Header: Die Street Parade 2016 Promofoto, alle anderen Fotos sind von Mina Monsef
Wenn Tele Züri titelt, “Ciao Sir Colin! Warum sein Lovemobile weichen muss”, hat der Vorstand der Street Parade eigentlich schon alles richtig gemacht. EDM und Schweizer C-Listen-Promi-DJs verschwinden komplett von den Bühnen, im Line-up reiht sich Techno-Hochkaräter an Techno-Hochkaräter, die Liveübertragung wird von Be-At TV produziert und visuell tritt die Street Parade nicht mehr als 00er-Jahre-Rave auf. Die Street Parade macht 2017 offensichtlich einen gigantischen Schritt in eine neue Richtung.
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Aus diesem Grund habe ich Street-Parade-Booker Robin Brühlmann zum Gespräch eingeladen. Seit 17 Jahren holt er die DJs nach Zürich, seit Frühjahr 2017 sitzt er im Vorstand des Vereins Street Parade. Um sich voll auf diese Aufgabe konzentrieren zu können, hat Robin Ende 2016 die Leitung von 20 Minuten Tilllate aufgegeben.
Chris Liebing, Dubfire und Ellen Alien statt Oliver Heldens, Robin Schulz und Fedde Le Grand. Wieso macht ihr diesen Schritt?
Wir finden, wir sind ein Event für elektronische Musik – schon immer gewesen und mainly Techno. Wir wollen uns neu positionieren und da spielt das Booking eine wichtige Rolle. Die Idee muss sein, dass du an der Street Parade neue Musik und die Subkultur entdecken kannst und nicht das wieder gespielt wird, was im Radio läuft. Beim Stage-Programm, das zu 100 Prozent bei uns liegt, können wir das konsequent durchsetzen – auch bei den Schweizer Acts. Bei den Trucks ist es jedem selbst überlassen, welche Musik er spielen will. Aber auch da merken wir, dass es eher wieder back to the Roots geht, mehr zu technoideren Klängen und weg vom Pubfestival-“EDM”-Sound. Das ist nichts gegen diese Musikstilrichtung, aber let’s face it: Robin Schulz und Co. machen Popmusik und haben nicht viel mit elektronischer Clubmusik zu tun.
Heisst: Die DJs und Residents des Nordsterns, Hives, Roks und der Zukunft spielen an der Street Parade?
Ich weiss nicht, wo die jeweiligen Acts überall Residents sind, aber wir haben geschaut, dass wir die lokale Subkultur berücksichtigen. Gleichzeitig müssen wir aber sehr viele Menschen mit unterschiedlichsten musikalischen Vorlieben beliefern und können kein Line-up wie zum Beispiel eine Lethargy fahren, die musikalisch noch mal einen Schritt weiter in die Subkultur hineingeht. Schlussendlich glaube ich, dass wir einen guten Mix gefunden haben.
Habt ihr Angst, dass durch den Wechsel auf undergroundigere Musik weniger Leute kommen, oder ist die Street Parade schon so gross, dass das Booking nicht mehr wirklich etwas ausmacht?
Das Ziel wäre ja, dass durch dieses Line-up mehr neue Leute kommen und gewisse wiederkommen. Aber die Street Parade hatte ja sowieso nie den Anspruch, möglichst viele Menschen nach Zürich zu holen – keiner sagt, wir wollen mal zwei Millionen Menschen in Zürich haben. Unser Ziel ist es, die Qualität pro Quadratmeter hoch zu halten. Und genau das machen wir mit dem diesjährigen Line-up in Kombination mit den 30 Lovemobiles. Durch ein gewisses Grundrauschen an Publikum und weil wir keine Tickets verkaufen müssen, können wir uns einen so konsequenten Schritt erlauben. Das könnte ein anderes Festival wahrscheinlich nicht.
Ein Luxus, den man sich also gönnt.
Ein Luxus, den wir uns in den letzten 25 Jahren vielleicht auch erarbeitet haben.
Luciano etwa ist jetzt zum vierten Mal in Folge dabei. Das zeigt ja auch, dass ihr euch auf einem guten Weg befindet. Gab es einen Meilenstein, bei dem ihr gesagt habt: “So soll es weitergehen.”?
