Ich war gerade dabei den sonntäglichen Pizzateig zu kneten und habe mit der Freundin über schlechte Laune diskutiert, als es an der Tür klingelte. Ich habe nicht wirklich jemanden erwartet und deshalb eher neugierig ins Stiegenhaus geschaut. Ein Mädchen kam, in Stöckelschuhen und schwarzen Mantel gehüllt, gruß- und ausdruckslos auf mich zu. Auf meine Frage hin, zu wem sie denn genau wolle, bekam ich nur „Lisa” als Antwort. Etwas verwirrt, da sie mich nicht gut verstehen konnte und über ihre Zentrale telefonisch ganz sicher an meine Adresse geschickt worden war, wurde sie von mir weggeschickt und eines war klar: Da hat mir jemand eine Prostituierte bestellt.
Verdutzt und mit mehligen Händen stand ich mit genau dieser und keinem Bisschen mehr Information vor meiner Freundin in der Küche. Bevor wir genauer auf die Situation eingehen konnten, klingelte es erneut. Mit einer unguten Vorahnung begrüßte ich Irina, unter deren Lederjacke die Spitzen- und Rüschenunterwäsche schon herauswinkte und ihren Beruf noch eindeutiger transportierte, direkt im Stiegenhaus.
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Ich erklärte ein bisschen panisch, dass sie nicht die erste sei, die an diesem Nachmittag fälschlich für eine Privatparty zu mir bestellt worden war—bis dahin, hatte ich versucht, das Wort „Bestellung” aus Pietätsgründen zu vermeiden, aber Irina nannte es selber so—, während ich bei einem Blick ins Erdgeschoß noch den Mantelärmel der ersten Besucherin abziehen sah.
„Du willst ein anderes Mädchen?” missverstand mich Irina, da sie die Kollegin auf der Stiege nicht als solche erkannt hatte, und ich musste sie überzeugen, dass meine Adresse zwar die richtige sei, aber irgendjemand uns allen einen sehr unangenehmen Telefonstreich spielte. Sie und die osteuropäisch kommunizierende Zentrale, mit der Irina dann telefonierte, glaubten mir letztendlich, und sie zog schulterzuckend ab.
Am Abend läutete Dame Nummer Drei. Zu dem Zeitpunkt war ich einfach nur noch genervt und bin direkt runter ans Haustor, um der Blondine zu öffnen. Mein „Gönner” hat mir eine Brünette, eine Schwarzhaarige und nun auch eine Wasserstoff-Lady geschickt. Schwer zu sagen ob es sich dabei um Zufall oder einen Modus Operandi gehandelt hat.
Die letzte Prostituierte des weirdesten Tags des Herren, bei der ich mit meinem Schwall an Erklärungen keine Zeit fürs Vorstellen ließ, fing erfrischend entspannt zu lachen an. Sie meinte, ihr wäre das noch nie passiert und der Scherzbold müsse drei verschiedene Agenturen angerufen haben, da die Mädchen auch voneinander nichts wussten. Eine beunruhigende Information, da sie auch meinte, dass es in Wien insgesamt um die 150 Agenturen für Escort & Co. gäbe. Vor meinem inneren Auge sah ich ein Endlos-GIF an Prostituierten mein Stiegenhaus rauf und runter gehen.
Nach der Verabschiedung und meiner allgemeinen Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten gab sie mir eine Visitenkarte, falls ich es mir doch irgendwann einmal anders überlegen möchte. In Hinsicht auf die Scheiße, die in weiterer Folge auf mich zukommen sollte, hätte ich das blöde Kärtchen vielleicht sogar annehmen sollen—nicht, um mich mit ein bisschen Bezahlsex aufzumuntern, sondern um zu wissen, wie ihre Agentur heißt und um mehr über den Anrufer herauszufinden.
Die dritte Sex Workerin mit dem komplett verdrehten Zahn blieb rauchend vor der Türe zurück, wahrscheinlich ihre Mitfahrgelegenheit erwartend, und ich schlurfte in meinen Schlapfen zurück in die Wohnung. Meine Freundin empfing mich mit einer mehr skeptischen als besorgten Frage, warum ich denn so lange gebraucht hätte.
Danach verlief der restliche Abend ruhig, obwohl ich echt scheißgrantig war und ein bisschen beunruhigt, dass nun vielleicht doch einige tendenziell verärgerte Pimps mit gut aufgeblasenen Muskeln kommen und vermuten könnten, dass ich ich sehr wohl die Prostituierten bestellt hätte, aber einfach nicht mit dem Besuch meiner Freundin gerechnet hatte und die Mädels deshalb abgewimmelt habe.
Nach ein paar unzusammenhängenden und unwahrscheinlichen Verdächtigungen, wer diese Anrufe gemacht haben könnte, vergaß ich die Vorfälle erstaunlich schnell. Doch ein paar Tage später erlebte ich meine persönliche Ice Bucket Challenge, als plötzlich ein Feuerwehrauto vor meinem Hauseingang in der sonst so friedlichen Brigittenau stand—und ich wie versteinert davor. Meine Wohnung war hell erleuchtet. In diesem Schreckmoment dachte ich sofort wieder an den elenden Irren, der anscheinend mein Leben zerstören will.
