Nacktbaden, Sex und Party ohne Vorurteile: Mykonos war ein progressives Paradies

In Griechenland herrschte von 1967 bis 1974 eine strenge Militärdiktatur. Während die meisten westlichen Länder ihre kulturellen Revolutionen feierten, blieb der südeuropäische Staat sehr konservativ. Frivole Beschäftigungen wie am FKK-Strand sonnen und eheliche Untreue galten als Straftaten, Homosexualität und Sex vor der Ehe waren massive Tabus.

Es gab aber eine kleine Insel in der Ägäis, auf der diese Regeln nicht zu gelten schienen. Die Bewohner von Mykonos hatten sich für einen Lebensstil entschieden, der zu den vielen Touristen und deren Vergnügungen passte. So entstand ein hedonistischer Zufluchtsort. Die Militärjunta freute sich über die Einnahmen aus der Tourismusbranche und scherte sich wenig darum, was die hauptsächlich ausländischen Besucher der Insel so trieben. Es war ein wenig, als gehöre Mykonos gar nicht zu Griechenland. Europäische und US-amerikanische Touristen reisten scharenweise an, während wenige Griechen überhaupt ahnten, wie das Leben auf Mykonos aussah.

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Touristen am Paradise Beach auf Mykonos, 1982

Doch nach dem Ende der Militärdiktatur erfuhren junge Griechinnen und Griechen von dem Hedonisten-Paradies. Wie viele andere war auch der DJ Antonis Makrantonis auf der Suche nach Abenteuer und Gegenkultur; es langweilte ihn, dass es in seiner Heimatstadt Athen nur langsam Fortschritt gab. Also zog er nach Mykonos – und blieb 20 Jahre lang dort. Vor Kurzem hat er in Griechenland dazu seine Memoiren Mykonos – Eine Mythologie veröffentlicht.

Im Sommer 1974 erhielt Makrantonis, damals 24, eine Einladung von einer Frau, der er beim Feiern begegnet war: Er solle sie doch auf Mykonos besuchen. “Ich verliebte mich gleich bei meinem ersten Besuch in die Insel”, sagt der 67-Jährige gegenüber VICE.

Makrantonis beschloss nach nur einem Besuch, nach Mykonos zu ziehen

Für Makrantonis war die Insel das Gegenteil des griechischen Festlands. “Die Landschaft, die Luft, das Meer, die Farben – tagsüber war alles magisch, und nachts war es so einzigartig und unterhaltsam”, erinnert er sich. “Die Insel hatte einen Strand für jeden: ob sandig oder felsig, ob für die Familie, für Schwule oder FKK-Fans. Die Clubs waren immer total vollgestopft mit Menschen.” Doch Mykonos unterschied sich in einem weiteren Punkt vom restlichen Griechenland, der noch viel wichtiger war. “Mykonioten urteilten nie über den Lebensstil anderer, vor allem im Bezug auf die sexuelle Orientierung. Sie waren warmherzig und gastfreundlich.”

Makrantonis bekam das Angebot, als Resident DJ der legendären Gay-Bar Pierros aufzulegen. “Ich wollte dort arbeiten, weil es etwas Vergleichbares in Athen gar nicht gab”, sagt er. “Wenn damals eine offen homosexuelle Person durch Athen lief, haben die Leute sie mit Zeug beworfen und sie verprügelt. Mich haben sie damals bespuckt, nur weil ich langes Haar hatte – ich musste Englisch reden, damit sie mich für einen Touristen hielten und in Ruhe ließen.”

Für junge Menschen stellte die Insel einen Zufluchtsort vor dem konservativen Griechenland der 1970er dar

Im Laufe der Zeit wurde Mykonos auch für Prominente aus aller Welt zum beliebten Reiseziel. Makrantonis strahlt vor Stolz, als er erzählt, wie er Sinead O’Connor in einem Club erkannte und sich traute, ein Gespräch mit ihr anzufangen. In seinem Buch erzählt er auch von einer Begegnung mit dem Musiker Bryan Ferry und dessen Band Roxy Music: “Ich fuhr nach Hause, als ich in der Ferne ein paar Leute sah, die sich abmühten, in der Hitze ihre Koffer einen Hügel hoch zu schleppen”, schreibt er. “Ich hielt an und half ihnen, das Gepäck ins Hotel zu bringen.” Zum Dank tauchte die Band am Abend mit Geschenken im Pierros auf, darunter signierte Fanartikel, Tour-Hoodies und Demo-Tapes von ihrem noch nicht erschienenen Album.

Natürlich gab es aber auch auf Mykonos Menschen, die sich an dem bunten Treiben störten, darunter vor allem einige Regierungsvertreter. Eines Abends 1979 kam Makrantonis beim Pierros an und fand die Bar geschlossen vor. An der Tür hing eine Mitteilung von der Polizei: Die Lizenz der Bar war für 12 Tage aufgehoben worden, weil “sich auf dem Gelände Homosexuelle und Betrunkene” aufhielten.

Eine Party am Paradise Beach, 1982

Solche Zwischenfälle waren zwar belastend, doch die progressiven Einstellungen überwogen auf Mykonos weiterhin. Am folgenden Tag organisierte die homosexuelle Community der Insel eine Demonstration vor dem Pierros. Einige Inselbewohner mit guten Verbindungen schafften es sogar, den Vorfall mit der Schließung in die internationalen Medien zu bringen. Der Protest zeigte Wirkung: Die Polizei gab zwei Tage später bekannt, dass die Bar am folgenden Tag wieder öffnen würde. Daraufhin war die Feststimmung auf Mykonos noch größer als zuvor, die Insulaner und die Touristen feierten gemeinsam einen Sieg für die Gleichstellung. “Ich glaube, die Insel war noch nie so überlaufen wie an jenem Abend”, lacht Makrantonis. “Ich wurde sogar von einem niederländischen Fernsehsender interviewt, der nur deswegen angereist war.”

Schließlich zog Makrantonis Anfang der 90er weiter, lebte in mehreren europäischen Ländern und kehrte später nach Athen zurück. Doch Mykonos prägte sein Leben weiterhin: “Meine Zeit als DJ auf der Insel hat mich ein bisschen berühmt gemacht”, erzählt er. “Wo auch immer ich danach wohnte, sprachen mich Leute auf der Straße an: ‘Kennst du mich noch? Wir haben uns im Pierros getroffen!’”

Heute ist Mykonos kein Symbol der Gegenkultur mehr, aber die Insel ist ein touristischer Party-Hotspot geblieben, ob für Milliardäre oder Abiturienten. “Es ging bergab, als die ersten Kreuzfahrtschiffe eintrafen“, sagt Makrantonis mit düsterer Miene. “Die Spontanität verschwand, stattdessen gibt es jetzt den gekünstelten Facebook- und Instagram-Lifestyle. Damals waren wir einfach nur wir selbst, statt eine Fassade zu erfinden. Das ist das Mykonos, das ich liebe. Ich vermisse es sehr.”


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Zwar besucht er die Insel nicht mehr, doch Mykonos wird für immer einen Platz in Makrantonis’ Herzen einnehmen. “Ich war nur ein Passant, der eine Zeit lang dort gelebt hat, weil er so fasziniert von der Insel und ihren Bewohnern war”, sagt er. “Ich hatte dort keine Verwandten oder richtige Verbindungen. Aber ich kam genau richtig, um diesen magischen Ort zu seiner besten Zeit zu erleben.”

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