Bonnie Bazooka, Princess Paindora oder Billie L. Riot—das sind noch die wohlklingendsten Namen, die ich bei den Ruhrpott Roller Girls antreffe. Neben dem Sport geht es auch um die Show, die Künstlernamen sind hier nur ein Bestandteil. Auch wenn Roller Derby in Deutschland nur vor wenigen Zuschauern und oft in Turnhallen gespielt wird, wird der Matchday mit großem Trara inszeniert. Die Spielerinnen laufen mit Musik ein, werden einzeln vorgestellt und legen optische Akzente. Zum Beispiel mit knalligen Strumpfhosen oder bemalten Helmen. Aber die ganze Selbstinszenierung findet sehr selbstironisch statt. Mit einem glizernden Einhorn auf dem Helm hilft auch der krasseste Spitzname nicht, um böse zu wirken.
Beim Roller Derby treten zwei Teams gegeneinander an, ein Ball, der sonst zu den meisten Mannschaftssportarten gehört, fehlt. Dafür kämpfen die Rollergirls im Vollkontakt gegeneinander. Und wie der Name schon andeutet, spielt Frau auf Rollschuhen.
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Roller Derby besitzt eine lange Geschichte. Schon in den 1930er Jahren fanden die ersten Spiele in den USA statt. Bis in die 1970er Jahre entwickelte sich der Sport in den Staaten zu einem Publikumsrenner. Auf Steilbahnen mit erhöhten Kurven schubsten und rangelten die Frauen miteinander. Allerdings war Roller Derby damals ein durch und durch kommerzialisierter Sport. Es ging damals vor allem um die Show. Checks und Fouls wurden im Voraus abgesprochen, um den Fans spektakuläre Aktionen zu bieten. Hohe Kosten und Streitigkeiten zwischen verschiedenen Derby-Veranstaltern sorgten dann dafür, dass Roller Derby aus der Öffentlichkeit verschwand.
Zurück kam Roller Derby Ende der 1990er Jahre in den USA. Viele der Spielerinnen hatten einen Background in der Punk- und „Riot-Grrrl” Bewegung. Dieser Hintergrund spielt auch für die Rollergirls in Deutschland noch eine Rolle. Oskar LaBruise erzählt, dass es natürlich auch darum gehe, den Sport selbst zu organisieren und sich nicht in festgefahrene Strukturen einzubinden. Der D.I.Y.-Gedanke spielt noch immer eine große Rolle. Und das merkt man. Von der deutschen Roller Derby-Spitze an ist alles in der Hand der Spielerinnen. Die Vorsitzende von „Roller Derby Deutschland”, dort wird die Nationalmannschaft organisiert, ist eine aktive Spielerin aus Essen. Auch die anderen Verantwortlichen sind aktive Spielerinnen. In anderen Sportarten wäre das undenkbar.
Oskar ist Spielerin der Ruhrpott Roller Girls aus Essen. Das Essener Team gibt es seit 2009. Damals noch unter dem Namen „Devil Dolls” nahmen sie am ersten Turnier um die deutsche Meisterschaft teil und wurden Dritter. Mittlerweile ist das Team in der „Women’s Flat Track Derby Association” (WFTDA) organisiert, dem Weltverband der Roller-Derby-Teams. In Deutschland gibt es seit diesem Jahr ein Ligasystem. Die Essenerinnen spielen mit den Roller-Derby-Hauptstädten Stuttgart und Berlin in der ersten Liga. Im Gespräch ist es den Spielerinnen aus Essen wichtig, den Fokus aufs sportliche zu lenken. Zu viel haben sie schon gelesen über „den heißen” Sport, der „nichts für Mädchen” sei. Oder den Sport, der die „moderne und selbstbewusste Frau” repräsentiere.
