MC Rene will nicht nur lustig sein

MC Rene—das ist der Typ, der sich entschlossen hat seine Wohnung aufzulösen, sein Hab und Gut zu verschenken und mit einer Bahncard 100 durch das Land zu reisen, mit dem Ziel Comedian zu werden. Jetzt ist MC Rene im dritten Jahr seiner Tour de Bahn, ist immer noch nicht sesshaft und hat 2012 das Buch Alles auf eine Karte veröffentlicht, in dem er seine Erfahrungen im Zug und bei dem Versuch, Comedian zu werden, niedergeschrieben hat. Jetzt kommt das Hörbuch dazu auf einem USB-Stick in Form einer Bahncard. Doch das Speichermedium hat mehr zu bieten als nur das Hörbuch. Es wird auch sechs neue Tracks von MC Rene beinhalten. Zurück zu den Ursprüngen, quasi MC Rene mit einem Mikrofon und auf Beats. Beim Inteview wirkte MC Rene nervös, was ziemlich unverständlich ist, hat er doch schon hunderte Interviews gegeben und auch selbst unzählige geführt. Menschen, die ihn kennen werden sagen, dass ist seine Art—ein bisschen ADHS.

Noisey: Von der Bahn ins DB-Magazin, wie war das für dich?
MC Rene:
Komisch! Du gehst auf Toilette und dann siehst du eine Frau, die die Zeitung aufmacht und da ist dein Foto drin. Das ist mir voll peinlich. Da kann ich ja gar nicht mehr in meinem natürlichen Lebensraum rumlaufen. Alle gucken mich an. „Guck mal da schläft der Rene, lass mal ein Foto machen.”

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Wieso gibt es dein Buch jetzt ein Jahr später nochmal als Hörbuch?
Als letztes Jahr das Buch rauskam, habe ich hauptsächlich Lesungen gemacht und hatte dann die Idee, das Buch zu vertonen. Da ich Sprechkünstler bin, liegt es ja auch nahe, das ganze zu vertonen und ich habe dann bei Carl Crinx im Odenwald das Buch eingelesen. Dort ist auch die Idee entstanden, es in Form eines USB-Sticks zu veröffentlichen. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht, es ist einfach kostengünstiger als sechs CDs zu machen und sieht auch noch schicker aus.

Auf dem USB-Stick werden ja auch Songs drauf sein. Haben die sich mit der Zeit angesammelt oder hat es dich plötzlich gepackt, wieder Songs aufzunehmen?
Der Zeitpunkt ist genau dann gekommen, als ich fertig mit dem Einlesen des Buchs war. Wir haben ungefähr dreieinhalb Tage dafür gebraucht und danach habe ich Carl gefragt, ob er noch ein paar Beats hat. Als ich dann die Beats gehört habe, hatte ich wieder Bock Tracks zu schreiben. Der erste Song ist ein Stefan Eckert-Track (Anm. d. Red.: Der Name den Rene bei seinem Call-Canter Job benutzte, bevor er alles aufgegeben hat und sich in die Bahn setzte). Desweiteren gibt es einen Track mit Immo und Spax und dann noch „Mein Leben ist ein Freestyle”. Musik machen hat sich nach dem Hörbuch ganz natürlich ergeben und es war kein Druck da.

Du hast dein Comedy-Programm, du hast ein Buch geschrieben und jetzt gibt es auch noch Songs. Gibt es denn thematisch noch was Neues zu erzählen oder sind da viele Überschneidungen drin?
Natürlich gibt es Überschneidungen, der Rap ist aber eine wesentlich komprimiertere Version der Geschichten. Man kann Geschichten auf unterschiedliche Art und Weise erzählen. Meine Geschichte, ohne Wohnung, nur mit der Karte und Zugfahren, kann ich erzählen, in einem Buch schreiben oder auch darüber rappen. Diese drei Möglichkeiten stehen mir zur Verfügung und da gibt es auch Überschneidungen. Beim Lesen hat jeder seine eigenen Bilder im Kopf, aber wenn ich rappe, ist da meine Stimme, mein Flow und mein Gefühl. Das ist dann eine andere emotionale Erfahrung.

Im Zuge des Buchreleases konnte man immer wieder von skurrilen Jobs lesen. Gibt es diese Jobs noch oder kannst du mittlerweile durch deine Auftritte überleben?
Nein, das hat aufgehört. 2012 habe ich das erreicht, was ich mir in diesem Buch vorgenommen habe, nämlich zurück auf die Bühne zu kommen und da anzuknüpfen, wo ich mich zuhause fühle. Seitdem muss ich nicht mehr Pornos synchronisieren. Klein Vieh macht auch Mist, ich fahre sieben Stunden lang für zehn Euro, um sieben Minuten aufzutreten. Ich kann das jeden Tag machen und dann gibt es auch mal einen Fuffi und wenn es einen Hunni gibt: yeaaah! Dann hast du irgendwann so drei-, vierhundert Euro in der Tasche, das ist auch cool. Geld hat irgendwann keine Rolle mehr gespielt, weil ich felxibel war und für wenig Geld irgendwohin fahren kann. Ich muss ja einfach nur in den Zug einsteigen. Mittlerweile sind die Auftritte aber meistens Lesungen und in diesen Lesungen rappe ich, mache Comedy und erzähle. Nur lustig sein zu müssen, war mir dann auf Dauer zu wenig. Der Humor ergibt sich auch meistens aus der Spontanität heraus mit dem Publikum.

