jeden das zehnte Sub-Genre eines experimentellen Musikstils Relevanz besitzt. Ich besuche viele Festivals, und ziehe daraus meine Erkenntnisse, orientiere mich an den guten Sachen und lasse weg, was mir nicht gefällt.

Habt Ihr euch vorgenommen, die oberösterreichische Szene hier besonders zu fördern und viele unentdeckte Talente aus der Linzer Umgebung auftreten zu lassen?
Ja, das ist mir sehr wichtig.

Gibt es schon Namen, die ihr verraten könnt, oder die Ihr unbedingt an Board wollt? In den Medien stand ja , dass Ihr im Mai alles bekannt geben werdet, das erscheint mir etwas spät.
Wir werden früher Namen bekannt geben, im Mai gibt es die letzten Details.

Sollen Linzer Elektronik-Urgesteine oder erfolgreiche Exil-Linzer wie zum Beispiel Florian Meindl mit einbezogen werden, oder wäre das schon zu weit weg von dem, was ihr plant?
Ja, aber alles im Rahmen. Acts, die selbst große Hallen füllen und damit viel Geld verdienen, wären vielleicht ebenso fehl am Platz wie Acts, die ohnehin sehr präsent sind oder zum Beispiel auch welche, die sich über sehr konkrete, abgegrenzte und verschlossene Szenen definieren.

230.000 Euro – so stand es in den Medien – macht das Budget aus. Werdet Ihr ausschließlich mit diesen Mitteln arbeiten, oder werdet ihr versuchen, auch zusätzliche Einnahmen zu lukrieren?
Das Grundbudget beträgt 190.000 Euro, in der genannten Summe sind bereits Sponsorengelder enthalten, die für uns sehr wichtig sind, um inhaltliche Akzente zu setzen. Ich hoffe, hier noch weitere Partner zu finden, weil es noch einige spannende Inhalte gibt, die ich noch unterbringen möchte.

Müsst ihr Euch in Linz “breiter” aufstellen, also den Spagat zwischen “artsy” Liveacts und Massentauglichkeit breiter zulassen? Wie präsent wird der “Club” im Festivalrahmens sein – auch musikalisch als Begriff für Tanzen und Feiern?
Tanzen und Feiern sind für mich zentrale Aspekte, nicht nur von Clubs, sondern auch des geplanten Festivals. Ich glaube, man darf das oberösterreichische Publikum nicht unterschätzen und “artsy” und “Party” sind ja nicht nur sprachlich recht nahe beisammen. Umgekehrt wäre mir kein Festival ab einer bestimmten Größe bekannt, das Publikum nur durch permanentes vor-den-Kopf-stoßen gewinnt, außer wenn man es zum Konzept macht.

Am letzten Tag soll es dann eine große Abschlussveranstaltung in Linzer Clubs geben. Gerade in den letzte Jahren ist die Clubszene in Linz ja doch etwas marod geworden. Woran liegt da glaubst du?
Eine funktionierende Clubszene braucht vor allem einmal Menschen und dazu gehören sowohl jene, die etwas anbieten, als auch Besucherinnen und Besucher, die sich darauf einlassen. Dann sind wir hier zirka auf halbem Weg zwischen München und Wien angesiedelt und viele Clubgeher fahren am Wochenende eben in diese Städte. Daheim erwarten sie dann die selben Standards, was zum Beispiel die Namen am LineUp angeht. Das ist so aber gar nicht möglich, denn wenn zum Beispiel in Wien ein Club mit einer Tausenderkapazität mal gerade so läuft und sich diese Namen leisten kann, wie soll das dann in einer Stadt mit einem Zehntel der Einwohnergröße gehen? Man kann aber auch positive Dinge hervorheben, die in Linz sehr gut funktionieren, und die sogar über die Landesgrenzen hinaus für positives Feedback sorgen. Die KAPU steht für ein überregional relevantes HipHop Programm, die Stadtwerkstatt bietet mit The Future Sound ein wahnsinnig gut selektiertes Programm und unregelmäßig findet sich da noch einiges mehr. Nur wöchentlich ist halt schwierig, aber nicht nur bei uns.

