Amy Love saß gerade in einer Maloka (einer rustikalen runden Hütte mit einem Dach aus Palmenblättern) in dem spirituellen Zentrum Nihue Rao im peruanischen Dschungel, 30 Minuten von der Stadt Iquitos entfernt, als sie zusammenbrach und anfing zu weinen.
Sie war gemeinsam mit mehreren anderen Frauen zum ersten Mal hier, um Ayahuasca zu trinken. Nachdem jede von ihnen einen persönlichen Icaros, einen Heilungsgesang, von dem Schamanen der Zeremonie bekommen und ein Ziel formuliert hatte, tauchten sie in die Welt der heilenden Pflanzen ein.
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Loves Visionen drehten sich darum, wie sie die Bindung zu ihrer Tochter verloren hatte, als sie nicht mehr länger zu Hause bleiben konnte, sondern wieder arbeiten gehen musste. „Ich bin zurückgereist in eine Zeit, als ich noch kein eigenes Unternehmen hatte und meine Tochter noch ein Kleinkind war”, sagt sie. „Ich hielt sie in den Armen, mein Herz ist aufgebrochen und ich habe einfach angefangen zu weinen, lange und laut. Danach habe ich um die verlorene Beziehung zwischen mir und meiner Mutter geweint und die von ihr und ihrer Mutter und meiner Schwester und so weiter … den gesamten Familienstammbaum entlang.”
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Als sie sich umsah, bemerkte sie, dass all die anderen Frauen, die mit ihr in der Maloka saßen, ebenfalls weinten. „Mir wurde auf einer zellulären Ebene klar, dass es eine Verbindung zwischen all den Frauen auf diesem Planeten gibt—eine eng verflochtene Schwesternschaft, an die ich mich mit einem Mal erinnert habe, beziehungsweise derer ich mir bewusst wurde”, sagt sie.
In der darauffolgenden Nacht wurde sie mit einem anderen traumatisierenden Vorfall aus ihrer Vergangenheit konfrontiert: Vor einem Jahr wurde Love in ihrem eigenen Haus von einem Mann überfallen. „Ich habe dieses Trauma mit mir herumgeschleppt, bis es mich schließlich in Schwällen aus Erbrochenem verlassen hat. Ich habe mehrere Schädel gesehen, die mich aus der Toilette heraus anstarrten. In ihren glänzenden Augen konnte ich sofort dieselbe Boshaftigkeit erkennen, die ich zuvor auch in seinen Augen gesehen konnte”, erzählt sie. „In diesem Augenblick hatte ich die Macht, dieses Trauma für immer die Toilette hinunterzuspülen—und das habe ich dann auch gemacht.”
Der Rest der Nacht war für sie „eine durch und durch erfreuliche Erfahrung. Die ganzen Dschungelgeräusche haben sich zu einer richtigen Symphonie zusammengefügt. Ich war noch nie zuvor so euphorisch.”
Es soll die Probleme lösen, die durch das Patriarchat entstanden sind—Traumata, Depressionen, Ängste, Wut, Furcht, Selbstzweifel, Sucht oder Essstörungen.
Love ist nicht die Einzige, die auf der Suche nach einem mächtigen Allheilmittel in den vergangenen Jahren auf den psychodelischen Wein aus dem Amazonasgebiet vertraut haben. Egal ob Menschen, die gegen Suchterkrankungen kämpfen, Prominente und Normalos, die auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind oder Kreative aus dem Silicon Valley, die die Grenzen der kreativen Selbstverwirklichung ausloten wollen—sie alle finden ihren Weg zu Ayahuasca.
Zoe Helene, eine psychedelische Aktivistin, hofft, dass auch Feministinnen ihren Weg dazu finden werden. Über ihre Organisation Cosmic Sister hat Helene den sogenannten „Plant Spirit Grant” ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine Art Stipendium, das es Frauen ermöglichen soll, „die heilende und bewusstseinserweiternde Reise der Ayahuasca-Zeremonie im peruanischen Amazonas zu erleben.” Seit 2013 hat sie Love und 13 weitere Frauen, die anerkannte Arbeit auf dem Gebiet der Psychedelika geleistet haben oder sich dafür interessieren, mit zum Geburtsort der weltweiten Ayahuasca-Bewegung genommen.