Eigentlich nicht. Im Booking musst du immer ein Jahr im Voraus denken und schauen, was wird passieren, wo geht der Trend hin. Ibiza ist da nach wie vor der Indikator. Was in Ibiza gross wird, wird es in der Regel auch auf einer globalen Ebene. Wir haben vor drei Jahren gemerkt, dass Techno das nächste grosse Ding werden könnte. Da sind die EDM-DJs auch ein wenig selber schuld, weil sie es Veranstaltern mit ihren Gagen und horrenden Ridern nicht einfach gemacht haben. Aus musikalischer Sichtweise war es natürlich ein Risiko, dass wir vor drei, vier Jahren vermehrt auf die Karte Techno gesetzt haben – das hätte auch ein Schuss hinten raus sein können. Man muss aber auch sehen, dass die minimalistischen und deepen Klänge bei einem Festival – rein von der Grösse her – schwer fürs Entertainment funktionieren. Clubmusik heisst nicht, dass diese eins zu eins an einer Street Parade umgesetzt werden kann. Ein Club ist klein, hat eine tiefe Decke und dadurch ein anderes Soundgefühl, als wenn du an einem Openair 80’000 Menschen vor der Bühne hast. Das war dann dankbar am sogenannten EDM, er hat openairmässig entertaint.
Du hast Ibiza als Indikator genannt. Woran orientierst du dich beim Booking sonst noch? Wo schaust du nach Trends und Acts, die auf die Parade passen?
Es sind mehrere Faktoren: Ich mache das jetzt seit 17 Jahren und habe in dieser Zeit natürlich die Szene, Agencys und DJs kennengelernt. Mit denen tausche ich mich während dem Jahr natürlich aus und spüre so raus, was läuft. Ibiza, wie schon gesagt, ist wichtig. Ausserdem ist der Amsterdam Dance Event (kurz ADE) der absolute Place to be geworden, wenn es darum geht, in diesem Business professionell Business zu machen. Ich gehe eigentlich jedes Jahr eine Woche hin und treffe fast im Stundentakt Agenturen, Managements und Veranstalter. Wir tauschen uns darüber aus, was im Folgejahr läuft. Und dann ist es sicher auch noch die persönliche Note, die mitspielt – das ist ja menschlich und normal.
Was ist mit den Schweizer Clubs? Schaust du, was hier passiert?
Absolut. Wir tauschen uns auf nationaler Ebene genau wie auf internationaler aus. Hier natürlich nicht so intensiv, dass wir uns hinsetzen und besprechen würden, was das Jahr über in einem Club laufen wird. Aber anhand von Line-ups und von eigenenen Clubbesuchen sehe ich natürlich, was beim Publikum funktioniert und was nicht. Ich hör mir ab und zu auch gezielt ein Set von einem DJ an, von dem ich denke, er würde zur Parade passen.
“Wir wollen nach aussen eine Einigkeit mit der lokalen Szene symbolisieren”
Mit der Züri Sound Stage, bzw. der Stage der Hive-Partyreihe Rakete, habt ihr ja bereits einen Schritt auf die lokale Szene zu gemacht.
Dieses Jahr wird der Schritt sogar noch grösser. 2017 gibt es zum ersten Mal einen offiziellen Street-Parade-Clubbing-Guide. Da arbeiten wir eng mit den Lokalen zusammen. Die namhaften Zürcher Clubs können in unserem Magazin ihr Programm oder zum Beispiel die Club-Bio platzieren. Uns geht es dabei darum, dem Besucher, der früher anreist oder länger bleibt, zu zeigen, welches die coolen Clubs sind und wo was läuft – das müssen nicht nur Besucher aus dem Ausland sein, sondern soll auch West- oder Ost-Schweizer ansprechen. Niemand soll über einen Usgang.ch-Kalender fälschlicherweise im falschen Club landen. Ausserdem wollen wir auch nach aussen eine Einigkeit symbolisieren und es mittelfristig schaffen, dass Menschen aus dem Ausland ein, zwei Tage früher nach Zürich anreisen, weil wir eines der besten Nightlifes der Welt haben.
Ihr jammert also nicht mehr rum, dass die Clubs keine Lovemobiles buchen, sondern geht aktiv auf die Szene zu?
