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Ramadan in Malaysia: mein unfreiwilliges Fasten

Ich habe es schon viele Wochen vorher kommen sehen. An jeder Ecke gab es Umzüge und Festivals. Und neue Lampen für die Laternenpfähle, die die zweispurige Küstenstraße säumen. Ich aber habe lieber meine Augen vor den Tatsachen verschlossen. Und mich während meines Aufenthaltes in der malaysischen Stadt Kudat vor seiner Ankunft gefürchtet. Bitte erst in ein paar Tagen, nur noch ein paar Tage!, habe ich inständig gehofft.

Und dann passiert es. Am 28. Juni mache ich wie an jedem Sonntag einen ausgiebigen Spaziergang Richtung Innenstadt. Und da sehe ich es: Die kleinen Märkte, Banken, Bäckereien und Cafés, sie alle sind geschlossen. Und hinter den Scheiben locken auch keine lokalen Köstlichkeiten mehr wie nasi campur, mie goreng, sambal und dahl.

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Zuerst überkommt mich ein Gefühl von Panik, welches sofort von Nichtwahrhabenwollen abgelöst wird. Ich klopfe vorsichtig an eine angelehnte Küchentür. Ein Mann steht auf, tippt auf seine Armbanduhr, schüttelt wiederholt den Kopf und schließt anschließend die Tür.

Ein Basar unter freiem Himmel in Kudat, Malaysia.

Das sind die Regeln während Ramadan: Du isst vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang—dazwischen gibt es nichts, nicht einmal Flüssigkeiten sind drin. Sex, Zigaretten und andere Freuden des Alltags stehen ebenso nicht zur Debatte, da Muslime auf der ganzen Welt über ihren Glauben reflektieren sollen, über Opfergaben und über die Menschen, mit denen es das Schicksal nicht so gut gemeint hat.

Als nicht-muslimische Touristin will ich mich keinen Illusionen hingegeben. Auf Alkohol und Zigaretten werde ich kaum verzichten können. Und auch ein selbstauferlegtes Zölibat kommt für mich nicht in Frage. Aber den Essenspart, den würde ich doch wohl hinkriegen—wer weiß, vielleicht wäre das Ganze sogar eine heilsame Lektion für mich.

Und dann verkacke ich gleich den allerersten Tag. Ich verschlafe und verpasse so das morgendliche Mahl. Am Nachmittag dann bin ich schon so hungrig, dass ich an nichts anderes als Essen denken kann. Und ich zähle die Minuten runter wie ein Knacki seine Tage im Gefängnis.

Gegen vier Uhr mache ich mich auf den Weg und laufe die drei Kilometer in die Stadt hinein. Ich bin mir darüber bewusst, dass es noch dauern kann, bis ich wieder essen darf oder überhaupt an etwas Essbares rankomme. Den Marsch sehe ich derweil als eine Art Pilgerfahrt, eine Reise auf zu etwas Heiligem.

Gegen fünf Uhr werden die ersten Rolladen der Restaurants hochgezogen. Es liegt ein angenehmer Duft in der Luft und ein Aroma von Curry und gebratenem Fisch wabert durch die Stadt. Menschenscharen tummeln sich auf den viel zu vollen Straßen und eilen—vollgepackt mit frischem Gemüse vom Markt—von einer Ecke zur nächsten.

ABCdessert

ABC (ais buah campur) ist ein flüssiger Nachtisch aus kondensierter Milch, Grasgelee sowie Sago.

Ich setze mich in ein Café und bestelle einen Teller Reis mit einem Ei und Gemüse dazu. Ich bin nach 24 Stunden ohne Essen dermaßen ausgehungert, dass mein Körper schon damit beginnt, meinen Stoffwechsel umzumodeln. Er wechselt in den Notbetrieb und versucht währenddessen herauszufinden, was zum Teufel hier vor sich geht. Als ich mit dem Essen fertig bin, fühle ich mich beschissener als vorher. Ich schleiche über einen angrenzenden Parkplatz und hinter einem breiten Baum rüste ich mich für das Unausweichliche. Kotzschwall um Kotzschwall schießt aus meinem bebenden Körper.