Sie setzt sich für einen „psychedelischen Feminismus” ein—eine Philosophie, die unter anderem auch sicherzustellen versucht, dass Frauen in der psychedelischen Forschung repräsentiert werden. Doch es geht um weit mehr als das. Helene glaubt, dass das Eintauchen in das innerste Selbst durch Ayahuasca Frauen dazu bringen kann, ihr wahres Potential zu zu erkennen, das sie für ihr eigenes Leben nutzen können und damit letztlich auch nach außen hin Wellen schlagen.
„Bei der spirituellen Reise mit heiligen psychedelischen Pflanzen geht es darum, tiefliegende Strukturen und selbstzerstörerische Mechanismen zu durchbrechen”, erklärt sie Broadly am Telefon. „Es geht um Liebe und Mitgefühl und darum, anderen und sich selbst zu verzeihen. Außerdem soll es die Probleme lösen, die durch das Patriarchat entstanden sind—Traumata, Depressionen, Ängste, Wut, Furcht, Selbstzweifel, Sucht oder Essstörungen.”
Ayahuasca hat auch Helene in einer entscheidenden Zeit ihres Lebens zur Erleuchtung verholfen, erzählt sie. Als sie 42 Jahre alt war, verließ sie ihren Verlobten und das Technikunternehmen, das die beiden gemeinsam gegründet hatten. Sie wollte ihrem Leben eine neue Richtung geben und heiratete zwei Jahre später Chris Kilham, einen im US-amerikanischen Fernsehen recht bekannten Ethnobotaniker. Sie hatte allerdings nicht das Gefühl, dass sie „ihren eigenen Lebensweg ging.” Im Jahr 2008 reisten die beiden dann zu einer Konferenz über Psychedelika in Peru, zu der Kilham als Redner eingeladen war. Diese Reise änderte für Helene alles.
Als sie zum ersten Mal Ayahuasca trank, hatte sie intensive Visionen, die ihr zeigten, welche Richtung sie mit ihrem Leben einschlagen sollte. Die Botschaft kam in Form einer Frau, auch bekannt als Mutter Ayahuasca—ein weit verbreitetes Symbol, das den Menschen erscheint, die sich das Gebräu einverleiben. „Ich wurde von dieser Kriegsgöttin, dieser göttlichen weiblichen Figur, herausgefordert. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie schwebte einfach vor mir im Dunkeln”, erzählt Helene. „Es kam mir vor, als wäre diese mächtige weibliche Entität enttäuscht von mir, weil ich mein wahres Potential noch nicht entdeckt hatte. Sie gab mir das Gefühl, dass ich etwas aus meinem Leben und meinen Privilegien machen musste.”
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Nach dieser Vision war sie überzeugt, dass sie „in vielerlei Hinsicht durch das Patriarchat verwundet wurde.” Sie erinnerte sich an einen Professor an der Universität, der sie im Unterricht beleidigt hat, weil sie nicht mit ihm schlafen wollte. Daran, wie sie als junge Frau Theaterwissenschaften studiert hatte und ihr immer wieder Rollen im Austausch gegen sexuelle Gefälligkeiten angeboten worden waren. Als ihre Visionen nachließen, wurde ihr klar, dass sie ein Netzwerk für Frauen gründen wollte, welches an der Schnittstelle zwischen Feminismus, Umweltschutz und der Unterstützung von Psychedelika agieren sollte.
„Der Grund, warum wir unsere Macht nicht nutzen, ist der, dass wir in der patriarchalischen Gesellschaft missbraucht werden—und zwar überall. Man kann ihm nicht entkommen. Wir werden dazu gezwungen, in einer Welt zu leben, in der wir permanenter psychologischer Gewalt ausgesetzt sind und das macht uns fertig.”
Seit dieser Nacht glaubt Helene fest an das, was Psychedelika für Frauen tun können. Neben dem Plant Spirit Grant finanziert sie noch ein weiteres Stipendium namens Women of the Psychedelic Renaissance. Es soll Frauen die Möglichkeit geben, über ihre Erfahrungen zu schreiben oder andere Projekte zu verwirklichen. Außerdem unterstützt sie eine Förderung, die Cannabis-Aktivisten bei ihrer Aufklärungsarbeit unterstützen soll. Helene finanziert all ihre Projekte mit ihrem eigenen Geld und der Unterstützung durch Spenden, die sie über Cosmic Sister und die Zusammenarbeit mit Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS) erhält.