Ein Einsatztrupp von mindestens 15 Leuten stand in meiner Wohnung. Die Türen waren aufgebrochen. Polizisten, Sanitäter, Notarzt, das ganze Programm. Ein Typ, der sich beim Rettungsnotruf als „Peter Hofbauer” ausgegeben—ein falscher Name, wie sich später herausstellte—und behauptet hatte, er würde sich in meiner Wohnung den goldenen Schuss setzen. Die Beamten hatten eine solche Ansage natürlich todernst nehmen müssen und entsprechend gehandelt. Nachdem sich das Missverständnis aufgeklärt hatte, montierten sie die Türen auch erstaunlich solide und schnell wieder in den Rahmen—und ich war zumindest froh, dass niemand meine Wohnung abgefackelt hatte.
Damit wurde aus einer Reihe kindischer Streichanrufe, die ans sich schon geschmacklos waren, schlagartig eine klare Straftat. Der Inspektor gab mir die Nummer des Anrufers, um sie mit meinen Telefonkontakten gegenzuchecken. Es wurde mir kein Name zur Nummer angezeigt, leider.
Als irgendwann alle Einsatzleute gegangen waren, habe ich die unbekannte Nummer noch einmal gewählt. Der Typ hob tatsächlich ab. Er ließ sich nicht austricksen und legte nach einigen stark verunsicherten Meldungen wie „Wer bin ich? Du weißt nicht, wer ich bin!” wieder auf. Ich habe die Stimme nicht erkannt. Ich habe keine Ahnung, ob oder welche potentielle Gefahr von dem Typen ausgeht.
Am Tag darauf kam der Bruder meiner Mitbewohnerin zu Besuch, zur Feier ihrer protestantischen Taufe. (Sie ist Mitte 20, nur damit ihr nicht auf seltsame Gedanken kommt—aber das ist eine andere Geschichte.) Das Wissen über seine Polizei- und Krav Maga-Ausbildung beruhigte mich ein bisschen. Erst in diesem Moment bemerkte ich, dass ich in der Zwischenzeit ziemlich angespannt und paranoid geworden war.
Beim Besuch in der LPD Wien (Landespolizeidirektion, aber die Kurzform klingt einfach viel besser) wurde mir gesagt, dass die Telefonnummer inzwischen nicht mehr existent sei. Entweder war es ein Wertkarten-Handy oder der Täter hat im Stress seinen Vertrag aufgelöst. Außerdem klärten sie mich auf, dass eine Anzeige gegen den Anrufer wegen „Missbrauchs eines Notrufzeichens” vorliege. In Verbindung mit meiner Aktennummer würde der Fall an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Wenn noch ein Vorfall dieser Art vorkommen sollte, könne ich eine weitere Anzeige wegen „Beharrlicher Verfolgung” beziehungsweise Stalking anfügen. Den entstandenen Schaden bekäme ich laut dem eher selten zum Tragen kommenden polizeilichen Zwangsbefugnis-Entschädigungsgesetz auch zurückerstattet.
Manche von euch werden jetzt denken: „Wird schon einen Grund geben, warum dich da jemand deskrediertieren will” oder auch: „Du wirst das schon irgendwie verdient haben”. Das mag stimmen—auf dieselbe biblische Art, wie jeder von uns irgendwie schuldig ist, aber bestimmt nicht im Hinblick darauf, dass ich mir etwas zu Schulden kommen habe lassen, das rechtfertigen würde, dass Bullen meine Tür aufbrechen und meine gesamte Wohnung durchstöbern. Es gibt wirklich niemanden aus meinem Bekanntenkreis, dem ich so eine Fahrlässigkeit zutrauen würde—auch wenn die letzte Prostituierte meinte, dass es jemand anscheinend sehr gut mit mir meinen müsste, wenn ich so liebe Mädchen geschickt bekomme.
Meine Paranoia schürenden Arbeitskollegen sagen, dass die Geschichte vom Wertkarten-Handy und die gesamte Vorgehensweise ziemlich nach einer durchplanten Aktion klingen und es wohl persönlich gemeint sein müsse. This time it’s personal! Mittlerweile bin ich aber der Meinung, dass es hauptsächlich um die Wohnadresse und weniger um mich als Person geht. Immerhin hat der Stalker nie meinen richtigen Namen verwendet. Eventuell hatte er einen Beef mit einem meiner Vormieter und wusste nichts vom Wohnungswechsel. Oder er hat früher selbst hier gewohnt und ist auf einem Rachefeldzug gegen das Haus.
Vielleicht ist es auch einfach nur einem relativ weit verbreiteten Phänomen namens „Random Assholery” zuzurechnen. Immerhin ist meine Wohnadresse eine recht griffige, die einem schon auch mal zufällig einfallen kann.
Meine Freundin hat gesagt, dass sie die Geschichte an eine Erweiterung der Happy Slapping-Aktionen erinnere: Der Spaß daran, jemand Unbekannten in eine unangenehme Situation zu bringen.
Also, falls du das hier liest, lieber Stalker, und dich wiedererkennst, dann fick dich doch einfach. Das Verfahren gegen dich ist am Laufen. Ich lass mir von einem feigen Arsch wie dir nicht mein Zuhause mies machen. Oder vergiss die Polizei—ich wünsch dir einen äußerst humorlosen Zuhälterring an den Hals, dem du jetzt Geld schuldest.
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