Rihannas „Work“ ist das Liebeslied, das mich 2016 gerettet hat

Ich werde jetzt nicht so tun, als hätte ich beim ersten Erklingen von Rihannas „Work” eine große, lebensverändernde Eingebung gehabt. Das hatte ich nämlich nicht. Ich war einfach nur unfassbar traurig. Ich befand mich gerade in den Frühwehen der schlimmsten Trennung, die ich je durchgemacht habe und lag auf dem harten Sofa im Wohnzimmer der klammen Souterrainwohnung, deren alleinige Mieterin ich seit Kurzem war. Ich fühlte mich erschöpft und taub; so, wie du dich eben fühlst, wenn du erkannt hast, dass jemand, den du liebst, dich nicht zurückliebt—dich schon lange nicht mehr zurückgeliebt hat, stattdessen sogar jemand anderes geliebt hat. Die Leere dieses Ortes setzte mir zu und drohte, mich zu verschlingen.

Meinen Laptop auf dem Bauch balancierend, überflog ich zum gefühlt tausendsten Mal in dieser Nacht meine Twitter-Timeline. Menschen hatten begonnen, über einen neuen Rihanna-Song mit Drake zu schreiben. Auch wenn die meisten Dinge, die ich über mich zu wissen glaubte, vor Kurzem über den Haufen geworfen worden waren, so war ich mir doch ziemlich sicher, dass ich in der Vergangenheit Fan von Rihanna Songs gewesen war, in denen Drake auftaucht. Geistesabwesend öffnete ich einen Link und drückte Play.

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Irgendwas an „Work” erregte schon beim ersten Hören mein Interesse—irgendwas ganz Banales. Vielleicht war es der Dancehall-Beat oder der lässig-sinnliche Klang von Rihannas Stimme. Ich spielte das Lied etwa zehnmal auf Repeat und ließ es—wenn auch nur temporär—die Kälte aus dem Raum mit seinen einfachverglasten Fenstern verdrängen. Der rhythmische Krach war eine vage Erinnerung daran, dass gerade irgendwo Menschen tanzten. Ich achtete nicht besonders auf den Text. Ich war einfach glücklich, meine Gedanken—wenn auch nur teilweise—über andere Dinge kreisen zu lassen als das furchtbare Desaster, in das sich mein Leben plötzlich verwandelt hatte.

Erst viel später, als ich mich richtig auf Rihannas Text einlassen konnte, erkannte ich, wie sehr ich mich mit „Work” identifizieren konnte. Tatsächlich werden darin komplexe Emotionen derartig pointiert wiedergegeben, dass das Lied jeder Person mit Liebeskummer vom Arzt verschrieben werden sollte. Es ist ein Song über eine Beziehung, die nicht mehr zu retten ist, und er enthält all die nagenden Zweifel und Gedanken, die mit dem Ende einer großen Sache einhergehen. Rihanna, die den Song mitgeschrieben hat, wechselt zwischen Akzeptanz und Sehnsucht. In einem Moment gibt sie zu, dass „all that I wanted from you was to give me something that I never had”,im anderen bettelt sie ihren Liebhaber an: „Baby don’t you leave, don’t leave me stuck here in the streets.” Es beschreibt die Orientierungslosigkeit, die entsteht, wenn ein Teil deines Lebens brutal abreißt—wie ein Arm.

Als erste Single von Rihannas sehnlichst erwartetem achten Studioalbum ANTI fühlt sich „Work” wie die Einführung einer von frischer Energie durchströmten und brutal-ehrlichen Künstlerin an. Als das Album nach vier Jahren des Wartens endlich erschienen war, hatte man das Gefühl, Zeuge einer radikalen Kursänderung geworden zu sein. Rihanna ist jetzt ein zutiefst vielseitiger Popstar, der großartige und kohärente Platten erschafft und gleichzeitig Charthits raushaut. ANTI  umgibt eine facettenreiche Realness, die so auf ihren anderen Alben nicht zu finden ist. Denk nur an das ehrliche Brechen ihrer Stimme in „Higher”; ihr Selbstbewusstsein auf „Sex With Me”, das sie zu einer modernen auditiven Stilikone gemacht hat; oder die mutige Entscheidung, ein Cover von Tame Impalas „Same Ol’ Mistakes” aufzunehmen, nur weil sie den Song mag. Die Tatsache, dass sie als Songwriterin an den meisten Tracks beteiligt ist, spricht dafür, dass ANTI ihr persönlichstes Album ist—jedenfalls bis jetzt.