„Die Idee hinter Cosmic Sister war es, ein Netzwerk zu schaffen, über das wir einander so gut es geht unterstützen können”, sagt Helene. „Die Göttin [in meiner Vision] hat mit gesagt, dass ich mich der Herausforderung stellen und dafür arbeiten muss.”
Ähnlich wie bei dem Konzept der Selbstfürsorge folgt auch der psychedelische Feminismus der Überzeugung, dass man zunächst sich selbst heilen muss, bevor man andere heilen kann. Allerdings ist die Wirkung von Ayahuasca—einer Kombination aus Banisteriopsis caapi, einem MAO-Inhibitor, Wein und DMT-haltigen Chacrunablättern—deutlich stärker als ein Schaumbad und ein Abend auf dem Sofa.
Was an der Heilpflanze ebenso verwirrend wie faszinierend ist, ist die enorme Bandbreite an Heilkräften, die ihr nachgesagt werden: Menschen berichten nach einer Ayahuasca-Zeremonie oft von tiefgreifenden Erweckungserlebnissen, neuen Perspektiven auf ihr bisheriges Leben und sogar vom Hochkommen verdrängter Erinnerungen. Bei privilegierteren Menschen nimmt das zum Teil ganz banale Formen an—wie der Investmentbanker, der sich während einer Ayahuasca-Zeremonie seiner fehlgeleiteter Gier bewusst wird und Dokumentarfilmer wird (obwohl er in seinem alten Job sehr viel Geld verdient hat). Es gibt allerdings auch Kriegsveteranen, die sagen, dass ihnen Ayahuasca entscheidend bei ihrer Posttraumatischen Belastungsstörung geholfen hat.
Dennis McKenna, Terrence McKennas jüngerer Bruder, ist Ethnopharmakologe und hat die halluzinogene Pflanze als einen Art Lehrer beschrieben. „[Die Pflanzen] existieren, um uns zu leiten und Weisheiten zuteil werden zu lassen—und daran glaube ich tatsächlich”, sagte er in einem Interview mit dem Guardian. Als er zum ersten Mal Ayahuasca getrunken hat, erinnert sich McKenna, konnte er die Vorgänge der Photosynthese auf einer molekularen Ebene beobachten.
Doch wie können Frauen Ayahuasca für sich nutzen? „Vielen Menschen, ganz besonders Frauen, stehen ihre Schüchternheit und ihre Selbstzweifel im Weg”, sagt Faye Sakellaridis. Sie ist eine der Frauen, die Helene im Dezember 2016 nach Peru begleiten durften. „Ayahuasca kann uns dabei helfen, selbst zu unseren wichtigsten Verbündeten zu werden, statt weiterhin unsere schlimmsten Feinde zu bleiben.”
Ayahuasca kann uns dabei helfen, selbst zu unseren wichtigsten Verbündeten zu werden, statt weiterhin unsere schlimmsten Feinde zu bleiben.
Laut Sakellaridis „stärkt Ayahuasca, indem es uns hilft, uns selbst zur Rede zu stellen. Zuerst hat mich die Medizin meinen eigenen Dämonen ausgeliefert—wie ein Vorschlaghammer, der auf mein drittes Auge trifft. Das war furchteinflößend”, erinnert sie sich. „Als ich die Embryonalhaltung verließ und ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüber trat, fing die Medizin an, in unglaublicher Weise zu wirken und mich auf meine tiefste innere Stärke einzuschwören.”
Unter den diesjährigen Empfängern des Plant Spirit Grant waren eine Ärztin, eine Journalistin, eine Musikerin und Neşe Devenot, eine psychedelische Stipendiatin. Sie sagt, dass Ayahuasca ihr dabei geholfen hat, die Scheidung von ihrem gewalttätigen Ex zu verarbeiten. „Ich habe mich von meiner verbliebenen Bindung zu meinem Ex-Partner befreit und habe einen Großteil des tiefsitzenden emotionalen Schmerzes verarbeitet, den ich nach meiner Befreiung aus dieser Ehe verspürt habe”, sagt sie. „Die Sache mit der Schwesternschaft ist ein weiterer wichtiger Faktor dieser Erfahrung. Unsere gemeinsamen Erfahrungen, die uns als Gruppe verbinden, arbeiten synergetisch mit dem Ayahuasca. Sie bieten uns die Möglichkeit, Emotionen zu verarbeiten und herauszulassen, die uns bis dahin immer zurückgehalten haben.”
