Fotos von Katarina Šoškić
Wenn man am Wiener Westbahnhof vorbei in Richtung Gumpendorfer Straße spaziert und sich über vereinzelte Demonstranten mit christlichen Parolen und Embryo-Bildern um den Hals am begrünten Mittelstreifen des Gürtels wundert, ist man beim weltweit einzigen Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch angekommen. Eine Einrichtung, in der Dr. Dr. Christian Fiala und seine Kollegen seit 2007 versuchen, mit Schaukästen und Objektsammlungen rund um Abtreibung und Prävention eine Geschichte der sexuellen Evolution in Europa und auf der ganzen Welt zu dokumentieren.
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Dr. Dr. Christian Fiala ist ein überzeugter Vertreter und Wortführer vieler progressiver sexualwissenschaftlicher Initiativen in Österreich—wo es übrigens auch noch einiges an Aufklärungsarbeit in Bezug auf Verhütung und Schwangerschaftsabbruch zu leisten gibt, wie ich seit meinem Besuch gelernt habe. Das Museum zeichnet die Etappen menschlicher Verzweiflung nach, die uns unsere verfluchte Fruchtbarkeit seit jeher bereitet hat: von Schläuchen und Zweigen aus Afrika, mit denen illegale Abtreibungen vorgenommen wurden, bis zu den absurdesten Verhütungsmitteln wie Harnröhrenkorken und Baumwoll-Diaphragmen.
Im selben Gebäude, gleich gegenüber des Museumseingangs, ist das Gynmed Ambulatorium einquartiert, in dem Dr. Dr. Fiala seit 2003 Schwangerschaftsabbrüche vornimmt—was auch den Hauptgrund für die Präsenz der erwähnten Demonstranten darstellt. Seit 2005 hat er ebenfalls die Leitung der Abtreibungsklinik am Landeskrankenhaus Salzburg inne. Fiala wirkt sympathisch und ruhig, genau wie sein gemütlicher Blick durch die rahmenlose Brille. Er erinnert an den Onkel mit lichtem Haar, den man als Kind immer Professor genannt hat. Man würde ihm nicht sofort eine dermaßen engagierte und hitzige Agenda zutrauen.
Die Räumlichkeiten des Gynmed erinnern ironischerweise an die eines Kinderarztes. Bunte Sitzgelegenheiten, ein Spielzeug im Wartezimmer, das sich bei näherer Betrachtung als Vagina-Querschnitt samt Gummispirale herausstellt, angenehm viel Platz und eine warme Atmosphäre beruhigen sogar mein normalerweise gestresstes Gehirn. Bei der Sprechstundenhilfe gibt es Tampon-Schatüllchen aus Plastik—für den Notfall. Und auch die Deckenbilder von Blumen und Fischen im OP sind direkt auf das Wohlbefinden der Klientinnen ausgerichtet.
In einem Raum hinter der Kaffeeküche holt Fiala ein veraltetes chirurgisches Instrument aus der Lade. Er zeigt mir eine Kürette, eine Art metallener Schaber, und meint, dass sie früher bei Schwangerschaftsabbrüchen benutzt worden sei, um Reste des Fötus zu entfernen. Diese Kürette sollte heutzutage nicht mehr bei Abbrüchen verwendet werden, da sie grobe Schäden anrichten und schmerzhafte Folgen haben kann. Gynmed verwendet eine dünne Plastikkanüle bei der Absaugung verbliebenen Gewebes. In manchen Krankenhäusern findet aber diese rückständige Kürette immer noch Anwendung—und zwar nicht am anderen Ende der Welt, sondern auch bei uns.
Dieser Stuhl ist Fialas Arbeitsplatz.
Als ich dann vor dem Operationsstuhl stehe, bekomme ich ein mulmiges Gefühl im Magen. Nicht, weil mich mein katholisches Schuldbewusstsein plagt, sondern eher eine Art männliches. Beim Gedanken an Hunderte Frauen, an denen wegen schlechter Verhütung, wegen One-Night-Stands, anderer blöder sexueller Spontanaktionen oder aufgrund von Missbrauch die ganze Verantwortung hängen bleibt, merkt man, wie unausgewogen und selbstverständlich die sexuellen Freiheiten für Männer immer noch sind. Fiala ist deswegen davon überzeugt, dass man sich auch gerade als Mann für die Erhaltung der reproduktiven Gesundheit von Frauen einsetzen muss.
Wenn die Verhütung nicht geklappt hat, gibt es verschiedene Formen der Abtreibung. Es gibt den medikamentösen Abbruch, der sich über mehrere Tage zieht, sowie den chirurgischen Eingriff unter örtlicher Betäubung oder Vollnarkose. Der Eingriff im OP dauert nicht länger als zwei Minuten und der Embryo—bei vielen Grund für psychische Belastung und Existenzängste—ist weg.