Gejammert haben wir deswegen nie. Ohne starkes Nightlife gibt es schlussendlich keine starke Street Parade. Die Clubs machen ein ganzes Jahr, was wir an einem Samstagnachmittag für elf Stunden machen. Und es ist wichtig, dass die Street Parade auch Hauptanlaufstelle für den Besucher ist, wenn es darum geht, was er am Abend machen kann. Wir müssen keinem Zürcher sagen, was im Hive, der Zuki oder im Lexy läuft. Wir müssen an diesem Wochenende schauen, dass die Leute, die sich nur dann mit dieser Musik und dieser Szene auseinandersetzen, nicht aus Versehen an einer Reggaeton-Party landen, weil sie mal gehört haben, dass Club XY cool sei.
Wie lange geht’s noch, bis die Street Parade zur Sonar wird?
Nie. So etwas ist absolut nicht vorgesehen und dafür haben wir die Mittel auch gar nicht. Uns geht es mehr darum, zu zeigen, dass Zürich eine geile Stadt mit einem geilen Nightlife ist. Wenn wir es irgendwie schaffen, den Clubbing-Städtetourismus zu fördern, hilft das allen – den Clubs, der Stadt, der Street Parade.
Wie sieht das Bild der Street Parade in der internationalen Szene aus? Bekommt die Parade mehr Aufmerksamkeit oder ist sie weiterhin der Geheimtipp, über den kein amerikanisches EDM-Blatt berichtet?
Hoffentlich schreiben die nie über uns. Die Street Parade ist sicher eine Perle in dem ganzen Festivalwahn und das ist absolut OK so. Rein von der Location, vom Set-up, von der Produktion und den Geldern her wird sie das auch bleiben – unser Gesamtbudget würde wohl knapp für einen Turm am Tomorrowland reichen. Mit dieser Veranstaltung verdient niemand Geld und genau das ist auch der Spirit der Street Parade und dieser Kultur. Wenn die Street Parade jetzt vielleicht auf dem Radar des einen oder anderen landet und jemand findet, dass er mal an die Street Parade statt ein weiteres EDM-Festival geht, würde uns das natürlich freuen. Wir können uns als Millionenevent der Globalisierung nicht in den Weg stellen und sagen, dass wir die kleine Schweiz bleiben. Auch wir wollen Teil vom globalen Trend der elektronischen Musik sein. In der Masse kennt man die Street Parade noch nicht so gut, aber in der internationalen Szene schon. Das haben wir mit den neuen Labels an der Parade (anm. d. Red. Hyte, Elrow, BPM Festival) gesehen. Auf unsere Anfrage kam postwendend die Zusage.
Wie sieht deine Arbeit eigentlich aus? Ist der Kontakt mit den Booking-Agenturen und den Labels die letzten Jahre einfacher für dich geworden?
Es ist eigentlich sogar schwieriger geworden, weil die Konkurrenz grösser geworden ist. Dadurch, dass wir der einzige Event sind, der keine Gage zahlt, braucht es viel Überzeugungskraft. Man bedenke nur mal, dass eine durchschnittliche Gage eines Top-DJs zwischen 30’000 und 50’000 Euro beträgt. Und dann komme ich und sage: “Hallo, ich habe einen Gratis-Event, ich kann keine Gage zahlen, aber ich gebe dir etwas Fame.” Was es uns wiederum etwas einfacher macht, ist, dass wir seit 17 Jahren eine gewisse Strategie verfolgen, immer ehrlich waren und uns nie ultra-kommerziell ausgerichtet haben. Ausserdem kommt eine Kombination aus Leute treffen, Networking und der Einzigartigkeit der Street Parade hinzu. Letzteres vergessen wir Zürcher etwas zu oft. Als die Verantwortlichen von Elrow nach Zürich kamen und ich ihnen das Seebecken gezeigt und erklärt habe, dass hier mal eine Million Menschen tanzen, fanden die einfach nur, dass wir wahnsinnig seien, in einer von aussen so langweiligen Stadt so einen Event zu veranstalten.
Ihr habt auch den visuellen Auftritt komplett überarbeitet. Das muss jetzt mitziehen, oder?
