Tausende Zuckerrohr-Bauern der Philippinen—die gerade so die flaue Saison auf der Insel überleben—haben gerade mit extremen Wetterveränderungen zu kämpfen, die das Potenzial haben, die Wirtschaft katastrophal zusammenbrechen zu lassen. Sie könnten der Grund für ein Albtraumszenario sein, das fast wie die Apokalypse klingt.
Jedes Jahr sucht die flaue Saison für vier bis sechs Monate die Felder der Zuckerrohr-Bauern von Negros heim. Dieses Jahr könnte diese Saison keine Ende haben. Die Leute der Provinz Negros Occidental halten von April bis September der Tiempo Muerto (tote Zeit) stand, die Zeit zwischen dem Bepflanzen und der Ernte, in der es auf den Felder nicht zu tun gibt.
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Sowohl für die Dumaan (die dort ansässigen Farmarbeiter) als auch für die Sacada (die Saisonarbeiter) bedeutet diese nur eins: ihre Familien müssen hungern. Diese Situation mussten ganze Generationen schon so lange sie denken können, ertragen. Die Ortsansässigen bezeichnen das Alles als Tingkiriwi (Schmerz) und Tinggulutom (Hungerszeit).
Auf Negros gibt es ungefähr 300.000 Arbeiter auf den Zuckerrohr-Feldern, mit fast zwei Millionen Angehörigen. Dieser Arbeiter verdienen im Durchschnitt etwas mehr als 2,20 Euro am Tag, also weniger als die Hälfte des von der Regierung vorgeschriebenen Mindestlohns. Ein Saisonarbeiter verdient circa 1,50 Euro.
Globale Mächte üben Druck auf die Zuckerindustrie aus und Jobs werden immer knapper. Mit einem System namens Pakyaw haben Grundbesitzer damit angefangen, ganze Familien auszubeuten. Dieses System sieht so aus: Eine Gruppe Arbeiter (darunter auch Kinder) wird eingestellt und erledigt Aufgaben auf einem abgesteckten Bereich (ein paar Hektar groß) der Plantage des Haciendero. Durch das Pakyaw-System verdienen sie rund 75 Cent am Tag. Aber sie haben lieber schlecht bezahlte Arbeit als gar keine Arbeit.
Während der Tiempo Muerto ändert sich die Situation jedoch, da für vier bis sechs Monate alles still steht. Die ansässigen Farmarbeiter leben von finanziellen Vorschüssen, die dann von ihrem Gehalt abgezogen werden, wenn die Arbeit wieder beginnt. Aber die, die nicht fest bei den Hacienderos angestellt sind, fahren entweder an die Küste oder in die Städte und versuchen dort, temporär Arbeit zu finden (wie zum Beispiel als Haushaltshilfe bei ihren Grundbesitzern) oder sie wenden sich an Kredithaie.
Damals, als die Zuckerindustrie noch florierte, sorgten die Grundbesitzer für die Bauernfamilien in ihren Plantagen und gaben ihnen Reis. Die Kosten wurden dann in der Arbeitssaison wieder von den Löhnen abgezogen. Da sich jetzt die Situation verändert hat, sind die Arbeiter auf den Zuckerrohr-Feldern ganz auf sich alleine gestellt.
Teroy ist einer der Hacienda-Arbeiter und wurde in eine Familie hineingeboren, die schon seit Generationen auf den Zuckerrohr-Feldern tätig ist. Seine Familie besteht aus einst ansässigen Farmarbeitern auf der Hacienda Maria Cecilia, bis sie vom Agrarreformprogramm der Regierung profitierten aber darum kämpfen mussten, das Land in Anspruch zu nehmen, das ihnen rechtmäßig zustand.
Beim „Comprehensive Agrarian Reform Program” (CARP) wurde jegliches Land über sieben Hektar von der Regierung aufgekauft und an Farmer ohne Grundbesitz weiter verkauft. Diese zahlten dafür auf Ratenbasis in einem Zeitraum von 15 Jahren. Aber ein Großteil der landbesitzenden Elite weigerte sich, ihre enormen Ländereien aufzugeben und der Widerstand beinhaltete auch gewalttätige und betrügerische Vorgehensweisen gegen die Arbeitergruppen—Schlägertruppen wurden zur Einschüchterung eingesetzt oder um die Arbeiter dazu zu zwingen, das Land für einen niedrigeren Preis wieder an die Grundbesitzer zu verpachten.
