Popkultur

Eine Liebeserklärung an die Anime-Serien unserer Kindheit

Es gab mal eine Zeit, in der der Fernsehnachmittag im deutschen Fernsehen noch nicht zur Gänze aus Scripted Reality bestand und Kay One weit davon entfernt war, eine eigene Datingshow zu haben. Unsere Eltern waren gut zu uns, sie haben uns Gameboys oder Barbies gekauft, im besten Fall sogar beides, aber lasst uns ehrlich sein: Unsere Erziehung hat mindestens zur Hälfte RTL II übernommen.

Als wir von der Schule nachhause sprinten mussten, nur um das Intro von Pokémon nicht zu verpassen, war die Welt, in der wir lebten, eine andere. Eine bessere. Eine, in der unser größtes Problem die Mathe-Hausübung war und Fernsehen noch pures Glück. Der Nachmittag bei RTL II bestand ausschließlich aus Anime-Serien und ist rückblickend betrachtet die Essenz meiner gesamten Kindheit.

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Zu seinen besten Zeiten wurde der Anime-Block beinhart von einem orangen Stofftier namens „Be” moderiert. Als das Programm später in „Pokito” umbenannt wurde (klingelt da was?), hatte er schließlich ausgedient. Die Erinnerung an ihn mag vielleicht nicht mehr ganz so intensiv sein wie jene an die Serien selbst, trotzdem darf man nicht vergessen, ihn zumindest zu erwähnen.

Wenn man sich das Programm von damals ansieht, wird einem schnell wieder bewusst, wie verdammt viele Serien es überhaupt gab, die man schon längst verdrängt hatte. Zu viele, um sie alle aufzuzählen. Ich verzichte hier beispielsweise ganz bewusst auf Pokémon, Sailor Moonoder Dragon Ball, weil die so viel mehr waren, als einfach nur drei weitere Serien. Das ging weit über Fernsehen hinaus und ginge sich auch nicht in ein paar Absätzen aus (als Entschuldigung hier ein Foto von einem Real-Life-Meister Quitte). Folgende Serien aber haben meine Kindheit auf eine sehr ungesunde Art und Weise geprägt.

Jeanne, die Kamikaze-Diebin

Jeder von uns hat ein ganz bestimmtes Anime-Intro, das am meisten mit ihm oder ihr macht. Für die meisten ist es wahrscheinlich das von Pokémon (bin ich da zu schwer vorbelastet oder ist das tatsächlich bis heute ein unfassbar guter Song?). Für mich ist es das von Jeanne, die Kamikaze-Diebin. Dieser trashige 80er-Gitarren-Sound, die peinlichen Lyrics, das dramatische Ende. Es lässt mich Dinge fühlen, von denen ich nicht mehr dachte, dass sie noch in mir existieren.

Jeanne, die Kamikaze-Diebin war eigentlich ziemlich offensichtlich bei Sailor Moon abgepaust, was mich persönlich nicht weiter gestört hat—im Gegenteil. Gib mir eine blonde Heldin, die sich mit Hilfe einer komischen Brosche in irgendwas Fetziges verwandeln kann, und ich bin dabei. Besagte Verwandlungen waren ganz nebenbei bemerkt der regelmäßige Höhepunkt beider Serien: Sobald diese Musik losging und die Figuren ihr Bitchface aufsetzen, fing mein Herz an, schneller zu schlagen, und ich wusste genau: Jetzt werden gleich ein paar Dämonen zerfickt. Gib ihnen! Darüber hinaus waren es auch diese Momente, in denen mir ein völlig falsches, genital- und nippelloses Körperbild von jungen Frauen vermittelt wurde.

Der ausschlaggebende Unterschied zu Sailor Moon: Die Hauptfigur ist nicht nur eine tollpatschige Schülerin, sondern zufällig auch noch die Reinkarnation von Johanna von Orléans. Die Leute halten sie für eine ausgefuchste Diebin, in Wahrheit bekämpft sie aber in Kunstwerke eingeschlossene Dämonen, indem sie kräftig mit einem Sportgymnastik-Band wedelt. Ich schwöre.

