„Du kannst keine hasserfüllten Köpfe verändern, wenn du nicht zuhörst, was sie zu sagen haben“

Hatebreed sind das Hardcore-Synonym überhaupt: Über die Bühne stampfende Breakdown-Berge, die von dick aufgepumpten Prolls ohne Oberteil über Altpunks bis zu langhaarigen Headbangern alles vereinen, was harte Musik als Nenner hat. Blickt man aber ins Detail auf denjenigen, der das Zepter von 20 Jahren Hardcore-Geschichte hält, eröffnet sich eine überraschend andere Sichtweise. Jamey Jasta, Kopf und Sänger bei Hatebreed, fegt zwar live wie ein Löwe übers Parkett und seine Präsenz wirkt überlebensgroß, ganz zu schweigen von seinem gewaltigen Organ. In natura ist Jamey aber ein zurückhaltender, lieber Kerl, den man gern als Kindheitsfreund bezeichnen würde. Mit seiner tief ins Gesicht gezogenen Kappe lässt er die unschuldige Schüchternheit eines Schuljungen wirken. Dabei hat der Bursche mächtig was in der Birne und auch allen Drang, das mitzuteilen. Er unterstüzt Potential und die Szene, wo er nur kann. Sei es mit seinem Podcast “The Jasta Show” oder seinem Label “Stillborn Records”. Support, der Hardcore-Grundgedanke. Kein Wunder also, dass Jamey das Interview mit den Worten “I appreciate the support” begrüßt, obwohl er solche Sätze doch längst nicht mehr sagen muss.

Noisey: Der Opener „A.D.“ eurer neuen Scheibe The Concrete Confessional klingt nicht gerade patriotisch. Was regt dich gerade am meisten an deinem Heimatland auf?
Jamey Jasta: Unser System, wo alle Wahlen auf zwei Parteien verdichtet werden—zwei Seiten definieren niemanden! Ich empfehle immer die Seite isidewith.com, wo man all die Probleme auswählen kann, die einem wichtig sind. Dann ist man überrascht, welche Wahlkandidaten sich mit diesen Problemen beschäftigen. Es ist interessant, dass wir noch immer auf diese altmodische, überholte Zweipartensystem bestehen. Wir bräuchten eine kleinere Regierung, wo auch alle kleinen Parteien vertreten sind.

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Wie sind Haterbreed-Fans in den USA so, was sind das für Leute?
Alle Möglichen, jeglicher Gesinnung, politischer Meinung, Religion. Ich hoffe, der Song „A.D.“ kann eine Momentaufnahme kollektiver Frustration sein. Seit der Immobilienblase ist es so schwer, den amerikanischen Traum wie in den 80ern zu leben. Damals konnte man wenig arbeiten und sich trotzdem ein Haus leisten. Heute ist das unmöglich. Menschen haben ihre Häuser und Jobs verloren. Die Arbeitslosigkeit ist heute anders, nicht unbedingt mehr, aber Arbeit ist schwer zu finden und die Löhne sind sehr gering. Also all das, was wir als Kind eingeimpft bekamen—ein schönes Haus mit weißem Lattenzaun, verheiratet sein, zwei Hunde, drei Kinder und ein nettes Auto haben—das wird spätestens dann anders betrachtet, wenn dein Partner und du jeder drei Jobs nachgehen müssen.

Ist Hatebreed jetzt etwa eine politische Band?
Nein, aber in unserer 20-jährigen Karriere verändern wir uns in der Band, jeder einzelne. Eine Sache, auf die wir uns nicht einigen können, ist Politik. Jeder von uns hat andere Probleme und lebt in anderen Staaten. Das europäische Interesse an amerikanischer Politik war schon immer da. Seit zwei Jahrzehnten bin ich in dieser Band und in den Texten gab es nie einen Anhalts- oder Diskussionspunkt über Politik. Aber fast jeder Journalist bringt politische Fragen auf den Tisch, besonders, wenn Wahlen bevorstehen. Ich wusste bis vor kurzem nichts über Bush oder Barack Obama. Deswegen ist ein Song wie „A.D.“ gut, um einen Dialog zu starten oder um ein anderes Interesse an der Platte zu gewinnen. Musik ist nur Unterhaltung. Aber mittlerweile ist Politik auch zu einer Art Unterhaltung geworden. Es gibt auch Synergien zwischen beidem. Ich bezahle die Steuern und hoffe, dass sie schöne Musikprogramme an die Schulen bringen. Aber das kann nur auf lokaler Ebene beginnen. Weil ich nirgendwo anders etwas mit meiner Stimme und meinem Dollar bewirke. Ich muss hier anfangen.