Nach ein paar Tagen dann verliere ich langsam meine Zuversicht. Das Fasten kommt mir irgendwie sinnlos vor und führt bei mir zu nichts anderem als dauerhafter Antriebslosigkeit und schlechter Laune. Ich habe schon früher mal gefastet und auf eine ähnliche Erleuchtung samt diesem Gefühl von innerem Frieden spekuliert. Aber das Problem—oder vielleicht gerade die Herausforderung—beim Ramadan besteht darin, dass du jedes Mal dann, wenn sich dein Körper gerade auf den neuen Zustand des Essensentzugs eingestellt hat, das Fasten wieder brichst. Und dann beginnt die Völlerei. Und der Teufelskreis kann weitergehen. Jeder Tag fühlt sich wie Tag eins an: echt beschissen. Und an keinem Tag denkst du, heute geht’s schon leichter.

Von Tag zu Tag wird es deutlicher. Hier geht es nicht nur darum, auf Essen zu verzichten. Du beginnst auch damit, dem Hungergefühl widerwillig zu huldigen. Und der ganze Tag erweist sich als eine einzige Tortur, die eine Kraft erfordert, die ich scheinbar nicht mitbringe.

Nach einer Woche Ramadan habe ich die Schnauze voll, also mache ich mich auf eine kleine Entdeckungsreise. Malaysia, wie so viele andere Länder auch, ist Heimat unterschiedlichster Ethnien, die du nur richtig sehen und verstehen kannst, wenn du sie aus der Nähe betrachtest. In der Küstenstadt Sabah, in der ich mich aufhalte, gibt es indigene Malaien, wie das Volk der Rungus, die Bajau (ein Volk seefahrender Nomaden) sowie immer mehr chinesische Zuwanderer.

Und just bei dieser letzten Gruppe—genauer gesagt in ihren Cafés, den Kedai Kopi—finde ich den nötigen Trost. Und spätestens jetzt könnte ich mir selbst dafür in den Arsch treten, ihnen nicht schon vorher eine echte Chance gegeben zu haben. Aber zu meiner Verteidigung muss man sagen, dass ich diesen halbseidenen Läden zuvor absichtlich aus dem Weg gegangen bin. Und das aus gutem Grund. Denn wo auch immer diese chinesischen Läden im Stadtbild auftauchen, auch wenn es nicht besonders viele von ihnen gibt, so scheinen sie immer direkt neben den örtlichen Billardsalons zu stehen—Orte, die ich für gewöhnlich meide, da ich mich nur ungern den ständigen sexuellen Belästigungen ihrer Besitzer aussetzen möchte. Diese scheinen auf wirklich jede Frau ein Auge zu werfen, die nicht gerade a) ihre Mutter oder b) ihre Schwester ist.

Ich aber lasse mich jetzt davon nicht mehr unterkriegen. Auch wenn es nichts richtig Essbares gibt, bieten mir die Kedia Kopis eine kurze Atempause in Form von schäumendem Eiskaffee mit extra viel Sahne. Ein Glas davon fühlt sich in deinem Magen mehr nach einer üppigen Mahlzeit, als nur einem bloßen Getränk an. Es mag kein richtiges Essen sein, aber es bringt mich auf jeden Fall durch den Tag.

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Sabrina bei der Zubereitung von nee goreng.

Dann lerne ich auf dem Markt Sabrina kennen. Sie lebt in dieser Stadt schon seit mehr als zwanzig Jahren, ist aber in der boomenden Metropole Kuala Lumpur aufgewachsen. Sofort folgt sie mir auf Schritt und Tritt, erfreut darüber, endlich mal ihre Englischkenntnisse anwenden zu können, die einen viel zu langen Winterschlaf hinter sich haben.

Wir machen uns mit Lebensmitteln im Schlepptau auf den Weg in ihr Dorf, wo ich in den Genuss eines echten Ramadanfestes kommen soll. Außerdem kann ich so sehen, wie ein berbuka puasa—die malaysische Version des iftar-Abendessens—aussieht.

Ich habe auf etwas Fantastisches gehofft, etwas, das meiner Reise eine besonders authentische und persönliche Note verleihen sollte. Ich muss aber immer wieder feststellen, dass während Ramadan in muslimischen Haushalten echt nicht viel los. Als wir um halb eins ankommen, schlafen alle fünf Familienmitglieder schon tief und fest.

Sabrina erklärt mir, dass hier alle gewöhnlich um halb vier aufstehen, um noch vor Sonnenaufgang zu frühstücken. Ihr ältester Sohn Saffiq und ihr Mann gehen dann in die Moschee zum Morgengebet, während sie zu Hause bleibt, um nach den jüngeren Kindern zu schauen. Danach wird erstmal weitergeschlafen. Und danach wiederholt sich das Spiel von Neuem—schlafen, beten, schlafen. Wer könnte es ihnen verübeln? Die Tagen ziehen sich wie Kaugummi, wenn der Magen leer ist.

