Eine Frau mit Händen vor den Augen und Laptop- und Handybildschirme. Wenn Menschen auf Social Media Dinge posten, während sie eine psychische Krise durchleben, kann das im Nachhinein sehr belastend sein.
Foto: Getty | Collage: Amarens Eggeraat
Menschen

Menschen erzählen, was sie in einer psychotischen Phase online verbreitet haben

Wir alle haben schon einmal etwas Peinliches auf Instagram gepostet und es hinterher bereut. Wenn du psychisch krank bist, steht aber noch viel mehr auf dem Spiel.

Als ein guter Freund eine psychotische Episode erlitt, erfuhr ich davon über Social Media. Er hatte alle seine alten Posts gelöscht. Stattdessen postete er obskure Insta-Stories darüber, dass sich die Welt bald sehr verändern werde. Er folgte außerdem Tausenden neuen Profilen - normalen Leuten und Prominenten. Und einige Leute hinterließen darunter gemeine Kommentare.

Ich konnte mir seine Stories nicht mehr ansehen, es war zu viel für mich. Man sah, dass er nicht mehr er selbst war. Ich bat einen Freund, die Stories erst durchzugehen, bevor ich sie mir ansah.

Anzeige

Wenn Menschen einen psychotischen Zusammenbruch erleiden, fühlen sich deren Freunde und Verwandte oft wie hilflose Zuschauer. Aber wenn jemand so öffentlich die Kontrolle verliert, hat man das Gefühl, dass einem die Person sogar noch schneller entgleitet. Vor allem, weil im Internet alles für immer und jeden auffindbar ist. Während einer psychotischen Episode werden Betroffene oft paranoid und misstrauisch. Sie verlieren ihren Realitätsbezug. Das konnte man auch bei meinem Freund beobachten.


VICE-Video: Maisie und ihr Kampf mit paranoider Schizophrenie


Irgendwann postete er ein Foto aus einem Krankenhaus auf Instagram. Er war in eine Klinik eingeliefert worden, durfte dort aber immer noch soziale Medien nutzen. Die Psychologin Marieke Pijnenborg, die sich auf psychotische Störungen spezialisiert hat, erklärt mir, woran das liegt. In den Niederlanden (wo ich und mein Freund leben), gibt es keinerlei gesetzliche Beschränkungen für die Internetnutzung von Psychiatriepatienten. Das Gesetz wurde seit 1994, also lange vor Social Media, nicht mehr aktualisiert. In Deutschland kann man die Internetnutzung unter bestimmten Voraussetzungen einschränken. Bei einem Klinikaufenthalt ist es oft üblich, drei Monate lang keine sozialen Medien zu nutzen, allerdings auf freiwilliger Basis.

Das sei eine heikle Situation, sagt Pijnenborg: Während Patientinnen Trost durch den Kontakt zu Freunden finden können, schämen sich viele für ihr Online-Verhalten, wenn es ihnen besser geht. "Sie müssen nicht nur ihre psychotische Episode verarbeiten, sondern auch den Schaden, den sie online angerichtet haben", sagt sie. Das Personal kann die Social-Media-Aktivitäten seiner Patienten nicht überwachen, denn das wäre ein massiver Eingriff in die Privatsphäre. Glücklicherweise ist mein Freund jetzt wieder zu Hause und stabil. Sein Erlebnis hat mich jedoch dazu gebracht, mit anderen Menschen über den Umgang mit einer Online-Psychose zu sprechen. Einige waren bereit, mir ihre Geschichten zu erzählen.

Anzeige

Sarah*, 24

Nach einer Woche mit zu vielen Drogen und zu wenig Schlaf erlebte ich vor etwa zwei Jahren eine psychotische Episode. Ich war drei Monate lang in einer Klinik, und es dauerte über ein Jahr, bis ich mich wieder wie ich selbst fühlte. Zu Beginn meiner manischen Phase teilte ich andauernd Lieder auf Instagram und Facebook - wenn es in den Texten auch nur ein einziges Wort gab, zu dem ich einen Bezug hatte, dachte ich, sie handeln von mir. Ich lud Videos hoch, auf denen ich sang, und ein Bild, auf dem ich in einem Park einen Baum umarmte.

Ich erstellte eine WhatsApp-Gruppe mit all meinen Freunden, weil ich alles mit ihnen teilen wollte. Einmal schickte ich ein Bild aus einem Krankenwagen mit der Unterschrift "Check out my ride". Ein anderes Mal teilte ich ein Selfie, auf dem ich grinste, während ich an einem intravenösen Tropf hing. Meine Freunde waren natürlich geschockt und sagten mir das auch. Zu der Zeit konnte ich das nicht wirklich verstehen, aber jetzt, im Rückblick, weiß ich, was sie meinen.

Annette*, 28

Während meiner beiden psychotischen Episoden habe ich viel Zeit auf Social Media verbracht und abstruse Nachrichten geteilt. Das war aber noch nicht alles. Ich habe eine eigene Firma aufgemacht. Mit allem, was dazugehört: Website, Blog und so weiter. Das war glücklicherweise nicht allzu peinlich, aber ich glaube, es war offensichtlich, dass es mir nicht gut ging. Normalerweise hätte ich meine Zeit online nie so verbracht.

Anzeige

Rückblickend schäme ich mich besonders für die Posts, die auch andere Leute betrafen. Einmal schickte ich völlig unverständliche E-Mails an einige meiner Lehrer. Ich habe mich auch auf freie Stellen beworben, weil ich auf der Suche nach einem Job war. Das hätte meinem Ruf wirklich schaden können.

Ich denke, das Internet kann eine Psychose durchaus beschleunigen. Man kann in sozialen Medien viel Bestätigung für sein manisches Verhalten sammeln. Viele der Dinge konnte ich nicht so leicht rückgängig machen. Ich hatte sogar ein paar Domains gekauft und meine Firma bei der Handelskammer registriert.

Tom*, 30

Nachdem mein Vater starb, als ich 26 war, hatte ich einen psychotischen Anfall. Ich kaufte mir eine teure Kamera und fing an, durchweg alles zu filmen – egal, ob wildfremde Menschen in der Stadt oder mich auf einem Roller oder beim Sport. Anschließend teilte ich alle Videos auf YouTube. Ich fühlte mich, als müsse ich das tun oder als sei es mein Job. Als würden meine Videos der Welt helfen und ich einen sehr wichtigen Beitrag leisten.

Ich habe viele meiner guten Freunde in der Klinik kennengelernt. Manchmal erleiden sie eine neue psychotische Episode und tauschen online Verschwörungstheorien aus. Es macht mich traurig, das zu sehen. Ich weiß, dass sie das nicht wirklich glauben, sondern, dass das die Krankheit ist. Trotzdem urteilen andere Leute über sie.

*Namen von der Redaktion geändert.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.