Drei Fotos von Menschen, die bewusst keine Schuhe tragen, einige schwören auf gesundheitliche Vorteile, andere wollen sich und ihre Umgebung besser wahrnehmen.
Von links nach rechts: Eva zu Beck, Isabelle Brough und Ritesh Shaiwal | Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Abgebildeten
Menschen

Wir haben Leute, die aus Überzeugung barfuß laufen, gefragt: Warum?

"Ich habe noch keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gesehen, dass es gut ist, Schuhe zu tragen."

Es ist noch nicht lange her, da legte die polnische Travel-Bloggerin Eva zu Beck Wert auf gepflegte Füße. Sie trug hochhackige Schuhe, bestickte Mokassins und Lederstiefel. Heute ist das anders. Vor ein paar Monaten entschied sich die 31-Jährige dazu, die Welt barfuß zu bereisen.

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"Als ich alles hinter mir ließ und dieses Nomadenleben begann, fühlte ich mich der Natur viel verbundener", sagt zu Beck. "Zu der Zeit ist mir auch zum ersten Mal der Barfuß-Lifestyle begegnet. Ich habe dann nach Studien gesucht, die belegen, dass barfuß gehen wirklich Vorteile hat."

Seit Jahrtausenden tragen Menschen Schuhe, aber in letzter Zeit scheint es wieder großes Interesse am Barfußlaufen zu geben. Einige wollen Schuhe sogar komplett aus ihrem Leben verbannen. Die Gründe dafür reichen von einem Bedürfnis nach stärkerer Naturverbundenheit, über Spiritualität bis hin zu medizinischen Vorteilen.

Von den Menschen, mit denen wir für diesen Artikel gesprochen haben, tragen einige gar keine Schuhe mehr, andere nur im Winter oder wenn eine Hausordnung es verlangt.


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Eines der am häufigsten angeführten Argumente von Barfußfans ist das sogenannte Earthing oder Erden: das Berühren des Bodens mit der nackten Haut. Manche Menschen sehen darin eine einfache, aber effektive Methode, die eigene Gesundheit zu verbessern und Schmerzen zu lindern. Sich zu erden kann bereits sein, barfuß über eine Wiese zu gehen. Laut der Theorie gelangen die negativ geladenen Elektronen der Erde über direkten Hautkontakt in den menschlichen Körper und neutralisieren dort freie Radikale.

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2012 erschien in der Fachzeitschrift National Library of Medicine eine Studie laut der Earthing durch den "Transfer von Elektronen der Erde in den menschlichen Körper" dabei hilft, Schmerzen zu lindern und besser zu schlafen.

Zu Beck sagt, sie erinnere sich noch, wie ihr kalte Schauer den Rücken runterliefen, als sie den ersten Barfuß-Enthusiasten begegnete. Taten denen nicht die Füße weh? Wie konnten sie so einfach Täler durchqueren und auf Gipfel klettern? Bald habe sie für sich festgestellt, dass es nur natürlich war, die Welt barfuß zu erleben.

"Wenn ich barfuß laufe, ist das kein Statement. Es geht nur darum, wie ich mich fühle. Und wenn ich mich nicht besser fühle, wenn ich auf Beton barfuß laufe, dann mache ich das nicht."

Der Verzicht auf Schuhe habe sie außerdem zu einer besseren Läuferin gemacht, sagt zu Beck. Ihr Gang sei ausgeglichener geworden, was sie davor schützt, bei Wanderungen an zerklüfteten Bergen das Gleichgewicht zu verlieren. "Die Laufschuhlobby verdient einen Haufen Geld. Es ist in deren Interesse, uns davon zu überzeugen, dass wir teure, gepolsterte Schuhe brauchen. Ich habe noch keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gesehen, dass es gut ist, Schuhe zu tragen."

