Ein Brautpaar mit Gasmasken und schutzanzügen steht in einem Flammenmeer
Illustration: Sasa Schrödl x Midjourney
Menschen

Vorsätze für das Ende der Welt

Eine Krise jagt die nächste. Eine Anleitung für das Ende.
Bildschirmfoto 2024-03-25 um 13
Dieser Artikel ist Teil von "The Final Issue", der letzten deutschen Printausgabe von VICE

Wenn alles zu Ende geht, würden manche verzweifeln, in der Wohnung Trübsal blasen und den letzten Rest Welt anderen überlassen. Wahrscheinlich denen, die auf den Weltuntergang setzen. Milliardäre mit Haartransplantationen und keramikverschalten schneeweißen Zähnen, die jeden Meteoritenschauer überdauern können. Die, die wissen, dass das Ende des einen Planeten der Anfang eines neuen ist. Die, die sich auf Green-Juice-Trinken und Vampirlifting in ihrer Marskolonie freuen. Aber die letzten Tage sollten nicht ihnen gehören. Ihnen gehört schon der Rest. 

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Wenn wir schon unsere Regenwälder und Ozeane für sie aufgeben, dann soll wenigstens der Weltuntergang uns gehören. Ich will vorbereitet sein. Doch womit soll man anfangen, wenn alles aufhört? Mit Listen wie dieser zum Beispiel, klar. Mit dem Genießen, jede Sekunde auskosten auf eine "Jeder Tag könnte dein letzter sein"-Wandtattoo-Art. Oder mit dem Verabschieden. Ich konnte mich noch nie gut verabschieden. Wenn ich mit Menschen um einen Tisch sitze und einige schöne Stunden mit ihnen verbracht habe, kommt mir jeder Moment ungelegen dafür vor. Soll ich jetzt aufstehen und verkünden, dass es vorbei sei, dass ich gehe? Wen umarmt man zuerst, wenn man geht? Wen als Nächstes? Im Uhrzeigersinn, gegen den Uhrzeigersinn? Ist es unhöflich, nur zu winken?

Und wen umarmt man, wenn alles geht?

Ich weiß nicht, wann der Weltuntergang kommt. Ich weiß aber, dass ich dann schön aussehen will. Ein bisschen so, wie wenn man mit Lippenstift Gäste an der Tür begrüßt. Ich will gut aussehen, vielleicht sogar unangenehm gut. So, dass sich der anklopfende Weltuntergang gezwungen fühlen würde, ein Kompliment zu machen. Wahrscheinlich würden wir alle schön aussehen, denn kurz bevor die Credits über den Bildschirm ziehen, schwillt doch immer die Musik an, und alles ist in einen Sonnenuntergang getaucht.

Bevor die Welt untergeht, würde ich versuchen, mich wichtig zu fühlen. Vor ein paar Tagen besuchte ich einen Barbier, damit er in meine Augenbraue reinsägt. Während ich da zurückgelehnt auf dem Stuhl lag, fühlte ich mich cool. Und wenn die Welt untergeht, würde ich daran denken. Und daran, dass jemand mal von mir geträumt hat. Von mir und einer berühmten Pop-Literatin, und wie wir heimlich Designerdrogen nehmen. Vielleicht würde ich sie suchen und das alles endlich wahr machen.

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Kurz vor dem Weltuntergang wäre überall viel los. Und ich wäre überall. Ich würde dann überall Cosmopolitans bestellen, weil ich nie Cosmopolitans trinke. Sowas macht man sowieso nur in Filmen. In Filmen, in denen immer alle ein Telefonat beenden, ohne sich zu verabschieden, in denen jede Begegnung schicksalhaft scheint, in denen die Welt It-Girls gehört, die Cosmopolitans trinken. Heute würde mir die Welt gehören. Und trotzdem würde ich bei den ersten Schlucken denken: "It's better on TV." It-Girls sprechen in Filmen immer Englisch. Ich würde mit Fremden anstoßen. Wahrscheinlich würde ich nicht damit aufhören, die Songs in der Bar zu shazamen. "Tell us a story, I know you're not boring", singen The Strokes.

Ich würde die Sprüche und Sticker an der Klowand lesen wie Teeblätter. Sie würden mir die Zukunft vorhersagen. Liebe, Telefonnummern. Es würde gut aussehen.

