Selbst die Hölle hält nicht so viel Dramatik bereit wie die Blogosphäre, wenn dort etwas (irgendwie) “Neues” von oder über Kurt Cobain entdeckt wird. Ohne Rücksicht auf Verluste haben wir schon seine B-Seiten und seine Tagebücher geplündert, um ihn anhand von Dingen (und Personen), die er hinterlassen hat, umfassend ~erfahren~ zu können. An irgendeinem Punkt in seinem Leben hat er auch mal ein Mixtape zusammengestellt hat.
Der Mix mit dem Titel “Montage of Heck” wurde schon mal von Dangerous Minds in Umlauf gebracht, allerdings waren die meisten Leute zu der Zeit wohl zu sehr mit Feiern beschäftigt, um das auch mitzubekommen. Sobald sich der tiefhängende Nebel des globalen Katers dann aber langsam lichtete, drehten alle durch und posteten wie von Sinnen den “brandneuen” Mix. Wenig überraschend dürfte jedoch die Information kommen, dass der Mix alles andere als “brandneu” ist. Seit 2006 gibt es das Tape bei Live Nirvana und selbst die haben es anscheinend von einem digitalnirvana-Post von 2002 übernommen. Technisch gesehen ist der Mix also seit geschlagenen 16 Jahren der breiten Öffentlichkeit zugänglich. Typisch Internet! Aber nur ein verbohrter Zyniker würde uns den ganzen Spaß durch so etwas Triviales wie Fakten ruinieren, nicht wahr? Es ist ja jetzt auch nicht so, als würde der Großteil der Menschen ihre kostbare Freizeit auf Nirvana-Archivseiten verbringen. Also, lasst uns die ganzen selbstgerechten Spaßbremsen ignorieren und so tun, als wäre das hier tatsächlich brandneu. Es ist nämlich eine der wenigen posthumen Cobain-Nachrichten, die wirklich interessant sind.
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Nach momentanem Erkenntnisstand wurde “Montage of Heck” 1987 von Cobain zusammengestellt (das sagt seine Ex-Freundin Tracy Marander) und enthält einen Mix aus Radiohits, Zeichentrickdialogen und den Geräuschen einer Person (Kurt?), die diverse Dinge mit einem Klo anstellt. Für jemanden, der Nirvana nur über die regulären Alben kennt, kann dieses Werk durchaus “bizarr” erscheinen, aber für jeden, der schon mal ein bisschen tiefer gewühlt hat – das heißt Kurts persönliche Aufzeichnungen gelesen, jede vorhandene Doku (inklusive dem zweifelhaften Streifen Kurt & Courtney) gesehen und sich den Kopf über die tiefere Bedeutung der Lyrics zerbrochen hat – fühlt sich das Werk mehr wie eine weitere Seite von jemandem an, der einem durchaus nicht unbekannt ist, jemandem, der gleichermaßen von Kotze und Familie Feuerstein fasziniert war.
Die Tatsache, dass bei diesem mit einem Zweispurrekorder erstellten (auch diese Information stammt von Marander) Mix von jedem einzelnen Stück nur jeweils zehn Sekunden gespielt werden, macht ihn einerseits verdammt anstrengend zu hören, aber verleiht ihm gleichzeitig auch seine Genialität. Die meisten von uns nutzen Mixtapes als Mittel zur Selbstdarstellung, um Freundschaften zu vertiefen und um zu flirten … Dabei folgt dann, wie die Stufen einer gerade Treppe, in der Regel Song auf Song. Die unberechenbare und dynamische Natur von Cobains Mix offenbart uns ein Niveau von Sorgsamkeit und Kreativität, das die meisten von uns nie erreichen werden. Was hier zu hören ist, ist eine Klangcollage in der Tradition von William S. Burroughs’ Cut-Up-Technik.
Es liegt in der Natur des Mixtapes, persönlich zu sein. “Montage of Heck” ist eine angriffslustige, fast schon psychotische und durchaus lustige Ansammlung von Fundstücken, die einen beinahe schon unangenehm tiefen Einblick in Kurt Cobains Leben zu jener Zeit bietet. Es handelt sich dabei weder um einen kommerziellen Schachzug, noch um etwas, das nach reifer Überlegung über die Außenwirkung entstanden ist; es gehört in diese Kategorie künstlerischen Schaffens, die fast nur zum persönlichen Vergnügung existiert. Wenn die Zeitangaben stimmen, dann ist es im Vorfeld zu Nirvanas Debütalbum, Bleach, zusammengestellt worden, das im Juni 1989 erschien.