Insgesamt sind im Dezember sieben Frauen für vier aufeinanderfolgende Ayahuasca-Zeremonien nach Peru gereist, wobei jede von ihnen ihre ganz eigenen Ziele damit verfolgt hat. Rachael Carlevale arbeitet als Yoga-Lehrerin und setzt sich darüber hinaus für nachhaltigen Cannabisanbau ein. Sie war eine der Frauen der Gruppe und ist bereits zum zweiten Mal mit Helene nach Peru gereist. Carlevale war die erste Frau, die 2013 den Plant Spirit Grant erhalten hat, nachdem bei ihr ein Tumor in der Gebärmutter festgestellt wurde.
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Ein paar Tage nach ihrer Rückkehr habe ich mit ihr telefoniert, um mit ihr über ihre Ayahuasca-Erfahrung zu sprechen. Ich war darauf vorbereitet zu hören, dass die Pflanze ihre Stimmung aufgehellt hat oder dass sie eine neue Berufung für ihr Leben gefunden hat—stattdessen erzählte sie mir, dass ihr Tumor geschrumpft sei. „Es war absolut hilfreich bei der Heilung von der zellulären Ebene bis hin zur spirituellen Ebene. Ich kann das zweifellos belegen”, sagt sie. „Seit ich in Peru war, habe ich nur mit pflanzlicher Medizin, Yoga und Meditation an meiner Heilung gearbeitet und mein Tumor ist um 20 Zentimeter geschrumpft.”
Ihre letzte Reise, meint sie, könnte sie vielleicht sogar komplett geheilt haben. „Die konventionellen Ärzte wollten eine Notfall-Hysterektomie bei mir vornehmen”, sagt sie. „Das hatte ich immer im Hinterkopf, denn mir war klar, dass ich über allopathische Methoden wie eine Operation nachdenken hätte müssen, wenn sich mein Zustand verschlechtert hätte. Doch zum Glück war das nicht notwendig und ich wurde von Tag zu Tag gesünder. Tatsächlich hatte ich das letzte Mal, als ich in Peru war, Visionen und das Gefühl, dass ich den Tumor vollständig los geworden bin. Ich bin deswegen ziemlich aufgeregt. Ich werde eine Ultraschalluntersuchung machen lassen, um zu sehen, ob er wirklich weg ist, denn genau das habe ich während der Zeremonie gesehen und gefühlt.” Ayahuasca, sagt sie, hat ihr auch gegen ihre Angst vor Spinnen geholfen.
Ungeachtet der Tatsache, dass ihre Spinnenangst der Vergangenheit angehört, macht Carlevales Geschichte deutlich, dass Ayahuasca noch weiter erforscht werden muss. Es gibt Hinweise darauf, dass DMT, das Halluzinogen in Ayahuasca, „indirekt als Antioxidans dient” und als Sigma-1-Rezeptor zellulären Stress lindern könnte, welcher mit krebsartigen Tumoren in Verbindung gebracht wird. Die pharmakologische Wirkung von Ayahuasca ist bisher allerdings noch nicht vollständig erforscht und bei den Studien, die zur Verwendung der Pflanze durchgeführt wurden, handelt es sich ausschließlich um Beobachtungsstudien. MAPS empfiehlt, dass „jeder, der über die therapeutische, spirituelle oder religiöse Anwendung von Ayahuasca nachdenkt, die Risiken und Vorteile sorgfältig abwägen und sicherstellen sollte, dass ihnen die notwendige medizinische Betreuung zur Verfügung steht.”
Die traditionelle Verwendung von Ayahuasca durch die indigenen Völker der Amazonasgebiete in Ecuador, Kolumbien, Peru und Brasilien sah ursprünglich etwas anders aus. Über tausende von Jahren nutzten sie die Pflanze als Hilfsmittel für magische Rituale und im Alltag. Da man annahm, dass Krankheiten einen übernatürlichen Ursprung hatten, besuchten beispielweise kranke Menschen einen Curandero oder einen Schamanen. Der Heiler trank den Pflanzensud allerdings selbst, um den Ursprung der Krankheit zu prophezeien.