Und kurz wäre mir Coolsein nicht so wichtig. Ich würde ehrlich sein wollen. Mit allen. Einmal traf ich einen Ex-Typen Ewigkeiten nach unserer Zeit. Und wir sagten uns bei einem stotternden Spaziergang, wen wir jetzt daten würden und wie gut alles sei. Ein bisschen meinten wir damit auch, dass es gut sei, dass es mit uns nicht geklappt hat. So würde ich das machen. Ich würde Versöhnung wollen.

Vielleicht würden Leute aufhören mit dem Tagträumen und einfach nur noch tun. Ich nicht. Ich würde nicht aufhören zu wünschen. Ich würde mir vorstellen, wie ich andere bin. Ich würde mir vorstellen, dass ich eine Person bin, der ein Winged-Eyeliner gelingt. Wäre ich sie, wäre ich eine sehr geordnete Person, die ihre Sonnencreme nie vergisst und ihre Zeit nicht damit verschwendet, allergisch auf Kiwi zu sein, und in deren Tasche keine losen Kaugummis zwischen zerknautschten U-Bahn-Tickets liegen.

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Ich würde wütend sein, ich würde R auf den letzten Metern viel Schlechtes wünschen. Und es nicht bereuen. Ich würde J Schlechtes wünschen. Und es bereuen. Ich würde sowieso vieles bereuen. Oder vielleicht auch nicht. Das Knutschen an einem Abend, das Nicht-Knutschen an einem anderen, das zu frühe Nachhausegehen, das zu lange Bleiben. Wahrscheinlich war alles gut so.

Ich würde über die Mars-Milliardäre nachdenken und über die innere Leere, die sie spüren werden, nachdem sie auf den Mars gezogen sind und in einer Expedition den Mond umrundet haben, und kein anderes kolonialistisch angehauchtes Abenteuer mehr auf sie wartet. Ich würde mir vorstellen, wie sie mit einem Raumschiff mit DIY-Controller in Schwarze Löcher fliegen.

Ich würde Dinge tun, die mir beweisen, dass das alles wichtig ist. Ich würde alles wissen wollen über die Menschen, die ich mag. Ich würde alle Geheimnisse wissen wollen und würde allen meine erzählen. Ich würde "Weißt du, was ich meine?" sagen und verstanden werden. 

Und ich würde Dinge tun, die mir beweisen, dass das alles belanglos ist, dass man machen kann, was man will. Ich würde It-Girl sein, auf Vampirlifting pfeifen, den ganzen Tag behaupten, nicht zu wissen, wer irgendwelche berühmten Männer sind.

Ich würde meine Freund*innen schön finden. Wahrscheinlich würden wir ein bisschen weinen, weil es merkwürdig wäre, nicht auch ein bisschen traurig zu sein. Und ich würde uns trotzdem schön finden. An dem Tag würde uns alles stehen.

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Ich würde keinen meiner offenen Tabs schließen. Die Chloë-Sevigny-Wikipedia-Seite würde auf ewig in meinem Handy weiterleben.

Irgendwann wäre es auch Zeit, in sich zu gehen. Ich würde hoffen, dass jemand etwas vorbereitet hat, eine Rede. Ich halte keine Reden und würde auch nicht in einer Extremsituation damit anfangen. Am besten sollte das eine Person sein, die selbst etwas wie den Weltuntergang gut verkaufen kann. Beraterinnen für die Tabaklobby oder Priester zum Beispiel. Wir würden andächtig zuhören und nicken.

Und ich würde vieles machen wie an jedem anderen Tag. Ich würde neben Menschen stehen, die ich mag, und wir würden dort sitzen, wo wir immer sitzen, und sagen, dass wir am besten Ort der Welt leben. Wir würden in Bars gehen, in denen man bereits weiß, was wir trinken wollen. Ein bisschen wäre auch das wie im Film. Wahrscheinlich wären wir dann aber nicht die It-Girls. Wir wären die verwegenen Hauptfiguren, so Bad-Boy-Typen mit gehobener Augenbraue, die einen Dirty Martini über den Tresen zugeschoben kriegen. In dem Film geht es dann um Coolaussehen und ein bisschen um Verliebtsein und vielleicht auch um Rauchen und um ganz viel Leben. Und darum würde es uns auch gehen. Und um uns, wahrscheinlich würde es auch noch um uns gehen. Das Licht würde stimmen, die Musik auch.

Wir würden ehrlich sein. Und sagen, wie gut alles war.

Vielleicht würden wir dann vergessen, wen wir zuerst umarmt haben. Vielleicht würden wir auch niemanden umarmen, weil wir uns zu gut kennen, um uns zu umarmen, weil wir schlecht sind im Verabschieden, weil wir besser sind im Bleiben. 

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