Klar. Das Visual war in der Vergangenheit sicher nicht das knackigste. Aber da muss man auch wieder beachten, dass die Parade ein Massenevent ist, der immer polarisieren wird. Das Motto, das Visual, das Line-up: es wird immer einen Grund geben, über die Street Parade zu reden. Was super ist. Wenn das nicht mehr passieren würde, ist die Parade tot. Dieses Jahr haben wir zum ersten Mal bei den Visuals nicht gefunden, Grafiker mach mal Informationen auf ein Plakat, sondern auch ein klares visuelles Konzept umgesetzt, bei dem wir auch mit ironischen Elementen spielen. “Partyvögel” ist ja so der Oberbegriff für die Besucher der Street Parade. Damit der Besucher auch merkt, dass er an der Street Parade ist, werden die Visuals auch vor Ort an diversen Locations einfliessen. Das Ziel war sicher, dass wir mit dem Visual, mit dem Line-up und der Kommunikation zeigen: Es ist ein Umbruch da und die Street Parade will vorwärts gehen.
“Wichtig ist, dass unterschiedliche Musikrichtungen vertreten sind”
Bei den Lovemobiles habt ihr ja auch gute Partner gefunden: Elrow, Hyte, Electric Love Festival, BPM Festival, Claptone. Das ist auch etwas positives, oder?
Andere Festivals machen ja Stage-Hosting und das ist mittlerweile ausgelutscht. Das coolste an der Street Parade sind einfach die Wagen. Das ist auch wieder so ein Schweizer Ding, dass man die Wagen langweilig findet. Für Elrow, BPM Festival und alle anderen gehört es zu einem Highlight, mit einem eigens designten Truck durch eine Million Menschen zu fahren. Loco Dice und Chris Liebing sind ein super Beispiel: Wir haben ihnen letztes Jahr zum ersten Mal angeboten, einen Hyte-Truck ins Rennen zu schicken. Die haben das so krass gefunden, dass Chris Liebing seine Radiosendung auf dem Truck aufgenommen und das Wochenlang abgefeiert hat. An der ADE haben wir dann gleich gesagt: Let’s do it again.
Hat euch beim Booking und bei den neuen Trucks auch die Kooperation mit Be-At TV geholfen – dass man einen internationalen Broadcaster im Boot hat, der im Gebiet der elektronischen Musik eine grosse Plattform bietet?
Das ging Hand in Hand. Als wir mit den Labels verhandelt haben, waren wir auch schon mit Be-At TV im Gespräch. Auf Be-At TV umzusteigen war ein weiterer strategischer Entscheid. Wenn wir den Event global bekannt machen wollen, brauchen wir einen globalen Partner, der das glaubwürdig und repräsentativ umsetzt. Da ist Be-At TV mit Abstand der beste Channel. Sie produzieren ihre Übertragungen aus der Sichtweise des Veranstalters und nicht zwingend aus der des kommerziellen Besuchers. Wenn du dann sagen kannst, Be-At TV ist offizieller Streaming-Partner, hat das in der Szene und für DJs auch einen Wert.
Wie werden die Livestreams aussehen? Klassische Be-At-TV -Livesets?
Es wird die grösste Produktion sein, die sie je umgesetzt haben. Details kann ich noch keine bekannt geben, weil wir noch in der technischen Umsetzung sind. Aber es werden minimum drei Channels sein – die zwei Mainstages und der Elrow-Truck.
Wir haben also fünf coole Lovemobiles. Wie viele sind uncool?
Das ist immer eine Definitionssache. Für gewisse ist vielleicht ein Mr. Da-Nos total uncool. Für ganz viele ist er aber cool. Ich glaube, es wird einen guten Mix geben. Klar ist aber: Wenn wir jetzt anfangen, globale Labels für die Street Parade zu begeistern, dann wird das sicher das Anforderungsprofil an andere erhöhen. So müssen wir in Zukunft gar nicht zwischen cool oder uncool unterscheiden, sondern uns fragen, reicht die Qualität oder nicht. Wenn es dieses Jahr 15 supercoole Wagen sind und 15 OK-Wagen sind, dann können wir vielleicht in Zukunft sagen, dass es 20 zu 10 sind. Und irgendwann haben wir 30 schöne Trucks. Wir müssen den Umzug aufwerten – das ist das Kernstück und unterscheidet die Street Parade von anderen Festivals. Wichtig ist aber auch, dass unterschiedliche Musikrichtungen vertreten sind. Es soll auf den Wagen nicht derselbe Sound wie auf den Bühnen laufen und die elektronische Musik beinhaltet auch Hardcore, Hardstyle, Trance, Techno, Minimal, Deep House oder eben EDM – und das alles muss auch immer stattfinden.
Gibt es wieder eine Hymne? Und zielt die wie jedes Jahr aufs Radio ab?
Nein. Die macht Luciano.