Bringst du dich in der Art in deiner Gemeinde ein?
Ich lerne gerade viel davon. Ich dachte immer, man bezahlt seine Steuern und kann sonst nichts weiter tun. Vor Kurzem aber wurde ein Bekannter von mir ins Amt gewählt, zwei Städte weiter. Er hat lokal in seiner Gemeinde etwas verändern können. Das hat meine Großmutter betroffen, die Mitglied in der Bücherei dort ist. Menschen brauchen Zugang zu Büchern, Bildung und Computern. Man muss lokal anfangen. Wenn ich darüber in ein paar Interviews reden kann, großartig. Das ist interessanter, als darüber zu schwafeln, dass das Album am 13. Mai rauskommt, echt heavy ist und jeder dazu headbangen kann…

Überlegst du selbst, in die Politik zu gehen?
Nein, nein, nein. Aber es ist interessant, sich mit anderen Systemen zu beschäftigen. Wenn ich nach Norwegen oder Dänemark komme und sehe, wie Bands vom Staat subventioniert, ihre Touren, Busse und Studio Sessions bezahlt werden, denke ich wow! Wäre das nicht wundervoll, wenn wir das in den USA hätten? Die Autofirmen und Banken kriegen einen Rettungsschirm, aber die Musikindustrie ist gefickt.

Ich frage dich ja deshalb so politisch, weil unter fast jedem News-Artikel über eure Band Kommentare zu finden sind, wie folgendes bei der Tour-Ankündigung mit Devildriver: „Das ist eine großartige Tour, um die speziellen Leute an einem Ort zu versammeln… die Leute, denen Schusswaffen nicht erlaubt sein sollten.” Wie siehst du das, habt ihr Rednecks als Fans?
Nein, alles, was du im Internet findest, existiert nicht wirklich. Besonders bei Musik-Reviews und -Fans, die als Kritiker posen. Beispiel: Inferno Festival in Norwegen, wir haben ein Black-Metal-Festival geheadlint. Die Show war großartig. Wir haben auch in Bloodstock gespielt. In den Nachrichtenkanälen und auf Facebook schrieben sie Dinge wie: „Oh mein Gott, ich supporte nie wieder das Bloodstock, das ist schrecklich, wie könnt ihr nur Hatebreed buchen?“” Und dann spielten wir da und 10.000 Leute riefen unseren Namen mit der Faust in der Luft, spielten komplett verrückt und trugen unser Merchandise. Hater sind eine Parodie von sich selbst.

Sogar der Begriff „Bro Core“ fiel in Bezug auf eure Musik.
Es gibt bestimmt 50 solcher neuen Genres. Wir haben darüber Witze gemacht in meinem Podcast und ein neues erfunden: Oi Death Metal. Menschen wollen etwas zu sagen haben, eine Stimme haben, das verstehe ich. Aber die existiert nur in einem Gerät. Du kannst keine lauten Verstärker, die in dein Gesicht ballern, in einem Computer, Gerät oder Handy nachstellen—eine gut gefüllte Show, wenn jeder freidreht, Leute mit Musik gefoltert werden, in diese karthartische, therapeutische, fantastische Erfahrung findet. Ich schaue in die Menge und sehe Brüder und Schwestern, Positivität, Lächeln, Headbanger, Menschen aus allen Lebensbereichen. Das ist das ultimative Gegenargument für alle, die solche blöden Begriffe haben wollen. Das ist ihr Problem.

Ich komme aus Ostdeutschland und da gab es damals nicht wenige Neonazis. Welche von ihnen trugen Hatebreed-Shirts, kann man das verhindern?
Bei jedem, der solch Gedankengut mitschleppt, kommt das bestimmt davon, dass er weniger gebildet ist. Wer Wissenschaften, Fakten und Güte nachgeht, eine gebildete, reife Weltsicht besitzt, ist anders. Und Musik ist die universelle Sprache. Sie verändert Menschen, lässt sie ihre Weltsicht überdenken. Egal, ob es hasserfüllte Ignoranz oder begrenzter Glaube ist. Das ist die wahre Übersetzung und Macht von Musik.

In den späten 90ern haben wir das auch gesehen, wo wir im Süden in Staaten wie Tennessee oder Mississippi gespielt haben. Da gab es ein paar Rednecks im Publikum. Pantera wurde das immer angehaftet, auch Slayer. Aber das ist so lange her. Wer aber erstmal gebildet ist, will keine begrenzte Denkart mehr. Warum würdest du über die Kultur oder den Glauben eines anderen urteilen, wenn du deine eigene Kultur und Glaubensansätze anzweifelst? Ich lese viele positive Schriften und Bücher. Es ist OK, ein gewisses Maß an Stolz für deine Religion, deinen Glauben oder deine Kultur zu empfinden. Aber wenn du willst, das andere Kulturen dafür leiden, dann solltest du einen tiefen Einblick auf deine Intentionen wagen. Wie verändert man die Geister anderer? Du kannst keine hasserfüllten und ignoranten Köpfe verändern, wenn du nicht wenigstens zuhörst, was sie zu sagen haben, in einer erwachsenen Diskussion.