Ihre gazellenhafte Gymnastikband-Fuchtelei hat mich so sehr fasziniert, dass es letztendlich sogar meine innere Tine Wittler wecken konnte und mich dazu trieb, in feinster Pfuscher-DIY-Manier ein altes Stoffband an einen Stecken zu kleben, den ich mir aus dem Wald geholt hatte. Es war meine ganz eigene, bauernhafte Version von Jeannes Waffe und ich habe damit gewedelt. Durch die Lüfte. Graziös. Oder wie die Kamikaze-Diebin höchstpersönlich rufen würde: „Stark, bereit, unbesiegbar, schön, entschlossen, mutig.”

Shin-Chan

An dieser Stelle sollte von Anfang an folgender Satz stehen: „Als Kind fand ich immer, dass die eine Stimme im Titelsong wie Faiz von Bro’Sis klingt.” Allerdings war ich mir schon bei dem Gedanken an den Satz insgeheim sicher, dass er sowieso nicht stimmen konnte. Als ich dann zu recherchieren begann, sollte sich herausstellen, dass ich damit ernsthaft richtig lag: Der Song wurde tatsächlich von Bro’Sis eingesungen. Der Satz steht also wirklich da und darf auch ganz ohne Vorwarnung und Anführungszeichen stehenbleiben. Gern geschehen—das kann man so leicht nicht mehr ungehört machen.

Shin-Chan ist ein Held. Alleine dafür, dass er ständig seine Hosen runtergelassen hat, wenn es mal brenzlig wurde—Popowackeln und Lumpi rausholen als Krisenmanagement eben. Und ja, im Fall von Shin-Chan scheint „Lumpi” das einzig richtige Wort zu sein. Außerdem trieb er so gut wie jeden Erwachsenen in seinem Umfeld zur Weißglut und nannte seine Mama konsequent „Mopsi”. Und das, obwohl die ohnehin schon total überfordert mit dieser totalen Katastrophe von einem Kind war. Arme Mopsi.

Detektiv Conan

Detektiv Conan war zweifellos eine der besten Serien, die RTL II damals im Programm hatte. Einige der wichtigsten Storylines gingen zwar zugegebenermaßen nicht immer auf, aber da Anime-Serien generell nie sonderlich realitätsnah waren, störte das niemanden. Außerdem ging es im Gegensatz zu anderen Serien nicht um Katzen-Damönen und magische Gymnastikbänder—Detektiv Conan war ein richtiger Krimi.

Nicht, dass Conan absolut keine fantastischen Elemente hatte. Genau genommen hatte die Serie nur eins. Das Übernatürliche an der Prämisse: Der kleine Junge Conan ist in Wahrheit der Meisterdetektiv Shin’ichi, der durch ein Gift, das ihn eigentlich töten sollte, versehentlich um 10 Jahre verjüngt wurde. Seine Fälle muss er nun lösen, indem er den erwachsenen Kollegen Kogoro Mori betäubt und anschließend durch seine Fliege spricht, die nebenbei ein Stimmentransponder ist. So dachten alle, es wäre Kogoro, der die Verbrecher überführt—und dabei halt sehr gerne seinen Kopf nach unten hält.

Ich wage zu behaupten, ein halbwegs zurechnungsfähiger Mensch würde bemerken, wenn sein vermeintlicher Gesprächspartner bewusstlos wäre. Ich meine, jemand—irgendjemand—muss doch mal bemerkt haben, dass der Typ jedes Mal da hängt wie ein nasser Sack, der nie seine Lippen bewegt? Nein? Egal, der Titelsong „Nur Fragen in meinem Kopf” macht all das wieder gut—obwohl, oder gerade weil er so klingt, als hätte Peter Maffay ihn geschrieben und Helene Fischer wäre drauf und dran, ihn auf ihrer nächsten Stadiontournee zu covern.

InuYasha

Spätestens hier macht sich ein Muster bemerkbar: Das Beste an diesen ganzen Serien sind eigentlich die Songs. Auch beim Wiederschauen lösen sie irgendetwas in uns aus—etwas, das seit dem Ende der großen Anime-Ära in uns geschlafen hat. Heute würde diese Art Song wahrscheinlich von Diplo produziert werden und einen Grammy für „Best Dance Recording” einkassieren. Vocals von Tinashe, bitte.