Lasst uns doch mal einen genaueren Blick auf die Auswahl werfen – selbst wenn das nur dazu dient, meiner Mutter gegenüber zu rechtfertigen, dass diese beiden extremen Jahre in meiner Jugend, in denen ich meine Schlafzimmerwände per Wachsmaler mit Nirvana-Lyrics vollgekritzelt und immer wieder Heavier Than Heaven gelesen habe, nicht komplett verschwendet waren.
The Beatles – A Day In The Life
Das wahrscheinlich penetranteste Gerücht über Kurt Cobain ist, dass er nie berühmt werden wollte. Das ist totaler Schwachsinn. Er wollte sowas von berühmt werden. Er war jemand, der stundenlang im Auto saß, nur um darauf zu warten, dass “Smells Like Teen Spirit” gespielt wird, und dann einen Wutanfall zu bekommen, wenn es tatsächlich passierte. Er wollte Platten verkaufen, ohne sich selber verkaufen zu müssen. Es macht dementsprechend auch Sinn, dass er Paul McCartney abgrundtief hasste, aber die Beatles vergötterte. Auch wenn Nirvana aus Seattles Grungeszene hervorgingen, war der Punkt, der sie von den Melvins, Mudhoney, Alice In Chains und all den anderen unterschied, dass sie dieses aggressive Bauchgefühl nahmen und ihm ein Popgewand verpassten. Nirvanas Melodien, Hooklines und Refrains … das ist astreiner Pop und diese Tatsache haben wir größtenteils den Beatles zu verdanken. Schon in sehr jungen Jahren erbte er die Beatles-Platten seiner Tanten und die Musik übte einen frühen und anhaltenden Einfluss auf ihn aus – nicht zuletzt auch wegen ihrer Einfachheit. Er gab später an, dass er “About A Girl” schrieb, nachdem er drei Stunden lang Meet The Beatles! gehört hatte.
The Barbarians – Are You a Boy or Are You a Girl?
Kann man über Kurt Cobain reden, ohne auch über seine Sexualität zu reden? Wahrscheinlich nicht. Manche Leute sind der Meinung, dass er schwul war. Andere wiederum vertreten die überaus kontroverse Meinung, dass die Tatsache, dass er regelmäßig in Frauenkleidern auftrat nicht mehr zu bedeuten hat als, “Hey, da war mal so ein Typ, der hat irgendwelche Klamotten getragen.” Egal, zu welchem Lager du dich zählst, die Debatte um “Männlichkeit” und Auftreten spielte in seinem Leben eine ziemlich wichtige Rolle. Sei es die Tatsache, dass er mehrere Hosen übereinander anzog, um “breiter” zu wirken, oder, dass er den allgegenwärtigen Hockeytrikot-Look der 90er ablehnte und stattdessen lieber im Blümchenkleid rumlief. Er beschäftigte sich nicht weniger mit Feminismus und Riot Grrrl als Kathleen Hanna von Bikini Kill (auch bekannt dafür, dass sie “Kurt Smell Like Teen Spirit” an die Wand einer Umkleide sprühte und damit die Wörter kreieren sollte, die Nirvana bis in alle Ewigkeit verfolgen werden). Wenn man all das bedenkt, ist dieser Garagetrack aus den 60ern ein ziemlich bedeutungsschwangerer Beitrag zum Mix. Vielleicht ist es aber auch nur ein cooler Song.
Queen – Get Down, Make Love
Das ist jetzt nicht besonders “bizarr” oder “überraschend”, oder doch? Kurts Begeisterung für ABBA ist mittlerweile schon zu Genüge dokumentiert und Queen stellt von den Schweden nur einen Schritt in eine wesentlich geschmackvollere Richtung dar. Abgesehen davon, dass es eigentlich niemanden gibt, der Queen nicht mag, sind die Gemeinsamkeiten, was den Glamfaktor angeht, zwischen Freddie Mercury und Kurt Cobain nicht zu verleugnen. Auch der junge Mann aus Aberdeen tauchte gerne zu Interviews auf, als hätte man ihn gerade beim Mardi Gras aufgelesen.