Ende der 60er-Jahre, als man im Westen begann, sich mit dem Gebräu auseinanderzusetzen, verbrachte die Anthropologin Marlene Dobkin De Rios fünf Monate im peruanischen Inquitos, um die traditionelle Verwendung von Ayahuasca und seine allgemeine Rolle in der peruanischen Gesellschaft zu erforschen.
Als es an der Zeit war, die Rückreise anzutreten, hatte sie allerdings das Gefühl, dass ihre Arbeit noch nicht vollständig war: Sie hatte das Entheogen noch nicht selbst ausprobiert. „Ich muss zugeben, dass ich Angst hatte. Ich wusste einfach nicht, welche Negativfolgen eine solche Selbsterkenntnis mit sich bringen könnte”, schrieb sie in Visionary Vine, ihrem 1971 erschienen Buch, das gleichzeitig auch der erste öffentliche Bericht über einen Ayahuasca-Trip aus Sicht einer Frau war.
De Rios „beschloss schließlich, den Sprung zu wagen” und fand sich gemeinsam mit einem Kollegen, einem Schamanen und zwei weiteren Personen auf einem hölzernen Hausboot wieder, das über den Amazonas trieb. Nur zehn Minuten nachdem sie die „nicht besonders angenehm riechende Flüssigkeit” getrunken hatte, spürte sie ein eigenartiges Gefühl in ihrem Körper aufsteigen und konnte weder Arme noch Beine bewegen. Nach 20 Minuten fing sie an, Bilder zu sehen und bekam „ein leichtes Angstgefühl, mit dem man aber gut umgehen konnte—besonders als Halloween-artige Dämonen, hauptsächlich in Rot-, Grün- und Blautönen, auftauchten und wieder verschwanden.” Sie sah mit offenen Augen Blättermuster und eine unbekannte peruanische Frau, die sie höhnisch angrinste. Dann musste sie sich übergeben und hatte drei Stunden lang Durchfall.
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Es war allen Anschein nach keine besonders angenehme oder tiefgreifende Erfahrung. Als sie einigen peruanischen Freunden von der grinsenden Frau, die sie gesehen hatte, erzählte, meinten sie, dass die Pflanze versucht hätte herauszufinden, was für die parasitäre Erkrankung, an der sie während ihrer Zeit im Amazonas litt, verantwortlich gewesen sei. Das führte sie letztendlich zu der Annahme, dass die offenbarenden Eigenschaften von Ayahuasca kulturabhängig sind—das heißt, es handelt sich dabei schlichtweg um Rorschach-artige Interpretationen. „Wenn ich in einer Gesellschaft aufgewachsen wäre, die mir den unentwegten Glaube an eine magische Ursache für Erkrankungen eingeimpft hätte, wäre es sehr wahrscheinlich, dass ich in dieser Vision eine Offenbarung für die Ursache meiner Erkrankung gesehen hätte”, schrieb sie. Einen positiven Effekt hatte das Gebräu allerdings doch auf De Rios: Mehrere Monate später verspürte sie nach eigener Aussage „ein generelles Wohlbefinden”.
Seitdem hat die überwiegend praktische Anwendung von Ayahuasca seine prophetischen Wurzeln verloren. Stattdessen wurde der Wein über die letzten Jahren vermehrt dazu verwendet, das Wohlbefinden zu steigern, was den Erkenntnissen von De Rios zu verdanken ist, die letztlich auch den Weg für populärwissenschaftliche Artikel in den Medien geebnet haben. Tatsächlich hat De Rios bereits in den 60er-Jahren beobachtet, dass der Wein für die wohlhabenderen peruanischen Bevölkerungsgruppen von therapeutischen Interesse war—insbesondere für diejenigen, die eine Verbindung zu den indigenen Völkern hatten. In den 80er-Jahren, als sich die angeblich transformativen Eigenschaften des Pflanzensuds stärker in das Bewusstsein der aufkommenden kosmopolitischen Bevölkerungsschicht rückte, nahm auch der Ayahuasca-Tourismus aus dem Westen schlagartig zu.