Wir beide verbringen die Stunden aber auf andere Weise: Sabrina liebt den Kochsender Food Network. Sie schaltet zwischen den Kanälen hin und her—und zwar auf einem großen Flachbildfernseher, der einzige Luxus, den ich in ihrer bescheidenen, staatlich finanzierten Bleibe ausmachen kann. Sie meint, dies sei das einzige Themenfeld, wo ihr Englisch wirklich was taugt: bei Kräutern also, Gewürzen sowie Fleisch- und Gemüsesorten. Ihr besonderer Dank geht dabei an Paula Deen, Bobby Flay sowie auch Chef Wan, dem berühmtesten Koch von ganz Malaysia.

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Ikan goreng, marinierter und gebratener Fisch.

Später dann verbringen wir mehrere Stunden im Garten, wo sie Mangos vom Baum pflückt und sie dann—im Schneidersitz auf dem Rasen—mit einer Klinge ohne Griff schält. Saffiq klettert derweil eine Kokospalme hoch, hackt eine riesige Kokosnuss ab und überreicht sie mir stolz. Danach verbeugt er sich, klopft seinen Sarong ab und macht sich wieder auf den Weg zur Moschee.

Als es anfängt zu regnen, meint Sabrina: „Schau mal, Allah segnet uns. Er segnet uns. Er segnet uns.” Mir gefällt ihre Sichtweise der Dinge und vor allem, was so ein Regenschauer für sie bedeutet.

Auf jeden Fall bedeutet der Regenschauer für uns beide, dass wir ins Haus müssen, wo auch gleich die Vorbereitungen für das spätere berbuka puasa beginnen. Ich sehe ihr dabei zu, wie sie ein halbes Dutzend Gerichte zubereitet, die von verschiedenen Mangosalaten bis hin zu Chicken Curry reichen.

Mit einer großen Klinge filetiert sie ein halbes Dutzend mittelgroßer Makrelen und reibt den Fisch von innen mit einer Marinade aus Safranwurz und Knoblauch ein. Dann träufelt sie ein wenig Wasser über den Fisch und stapelt ihn auf einem Plastikteller, bis er am Ende von saftigen Gelbtönen überzogen auf Abnehmer wartet. Das Ganze kommentiert sie wie ihre eigene TV-Kochshow—selbstsicher, erfahren und auch ein bisschen kamerageil.

Dann gibt sie mehrere Teelöffel Palmöl (das Zeug, das hier so verbreitet ist, wie Mais im Mittleren Westen der USA) in einen Wok und erklärt, so werde der Fisch sowohl knusprig als auch…an dieser Stelle fehlen ihr in der Küche zum ersten Mal die Worte. Ich springe natürlich sofort in die Bresche und ergänze „und zart.” „Natürlich”, meint sie mit einem großen Lächeln, „und zart.”

Um Punkt 17 Uhr quetscht sich die gesamte Familie in das Auto und fährt zum örtlichen Basar.

Aber Sabrina ist jetzt schon genervt. Eine bestimmte Frau macht dort immer wieder spöttische Bemerkungen in ihre Richtung. „Warum ist dein Mann so bettelarm?”, will die blöde Kuh von Sabrina wissen.

Wir laufen vorbei an Ständen mit rauchendem Fleisch und Kalbsbries. Für nicht besonders viel Geld erhält sie mehrere Tüten voll mit ABC (ais buah campur), ein flüssiger Nachtisch aus kondensierter Milch, Grasgelee sowie Sago. Sie steckt alles in ihren Beutel und dann geht es zurück nach Hause, um endlich unser Fasten zu brechen.

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Sabrinas Familie deckt den iftar-Tisch, um endlich das Fasten zu brechen.

Dort betet die Familie erst noch einmal und reicht sich dann gegenseitig das Essen zu. Sabrina aber bleibt in der Küche und erst als alle schon mit dem Essen fertig sind, gönnt auch sie sich ein paar schnelle Bissen und räumt danach den Tisch ab.

Als es für mich dann an der Zeit ist, Abschied zu nehmen, schießen ihr sofort Tränen in die Augen. „Wir freuen uns so sehr darüber, dass du gekommen bist”, sagt sie mit stockender Stimme. „Dass du zu uns gekommen bist. Entschuldige bitte, dass ich weinen muss.”

„Sabrina”, hätte ich sagen sollen, „zart ist auch die richtige Beschreibung für dein gutes Herz.”