PrEP: Eine Frau erzählt von ihren Erfahrungen mit der HIV-Schutzpille

PrEP-Pillen neben einer nachdenklichen Frau

Eine Pille, um sich vor einer HIV-Ansteckung zu schützen? Gibt es. Sie heißt PrEP, das steht für Prä-Expositions-Prophylaxe. Sie umfasst Medikamente, die HIV-negative Menschen entweder täglich oder einige Tage vor und nach dem Sex einnehmen. Die Wirkstoffe sorgen dafür, dass sich die HI-Viren bei Kontakt mit den Schleimhäuten nicht vermehren.

Anders gesagt: Die Gefahr, sich beim Sex mit einem HIV-positiven Menschen anzustecken, verringert sich mit der PrEP. Und zwar deutlich: Laut der deutschen AIDS-Hilfe schützt die PrEP ähnlich gut vor HIV wie Kondome – wenn sie richtig eingesetzt wird.

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Lange Zeit war die PrEP vor allem schwulen und bisexuellen Männern bekannt, die ohne Kondom Sex haben oder sich zusätzlich absichern wollen. Mittlerweile interessieren sich aber auch immer mehr heterosexuelle Männer und Frauen für die Schutzpille. Das Medikament ist günstiger als noch vor einigen Jahren: Es muss zwar immer noch von Ärzten und Ärztinnen verschrieben werden und wird nicht von der Krankenkasse bezahlt, aber ab etwa 50 Euro im Monat ist man dabei.

Auch Miriam hat die PrEP vor Kurzem entdeckt. Sie ist 35, Marketingexpertin und lebt seit mehr als zehn Jahren in Berlin. Miriam ist nicht ihr echter Name; sie möchte anonym bleiben, weil sie die Privatsphäre ihrer Partner und Partnerinnen schützen möchte. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie die HIV-PrEP für Frauen ihr Sexualleben verändert hat, aber auch über ahnungslose Männer und ablehnende Ärzte.

VICE: Wie bist du zur PrEP gekommen?
Miriam: Im letzten Winter hatte ich Probleme mit meinem Immunsystem. Das hat sich durch Symptome wie bei einer frischen HIV-Infektion geäußert, geschwollene Lymphknoten, Fieber, Nachtschweiß … Als ich dann auch noch Probleme mit dem Zahnfleisch bekam, riet mein Zahnarzt mir zu einem HIV-Test. In dieser Zeit habe ich mich intensiv mit HIV und auch mit anderen Geschlechtskrankheiten beschäftigt.

War das vorher für dich kein Thema?
Doch, ich habe mich jedes Jahr einmal “auf alles” testen lassen, weil nicht alle Geschlechtskrankheiten immer Symptome verursachen und weil man Symptome oft auch nicht bemerkt. Als sexuell aktiver Mensch gehören regelmäßige Tests für mich dazu. Ich bin auch so aufgewachsen, dass Sex “ohne Kondom” ein No-Go ist – das wurde meiner Generation beinahe schon eingeprügelt. Sehr viel Konkretes wusste ich über HIV aber nicht.


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Und bei deiner Beschäftigung mit HIV bist du dann auf die PrEP gestoßen.
Genau, und auch auf das Thema Schutz durch Therapie. Ich wusste bis dahin zum Beispiel nicht, dass HIV beim Sex nicht mehr übertragen werden kann, wenn Menschen mit HIV regelmäßig ihre HIV-Medikamente nehmen, das heißt, wenn die Viruslast im Körper unter der Nachweisgrenze ist. Aber je mehr ich recherchierte, desto kleiner wurde die Angst. Oft wiegen Unsicherheiten und fehlendes Wissen mehr als die Realität und die medizinischen Fakten einer möglichen Infektion. Trotzdem will ich mich vor HIV schützen, genauso wie vor anderen Geschlechtskrankheiten, obwohl die ja in der Regel leicht behandelbar sind.

Wo hast du dich dann weiter informiert?
Erst vor allem auf YouTube, das waren alles englischsprachige Videos, eher klinisch. Und dann auch auf prep.jetzt , die haben eine sehr gute FAQ-Rubrik. Ungefähr zu dieser Zeit gab es auch eine kleine “PrEP-Welle” in meinem Freundeskreis.

Was haben die Menschen aus deinem Freundeskreis gesagt?
Die haben mich in dem ganzen Prozess begleitet. Aber manchmal konnten sie es auch nicht mehr hören. Wenn ich wieder mal über Sex und Schutz gesprochen habe, gab es dann hin und wieder ein Augenrollen. Und irgendwann meinten sie, ich sollte doch vielleicht einfach die Zahl meiner Partner und Partnerinnen reduzieren und so das Risiko senken. Die meisten von ihnen leben monogam. Freundinnen mit ähnlichen Erfahrungen wie ich kenne ich eigentlich kaum.

Gab es eine HIV-Risikosituation oder weshalb hattest du dich dann für PrEP entschieden?
Als explizite Risikosituation hatte ich nur eine Situation mit einer Frau im Kopf, als plötzlich eine Menge Blut im Spiel war. Eigentlich habe ich kein Problem mit Körperflüssigkeiten, aber meine Partnerin wurde auf einmal sehr ernst. Im Nachhinein denkt man über solche Situationen nach und fragt sich, wie gefährlich das tatsächlich gewesen ist.

Aber auch sonst ist es ja manchmal so, dass Gummis nicht ganz “nach Vorschrift” angewendet werden, also zum Beispiel nicht von Anfang an. Oder ein Kondom bleibt stecken und man macht sich Sorgen. Sex läuft selten nach Schema F und lehrbuchmäßig ab. Da ist ja auch gut so, aber gerade für solche Situationen wollte ich einen zusätzlichen Schutz.