Die Titelmelodie der Andy Griffith Show
Die Andy Griffith Show war eine Fernsehserie in den 60er Jahren, die in einer kleinen, idyllischen, typisch-amerikanischen Kleinstadt spielte und von der Kurt absolut besessen war. Einige der Charaktere, Floyd, Barny, Opie und Tante Bea, werden auch in “Floyd The Barber” erwähnt, in dem es quasi darum geht, was passieren würde, wenn es sich bei den ganzen Personen um brutale Psychokiller handeln würde, die jeden foltern, der für eine Rasur in den Laden kommt. Achtung, kultiges Gerücht: Als man Cobains toten Körper fand, lief der Fernseher auf einem Sender, der mehrere Wiederholungen der Andy Griffith Show zeigte.
Butthole Surfers – The Sha Sleeps in Lee Harvey’s Grave
Von den drei Butthole Surfer-Tracks auf dem Mix ist dieser hier mein liebster – vor allem wegen diesem totalen Ego-Zusammenbruch am Ende. Vielleicht haben sie es kommerziell nicht ganz so weit wie Nirvana gebracht (wenn du völlig nackt und zugedröhnt vor Projektionen von Penis OP-Aufnahmen auftrittst, dann hält dich MTV eben lieber auf einem Abstand von einer Armlänge), aber ohne sie hätte es Nirvana wohl nie gegeben. Beide Bands sind jetzt nicht unbedingt identisch (auch wenn beide zusammen auf Entzug waren), aber auch dieser Mix ist randvoll mit dem gleichen widerlichen Humor und erbarmungslosen Krach, der das Fundament von allem darstellt, was Sänger Gibby Haynes jemals in Angriff genommen hat. Ja, eigentlich klingt der ganze Mix in etwa wie ein Albtraum, der direkt aus Gibbys abgründiger Vorstellungskraft in deine Ohren injiziert wird. Achtung, kultiger Fakt: Ich habe Gibby Haynes einmal ein komplettes DJ-Set aus Dolly Parton-Songs im Brooklyn Bowl auflegen sehen und es war großartig.
Viel Spaß mit dem vollständigen Mix und der Tracklist:
“Montage of Heck” Tracklist (unsortiert):
“The Men In My Little Girl’s Life” by Mike Douglas
“The Sounds of Silence” by Simon & Garfunkel
“Being for the Benefit of Mr. Kite!” by The Beatles
“A Day In The Life” by The Beatles
“Eruption” by Van Halen
“Hot Pants” by James Brown
“Gypsies, Tramps and Thieves” by Cher
“Go Away Little Girl” by Donny Osmond
“Rocky Mountain High” by John Denver
“Everybody Loves Somebody” by Dean Martin
“The Candy Man” by Sammy Davis, Jr.
“In A Gadda Da Vida” by Iron Butterfly
“Wild Thing” by William Shatner
“Taxman” by The Beatles
“I Think I Love You” by The Partridge Family
“Are You a Boy or Are You a Girl?” by The Barbarians
“Queen Of The Reich” by Queensryche
“Last Caress/Green Hell” covered by Metallica
“Whole Lotta Love” by Led Zeppelin
“Get Down, Make Love” by Queen
“ABC” by The Jackson Five
“I Want Your Sex” by George Michael
“Run to the Hills” by Iron Maiden
“Eye Of The Chicken” by Butthole Surfers
“Dance of the Cobra” by Butthole Surfers
“The Shah Sleeps in Lee Harvey’s Grave” by Butthole Surfers
“New Age” by The Velvet Underground
“Love Buzz” by Shocking Blue
Orchestral music from 200 Motels by Frank Zappa
“Help I’m A Rock” / “It Can’t Happen Here” by Frank Zappa
“Call Any Vegetable” by Frank Zappa
“The Day We Fall In Love” by The Monkees
“Sweet Leaf” by Black Sabbath (intro)
Theme from The Andy Griffith Show
Mike Love (of The Beach Boys) talking about “Transcendental Meditation”
Excerpts of Jimi Hendrix speaking at the Monterey Pop Festival
Excerpts of Paul Stanley from KISS’ Alive!
Excerpts of Daniel Johnston screaming about Satan
Excerpts from sound effects records
Various children’s records (Curious George, Sesame Street, The Flintstones, Star Wars)
Folgt Emma bei Twitter – @emmaggarland
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