Menschen

So schlimm kann es sein, Influencer-Mitbewohner zu haben

"Kennst du das, wenn dir etwas im Make-up-Beutel ausläuft und alles vollsifft? Alles in ihrem Zimmer sah so aus." – Evie-May
Illustration von einem Handy, das ein Foto von einem dekorierten Teller zeigt, während dahinter Essensreste zu sehen sind. Das Leben von Influencern ist oft mehr Schein als Sein
Illustration: Helen Frost

Egal, ob ein kümmerliches Wohnheim in Bielefeld oder die geräumige Nobel-WG in Hamburg-Altona: Früher oder später wirst du mit Menschen zusammenleben, die du hasst. Passiv-aggressive WhatsApp-Nachrichten im WG-Chat, verspätete Überweisungen der Miete oder eine Affinität zu lautem Ska-Punk sind nur ein paar Mitbewohner-Eigenschaften, die das WG-Leben zur absoluten Hölle machen können. Seit einigen Jahren gehört allerdings noch jemand anderes zu der Kategorie Mensch, mit dem du lieber nicht deine Wohnung teilen willst: der Influencer. Fünf Menschen haben uns ihr Leid geklagt.

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Er hat zu Hause gekocht, in seiner Story tat er so, als sei er in Griechenland

Am Anfang hatte ich keine Ahnung, dass mein Mitbewohner ein Instagram-Influencer ist. Als ich einzog, dachte ich mir nur: "Wow, der ist echt durchtrainiert und hat perfekte Haut." Aber dann ergab plötzlich alles Sinn. Er ist Anfang 30, hat ein paar hunderttausend Follower und arbeitet als Life-Coach. In Wahrheit zahlen seine Eltern die Miete und er hat keinen vernünftigen Job. Sobald die erste Begeisterung über den ganzen Gratiskram – vor allem teures Essen und Getränke von seinen Kooperationspartnern – abgeklungen war, begann ich, die Realität hinter allem zu sehen.

Er hat im ganzen Haus inspirierende Sprüche verteilt und spielt jeden Morgen in voller Lautstärke diesen christlichen Motivations-Rock-Song und treibt uns alle damit in den Wahnsinn. Auf Instagram postet er Fotos von sich in schicken Hotels und geotaggt sie mit "Home Sweet Home". Oder er hockt bei uns zu Hause und kocht, während er in seiner Story so tut, als sei er beim Dinner in Griechenland. Nicht, dass er nie in Griechenland gewesen wäre – er war tatsächlich mal eine Woche im Urlaub da. Aber er hat nicht den Monat dort durchgefeiert, wie man anhand seines Instagram-Accounts glauben könnte.

90 Prozent davon sind erlogen. Wenn du ihm auf Instagram folgst, denkst du, er sei ein reicher Typ, der ständig durch die Welt jettet und in einem schönen Haus lebt. Das ist allerdings nur eine extrem übertriebene Version der Wahrheit.

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Es ist einfach hart, mit jemandem zusammenzuleben, dem du nicht wirklich trauen kannst. Selbst seine Fotos machen ihn unheimlich. Er sieht auf jedem total anders aus, weil er sie so stark bearbeitet. – Theo, 28, London

Allmählich wurde ich auch besessen von meiner Selbstdarstellung und meinem Feed

Sie versuchte immer, mich mit kostenlosem Zeug zu bestechen, damit ich zu Veranstaltungen mitkomme. Ich habe heute immer noch Unmengen Beauty-Produkte, Zahnaufhellungsstreifen und Gesichtsmasken. Sie saß ständig vor dem Fernseher und scrollte dabei durch ihr Handy, nur im Fitnessstudio legte sie das Gerät aus der Hand. Ich finde es so faszinierend, dass diese Menschen so makellos aussehen, ständig zu schicken Dinnern gehen. Aber in Wirklichkeit wohnen sie über einem zwielichtigen Massage-Salon.

Sie hat sich ständig Klamotten von mir geliehen und mich gebeten, sie zu stylen. Sie hat mir auch Fotos rübergeschickt und mich gebeten, die Captions für sie zu schreiben. Wenn wir ausgegangen sind, habe ich viele Bilder von ihr gemacht. Aber da nehme ich auch etwas Schuld auf mich. Ich begann, die Zeit mit ihr als Gelegenheiten für ein  schönes Foto zu sehen. Dass wir beim Abendessen keine spannenden Gespräche führen würden, wusste ich. Als ich zurück nach Manchester kam, wurde mir klar, dass ich selbst besessen von meiner Selbstdarstellung und meinem Feed geworden war. – Fatima, 24, Manchester

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Ihre Miete und Rechnungen hat sie per Crowdfunding bezahlt

Wir haben 2013 und 2014 zusammengewohnt. Das Influencer-Geschäft war damals noch anders. Wir hatten gemeinsame Freunde und ich dachte deswegen, dass sie eine tolle Mitbewohnerin abgeben würde. Am Ende war es die schlimmste Zeit meines Lebens. Sie hatte grün gefärbte Haare, die viel Pflege brauchten. Jede Oberfläche unserer Wohnung war voll mit diesen grässlichen grünen Flecken. Jeden Tag wischte ich hinter ihr her, weil ich Angst hatte, unsere Kaution zu verlieren. Auf Insta war sie eine Art Glamour-Model, aber ihre Fans sahen nicht, wie abgeranzt ihr Zimmer war. Kennst du das, wenn dir etwas im Make-up-Beutel ausläuft und alles vollsifft? Alles in ihrem Zimmer sah so aus.