In einer 1994 erschienen Arbeit mit dem schlichten Titel „Drogentourismus im Amazonasgebiet”, kritisierte De Rios „die Suche nach fremden Drogen in einer fremden Umgebung” indes sehr harsch als „ein postmodernes Phänomen, während der globale Kapitalismus seinen Schwerpunkt von der Produktion auf den Konsum verlegt und versucht, die Bedürfnisse seiner Konsumenten befriedigt—ganz egal, wie sie aussehen.” De Rios, die bereits 2012 verstarb, kreidete darüber hinaus an, dass die Pflanze nur eine weitere Möglichkeit für die Menschen darstelle, um „die eigene leere Existenz” mit irgendetwas zu füllen. Außerdem verneinte sie sämtliche introspektiven Vorteile, die angeblich aus dem Ayahuasca-Ritual, dem Schauspiel der Schamanen und der bloßen Beeinflussbarkeit der Menschen gezogen werden können.
Im Gegensatz zu der ersten Frau, die über Ayahuasca schrieb, haben Helene und die modernen Befürworter der medizinischen Pflanze ganz offensichtlich eine positivere Sicht auf ihre Wirkung und darauf, warum sich so viele Menschen auf die Suche danach machen. Helene hofft, dass Ayahuasca eines Tages freier und allgemein verfügbar sein wird—und dass mehr Frauen die Möglichkeit bekommen werden, die Pflanze zu studieren. „Es ist wirklich toll, die Wirkung der Pflanze an ihrem Ursprung zu erleben”, sagt sie, „aber es wäre auch schön, wenn derartige Dinge im alltäglichen Leben vefügbar wären.”
Doch während synthetische Psychedelika wie MDMA oder LSD mittlerweile auf ihre therapeutischen Eigenschaften hin untersucht werden, bleibt Ayahuasca an eine sagenumwobene Kultur und einen speziellen Ort gebunden. Allerdings muss hierzu auch gesagt werden, dass die Globalisierung von Ayahuasca schon jetzt negative Effekte auf die indigenen Völker der Amazonasregion hatte: Ayahuasca-Zeremonien haben sich zu einer großen Tourismus-Industrie entwickelt und die meisten Ayahuasca-Zentren in Peru werden von Menschen aus dem Westen geführt, die die indigene Bevölkerung aus ihren Geschäftsmodellen verdrängen. Die Eingeborenenstämme machen sich schon jetzt Sorgen darüber, dass ihre Kultur verschwinden könnte. Wenn es möglich wäre, die Pflanze, die ausschließlich im Amazonasgebiet wächst, zu exportieren, könnten die Folgen verheerend sein.
Wir nutzen lediglich [Ayahuasca-Zentren], die sich nicht nur respektvoll gegenüber der Kultur der Ureinwohner verhalten, sondern sie auch in irgendeiner Form unterstützen.
Zugleich stellt der Ayahuasca-Tourismus nämlich auch eine wichtige Einkommensquelle für die Ureinwohner dar—auf Gedeih und Verderb. Tatsächlich lassen sich viele von ihnen zum Schamanen ausbilden und finden so Arbeit. „Die traurige Tatsache ist, dass es nur sehr wenige respektable Berufe für die indigenen Völker des Amazonasgebiets gibt. Das Armutsniveau in Iquitos ist extrem hoch und die Zerstörung des Amazonas-Regenwals und der Flüsse ist verheerend”, erklärt Helene. Sie hofft, dass sie die indigene Bevölkerung stärken kann, indem sie sicherstellt, dass sie teilhaben an dem Gewinn, der durch ihr traditionelles Wissen entsteht.
„Wir nehmen die Ausbeutung und die Übererntung nicht hin. Es ist unsere Aufgabe und unsere Überzeugung gegen derartige Dinge vorzugehen”, sagt sie. „Wir nutzen lediglich [Ayahuasca-Zentren], die sich nicht nur respektvoll gegenüber der Kultur der Ureinwohner verhalten, sondern sie auch in irgendeiner Form unterstützen.” Die letzten Empfänger der Förderung hat Helene in ein Ayahuasca-Zentrum namens Dreamglade gebracht, das außerhalb von Iquitos liegt. Dreamglade wurde von einem britischen Auswanderer gegründet und beschäftigt ausschließlich indigene Schamanen vom Stamm der Shipibo.
