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Wir haben Polizeiausrüstung nach Bösartigkeit sortiert

Ein mittelalter Mann hält einen Panzerfaust und schaut durch das Zielrohr.

Ein Mann holt weit aus und knallt mit dem Schlagstock gegen meinen Bauch. Ich spüre nichts. Es knallt wieder. Wieder. Wieder. Meinem Bauch geht es gut. Doch meine Ohren schmerzen. Meine Augen zucken jetzt bei jedem Knall zusammen. Nach dem Schlagstock holt er den Baseballschläger. Diesmal schlägt er gegen meine Brust. Mein Körper vibriert ein bisschen. Auch als die Holzlatte mit Nägeln auf mich rast, bleibe ich am Leben. 

Jedes Jahr kommen in Nürnberg Menschen zusammen, deren Geschäft die Gewalt ist: Waffenhändler, Rüstungskonzerne, Polizisten und Soldaten treffen sich auf der Waffenmesse Enforce Tac. Sie tauschen sich über tödliche Maschinen aus, probieren diese aus – ohne scharfe Ladung, versteht sich. Männer mit muskelbepackten Armen schütteln Hände, tauschen Visitenkarten und klicken die Magazine so selbstverständlich aus Sturmgewehren heraus, wie andere im Auto den Gang einlegen. Ich bin auf der Suche nach den bösartigsten Waffen der Messe.

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Die Prügelweste

Die Schläge mit dem Nagelbrett habe ich nur überlebt, weil über meinem Oberkörper eine fünf Kilo schwere Schutzweste hängt. Sie ist aus gehärtetem Aluminium und hält Schlägen und Stichen stand. Das Projektil einer Pistole würde allerdings durchgehen. Polizisten ziehen solche Westen auf Demonstrationen und bei Fußballspielen an, erfahre ich. Wenn sie mit Molotowcocktails beworfen werden, schützt die Weste vor Verbrennungen. Es ist eine Erzählung, die ich noch öfter auf der Messe hören werde: Andere greifen an, die Geräte der Messeaussteller schützen. 

Ein Mann schlägt mit einem Schlagstock auf eine Frau, die eine gepanzerte Polizeiweste trägt.
Nicht nur die VICE-Redakteurin hat sich freiwillig von Westenherstellern schlagen lassen, auch diese Frau war dazu bereit | Foto: NuernbergMesse / Frank Boxler

Als ich mich aus der Weste pelle, zittere ich. Zwar stehe ich jetzt etwas unter Schock, aber so richtig bösartig ist diese Weste noch nicht. Immerhin tut sie niemandem weh. Außer vielleicht dem Fiskus, der sie in Massen kauft. 

Bösartigkeit: 2/10 (Westen sind eben keine Waffen, zumindest diese nicht.)

Das Killhouse

Ich starre auf eine Wand, auf die Bilder von Häusern projiziert werden. Ich frage den Mann an dem Stand, was da zu sehen ist.

“Das ist ein Killhouse”, erklärt er mir. 

Ein Haus zum Töten? 

“Da kann mit scharfer Munition geschossen werden, ohne dass es Querschläger gibt.”

Das ist für Übungen? 

“Ja, natürlich.”

Wer trainiert da so?

“Polizei und Militär.”

Ich lasse mir erklären, dass die Firma verschiedene Trainingszentren hat. Sie hat etwa eine Jugendherberge in Rheinland-Pfalz umgebaut. Wer die Zentren mietet, kann mit Waffen durchrennen und Einsätze üben. 

So gemein das Wort Killhouse auch klingt, getötet wird dort offenbar niemand. Nicht bösartig genug, denke ich.

Bösartigkeit: 3/10 (Ist eben ein Haus.)

Ich schiebe mich durch die Messehallen. Eine Mannequin-Truppe aus Tarnfarben zieht an mir vorbei. Daneben reihen sich Pistolen, Gewehre, Panzerfäuste. Äh, pardon, “Schulterfeuerwaffe” heißt das, auch wenn das Teil eben Löcher in Panzer reißt. 

Ein Polizeihund aus Plastik trägt einen riesigen schwarzen Maulkorb.
Dieser Polizeihund hat es nicht in unser Bösartigkeitsranking geschafft, auch wenn der Maulkorb böse Beißattacken vermuten lässt | Foto: IMAGO / Future Image

Die Pfefferbälle

Ein paar Stände weiter halte ich einen kleinen lila-weißen Ball aus Plastik in der Hand. Der wirkt harmlos, hat aber etwas in sich: ein weißes Pulver, das pudrige Pendant zu Pfefferspray. Die Plastikkugel wird in Pistolen oder Gewehre geladen. Dann schießt man damit. Allerdings nicht auf Menschen, sondern vor Menschen, lasse ich mir am Stand erklären. Die Kugeln zerplatzen auf dem Boden und das Pulver bläht sich zu einer Staubwolke auf. Wer in der Nähe steht, merkt erst ein Kratzen im Hals, dann Schleim in der Nase, Wasser in den Augen. Wer zu viel davon einatme, verliere sämtliche Körperflüssigkeiten, sagt der Mann am Stand. “Also auch untenrum”, ergänzt er vollkommen ausdruckslos.

Stirbt man dann nicht?

“Nein, aber man hat erstmal mit sich selbst zu tun.”

Es gibt ja normales Pfefferspray. Wozu braucht es diese Bälle?

“Mit einer großen Kartusche Pfefferspray kann ein Polizist etwa 8 Meter weit sprühen. Ein Wasserwerfer reicht 50 Meter weit. Die Pepperballs decken die Distanz dazwischen ab. Sie setzen Gegner außer Gefecht und sind less lethal.”