Zwei Fotos einer Frau mit langen Haare, die barfuß über einen Strand läuft

Eva Zu Beck aus Polen bereist die Welt barfuß | Fotos mit freundlicher Genehmigung der Abgebildeten

Laut einer Untersuchung des Evolutionsbiologen Daniel Lieberman von der Harvard Universität, in der er Barfußläufer mit Schuhträgern verglich, erlebten die besohlten Läufer bei abruptem Anhalten eine starke Aufprallkraft. Bei Barfußläufern gab es dieses Phänomen nicht.

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Lieberman untersuchte fünf verschiedene Versuchsgruppen in den USA und in Kenia: gewohnheitsmäßige Barfußläufer; Menschen, die barfuß aufgewachsen waren, jetzt aber in gedämpften Schuhen laufen; Läufer, die mit Schuhen aufwuchsen, aber jetzt überwiegend barfuß oder in minimalistischen Schuhen laufen; zwei Gruppen von Jugendlichen – die einen hatten noch nie Schuhe getragen, die anderen ihr Leben lang.

Der Forscher kam zu dem Ergebnis, dass Barfußlaufen zwar nicht vor Verletzungen schützt, allerdings könnten moderne Laufschuhe potenziell gefährlich sein, weil sie den sogenannten Fersenlauf fördern. Beim Abrollen des Fußes über die Ferse wird der Fuß einer weitaus stärkeren Belastung ausgesetzt als beim Vorder- oder Mittelfußlauf.

Für Aparna, eine 28 Jahre alte Grafikdesignerin, die hier nur mit Vornamen genannt werden möchte, war die Entscheidung, barfuß zu laufen, eine Art Rebellion gegen ihre Eltern.

"Man könnte meinen, meine Eltern hätten mit mir ein Projekt auf die Welt gebracht", sagt sie. "Das war Helikoptererziehung der schlimmsten Sorte. Obwohl ich in Mumbai aufwuchs, war mein Leben von den patriarchalen Bräuchen aus dem kleinen Dorf im Bundesstaat Karnataka bestimmt, aus dem meine Familie stammt."

Ein Symbol für Aparnas Widerstand gegen ihre Erziehung sei schließlich der permanente Verzicht auf Schuhe jeglicher Art gewesen – egal, ob an der Uni oder im Zug.

"Es hat meinen Eltern definitiv geholfen, zu merken, dass ich nicht vorhatte, mich nach ihnen zu richten", sagt Aparna. "Als ich schließlich einen Job bekam und von zu Hause auszog, musste ich ein Kontaktverbot gegen sie erwirken." 

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Aparna lebt weiterhin barfuß. Sie sagt, dass es ihr erlaubt habe, unabhängige Entscheidungen zu treffen und ein freies Leben zu leben.

Aber hat sie keine Angst, in irgendwas reinzutreten? Indien hat schließlich ein ernstes Abfallproblem. Wenn man an der Straße entlanggeht, muss man ständig Müll aus dem Weg gehen, der roten Spucke von Betelnusskauern ausweichen und aufpassen, nicht in Scherben oder Tierexkremente zu treten. Hat Aparna keine Angst vor Verletzungen oder Infektionen?

"Nur weil du barfuß läufst, heißt das nicht, dass du deine Füße aufgegeben hast", sagt die 28-Jährige. "Ich säubere meine Füße täglich mit einer Bürste und einem Bimsstein. Und ich achte darauf, nicht in Müll oder Glas zu treten. Barfuß zu leben lehrt dich, bewusster darauf zu achten, wohin du trittst."

Verletzt habe sie sich noch nie, sagt Aparna, meistens plane sie ihre Routen ein bisschen im Voraus und wisse ungefähr, was sie erwartet. "Das heißt nicht, dass ich kürzere Strecken mit dem Taxi zurücklege. Ich will schließlich nicht für mein Barfußleben Sprit verschwenden. Die Idee hinter der ganzen Sache ist schließlich das Gehen – und zwar barfuß. Dazu versucht man, so viele natürliche Oberflächen wie möglich zu finden."