Teroys Genossenschaft war eine der wenigen, die die Agrarreform erfolgreich umsetzen konnte. Die Arbeiter verwalten ihren Grundbesitz im Kollektiv. Potot, sein älterer Bruder, starb, als er dafür kämpfte, ihr Land pflegen und bepflanzen zu können. Frühere Grundbesitzer aus der Nähe wollten die Genossenschaft dazu bringen, ihr Land zurück zu verpachten.
Ein paar Tage bevor ich zur Hacienda kam, überlebte Teroy einen Anschlag, als ein Motorradfahrer an seinem Haus vorbeifuhr und das Feuer eröffnete. Die Arbeiter vermuteten, dass das ein Auftragsmörder der früheren Grundbesitzer war, die die Genossenschaft zerstören wollen. Teroy führt das Erbe seines Bruders fort, indem er seine Kollegen bei einem weiteren Kampf anführt: der Kampf ums Überleben.
Trotz aller Schwierigkeiten will Teroy nicht wegziehen. „Mir fiele es nicht mal im Traum ein, dieses Land zu verlassen, auch wenn es viel Not und Gewalt gibt”, sagte er. „Unsere Vorfahren haben auf diesem Boden bis zum Umfallen gearbeitet. Warum sollte ich jetzt weg, wenn er endlich uns gehört?”
„Wir sind so beständig und unbeugsam wie das Zuckerrohr. Ganze Generationen haben die flaue Saison überlebt, sogar als uns unsere Arbeitgeber im Stich gelassen haben.”
Für Negros Oberschicht war Zucker das Ticket in ein gutes Leben. Die Zuckerindustrie, einst ein Träger der philippinischen Wirtschaft, verursachte unter den Hacienderos eine Sucht nach Privilegien und einem guten Lebensstil. In den 80ern hielt die Oberschicht Negros auch noch dann an der Illusion von der Erhabenheit ihres vorherigen, privilegierten Lebens fest, als die Zuckerpreise in den Keller gingen. Zusammen mit der Pleite hatte das einen enormen Effekt auf die Insel, die auch als „Negrense Pride” bekannt ist.
Für die armen Bauern und Feldarbeiter wie Teroy goss die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich jedoch nur noch mehr Öl in das Feuer der Unzufriedenheit, welches Auflehnung und Aufstände verursachte. Die unterdrückenden feudalen Beziehungen in Negros schürten zusammen mit der Umsetzung des Comprehensive Agrarian Reform Programs (CARP) den Kampf zwischen den Grundbesitzern und den Bauern. Jahrelang war die Insel Schauplatz blutiger Kämpfe, als die Hacienderos, die der Agrarreform nicht folgen wollten, Privatarmeen engagierten und so den Bauern ihren rechtmäßigen Besitz verweigerten. Viele der armen Leute machten beim kommunistischen Aufstand in den ländlichen Gegenden mit, während andere, wie z.B. Teroy, organisierten Arbeitergruppen beitraten, um für ihre Rechte zu kämpfen.
In der Tiempo Muerto von 1985 sorgten die niedrigsten Zuckerpreise aller Zeiten und eine verlängerte Trockenperiode in weiten Teilen der Insel für Armut und Hunger. Die Situation war so schlimm, dass sie international für Aufsehen sorgte; das Bild der Batang Negros (Kinder Negros) zierte das Cover der Asiaweek. Darauf zu sehen ist ein Kind, das an extremer Unterernährung leidet, was zu der Zeit auf der Insel üblich war. Heutzutage droht Negros immer noch das gleiche Szenario.
Die philippinische Zuckerindustrie ist schon lange am kränkeln. Die Abhängigkeit der Insel von dem Produkt ist genau so unerschütterlich wie die Protz-Sucht der Grundbesitzer. Leider sind die Armen von Negros nicht immun gegen die Krankheit der Industrie, die sich über die Jahre exponentiell verbreitet hat und dabei alle Bereiche betrifft. Die Suche nach einem Heilmittel war bislang erfolglos.
