Selbstinszenierung der Kämpfer auf Social-Media-Plattformen. Foto via.
Gestern wurde bekannt, dass am Mittwoch acht Männer und eine Frau verhaftet wurden, die am Weg nach Syrien gewesen sein sollen, um dort für den Heiligen Krieg zu kämpfen. Die Gruppe bestand aus Tschetschenen, denen in Österreich Asyl gewährt wurde und laut ersten Berichten soll die Dschihadisten-Reisegruppe von einem in Wien lebenden Türken eingefädelt worden sein. Dass Österreicher oder in Österreich lebenden Menschen in den Religionskrieg in Syrien oder den Irak ziehen, ist schon länger bekannt. Der Fall von zwei minderjährigen Mädchen hat großes Aufsehen erregt, aber insgesamt sollen rund 100 Personen aus dem Alpenland mit der IS oder anderen Terrorgruppen gemeinsam kämpfen.
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Das ist eine ziemlich erschreckende Zahl, aber noch bedenklicher ist, dass sich daran nichts ändern wird, solange wir immer alles mit der „perfekten Propaganda“ der IS erklären wollen. Es ist die Ausrede einer Gesellschaft und einer Mediengeneration, die keine beschissene Ahnung von den wahren Hintergründen hat und ratlos ist. Quer über alle Nachrichtenkanäle wird Facebook dafür kritisiert, dass es in prüder US-Manier Bilder von schrecklicher Gewalt erlaubt, während Nacktheit zensiert wird, um einen Nebenschauplatz zum eigentlichen Problem hochzustilisieren. Ziemlich genau dasselbe ist passiert, als auch in der Auseinandersetzung mit dem gestrigen Köpfungsvideo wieder nur die Reaktionen von Twitter anstelle der Ursachenforschung hinter den Meldungen dominiert haben.
Diese Kopf-in-den-Sand-steck-Taktik erinnert an das Ende der 90er Jahre, als Eric Harris und Dylan Klebold in Columbine 13 Menschen erschossen und noch einmal so viele zum Teil schwer verletzten. Die ganze Welt war ratlos, suchte nach Erklärungen—und fand sie in Marilyn Manson/Videospielen/Horrorfilmen/dem Umgang der Amerikaner mit Waffen. 15 Jahre später klingt das genauso absurd, als würde man die Gräuel des Nationalsozialismus ausschließlich mit Göbbels’ Propagandamaschinerie erklären wollen.
Eigentlich hätten wir spätestens seit der Hochphase der Globalisierung kapieren müssen, dass wir nicht in einer monokausalen Welt leben und die Zusammenhänge fast immer viel zu komplex sind, um sie mit nur einer Ursache hinreichend zu erklären. Wir sind an dem Punkt angelangt, wo wir uns manchmal auch eingestehen müssen, dass es keine hinreichende—oder zumindest nicht eine einzige—Erklärung gibt. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir uns mit der einfachsten aller Bullshit-Erklärungen zufrieden geben, deren Absurdität bei zwei Sekunden Denkarbeit jedem Menschen sofort klar ist: Menschen ziehen nicht wegen YouTube Videos, Tweets und Facebook-Postings in den Krieg. „Stattdessen müssen wir als Medien versuchen, die Motivationen und Ursachen hinter solchen Postings besser zu verstehen und warum sie bei so vielen Menschen auf fruchtbaren Boden fallen—und wir dürfen keine Angst vor dem Ergebnis haben.