Dieser Vorgang ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch ein Opfer gesellschaftlicher Massenverdrängung, mit einer ganzen Reihe von Moralverstrickungen. In New Jersey hat sich Emily Letts, eine Beraterin bei Schwangerschaftsabbrüchen, Anfang Mai 2014 selbst einer Abtreibung unterzogen und entschieden, während des Eingriffs ihr Gesicht filmen zu lassen und das Video im Internet zu veröffentlichen. Ein Versuch, die Stigmata und den Horror in der allgemeinen Vorstellung zu mindern.
Auf meine Frage hin, was er von Emilys Video hält, lobt Fiala den Mut der jungen Frau und den wichtigen, detaillierten Beitrag zur öffentlichen Diskussion. Gleichzeitig versteht er die große internationale Aufregung darüber nicht, da der Schwangerschaftsabbruch einer der häufigsten chirurgischen Eingriffe der Gynäkologie und Geburtenhilfe ist. Jedes Jahr werden in Österreich knapp 30.000 Abtreibungen (in Deutschland ca. 100.000) vorgenommen—wobei hier eine mögliche Dunkelzimmer fehlt—was im öffentlichen Diskurs aber völlig ignoriert wird.
Die Zahlen machen deutlich, dass der Schwangerschaftsabbruch kein seltener Ausnahmezustand ist, den man unter den Tisch der politischen Debatte fallen lassen kann, sondern das Thema Abtreibung sollte—gerade bei Betrachtung der heimischen Wahrnehmung—auf hohem Niveau, medizinisch und sozio-politisch durchgearbeitet werden.
Im Durchschnitt kostet der Schwangerschaftsabbruch bei Fialas Kliniken 400 bis 500 Euro, doch österreichische Kliniken verlangen bis zu 1.000 Euro, auch um aktiv abzuschrecken. Diese Kosten und die Reisekosten, die gegebenfalls noch dazukommen, haben dann Frauen selbst zu tragen.
Der Frauenarzt hebt veraltete chirurgische Instrumente als Erinnerungsstücke auf—manche davon kommen in Österreich sogar heute noch zum Einsatz.
Etwas stutzig macht auch die Tatsache, dass bis zu drei IVF-Behandlungen (In-vitro-Fertilisation), also künstliche Befruchtungen, von den Krankenkassen gedeckt sind. Aber in der umgekehrten Situation, bei einer medizinisch ebenso „notwendigen” Behandlung, werden Frauen, die Steuern und in diese Kassen einzahlen, mit ihrer sicher nicht leichtfertig getroffenen Entscheidung alleine gelassen. Der Kinderwunsch gefällt dem Staat natürlich besser, gerade mit der zukünftigen Rentenversicherung im Nacken. Keine Kinder zu kriegen, wird hingegen zur Privatsache erklärt. Offensichtlich stört die Aussicht auf potenzielle Sozialfälle und eine schlechte gesellschaftliche Gesundheit da wenig.
Das klingt doch alles sehr vertraut. In Österreich regiert bei Debatten gerne mal das geliebte „Wurscht”. Und auch wenn man sich schnell hinter eine sexuell liberale Gallionsfigur wie Conchita stellt, passiert das erst dann, wenn das Voting vorbei ist und man sich gefahrlos auf den Lorbeeren anderer ausruhen kann.
Es gibt aber auch richtige Spinner unter den Kritikern Fialas. Seinerseits wird der Diskurs objektiv gehalten und Fakten sind das einzige verwendete Kanonenfutter. Gleichzeitig verleumden ihn extrem fanatische Organisationen wie Human Life International und die Christlich Soziale Arbeitsgemeinschaft Österreichs online auf reißerischen Seiten als „Henker von Wien und Salzburg”, „Tötungsspezialist No. 1″ und mit Fotomontagen von blutigen Händen. Fiala hat inzwischen rechtliche Schritte dagegen eingeleitet. Diesen rechtskonservativen Irrsinn kannte ich bis jetzt auch nur von Fox News oder als überzeichnete Persiflage in den Simpsons.
Fiala besteht hier auf klare Definitionen und meint: „Alleine der Begriff ‚Abtreibungsgegner’ ist irreführend. Das impliziert ja, dass es zwei Seiten oder Unentschiedene gäbe, aber letztlich sind ausschließlich religiöse Fundamentalisten gegen einen legalen Schwangerschaftsabbruch.”
Diese Positionierung suggeriert zudem, dass es eine lächerlich unverantwortliche Meinungsfront gäbe, die sich für Abtreibung als Lifestyle-Choice und Verhütungsersatz einsetzen würde. Diejenigen, die den legalen Abbruch befürworten, stehen aber weitläufig für die wirksame Verhütung und Prävention ungewollter Schwangerschaften—sodass es im besten Fall gar nicht erst zu dieser schwierigen Entscheidung kommen muss.