Isabelle Brough ist eine 52 Jahre alte Bewegungstherapeutin aus Reading in England. Sie sagt, dass Barfußlaufen ihr dabei geholfen habe, ihre Hüft-, Knöchel und Rückenschmerzen zu lindern.

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"Ich habe gemerkt, dass das Tragen von Schuhen im Körper Ungleichgewichte erzeugt", sagt sie. "Schuhe hindern dein Nervensystem daran, optimal zu arbeiten. Wenn du barfuß bist, erhältst du Informationen vom Boden und trittst nicht so hart auf."

Ihre Familie habe sie anfangs nicht bei ihrer Entscheidung unterstützt, sagt Brough. Wenn sie ein Geschäft oder ein Hotel betrat, hätten die Menschen sie komisch angesehen. "Einmal habe ich Menschen gesehen, die an einem Strand in Devon Schuhe trugen. Ich schätze, sie fühlten sich von meiner Anwesenheit ermutigt, ein paar zogen dann nämlich auch ihre Schuhe aus."

Eine Frau mit langen Haaren und Basecap, die mit Blumentöpfen in einem Garten steht

Isabelle Brough aus England | Foto mit freundlicher Genehmigung der Abgebildeten

Die meisten Menschen, mit denen wir für diesen Artikel gesprochen haben, sagten allerdings, dass sie hin und wieder auch Schuhe tragen. Eva Beck zum Beispiel trägt demnach Schuhe, wenn sie einen formellen Termin hat, zum Beispiel ein Regierungsgebäude betreten muss – oder wenn sie ein Restaurant besucht, das einen ohne Schuhe nicht reinlässt. Brough sagt, sie ziehe Schuhe an, wenn Schnee liegt. Und Aparna sagt, sie ziehe Schuhe an, wenn sie in ein Flugzeug steigt. Das Barfußlaufen ist für diese Leute keine radikale Einstellung, sondern ein Idealzustand.

Der Mitbegründer der Bombay Running-Community Deepak Oberoi warnt allerdings vor der Romantisierung des Barfußgehens.

"Das ist nur für schlanke Menschen gedacht. Menschen mit Übergewicht können nicht barfuß gehen, ohne ihre Fußgelenke zu schädigen", sagt der 37-Jährige. "Menschen lassen sich leicht auf Social Media vom neuesten Trend beeinflussen. Sie befassen sich dann mit Keto-Diäten oder Barfußgehen, ohne sich erst mal mit ihrem eigenen Körper zu befassen. Man kann einen Löwen nicht mit Gras füttern oder eine Ziege mit Fleisch. Wir haben alle unterschiedliche Körperstrukturen."

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Ein Mann mit kurzen Haaren und langem Bart in Laufkleidung vor einer langen Brücke

Deepak Oberoi in Mumbai | Foto mit freundlicher Genehmigung des Abgebildeten

Der Bewegungstherapeut Ritesh Shaiwal allerdings, ebenfalls ein Befürworter des Barfußlaufens, sagt, dass die meisten Körperprobleme "von unten beginnen". Barfußlaufen würde das Körperbewusstsein verbessern.

"Wenn du dein ganzes Leben Schuhe mit dicken Absätzen trägst, wirkt sich das auf die sogenannte Propriozeption aus", sagt er. Propriozeption meint die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Raum. "Die Schuhe isolieren dich von Signalen des Bodens, die dem zentralen Nervensystem übermittelt werden sollen."

Shaiwal rät allerdings auch, sachte mit dem Barfußlaufen anzufangen.

Eine durchtrainierter Mann mit Basecap macht mit freiem Oberkörper Sport auf Uferfelsen

Bewegungstherapeut Ritesh Shaiwal | Foto: Ritesh Shaiwal

"Fang erst mal an, ein bisschen auf der Wiese zu laufen, und schau, wie die du dich fühlst. Du wirst merken, wie Barfußgehen deine Selbstwahrnehmung auf jede mögliche Art verstärkt."

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