Sie sagt, dass die aufmerksamsten Ayahuasca-Reisenden einen symbiotische Beziehung mit den indigenen Menschen führen. So verdienen die Shipido-Frauen beispielweise auch Geld damit, dass sie Touristen handgewebte und handbemalte Stoffe mit Motiven aus ihren eigenen Ayahuasca-Visionen verkaufen. „Der Verkauf von Kunsthandwerk direkt durch den Künstler oder ohne viele Zwischenhändler ist die beste Möglichkeit, um die Shipdo zu unterstützen, ihre kulturelle Tradition zu erhalten und ihre weitere Entwicklung als individuelle Künstler zu fördern”, sagt Helene. Sandra Garcia hat ebenfalls Geld aus der Förderung bekommen, um mit auf die Reise zu kommen. Sie ist eine spanische Übersetzerin, die Helene geholfen hat, weibliche Curanderos für ein großes Projekt, an dem sie derzeit arbeitet, zu interviewen. Sie möchte damit zeigen, welcher Zusammenhang zwischen der Pflanze und dem Kunsthandwerk der Ureinwohnerinnen besteht.
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Helene erklärt, dass sie plant, ein zusätzliches Stipendium über Cosmic Sister einzurichten, das einheimische Frauen dabei unterstützen soll, sich zu Schamanen ausbilden lassen zu können. Diese Ausbildung dauert in der Regel Monate, wenn nicht sogar Jahre. In der Vergangenheit durften Frauen der verschiedenen indigenen Stämme nicht mit entheogene Pflanzen arbeiten. Das beginnt sich allmählich zu ändern.
„Es gibt zwar weibliche Schamanen, aber längst nicht genug. Ich würde mir wünschen, dass Frauen, die bereits Schamanen sind, andere Frauen [für den Erhalt des Stipendiums] auswählen. Es würde sich dabei um eine Ausbildung handeln, die so bereits existiert—nur eben vorwiegend für Männer. Ich könnte das nicht tausenden von Frauen anbieten, aber vielleicht zwei pro Jahr.” Sie meint weiter: „Ich habe das Geld, die Infrastruktur und das Wissen, um zu helfen, warum also nicht?” Es gäbe wirklich schlimmere Dinge, für die man sein Geld ausgeben könnte.
Das wiederaufkeimende Interesse an der therapeutischen Wirkung von Halluzinogenen wird bereits die psychedelische Renaissance genannt. Helene könnte also so einen Art Owsley Stanley sein—obwohl dieser meinte, dass er niemals vorhatte, die Welt zu verändern, indem er LSD herstellt und es kostenlos verteilt. Helene nimmt mit ihrem Einsatz allerdings eine ähnliche Vorreiterrolle ein. Außerdem ist sie davon überzeugt, dass das Psychedelikum nach und nach zu einer großen Veränderung führen kann. Sie glaubt fest an die Frauenwelt und an Ayahuascea und sieht unendliches Potenzial in der Kombination aus den beiden Komponenten.
Carlecales wurde nach ihrem erstem Ayahuasca-Trip beispielsweise dazu inspiriert in ihre Heimat im US-Bundesstaat Colorado zurückzuziehen, wo sie als Leiterin des Bildungsprogramms von Planned Parenthood gearbeitet und das Aufklärungsangebot der regionalen Gesundheitsdienstleister für Frauen überprüft hat. „Ayahuasca erweitert dein Bewusstsein und lässt dich nach dem größeren Sinn fragen”, erklärt sie. Also hat sie ein neues Programm entwickelt, welches sich auch mit weiterführenden Fragen hinsichtlich der sexuellen Gesundheit befasst—ganz anders als die üblichen Aufklärungsmethoden von „wie man ein Kondom anzieht” bis hin zu „welche unterschiedlichen Verhütungsmethoden gibt es”.
Doch was als nächstes kommt, sagt Helen, hängt nicht von ihr ab. „Wenn man einer Frau hilft, die dafür empfänglich ist und die dadurch gestärkt wird, dann wird sie frei sein, um etwas Neues anzufangen. Sie geht vielleicht in ihre Heimatstadt zurück, integriert die Lehren und Visionen [von Ayahuasca] in ihr Leben und hilft damit anderen Frauen”, sagt sie. „Das Ganze ist ein Vorkasse-Modell. Ich habe keinen Kontrolle über den Verlauf und ich will die Kontrolle auch gar nicht haben—das ist eine patriarchale Vorstellung. All diese Frauen machen ihr eigenes Ding.”