Fiala ist der Überzeugung, dass man sich gerade als Mann für die Erhaltung der reproduktiven Gesundheit von Frauen einsetzen muss.
Mit irrwitzigen Behauptungen, dass Fiala „Gewalt gegen Frauen” beginge und das „Blut unschuldiger Kinder zum Himmel schreie”, werden Tatsachen ins genaue Gegenteil verdreht. Diesen Frauen wird in belastenden Lebenslagen mit Beratung und adäquater medizinischer Behandlung geholfen. Faktische Information ohne Ideologie ist hier lebenswichtig. Wo die religiösen Fanatiker nur Gewissenskeulen, Vorwürfe und uninformierte Angriffe übrig haben, macht ärztlicher Professionalismus einen immensen Unterschied.
„Eine ungewollte Schwangerschaft kann wirklich jeder Frau passieren”, fasst Fiala zusammen. „Ein medizinisch korrekt durchgeführter Abbruch hinterlässt keine körperlichen Spuren.”
Leider geht es religiösen Fanatikern aber nicht um das Wohlbefinden von ungewollt schwangeren Frauen, sondern darum, dieses schlechte Gewissen zu schüren und schwammige Blindideologien zu erhalten.
Aber stattdessen erhält Fiala Morddrohungen und bis vor wenigen Jahren wurden Hilfe suchende Frauen vor dem Ambulatorium terrorisiert und persönlich angegriffen. „Solche Fundamentalisten wollen sich nicht sachlich mit den Umständen befassen, aber trotzdem mitreden. Der Diskurs sollte bei den Menschen bleiben, die tatsächlich wissen, wovon sie reden”, betont Fiala.
Menschen mit gefährlich uninformierter Pauschalmeinung zum Thema Abtreibung sind in Österreich aber keine belanglose Dunkelziffer und auch nicht nur eine kleine Traube an Leuten mit „Was, wenn Jesus abgetrieben worden wäre?”-Schildern. Bei der Bundespräsidentschaftswahl 2010 stimmten über 15 Prozent der österreichischen Bevölkerung für Barbara Rosenkranz, die damit warb, sich für das Verbot der Abtreibung einzusetzen. Die FPÖ, Österreichs eingesessene „In”-Partei, solidarisiert sich—nicht nur auf ihrer Onlineplattform unzensiert—mit den konservativen Ansichten, dass Fialas „zweifelhaftes Handwerk makaber” sei, und Behauptungen, dass er Klientinnen schlecht beraten würde. Auch der Wiener Akademikerbund hat Mitte Mai 2014 eine schriftliche Stellungnahme zur Abschaffung der Fristenlösung und des Gleichbehandlungsgesetzes vorgelegt.
Vor seinen kontroversen Kreuzzügen studierte Fiala an der Universität Innsbruck Medizin. „Gerade im Tiroler Land ist der christliche Konservativismus stark spürbar gewesen.” Bei der Wohnungssuche mit seiner Partnerin hatte er dort wenig Glück bei den Vermietern, da unverheiratet. Und selbst junge Studienkolleginnen der Medizin wurden damals ungewollt schwanger. Das waren die ersten Kopfschüttler, die Fiala dazu brachten, noch auf der Uni selbst verlegte Verhütungsbroschüren zusammenzustellen.
Das einzige Museum für Verhütung und Schwangerschafts-abbruch zeichnet die Etappen menschlicher Verzweiflung nach, die uns unsere verfluchte Fruchtbarkeit seit jeher bereitet hat.
Die Sexualaufklärung von Eltern und Schulen ist leider weiterhin mehr als verkappt. Katholische und daher bei uns kulturell tief verwurzelte Moralvorstellungen von damals, wie zum Beispiel „kein Sex vor der Ehe” oder „Sex nur zur Fortpflanzung”, hatten vor 100 Jahren ja sogar noch einen sehr realen, sozio-psychologischen Hintergrund: Es war die Manifestation des verzweifelten Versuchs, die unaufhaltsame Fruchtbarkeit der Leute und die wild wuchernde Kinderzahl unter Kontrolle zu kriegen. Nachwuchs sollte klarerweise überlebensfähig und im weiteren Sinne wirtschaftlich tragbar sein.
Repressive Sexualmoral war quasi eine vorsintflutliche Massenverhütung, obwohl Abstinenz und Freiheit von Sünde bekanntermaßen nie und nirgends große familienlogistische Erfolge erzielt haben. Mit der Möglichkeit, sich wirksam vor ungewollten Schwangerschaften zu schützen—also durch die Pille—verlor sich dieser wackelige Nutzen der Sexualmoral. „Dieser Umbruch war nicht nur eine medizinische Revolution, sondern auch eine soziale”, sagt Fiala.