Ich habe mich die ganze Zeit immer gefragt, was deine Mutter eigentlich von der ganzen Aktion hält?
Die kennt ihren Sohn halt einfach auch als Vagabund. Der Typ, der schon immer unterwegs ist. Ich war schon mit 15 unterwegs. Mit 14 habe ich meine eigene Erziehung in die Hand genommen, ob das im Nachhinein immer so gut war, wage ich selbst zu bezweifeln. Ich bin ja schon früh—damals mit dem Tramper-Ticket—auf Jams gefahren. Für meine Mutter war das eher so: „Das war ja klar, dass er das irgendwann macht.” Ich bin froh, dass sie mir keine Vorwürfe oder ein schlechtes Gewissen macht. Ich würde trotzdem das machen, was ich mache, aber so ist es natürlich besser.

Du bist jetzt im dritten Jahr. Wie schwer war es denn am Anfang, genug Geld für die nächste Bahncard zusammen zu bekommen oder gab es da vielleicht sogar Unterstützer?
Ich habe die Bahncard im Abo, muss also jeden Monat bezahlen. Dadurch bin ich gezwungen, was zu tun und das ist gut so. Was man alles kann, wenn man muss. Am Anfang war es dann eher so, du hast keine Kohle, weißt eigentlich gar nicht, wo die Reise hingeht, du weißt gar nicht was in dem Jahr passieren wird und trotzdem habe ich mich extremst drauf gefreut, auf dieses Abenteuer. Ich bin quasi von der Klippe gesprungen, wusste da ist Wasser unten, aber du siehst es halt nicht. Ich war einfach auch so froh aus diesem Scheiß-Call-Center weg zu sein. Auch wenn es manchmal echt hart war, habe ich immer wieder die Kurve bekommen und noch ein bisschen Geld verdient.

Was treibt dich denn jetzt an?
Jetzt will ich mir was als Künstler aufbauen, damit ich in eine Position kommen kann, wo ich das machen kann, worauf ich Bock habe. Ein Künstler kann auch Dienstleister sein, ich habe viele Comedians erlebt. Sie werden auf Shows gebucht, sind viel besser als ich, aber sind nur Dienstleister. Ich möchte kein Dienstleister sein. Ich möchte als Künstler einfach jemand sein, der auch in zehn, fünfzehn Jahren sein Ding machen kann. Darum bin ich auch aus dem klassichen HipHop-Kontext bewusst ausgetreten, weil ich mich als Entertainer verstehe und ich möchte einfach ein Buch schreiben können, vielleicht ein Album machen. Ich möchte ein Freigeist bleiben und möchte davon leben und mein Beitrag ist es, der Gesellschaft Geschichten zu erzählen, die sie aus ihrem Alltag abholen. Das ist mein Antrieb, wenn ich das erreiche und das immer weiter machen kann, dann kann ich davon leben, kann aber auch anderen Leuten was zurückgeben.

Gibt es auch den Antrieb, es dahin zu schaffen, wieder einen festen Wohnsitz zu haben?
Ich weiß nicht. Ich bin so daran gewöhnt, ohne Wohnung unterwegs zu sein, dass es mir schwer fällt, mich mit dem Gedanken anzufreunden, jemals wieder sesshaft zu werden. Das ist auch ein hypothetischer Gedanke, den ich als Expose für mein zweites Buch benutze. Versuche ich jetzt wieder eine Wohnung zu finden, nur weil die Gesellschaft es von mir erwartet, oder will ich das selber oder kann ich das? Fällt mir das schwer, fällt mir das leicht. Das sind alles erstmal nur Fragen. Ich könnte es mir leisten, jetzt wieder eine Wohnung zu haben, aber dann fang ich an zu argumentieren: Ich bin doch dann eh nie da, ich bin doch sowieso nur unertwegs, ich habe es doch auch jetzt nicht gebraucht, mir geht’s doch gut. Aber ich schließe das nicht aus, dass ich bald wieder sesshaft werde. Ich warte auf die perfekte Gelegenheit.

Wenn man so durch deine Biographie geht, sieht man, dass du schon einiges gemacht hast. Rappen, moderieren, du hast ein Label gegründet, nicht alles davon verfolgst du heute noch. Würdest du dir selbst eingestehen, bei den einzelnen Karrierewegen Fehler gemacht zu haben?
Ja klar, ohne Ende. Klar hätten Dinge in der Vergangenheit anders laufen können oder wenn ich ein anderes Bewusstsein hätte, hätte ich bestimmte Entscheidungen anders getroffen. Aber im Nachhinein, wenn ich mich jetzt sehe, muss ich sagen, es hätte auch schlimmer laufen können. Klar kann es auch noch besser sein, man kann immer noch mehr Geld oder mehr Erfolg haben. Am Ende geht es aber darum, im Einklang mit all diesen Dingen zu sein. Ich hoffe, dass ich aus bestimmten Dingen der Vergangenheit gelernt habe.

Du hast vorhin, als es um die Tracks ging, schon gesagt, dass auch Immo und Spax dabei sind. Was ist denn aus eurem Freestyle Projekt F.I.R.S.T. geworden?
Wir waren im Studio und haben uns für ein paar Sessions getroffen. Es sind auf jeden Fall viele Lieder entstanden. Ich kann jetzt noch nicht näher darauf eingehen, was damit passiert, aber wir hatten im Studio sehr viel Spaß und waren sehr kreativ.

Aber ihr habt im Studio dann schon geschrieben?
Ja ja, ursprünglich ist das ja ein reines Freestyle-Projekt und wenn wir live auftreten, wird das auch der größte Bestandteil sein, aber auch einfach mal Songs zusammenzuschreiben. Auf meiner USB-Card ist ein Track mit Immo uns Spax zum Thema Bereuen. Das funktioniert auf jeden Fall, wenn wir drei ein Lied zusammen machen.

Das Hörbuch könnt ihr hier bestellen und heute, am 07. Juni, gibt es die Release-Party im nhow Berlin.

Sascha auf Twitter: @DeutscheWorte

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