Also, worum gehts beim Rollerderby? Zwei Teams treten mit jeweils fünf Spielerinnen gegeneinander an. Jedes Team hat eine „Jammerin”, sie kann Punkte sammeln. Dafür muss sie sich durch das „Pack” kämpfen. Das „Pack” sind die jeweils vier restlichen Spielerinnen des Gegners und der eigenen Mannschaft. Sie laufen im Rudel über die Bahn und versuchen, die gegnerische „Jammerin” zu blockieren und der eigenen den Weg frei zu schubsen. Für jede Überrundung einer gegnerischen Spielerin erhält man einen Punkt. Gewisse Körperteile wie Beine, Rücken und Kopf sind für Attacken verboten. Aber sonst wird gerempelt und gecheckt was der Körper hergibt. Immer wieder fliegen Spielerinnen aus der Bahn und landen sprichwörtlich auf der Nase. Roller Derby ist ein verdammt schneller und auf den ersten Blick unübersichtlicher Sport. Es braucht schon eine Halbzeit (30 Minuten), um das Spiel und die komplexen Regeln zu verstehen. In Essen haben die Roller Girls für unkundige Zuschauer vorgesorgt. Im Flyer zum Spiel, das in der Rollerderby-Sprache „Bout” heißt, werden die Regeln erklärt. Für persönliche Erklärungen steht im Publikum eine Frau im gelben Shirt mit der Aufschrift: „Roller Derby for Dummies”. Sie ist bei allen Fragen zum Spiel ansprechbar.
Was auffällt, viele der Schiedsrichter—beim Roller Derby braucht man davon sieben auf Rollschuhen und nochmal neun die sich um die Strafbänke, Zeiterfassung, Punktezählung u.s.w. konzentrieren—sind Männer. Männer trainieren auch oft Roller Derby-Teams. Eine Stammzuschauerin erklärt, dies sei so, „damit die Jungs auch mitmachen können”. Und so scheinen die Trainer auch nicht die gleiche Autorität zu genießen wie in anderen Sportarten.
Die Ruhrpott Roller Girls absolvierten am 23. Mai ihr erstes Heimspiel in dieser Saison. Zu Gast ist das belgische Team Namur Roller Girls. RaKäthö, die ihr erstes Spiel absolviert, erzählt, dass alle Spiele für ein europäisches Ranking zählen. Namur und das Ruhrgebiets-Team liegen nah beieinander, das Spiel verspricht, eng zu werden. RaKäthö erzählt, dass sie nie Leistungssport gemacht habe, und dass es toll sei, dass man im Roller Derby auch noch mit über 20 anfangen könne und schnell in den Sport rein komme. Obwohl RaKäthö erst seit kurzem dabei ist, kümmert sie sich mit um die E-Mails des Teams. Vor dem Spiel hat sie nicht viel Zeit. Die ovale Roller Derby-Bahn muss auf dem Spielfeld markiert werden, Getränke rangeschafft und allgemein alles organisiert werden. Das alles machen die Spielerinnen mit einer Handvoll Freunde selbst. Dieses Mal spielen die Rollergirls in einer Skaterhockey-Halle, im letzten Jahr waren sie oft in der Essener Eishalle, wenn dort kein Eis ist. Die Halle sei aber zu groß, mit 100 Zuschauern käme dort keine Stimmung auf, erzählt Sweet Gwenrolline. Gwenrolline spielt schon seit 2010 Roller Derby, sie ist Star-„Jammerin” bei den Essenerinnen. Außerdem spielt sie im Nationalteam. Im letzten Sommer war sie bei den Weltmeisterschaften. Gegen die USA hat man zwar mit 400 zu 60 verloren, ein tolles Gefühl war es aber trotzdem. „Die USA haben das durchgezogen, weil sie wissen, dass es für uns eine Ehre ist, gegen sie zu spielen”, erzählt Gwenrolline. In den USA begeistern sich inzwischen wieder tausende Fans für Roller Derby.
Zu dem Spiel gegen Namur sind über 100 Menschen in die Halle gekommen. Das Publikum ist alternativ. In der Halle laufen Deichkind und Billy Talent. Gute Laune bei Spielerinnen und Fans. Die Stimmung ist positiv und freundlich, statt einem Roller Derby-Spiel könnte gleich auch ein Konzert stattfinden. Das Bier kostet 1,50€, Fußballfans träumen von solchen Preisen, und ist am Anfang der zweiten Halbzeit ausverkauft. Nachdem die Ruhrpott Roller Girls zur Halbzeit noch zurück liegen, gewinnen sie das Spiel am Ende mit 167 zu 140. Nach dem Ende des Spiels kommen fast alle Zuschauer auf die Spielfläche, beide Teams drehen eine Runde und klatschen die Fans ab.