Da kann man eigentlich nur Sigmund Freud zitieren, der natürlich nicht ahnen konnte, was in den Swinging Sixties auf uns zukommen würde: „Theoretisch wäre es einer der größten Triumphe der Menschheit, eine der fühlbarsten Befreiungen vom
Naturzwange, dem unser Geschlecht unterworfen ist, wenn es gelänge, den verantwortlichen Akt der Kinderzeugung zu einer willkürlichen und beabsichtigten Handlung zu erheben und ihn von der Verquickung mit der notwendigen Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses loszulösen.” Amen.
Ein Grund, warum mir das Thema Verhütung seit meinem VICE.com-Artikel vom Februar 2014, in dem ich Dr. Dr. Christan Fiala erstmals interviewt habe, nicht mehr aus dem Kopf geht, ist die aggressive Reaktion auf sein Hervorheben der weiblichen Selbstbestimmung durch die Pille. Es folgten wütende Kommentare, dass Fiala „alle Frauen mit Hormonen vollstopfen” wolle, gegen Kondome sei und „natürliche Verhütung” genauso wirkungsvoll wie die Pille sei. Aus diesen Gründen gehöre „ihm die Lizenz entzogen”. Ich weiß, im Internet wird schnell und ohne Filter geschimpft, aber diese Sicht deutet auch auf ein weiteres, komplett anderes Meinungslager hin, das sich trotz liberaler—vielleicht sogar feministischer—Einstellung ein bisschen mit den religiösen Abtreibungs-Hatern deckt.
Es ist eigenartig, einen Arzt, der Frauen in Notlagen hilft, unter dem Gesichtspunkt zu kritisieren, dass er Frauen das Leben erschweren wolle. Fiala kennt die „Sorte” und reagiert auch hier überlegt: „Der Wunsch nach ‚Natürlichkeit’ ist ein sehr moderner Widerspruch. Nach 50 Jahren, sprich zwei Generationen später, können sich die jungen Menschen nicht mehr an die schlimmen Zustände vor der Pille erinnern. Da gab es keine sexuelle Selbstbestimmung der Frau und wenn man heutzutage das moderne Familienbild sieht, denkt man, dass es normal, eben ‚natürlich’, sei, keine oder nur zwei Kinder zu haben. ‚Natürlich’ bedeutet aber eine durchschnittliche Fruchtbarkeitsdauer von 35 Jahren, was bei einer gesunden Frau um die 15 Schwangerschaften im Leben gleichkommt.”
Schon der Begriff „Natürliche Verhütung” ist an sich paradox. Wenn eine Frau durch akribische Beobachtung ihrer Körpertemperatur und des Vaginalschleims erstaunlich genau den Zeitraum voraussagen kann, in dem sie Gefahr läuft, schwanger zu werden, kann sie ohne wirksame Verhütung in diesem Zeitraum trotzdem keinen Sex haben. Dabei ist meiner Meinung nach das Grundprinzip von Verhütung und Selbstbestimmung: Sex, wann ICH will. Hormone, die letztlich genauso im Körper vorkommen, werden schnell polemisch als böse verteufelt. Eigentlich unterwerfen sich gerade Verteidigerinnen der natürlichen Verhütung damit unter Umständen wieder einer Fremdbestimmung, die sie mit einer verklärten New-Age-Ideologie rechtfertigen.
Fiala rät Frauen, sich klare Fragen zu stellen: „Was brauche ich in der Verhütung, was tut mir gut, was tut mir nicht gut, beziehungsweise welche Methode stört am wenigsten in unserer Beziehung? Was ist die wirksamste Verhütung, die am wenigsten stört? Das sind zurzeit einfach noch Hormone.”
Aber letztlich könnte dieses Land, anstatt ein Bollwerk aus verschiedensten blockierenden Kräften zu bilden, eine offenere Sexualpolitik in einem objektiven Diskurs mit der Regierung und unserer Bevölkerung aushandeln. Schrittweise könnte aufeinander zugegangen werden. Ich habe schließlich auch die zwei, drei Schreckmomente hinter mir, in denen ich glaubte, jemanden ungewollt geschwängert zu haben. Und gerade in so einem existenziellen Ernstfall würde ich mir eine enttabuisierte Wahrnehmung und wertfreie Hilfestellung wünschen—oder überhaupt Klartext in Sachen Prävention und Aufklärung.
Schließlich haben wir doch alle gerne Sex—und ein verantwortungsbewusster Umgang damit und entsprechende Reformen wären wohl für niemanden der Weltuntergang. Weder der Sündenfall oder eine vernichtende Inflation noch explodierende Kirchen wären die Folge, sondern eine gesündere, sexuell liberale Gesellschaft.