Hitler war ein grausamer Stratege, dem die Macht einer erfolgreichen Inszenierung überaus bewusst war. Die frenetischen Reden des Diktators peitschten wie akustische Ohrfeigen, die gleichzeitig wach rütteln und einschüchtern sollten. Dafür perfektionierte er seinen eigenen Auftritt mittels Schauspielunterricht und rhetorischen Tricks so lange, bis sich Charisma und Stimme zu einem Event aufstachelnder Volksverhetzung gemausert hatten.
Die Stimme des “Führers” kennt jeder. Sie hämmert sich bereits beim einmaligen Hören mit Penetranz in den Schädel: Melodik, Betonung und Dynamik in unheilbringenden Phrasen sollten den Menschen das Hirn waschen. Dazu verfügte Hitler über die Gabe, mit dem zweieinhalb Oktaven umfassenden Frequenzbereich seiner Stimme die logischen Denkfunktionen seiner Zuhörer zu hemmen und diese damit in eine beliebige Richtung zu beeinflussen, so die Analyse von Hanna Koglin in einer Seminararbeit im Fach Rhetorik.
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So ist es nur naheliegend, dass der Diktator partout darauf achtete, bloß nicht mit seiner normalen Stimme erwischt zu werden. Und fast hätte er es wirklich geschafft, dass nicht ein einziges Audio-Dokument des Feierabend-Adolf existiert, wäre da nicht der Tonmann Thor Damen gewesen. Dieser arbeitete im Jahr 1942 für den finnischen Rundfunksender Yle. Als Hitler am 4. Juni 1942 in einem kurzfristig angekündigten Besuch zum 75. Geburtstag des finnischen Oberst Carl Gustaf Emil Mannerheim vorbeischaute, war Thor Damen damit beauftragt, die Gratulationsansprachen auf Band aufzunehmen.
“Die beiden trafen sich in einem Salonwagen, ein Tontechniker schnitt Teile des Gesprächs heimlich mit”, so Bernd Wegner, Historiker an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Wegner, der mit einer Finnin verheiratet ist, bekam das Band bei Recherchen in Finnland zugesteckt und ließ das Tondokument vom BKA prüfen. Die Behörde bestätigte: Das Band ist echt. Es handelt sich um ein einmaliges Geschichtszeugnis.
Im Anschluss an den offiziellen Teil des strategisch wohlvorbereiteten Besuchs, ließ Damen die Aufnahme einfach weiterlaufen und erwischte ein privates Gespräch unter den beiden Männern, in dem Hitler Mannerheim den Kriegsverlauf erklärt. Das Erschreckende an dem Dokument ist dabei die Harmlosigkeit in der Stimme des Diktators. Man hört fast schon gerne zu, wenn der Führer mit mundartlicher Einfärbung seine offizielle Maske fallen lässt.
Hitler wollte die Finnen zu einem stärkeren militärischen Vorgehen gegen Russland “ermuntern”, hielt sich darin jedoch zurück und informierte Mannerheim über den Kriegsverlauf. Um seine eigene Position auszutesten, zündete sich der Oberst im Gespräch eine Zigarre an, um eine Reaktion des militanten Nichtrauchers Hitler zu provozieren. Nachdem der Deutsche nicht darauf einging, wusste Mannerheim um die schwache Position der Deutschen. So die Legende.
“Sein Finnlandbesuch war ein politischer Schachzug”, so Ohto Manninen, Professor für Kriegsgeschichte an der finnischen Verteidigungsakademie. “Er wollte, dass Finnland auf Seite der Deutschen weiterkämpfte.” Angenehm und fast warm klingt die unverstellte Stimme, als Hitler Mannerheim unter anderem erklärt, dass die deutschen Panzer nicht für den Winterkrieg ausgerichtet seien.
Aber auch wenn Hitler die Grenzen der Höflichkeit durch einen Hang zum Monologisieren fast schon sprengt, sind Stimmklang und Intonation im Gegensatz zur Penetranz seiner bekannten Reden geradezu angenehm. Dabei ist “Hitlers Rhetorik im Tonfall zwar engagiert, aber keineswegs schneidend, lebhaft im Duktus, aber nicht polternd, dabei sachlich, aber dank ihrer Dialektfärbung nicht ohne Charme”, schreibt Wegner in einem Aufsatz über den Finnlandbesuch des Demagogen.
“Unsere ganzen Waffen sind natürlich auf den Westen zugeschnitten. Und wir alle waren der Überzeugung, das war bisher, das war unsere Meinung eben, seit der ältesten Zeit. Im Winter kann man nicht Krieg führen. Und wir haben auch die deutschen Panzer, die sind nicht erprobt worden, um sie etwa für einen Winterkrieg herzurichten. Sondern man hat Probefahrten gemacht, um zu beweisen, dass man im Winter nicht Krieg führen kann.”
So schätzte Hitler im Gespräch die Lage des deutschen Kriegsgerät ein—und er sollte gar nicht so falsch liegen. Nur wenige Monate unterlag die deutsche Armee in der Schlacht von Stalingrad den Sowjets.
Erst nach gut 20 Minuten entdeckten Mitglieder der Gestapo die noch immer laufende Aufnahme und sollen gedroht haben, dem Tontechniker die Kehle durchzuschneiden.
“Als die deutschen Offiziere der Schutzstaffel das herausfanden, drohten sie Damen umzubringen und forderten ihn auf, die Aufnahme zu zerstören”, sagte Lasse Vihonen, Leiter des finnischen Rundfunkarchivs, gegenüber dem Guardian: “Das ist das einzige Zeugnis, in dem Hitler frei spricht.” Damen tat daraufhin so, als hätte er die Aufnahme zerstört und rettete damit das einzige bekannte Dokument der Originalstimme des Führers in die Gegenwart.