Die PrEP macht Sex viel entspannter

Wie bist du schließlich an die PrEP gekommen? Die gibt’s ja nur auf Rezept.
Durch die Probleme mit meinem Immunsystem bin ich in einer Praxis für Infektiologie gelandet, die auch eine HIV-Schwerpunktpraxis ist. Und meinen Arzt dort habe ich dann angesprochen und gesagt, dass ich mich für die PrEP interessiere.

Wie hat er reagiert?
Sehr cool, sehr professionell. Er hat mir zugehört und mich ernst genommen. Ich habe auch schon andere Erfahrungen gemacht. Ein Gynäkologe zum Beispiel reagierte auf meinen Wunsch nach einem HIV-Test mit der Verharmlosung, das sei bei mir doch gar nicht nötig. Woher wollte er das wissen? Und auf meine ganz konkreten Fragen nach Risiken und Schutzmöglichkeiten wollte er eigentlich gar nicht antworten. Er meinte dann ausweichend, das Risiko hänge schließlich davon ab, mit wem man Sex hat. Da kam für mich die Haltung durch, ich “als Frau” hätte ja keinen Sex mit “Hochrisikopersonen”, also auch kein Risiko. Und dahinter steckte auch der Gedanke “Man ist selbst schuld, wenn man sich die falschen Sexpartner und -partnerinnen aussucht”.

Würdest du dir wünschen, dass Ärzte und Ärztinnen aktiv die PrEP ansprechen?
Auf jeden Fall. Aber ohne moralisch zu werten, sondern neutral. Schließlich geht es darum, dass sexuell aktive Menschen Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen wollen und dafür Informationen benötigen.

Hattest du Sorge wegen möglicher Nebenwirkungen?
Ein bisschen, ja. Ich weiß, dass die PrEP die Knochendichte verringern kann. Das sollte man überwachen, wenn man über mehrere Jahre die PrEP nimmt. Meine Nierenwerte werden regelmäßig kontrolliert, das habe ich also im Blick. Am Anfang hatte ich außerdem Magen-Darm-Probleme. Ich habe die PrEP nach ein paar Tagen abgesetzt, um zu sehen, ob sie die Ursache ist, und sie war es. Aber anschließend habe ich wieder angefangen und dann trotz Nebenwirkungen weitergemacht. Und nach einiger Zeit haben sich die Beschwerden gelegt.

Und jetzt nimmst du täglich eine Tablette.
Ja. Das ist Routine.

Wie reagieren deine Sexualpartner?
Meistens spreche ich das Thema an. Ich frage, wann sie zum letzten Mal auf Geschlechtskrankheiten einschließlich HIV getestet wurden. Oder wie wir verhüten möchten – mit Kondom? Und wann es zum Einsatz kommen soll. Die Reaktionen sind gemischt. Die eine Hälfte findet es toll, dass ich Verantwortung übernehme. Viele fragen auch nach, wenn ich von der PrEP erzähle.

Bei der anderen Hälfte fängt es im Kopf zu rattern an. “Wenn sie die PrEP nimmt, was macht sie dann mit den anderen Männern? Sie scheint ja heftige Risiken einzugehen.” Da geht dann innerlich die rote Warnlampe an. Und einige Männer möchten eigentlich gar nicht mehr darüber sprechen und nichts darüber hören. Verdrängung ist leider manchmal weiter verbreitet, als man denkt.

Ich spreche auch weiterhin das Thema Kondome mit Partnern an

Was bedeutet die PrEP für dich beim Sex? Was hat sich verändert?
Die PrEP bedeutet für mich eine weitere Schutzmöglichkeit. Ein bisschen “Peace of mind” inmitten all der Unwägbarkeiten, die es natürlich immer und überall gibt. Der Kopf rattert nicht mehr, ob das Kondom von Anfang an und die ganze Zeit drauf war. Und die PrEP verändert auch den Sex. Für ein Kondom ist ja eine Erektion nötig, und die ist nun mal nicht immer und nicht immer die ganze Zeit vorhanden. Die PrEP schon. Außerdem ist mir eben auch wichtig, dass ich diese Schutzmöglichkeit selbst anwenden kann, ohne Männer. Dass ich selbst bestimme, selbst Verantwortung für meinen Schutz übernehmen kann.

Sind Kondome für dich durch die PrEP unnötig geworden? War das auch ein Grund für die PrEP?
Nein, ich spreche auch weiterhin das Thema Kondome mit Partnern an. Da spielt ja auch das Thema Schwangerschaftsverhütung eine Rolle. Und Kondome senken auch das Risiko von Geschlechtskrankheiten. Aber die PrEP macht den Sex jetzt eben viel entspannter.

Gesundheitsminister Spahn hat angekündigt, dass die PrEP zukünftig von den Krankenkassen finanziert werden soll. Wie findest du das?
Absolut richtig und wichtig. Das darf dann aber nicht bei schwulen Männern stehen bleiben. Die PrEP ist auch für manche Frauen eine gute Möglichkeit, sich zu schützen. Und darüber muss auf breiter Ebene informiert werden. Zum Beispiel in gynäkologischen Praxen oder den Gesundheitsämtern. Mit Flyern, Plakaten, Broschüren und so weiter. Ärztinnen und Ärzte sollten die PrEP auch von sich aus ansprechen, und zwar nicht nur HIV-Spezialistinnen. Gerade auch bei Patienten und Patientinnen, die weniger privilegiert sind und denen der Zugang zu Informationen und Schutz ohnehin schon erschwert wird.

Dieser Text ist in einer anderen Version bereits im ‘magazin.hiv’ der Deutschen AIDS-Hilfe erschienen .

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