Und obwohl ich niemals „Needed Me” und seinem ansteckenden Chorus widerstehen können werde—oder der raukantigen Schönheit von „Kiss It Better”—, so ist und bleibt „Work” für mich auf der Platte am herausragendsten. Denn auch wenn die Lyrics eine Geschichte der Verwirrung und Hilflosigkeit erzählen, so ist der Song gleichzeitig ein zu ausgelassenen Slutdrops animierender Banger, wie wir sie von Rihanna kennen und lieben. Wenn mir meine erste Bekanntschaft mit „Work” besonders in Erinnerung geblieben ist, dann weil der Song mir etwas gab, auf das ich mich in der stillen Einsamkeit meiner Wohnzimmercouch konzentrieren konnte. Meine zweite Begegnung mit dem Track ist mir allerdings in Erinnerung geblieben, weil sie das genaue Gegenteil war.

Ein paar Monate später, in einem Pub in Nordlondon, rieb ich zu „Work” meinen Hintern am Schritt meines Kumpels Marco—und zwar dermaßen ausgelassen, dass die Menschen um uns herum uns gebannt zuschauten. So viel zu meiner Selbstachtung. Später in der gleichen Nacht saß ich natürlich wieder heulend im Bus und tippte selbstzerstörerische Facebook-Nachrichten an meinen Ex in mein Handy. Für die wenigen wundervollen Minuten davor hatte ich aber nur in der Welt von „Work” existiert. Es ist ein Song, der Herzschmerz wirklich versteht, der aber auch weiß, dass das Leben weitergehen muss. Oft genug musst du, egal wie du dich fühlst, einfach loslassen. Und wenn du dafür einfach so lange tanzt, bis dir die Schenkel schmerzen, deine Probleme werden zumindest für einen Augenblick an den Rand gedrängt. Wie Rihanna sagt: „Wake up and act like nothing’s wrong, and just get ready for work, work, work, work, work”.

Alle Bilder sind Screenshots von YouTube aus dem Video „Rihanna – Work (Explicit) ft. Drake” von RihannaVEVO

Und genau das habe ich dann auch getan. Rihanna hat nämlich recht: Es ist die einzige Möglichkeit, um damit fertig zu werden. Mit seinen vielen gegensätzlichen Aussagen zeigt „Work”, dass das Weitermachen nicht unbedingt ein Zeichen dafür ist, über den Schmerz hinweg zu sein, du musst es aber wenigstens versuchen. Also habe ich mir eine neue Wohnung gesucht, mich von meinen Freunden trösten lassen und mir einen Haufen teures Make-Up gekauft. Ich verbrachte weniger Zeit mit Schlafen als mit Feiern und langsam bekam ich ein paar Teile von mir zurück, die ich für immer verloren geglaubt hatte. Ich erinnerte mich auch wieder daran, dass ich eigentlich eine ziemlich unterhaltsame Zeitgenossin bin.

Das heißt nicht, dass sich in mir nicht alles zusammengezogen hätte, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit am Haus meines Ex vorbeikam, oder an unerwartet dunklen Nächten einen bitteren Schub von Einsamkeit verspürte. Aber der stechende Schmerz, den diese Dinge früher verursacht haben, ist inzwischen viel stumpfer geworden, wenn auch noch Teil meines Lebens. Und das kreide ich der bewussten Entscheidung an, weiterzumachen.

Aus diesem Grund ist „Work” das Liebeslied, das ich 2016 gebraucht habe—persönlich und im größeren Maßstab. Auch wenn der Song wahrscheinlich zu jeder Zeit eine Nummer eins geworden wäre—er ist kann objektiv betrachtet einfach alles—, macht ihn der Umstand, dass er Realismus und Eskapismus zugleich bedient, für dieses Horror-Jahr besonders passend. Junge Menschen wissen 2016, dass die Welt schlecht ist, weil wir damit tagtäglich konfrontiert werden. Wir wissen aber zugleich auch, dass uns diese schlechten Dinge letztendlich nicht davon abhalten können, nicht davon abhalten sollten, vergnügt über eine Tanzfläche zu torkeln, bis die Sonne aufgeht.

„Work” ist vor allem eins: Rihannas Ansage, dass es manchmal OK ist, fiese Dinge zu verarbeiten, indem man sich selbst fies gehen lässt; dass das Leben kompliziert und mehrschichtig ist, und, dass du dir all dessen bewusst sein kannst, während du gleichzeitig versuchst, dich durchzuschlagen. Und als ich vor ein paar Wochen wieder zu diesem Song in einem stickigen Raum mit einer Flasche billigem Kirsch-Sekt in der Hand und diversen Rum-Colas intus stand, umringt von Freundinnen, die genau das gleiche taten, erkannte ich, dass diese Song das wahrscheinlich Weiseste und Nuancierteste ist, was ich in diesem Jahr gehört habe.

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