Ein Bericht des Philippine Center for Investigative Journalism (PCIJ) besagt, dass die Einfuhr von billigem, importiertem Zucker zu einem Rückgang der örtlichen Zuckerproduktion führen wird. Das ist die Realität, gegen die sogar der Chef der Sugar Regulatory Administration (SRA), Gina Martin-Bautista, und die mächtige, als Sugar Bloc bekannte Gruppe Politiker—Mitglieder der Haciendero-Clans in lokalen und nationalen Positionen—nichts machen können.
Es gibt Bestrebungen, diesen Rückschlag für die Zuckerindustrie abzuschwächen, zum Beispiel der Wechsel zu anderen, sehr ergiebigen Nutzpflanzen oder Zierblumen, oder die Umwandlung von Feldern in Garnelen- oder Fischteiche. Diese schnellen Lösungen müssen aber erst noch zeigen, ob sie einen entscheidenden Einfluss auf Negros Wirtschaft haben. Diejenigen, die immer noch auf den Anbau von Zucker setzen, haben mit den Folgen der Agrarreform zu kämpfen. Studien haben Folgendes ergeben: Da Zuckerrohr nur einmal im Jahr geerntet wird, benötigt ein Zuckerrohr-Bauer mindestens zehn Hektar, um seine Familie ordentlich versorgen zu können. Für die Bauern und Feldarbeiter, die durch die Agrarreform einen oder eineinhalb Hektar bekommen haben, ist das noch mal eine ganz andere Geschichte. Um zu überleben, bräuchten sie weit mehr Land als sie besitzen.
Während die lange andauende Krankheit in der Vergangenheit nicht tödlich verlief, führen die jetzt auftauchenden Infektionen in der kommenden Zeit vielleicht zum Tod. Die Zeitung Philippine Star berichtet, dass das staatliche Wetterbüro (Philippine Atmospheric Geophysical and Astronomical Services Administration, kurz PAGASA) die Öffentlichkeit nicht nur vor verheerenderen Stürmen wie dem Taifun Haiyan, sondern auch vor trockeneren Bedingungen und stärkeren Regenfällen warnt, da sich El Nino sehr wahrscheinlich im Juni entwickelt und vielleicht bis 2015 andauert. Der El Nino-Effekt ist ein weiterer, ungeheuerlicher Schlag für den Landwirtschaftssektor, wodurch sich die Situation für die Bewohner Negros nochmals verschlimmert. Und das, obwohl sie bereits unter der flauen Saison leiden.
Aber die Tiempo Muerto könnte vielleicht länger als die normalen vier bis sechs Monate andauern, denn die bevorstehende Einführung des Association of Southeast Asian Nations Fair Trade Agreements (AFTA) im Jahr 2015 wird die Zolltarife auf Zucker um bis zu fünf Prozent senken. Wenn das passiert, dann ist die Zuckerindustrie von Negros—bisher ohne Reformen und Neuerungen—vielleicht nicht mehr wettbewerbsfähig und könnte letztendlich zusammenbrechen. Thailand wartet als zweitgrößtes Zucker-Einfuhrland und fast direkter Nachbar nur darauf, der sterbenskranken Zuckerindustrie der Philippinen den Todesstoß zu versetzen.
Zuckerrohr-Plantagenbesitzer, -Verarbeiter, -Händler und die Regierung beeilen sich, die bittere Pille der bevorstehenden, schweren Zeiten zu versüßen. Aber diese gesellschaftliche Betäubung ist wohl nur temporär wirksam. Die Elite von Negros überlebt das Ganze womöglich wegen ihrer wirtschaftlichen Macht. Aber für tausende Familien von armen Feldarbeitern wie Teroy, die weiter auf den Zuckerrohr-Feldern von Negros arbeiten und sich der möglichen Unendlichkeit der diesjährigen Tiempo Muerto nicht bewusst sind, könnte dies tatsächlich die Einleitung zur Apokalypse in ihrem Land der süßen Sorgen sein.
Fotos: Ralph Eya