Ich weiß nicht mehr viel von InuYasha, außer dass die Hauptfigur ein hundeähnlicher Halbdämon war und die ganze Serie im Vergleich zu den anderen eine eher düstere Angelegenheit war. Eine Sache jedoch habe ich mir gemerkt: In Japan scheint es nur eine einzige gültige Art zu geben, Mädchen in Schuluniformen zu zeichnen. Was zur Folge hatte, dass weibliche Figuren mit ähnlichen Frisuren oft kaum voneinander zu unterscheiden waren. Was wiederum zur Folge hatte, dass ich lange dachte, das Mädchen aus InuYasha wäre Sailor Mars.

Yu-Gi-Oh

Ihr merkt: Jede erfolgreiche Anime-Serie braucht einen ganz eigenen Spin, um angenommen zu werden. Jeanne hatte die französische Revolution, One Piece hatte Piraten, bei DoReMi gab es Hexen und Yu-Gi-Oh! hat eben dieses Ding mit Ägypten. Abgesehen von einem riesigen Sammelkarten-Imperium, das lange Zeit die Schulhof-Schwarzmärkte regierte, haben wirYu-Gi-Oh! aber vor allem eines zu verdanken: Die Frisur.

Ranma ½

Ranma ½ war vielleicht nicht die bekannteste oder beliebteste Serie im RTL II-Programm, verdient aber alleine wegen dem komischen Plot eine Erwähnung. Die Hauptfigur, der 16-jährige Ranma, ist nämlich verwunschen und verwandelt sich bei Berührung mit kaltem Wasser in ein rothaariges Mädchen. Rückgängig machen kann das wiederum nur heißes Wasser. Sein Vater hat ein ähnliches „Leiden”, nur wird der nicht zu einer Frau, sondern zu einem ausgewachsenen Panda.

So weit, so befremdlich. Damals erschien mir das alles sehr skurril, heute kann man dem Spiel mit den Geschlechterrollen eigentlich nur applaudieren. Da wurden—zumindest in meinem Kinderkopf—ein paar Grenzen aufgebrochen. Ganz abgesehen von der Vermittlung japanischer Kultur waren Anime-Serien also vielleicht sogar ein bisschen wertvoll.

Digimon

Und wieder: Was. Für. Ein. Song. Wir müssen gar nicht lange drum herum reden—Digimon war vom Prinzip her eine Pokémon-Kopie, nur ärger. Da waren plötzlich flashige 3D-Effekte am Start und die Viecher selbst sahen nach ein paar Mega-Ultra-Digitationen irgendwann mehr nach Kampfroboter als nach Plüschtier aus. Anders als in Pokémon gab es aber nicht nur Misty und Rock als Sidekicks, sondern eine ganze Mannschaft voller Identifikationsfiguren.

One Piece

Wie gesagt: Es gab sehr, sehr viele Anime-Serien auf RTL II. Und viele von ihnen wirkten manchmal wie aus einem Guss. So ist Hamtaro in meiner Erinnerung beispielsweise immer noch ein Pokémon, während ich Gregor von den Kickers oftmals für Ash Ketchum hielt. One Piece aber war irgendwie anders, distinktiver, erwachsener. Es ist eine dieser Serien, in denen im Vorspann immer wieder aufs Neue die Vorgeschichte erzählt ist, ohne dass es jemals fad wird.

Die zugehörigen Bücher machen One Piece mit über 300 Millionen verkauften Exemplaren zum meistverkauften Manga aller Zeiten. Und trotzdem ist alles, woran ich denken kann, wie der Junge aus meiner Klasse „One Piece” stolz mit „Ein Frieden” übersetzt hat und wir alle dachten, er hätte recht.

Irgendwann 2013 wurde der Anime-Block schließlich ganz aus dem Programm gestrichen und alles, was uns neben der Erinnerung an ein weinendes Pikachu noch übrig bleibt, ist ein Dankeschön. Danke RTL II für diese unbeschwerten Nachmittage, die uns keiner mehr nehmen kann—es waren emotionale Achterbahnfahrten, auf die ihr uns mitgenommen habt. Danke für die Titelsongs, die wir bis heute auswendig mitsingen können—besser hätte man unsere Kindheit nicht soundtracken können. Und danke an unsere Eltern—dafür, dass ihr bei der letzten Dragon Ball Z-Folge eine Ausnahme gemacht habt, auch wenn wir eigentlich Fernsehverbot hatten.

Franz auf Twitter: @FranzLicht