“Parov Stelar gewinnt die Meisterschaft eh ohne uns und ich werde dabei in der ersten Reihe stehen und applaudieren. “

Aus Österreich hinaus in die Welt schaffen es in den letzten Jahren nur mehr wenige Acts. Am ehesten klappt das noch mit poppigen Konzepten á la HVOB oder Parov Stelar. Oder die jazzigen Musikwizards á la Affine Acts und Cid Rim. Die DJs und kleinen Labels tun sich hingegen immens schwer, obwohl Qualität ja vorhanden wäre. Was denkst du ist hier schief gelaufen?
Ich bin eigentlich der Meinung, dass es gerade so gut läuft, wie schon lange nicht. Und warum auch nicht? Wenn die Digitalisierung und Globalisierung etwas bewirkt hat, dann, das es nicht mehr so relevant ist, woher man kommt, wie es einmal war. Der letzte Fabric Live-Mix war von einem Linzer, selbst hier vor Ort fallen mir sofort mehrere Leute ein, die von elektronischer Musik leben und in Wien, wo ich ja auch lange gelebt habe, geht man mittlerweile mit einem Selbstverständnis hinaus in die Welt. Klar gab es eine Zeit, wo Österreich – vor allem aber Wien – international als der Nabel der Elektronik-Welt gehypt war, aber davon abgesehen glaube ich, dass es jetzt ganz andere Möglichkeiten für wesentlich mehr Leute gibt.

Foto: Robert Maybach

Deine Lieblingsfrage dieser Tage: Wird Parov Stelar vielleicht derjenige sein,der das große Eröffnungskonzert geben wird? Es wäre ja nicht so weit hergeholt.
Ich habe diese Frage in letzter Zeit sehr oft gestellt bekommen und meine Aussagen dazu sind mir auch gerne im Mund verdreht worden. Trotzdem riskiere ich noch einmal eine Antwort: Es wird derzeit ein wenig so dargestellt, als wäre ein Stream ohne Parov Stelar, wie Real Madrid ohne Cristiano Ronaldo. Für den Vergleich kriege ich von ihm übrigens sicher eine bitterböse SMS. Aber im Gegensatz zu Real müssen wir keine Meisterschaft gewinnen, sondern möchten neue Impulse setzen, uns mit wichtigen Themen wie Chancengleichheit oder Nachhaltigkeit im Festivalrahmen beschäftigen und vielleicht in Folge für den nächsten großen Act aus der Heimat mitverantwortlich sein. Parov Stelar gewinnt die Meisterschaft eh ohne uns und ich werde dabei in der ersten Reihe stehen und applaudieren.

Habt Ihr geplant, das Kuratoren- und Veranstalterteam gleich zu belassen, oder wird es auch in Linz die abwechselnde “Kuratitis” geben? Wie wird die Aufteilung zwischen Festivalleiterin Kathrin Böhm und dir sein?
Ich treffe die inhaltlichen und gestalterischen Entscheidungen, die Gesamtleitung und Verantwortung liegt bei Kathrin. Was nach 2018 passiert liegt nicht in meiner Hand, derzeit ist meines Wissens aber kein Wechsel-Kuratoren-Betrieb geplant.

Letzte Frage: Was tun, wenn es regnet?
Das bestehende Projektteam blickt dazu ja auf einiges an Erfahrung zurück. Es handelt sich – zumindest bei der Hauptbühne – eben um eine OpenAir-Veranstaltung und bei denen gehört das Wetterrisiko dazu. Die Bühne ist wetterfest und wir hoffen, dass das beim Publikum ebenso ist.

Stream findet von 31.Mai bis 2.Juni 2018 in Linz statt.

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