Gut gesagt. Nicht nur solch eine positive Gesinnung ist eine Charakteristik von dir, auch die Bezeichnung „am härtesten arbeitender Mann im Hardcore“. Fühlst du genau so?
Nein. Ich arbeite einen straffen Zeitplan zu Hause ja, ich kümmere mich ums Podcast- und Merchandise-Geschäft und alles andere, was bei Hatebreed und dem Jasta-Projekt ansteht. Aber ich habe mich zurückgenommen. Merchandise mache ich nur noch fürs Web; es gibt keine Modelinie mehr, die in Läden angeboten wird; mein Plattenlabel [Stillborn Records] existiert auch nicht mehr wirklich—der Katalog ist noch da, aber es gibt ihn nicht in physischer Form für Direktkunden. Das ist viel einfacher, weniger zeitaufwändig und lohnenswerter. Niemand gibt dir diese Zeit zurück. Ich fühle mit Leuten in Plattenfirmen, die mit all den Egos und Bands klarkommen müssen, wo nicht mal sicher ist, ob es die Band noch in einem Jahr geben wird. Sie investieren all das Geld und ihre Zeit in diese kleinen Bands. Ich preise sie dafür, aber ich habe nicht mehr die Zeit und Energie. Ich konzentriere mich darauf, mein Familienleben so bedeutend und erfüllend wie möglich zu gestalten. Ich habe gestern erst den 88. Geburtstag meiner Großmutter gefeiert. Hätte ich noch das Plattenlabel, wären solche Erfahrungen nicht möglich gewesen.

Große Veränderung für dich Workaholic. Heißt das, du fühlst weniger Wut in deinem Leben? Bist du glücklich?
Nein, „Satisfaction Is The Death Of Desire“ [zitiert Jamey sein Debütalbum mit Hatebreed]. Es gibt nie einen Mangel an Ärger oder Frust, man braucht Balance. Man muss hungrig bleiben. Es gab einen Trainer, vielleicht Muhammed Ali, der sagte: „Es ist schwer, aufzustehen und trainieren zu gehen, wenn man in seidenen Pyjamas aufwacht.“ Die gleiche Theorie gilt für Musik. Wenn wir ein Album wie dieses schreiben, nehmen wir es in kleinen Studios an kleinen Orten auf, wo gegenüber auf der Straßenseite die Nutten stehen und auch der Obdachlose, der um Geld bettelt. Bei Perseverance ritten wir auf Pferden, hatten Jacuzzis und Strips im Studio—davon ist nichts auf diesem Album.

Was hat sich im Hardcore verändert, seit du vor 20 Jahren reingewachsen bist?
Ich weiß es nicht. Ich versuche, dran zu bleiben, über meinen Podcast. Und meine Fans schicken mir neue Bands zum Antesten, da werden viele Subgenres und -kulturen repräsentiert. Ich mag, dass da immer noch die ursprünglichen Bands und Botschaften mit dabei sind. Letztens habe ich die aktuelle Earth-Crisis-Platte gehört und die sind immer noch vegan und straight edge. Ich fand das echt cool. Ich habe mich gefragt, ob es neue Vegan-Straight-Edge-Bands gibt. Ein paar Leute haben mir Links geschickt, aber die Frage blieb unbeantwortet. Also ich weiß nicht, was neu und frisch ist, was sich groß verändert hat. Aber manches blieb so wie es war. In meinem Podcast war gerade Jake von Converge und die Leute schrieben mir: „Wenn du Converge magst, hör dir mal Code Orange an.“ Großartig, sie halten die Flagge hoch für diesen Converge-Stil, der so heftig und aggressiv ist. Egal, ob ich also den Geburtstag meiner Oma feiere oder meine Kids zur Schule bringe und vom Spiel wieder abhole, all das geschieht noch in meinem Leben und floriert.

Gibt es heute mehr gute Bands oder an sich mehr Informationen über Bands?
Mehr Zugang. Wenn du dir die 9,99 im Monat für Apple Music oder Spotify leisten kannst oder ein Handy mit YouTube, kannst du dich in den Bibliotheken für Stunden verlieren. Aber Nostalgie hält sich immer noch stark. Wenn du 16 Jahre alt bist, ist es ein riesiger Spaß von der Geschichte deines liebsten Genres zu lernen. Ich habe ein Punk-Rock-Kid in meiner Stadt gesehen, vielleich 14 Jahre alt. All die Bands auf seiner Jacke waren 30 Jahre alt. Menschen werden immer auf die Zeiten blicken, die sie verpasst haben. Ich bin ja in den sozialen Medien und auch da schreiben mir Kids von 13 Jahren: Satisfaction Is The Death Of Desire! Du warst noch nicht mal geboren, als die Platte rauskam! Das ist aufregend, zeigt die Standhaftigkeit und Zeitlosigkeit von Musik.

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