Sie hatte um die 250.000 Follower und war eher ein Social-Media-Model als jemand, der mit Marken einen Haufen Deals landet. Instagram erlaubte es ihr vor allem, eine engere Beziehung zu ihren Fans aufzubauen. Mit Marketing hatte sie es nicht so. Sie hatte kein geregeltes Einkommen, also machte sie Wunschlisten bei Amazon, damit ihre Follower ihr den Kram kauften, den sie brauchte. Sie machte sogar eine Wunschliste, um für unseren Einzug Einweihungsgeschenke zu kriegen. Natürlich war nichts davon wirklich brauchbar. Bügelbretter oder Wäschekörbe waren nicht dabei, stattdessen bekam sie einen Holzkoffer voll mit Früchtetees und Kaffee-Sirup. In unserem Flur stapelten sich ihre Päckchen, weil sie in ihrem Zimmer keinen Platz mehr hatte. Ständig versuchte sie, mich dazu zu überreden, ihre Sachen bei der Post abzuholen. Sie bekam zehn bis zwanzig Lieferungen pro Woche.

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Die Sache mit den Spenden eskalierte richtig, als sie beim Dreh eines YouTube-Videos einen Unfall hatte. Sie startete eine Crowdfunding-Kampagne, um ihre Miete und Rechnungen bezahlen zu können. Natürlich konnte sie überhaupt nicht mit Geld umgehen und hatte kein vernünftiges Bankkonto, also musste ich die Spenden ihrer Fans über meinem PayPal-Account sammeln. Ich habe sogar einmal einen Lebenslauf für sie geschrieben. Es wurde quasi zu meinem Nebenjob, mich um sie und ihr Geld zu kümmern. – Evie-May, 26, London

Auf Instagram feierte sie das beste Leben, in Wahrheit hockte sie nur in ihrem Zimmer

Während meines Studiums an der Kunsthochschule teilte ich mir ein Haus mit ein paar Leuten. Alle waren um die 20. Das Mädchen im Zimmer nebenan war eine Influencerin mit 20.000 Instagram-Followern. Das Zusammenleben mit ihr war anstrengend und ein Albtraum, aber ich hatte auch Mitleid mit ihr.

Sie bekam abartig viele Likes auf ihre Posts, in denen sie sich präsentierte, als würde sie das beste Leben leben. Dabei schien sie nie wirklich mit Leuten abzuhängen – weder bei uns zu Hause noch an der Uni. Abgesehen von gelegentlichen Tinder-One-Night-Stands vielleicht.

Sie kam mir extrem einsam und reserviert vor. Durch sie habe ich ein ganz neues Bild von Social-Media-Feeds bekommen. Es war ein so großer Unterschied, wie sie sich online darstellte, während sie in Wahrheit ständig alleine in ihrem Zimmer hockte. – Eshan, 28, London

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Wenn sie ein Bild postet, können wir erst mal ein paar Stunden nichts machen

Meine Schwester ist eine Teilzeit-Influencerin in Manchester, wo sie zur Uni geht. Ich halte absolut nichts davon, weil sie vor allem für Billigmode wirbt.

Sie hat sich schon ihre Zähne gratis bleachen lassen. Ihr wurden sogar Lip Filler angeboten, aber das hat sie noch nicht gemacht. Wenn sie nicht gerade etwas geschickt bekommt, das sie wirklich mag, verkauft sie es wieder. Von JD Sports bekommt sie jeden Monat Schuhe im Wert von umgerechnet knapp 900 Euro. Sie kriegt ein brandneues Paar Sneaker, macht ein Bild davon und verkauft sie über Depop für 110 Euro. Sie verschenkt auch viel an Bekannte. Sie ist sogar richtig spendabel. Selbst die Person, die ihre Nägel macht, bekommt manchmal Zeug von ihr.

Social Media beeinflusst ihr Leben extrem. Wenn wir Pläne machen, nutzt sie das manchmal als Gelegenheit, ihr tägliches Foto für ihre Follower zu machen. Dann steht sie auf, schminkt sich, zieht ihr Insta-Outfit an und klebt sich vielleicht auch Haar-Extensions an. Selbst wenn sie mit ihrem Freund Abendessen geht, plant sie immer ein bisschen im Voraus.

Ihr Job hat unsere Beziehung nicht beeinflusst. Allerdings kriege ich mit, wenn sie schlecht gelaunt ist, weil ein Foto nicht so wird, wie sie es gerne hätte. Da mache ich mir ein bisschen Sorgen um ihr Selbstbewusstsein. Sie ist wunderschön, aber was ihr Selbstbild angeht, kann sie diese kritische Haltung nicht einfach abschalten. Wenn sie um 20 Uhr ein Bild postet, können wir die nächsten paar Stunden erst mal nichts machen, weil sie für gutes Engagement auf alle Kommentare antwortet. – Jenny, 23, Brighton

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