Weniger tödlich also. Aber welche Gegner? 

“Das wird zur riot control eingesetzt.”

Auf Demonstrationen?

“Genau. Beim G20-Gipfel in Hamburg oder beim Sturm aufs Capitol in Washington wurde zum Beispiel mit Pepper Balls geschossen.”

Der Mann am Stand erzählt mir, dass jede und jeder diese Waffen kaufen kann. Es sind sogenannte Reizstoffwaffen. Das deutsche Waffengesetz definiert sie nicht als Waffen.

Halten Sie das nicht für gefährlich?

Der Mann zuckt mit den Schultern. “Küchenmesser und Baseballschläger kann man ja auch kaufen. Oder Pfefferspray.”

Eine Hand hält einen lila-weißen Pepperball. Im Hintergrund sieht man das VICE-Logo.
Ein Pfefferball hat es ins Berliner VICE-Büro geschafft. Allerdings ist kein echtes Pfefferpulver drin, nur Übungsmaterial | Foto: VICE

Diese fiesen bunten Bälle schnellen auf Platz eins meines Rankings für Bösartigkeit. Immerhin: Die Polizei nutzt sie in großen Teilen Deutschlands nicht. Polizeigesetze verbieten es. Außer in Hamburg und Sachsen – da darf die Polizei tatsächlich mit Pfefferbällen auf Demonstrierende schießen. 

Der Mann vom Stand findet das richtig. “Es ist die beste Möglichkeit, Leute zu kontrollieren”, sagt er. “Wie sollen sich Polizisten wehren, wenn Steine auf sie fliegen?”

Zum Abschied fragt der Pepperball-Mann: “Wollen Sie den mitnehmen?”

Klar.

Bösartigkeit: 7/10 (“Untenrum” geht mir nicht aus dem Kopf. Bei Demonstrierenden Durchfall zu verursachen, ist definitiv bösartig.)

Das Sturmgewehr

Mit einem Pepperball in der Tasche wandere ich weiter durch die Hallen. Es dauert nicht lange, da sehe ich die Buchstaben HK rot leuchten. Na klar, Heckler & Koch. Was wäre eine Waffenmesse ohne den größten deutschen Gewehrhersteller? An mehreren langen Tresen hat der Rüstungskonzern seine Sturmgewehre fein säuberlich aufgereiht. Man kann sie anlegen, zielen, abdrücken. Geladen sind sie nicht. Ich frage den Mann hinter einem Tresen, was sein Lieblingsgewehr ist. 

“Ich mag das G36”, sagt er.

Die waren vor einigen Jahren stark in der Kritik. Sie sind heiß gelaufen sind, waren ungenau und praktisch untauglich.

“Das war ein Missverständnis, eine Fehlinterpretation der Medien.”

Wie jetzt?

“Jede Knarre wird heiß und ungenau, wenn man zu oft schießt.”

Ein glatzköpfiger Mann in blauer Jacke hat ein Sturmgewehr an seine Schulter gelegt, kneift ein Auge zusammen und zielt.
Mit viel Ernsthaftigkeit legen die Messebesucher die Gewehre von Heckler und Koch an | Foto: IMAGO / Future Image

Ein Soldat schnappt sich das G36 neben mir und legt es an. Als er uns hört, lächelt er und nickt. Dann will er vom Heckler-&-Koch-Mann wissen, welches Sturmgewehr man zivil kaufen kann. Natürlich, es gibt neben der G36-Variante fürs Militär auch eine für Sportschützen und Jäger. Die sieht dem Original-G36 zwar recht ähnlich, kann aber nur Einzelfeuer. Tödlich ist sie natürlich trotzdem.

Bösartigkeit: 10/10 (Denn Projektile zerfetzen Organe und Knochen.) 

Die Elektroschockpistole

Taser hingegen töten nur manchmal. Erst im Oktober starb ein herzkranker Mensch in Dortmund, nachdem die Polizei ihn taserte. Der Mann von der Taser-Firma wurde selbst schon getasert, so wie jeder in der Firma. Und wie fühlt sich das an?

“Man verkrampft, fällt um und ist danach ganz schön fertig.”

Bleiben Wunden von den Nadeln mit Widerhaken, die sich unter die Haut bohren?

“Nein, das sind nur kleine Einstiche, wie beim Impfen.”

Nur: Impfnadeln haben eben keine Widerhaken. Taser sind Elektroschockpistolen. Sie senden eine hohe Spannung durch den Körper und lähmen Muskeln.

“Es bleiben höchsten blaue Flecken an den Stellen, wo die Nadeln den Körper treffen”, sagt der Taser-Mann.

Dass Taser töten, hält er für einen Mythos.

“Wie beim Impfen”, scherzt ein Journalist neben mir. Seinen Versuch, die Mythos-Erzählung der Firma lächerlich zu machen, versteht der Firmenvertreter nur halb. Vielleicht hält er uns jetzt für Corona-Leugner. Wir lachen alle drei betreten. 

Bösartigkeit: 6/10 (Menschen mit einem Taser krampfend auf dem Boden zappeln zu lassen, ist zwar gemein, aber ich habe schon Bösartigeres gesehen.)

Auf dem Weg zum Ausgang sortiere ich in meinem Kopf nach Bösartigkeit: Weste, Killhouse, Taser, Pfefferbälle, Sturmgewehre. Die Liste steht. Ich verlasse die Nürnberger Messehallen.

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