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Ziegen mit Spinnen-DNA sollen Milch für neues Supermaterial abgeben

Wer sich vor Spinnen ekelt, Ziegen aber süß und harmlos findet, der darf sich bei diesem Bericht gern innerlich zerrissen fühlen. Denn Wissenschaftler der Universität Utah haben Ziegen gentechnisch mit Spinnen-DNA ausgestattet, damit sie in ihrer Milch Spinnenseide herstellen. Die Produkte der genetischen Optimierung könnten sowohl militärisch als auch in der Chirurgie zum Einsatz kommen.

Spinnenseide ist das stärkste Material, dass jemals entdeckt wurde. Die sogenannte Zugleine die Spinnen immer hinter sich her ziehen und die unter anderem Stürze abfängt, ist stärker als Kevlar und elastischer als Nylon. Elastizität und Stärke sind zum Beispiel für Panzerungen, wie etwa Militärhelme und Schutzanzüge gefragt. Aber auch in der Mikrochirurgie werden organische aber ultrastarke Fäden gebraucht, zum Beispiel um kleinste Gefäße zu reparieren. Ich habe mich mit Professor Randy Lewis von der Universität Utah über seine Arbeit mit Spinnen, Ziegen und die möglichen Zukunftsanwendungen seiner Ziegen-Spinnenseide unterhalten.

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Mit einer Reißfestigkeit von 1125 kg pro Quadratzentimeter könnte ein Seil aus dieser Spinnenseide etwa 1 Tonne Gewicht locker tragen und um das 20-fache der eigenen Länge gedehnt werden. Obendrein ist Spinnenseide wasserfest und trotzt Temperaturen zwischen -20 und 330 Grad Celsius. „Spinnenseide wird das nächste Supermaterial. Von extrafeinen Nahtfäden über superdünne Kletterseile bis zu unzerstörbaren Helmen sind tausende Anwendungen denkbar”, begeisterte sich Professor Lewis.

Der Grund für die enorme Stärke und Dehnbarkeit von Spinnenseide liege im Aufbau der Proteine aus denen die Seide aufgebaut ist. Die Proteine passten perfekt wie Legosteine ineinander; daher die Festigkeit. Und weil sie zusätzlich spiralförmig wie Sprungfedern sind, verleihten die Proteine der Spinnenseide ihre außergewöhnliche Elastizität, erklärte mir Professor Lewis.

Seidenprotein | Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Randy Lewis, Universität Utah

Mittlerweile sind die Eigenschaften von Spinnenseide ausführlich analysiert und bekannt. Die Herausforderung liegt nun darin, im industriellen Maßtab Produkte aus dem Material herzustellen. Doch Spinnen sind keine guten WG-Bewohner und Fressen sich gegenseitig auf wenn der Platz zu eng wird. Außerdem könne man maximal 50 mg pro Tag aus einer Spinne gewinnen, betonte Professor Lewis. Hergestellt wird die Seide normalerweise im fetten, ekligen Hinterteil von Spinnen, das neben der Seide der Zugleinen noch 5 andere Seidenarten produziert, mit unterschiedlicher Stärke und Elastizität für verschieden Sektionen des Spinnennetzes. Vor 22 Jahren, als Professor Lewis seine Forschung an Spinnenseide begann, erntete seine Gruppe Seide noch direkt aus Spinnen, wie auf diesem Foto zu sehen.

Nun greift Professor Lewis auf einen gentechnischen Trick zurück. Er isoliert die DNA für das Seidenprotein, kombiniert sie mit dem Gen für die Milchherstellung in den Milchdrüsen von Ziegen und injiziert diese Säugetier-Spinnen-Hybrid-DNA in die Zellen befruchteter Zeigeneizellen. Die Eizellen werden dann einer Mutterziege implantiert; fertig ist die Spinnen-Ziege.

Die herangewachsenen Ziegen stellen dann in ihrer Milch neben Milchprotein auch das Seidenprotein her. Und zwar eine ganze Menge: etwa 16 Gramm pro Ziege und Tag. Aus dem so gewonnenen Spinnenrohstoff können nun künstlich Spinnenfäden hergestellt werden, wie hier im Bild zu sehen.

In diesem Vortrag erklärt Professor Lewis seine Arbeit sehr anschaulich und verständlich mit weiteren Details: Die Spinnenziegen sind ein einfacher und relativ günstiger Weg an größere Mengen von Spinnenseide zu kommen. Für eine kleinere Firma könnte eine Ziegenfarm also durchaus reichen, erzählte mir Professor Lewis. Allerdings wollten mehrere große Hersteller von Sport- und Medizinartikeln die Spinnenseide in so großem Maßstab herstellen, das jetzt auch Bioreaktoren mit gentechnisch veränderten E. Coli-Bakterien vorbereitet würden, was dann eine alternative Seidenproteinproduktion zur Ziegenvariante im noch größeren Stil wäre.

Die ersten marktreifen Produkte erwartet Randy Lewis in den nächsten zwei Jahren. Neben speziellen Anwendungen seien auch ganz alltäglich Produkte denkbar, wie etwa Abschleppseile oder Outdoorkleidung die leicht und extrem robust ist. Auch Kompositmaterialien im Auto- oder Flugzeugbau könnten von der Spinnenseide profitieren.

Zum Ende betonte Professor Lewis noch, dass die Hauptarbeit, neben den Spinnen-Ziegen, von seinen Studenten ausgeführt wurde, weshalb auch ihnen als fleißige Mitarbeiter besonderer Dank gebühre.