Der Winter naht, die Tage werden kürzer und das nächste Semester steht vor der Tür. Wen es aufgrund eines Studienplatzes oder eines neuen Jobs in eine fremde Stadt verschlägt, versucht, Anschluss in einer WG zu finden, um die kalte Jahreszeit nicht allein verbringen zu müssen, und kommt im Gegensatz zu einer eigenen Wohnung immer noch billiger davon. Allerdings ist die zunehmende Härte auf dem Wohnungsmarkt inzwischen auch auf dem weiten Feld der WG-Angebote zu spüren. Gerade in einer Stadt wie Berlin, die jedes Jahr wieder Tausende abenteuerlustige Neuankömmlinge verschluckt, werden die Angebote immer absurder.
Auch ohne unverschämte Forderungen, gruselige Auflagen und seltsame tierische Mitbewohner kann das Zusammenleben zur absoluten Hölle werden (auch wenn andere darauf schwören, dass es nichts Besseres gibt als Wohngemeinschaften). Nachdem wir euch schon das teils verstörende Innenleben verschiedener, europäischer JunggesellInnenwohnungen gezeigt haben, wollten wir euch nun auch die schlimmsten WG-Anzeigen der deutschen Hauptstadt raussuchen. Um euch abzuhärten: Wohnungssuche ist nämlich hart.
Videos by VICE
(Anmerkung der Redaktion: Die zitierten Texte wurden samt grammatikalischen und orthographischen Fehlern von der jeweiligen Anzeige übernommen.)
„Sehr offen, sehr tolerant, sehr freizügig!”
26 m²-Zimmer in 5er WG (2 Männer, 2 Frauen), Kreuzberg. Gesucht wird: Frau zwischen 18 und 25 Jahren. Quelle: wg-gesucht.de
26 Quadratmeter! Am Schlesischen Tor, dem Spaß-Epizentrum von Kreuzberg, wo es selbst finanzkräftige Wohlstandskinder inzwischen schwer haben, eine Bleibe zu finden! Und das Ganze für 300 Euro warm! Da kann doch etwas nicht stimmen, denkt ihr? Weit gefehlt, denn das Beste kommt erst noch! Auf die Eckdaten der hochherrschaftlichen Altbauwohnung—180 Quadratmeter und zwei Badezimmer—folgt der Hinweis „Wir sind eine Sex-WG! Haben also regelmäßig untereinander Sex und leben sehr offen! Bitte zeigt auch, dass ihr das gelesen und verstanden habt :)” Was könnte man sich Schöneres vorstellen, als mit vier anderen jungen Menschen nackt durch die riesige Wohnung zu tollen, in der aufgrund des großzügigen Angebots an Sanitäranlagen sogar jeweils zwei Leute gleichzeitig Sex unter der Dusche haben können?
Im Reich der Büsche und Penisse: Mein Vorstellungsgespräch in einer Nudisten-WG.
Aber halt. Wie soll das eigentlich genau laufen? Schläft hier jeder mit jedem oder alle zusammen? Kommt das unattraktivste Glied (haha) in der WG-Kette dabei ständig zu kurz oder gibt es statt einem Putzplan einen strengen Regelkatalog, in dem festgelegt ist, wer wann mit wem schlafen darf? Gibt es Abmahnungen bei nachlassender Libido oder mangelhafter Intimhygiene? Wird man rausgeschmissen, wenn man eine monogame Beziehung eingeht? Oder was ist, wenn man als berufstätiger Mensch gar keine Lust darauf hat, sich jeden Abend nach der Arbeit, noch anstrengenden körperlichen Aktivitäten den eigenen Mitbewohnern hinzugeben?
Ebenfalls unklar ist, ob man sein Zimmer abschließen kann oder jede Nacht darauf vorbereitet sein muss, dass ein lüsterner Mitbewohner die Tür aufreißt, um den vertraglich vereinbarten regelmäßigen Sex einzufordern. Die Stimme der Vernunft rät euch deshalb, von diesem Angebot die Finger zu lassen—egal wie sexuell frustriert und finanziell notleidend ihr auch sein mögt. Kein Stuck an der Decke und keine Lage im Szeneviertel ist es wert, dass ihr euch dazu verpflichtet fühlt, etwas zu tun, das ihr unter Umständen gar nicht tun wollt.
„Nicht das dicke Gemeinschaftsding”
18m² in 2er-WG, Neukölln. Quelle: wg-gesucht.de
Im Gegensatz zur lebensfrohen Sex-WG habt ihr hier eure Privatsphäre, denn es handelt sich um eine reine Zweck-WG, wie der Vermieter nicht müde wird zu betonen:
„Naja, wie gesagt ist das hier wirklich ne Zweck-WG. Alles sollte möglichst unkompliziert ohne Gemeinschaftszwang funktionieren (kein gemeinsam Einkaufen+Kochen und nach Möglichkeit auch keine Putzpläne). Ich bin recht introvertiert und auch ein bisschen speziell & verschroben und will hier auf jeden Fall nicht das dicke Gemeinschaftsding zelebrieren.”
Gut, vielleicht ist dein zukünftiger Mitbewohner nicht der einfachste Zeitgenosse, aber dafür hast du immerhin deine Ruhe und sogar einen eigenen Balkon. Super, oder? Nein, denn im Klartext sieht es nämlich so aus: „helles, schönes, unmöbliertes ca. 18qm großes Zimmer mit rotbraunen Dielen und Doppeltür zum eigenem Balkon! (den ich nur gaaanz selten mal mitbenutzen werde)”
Ihr wisst, was das heißt. Jetzt, wo es draußen kühler wird, lässt sich damit vielleicht leben, aber beim ersten frühlingshaften Sonnenstrahl wird es sich euer verschrobener Wohnpartner auf eurem Balkon gemütlich machen und ihn die nächsten Monate nicht mehr verlassen. Wenn euch das noch nicht abschreckt, nehmen wir uns doch die Zeit, ihn etwas näher kennenzulernen.
So erkennst du einen beschissenen Mitbewohner.
„Alles in allem besitze ich ein sehr sonniges und ausgeglichenes Gemüt, pflege aber auch meine melancholische Seite. Ich hänge häufig mit dem Kopf zwischen den Sternen, denn ich besitze ein sehr verträumtes, fantasievolles und sinnlich-verspieltes Naturell. (…) Aufgrund meiner Wesensart und meiner späten Arbeitszeiten (vom Nachmittag bis zum Abend) bin ich sehr nachtaktiv und schlafe meist erst in der Zeit zw. 4:00-12 Uhr. Ihr solltet also damit klarkommen das ich bis tief in der nacht durch die WG geistere und dabei das ruhige freie Alleinsein ohne Menschen, Termine, Verpflichtungen, Anrufe, und Straßenlärm genieße. Bei geschlossener Zimmertür sollte das Euren Schlaf nicht sonderlich stören, zumal ich auch Funkkopfhörer besitze. Ich sag auch gleichmal, dass zu späterer Stunde auch gern ein paar Rauchwölkchen mit diesem speziellen Duft aus meinem Zimmer entschweben können ;-). Raucher stören mich deshalb auch gar nicht (wenn sie´s in ihrem eigenen Zimmer tun).
Ausserdem liebe ich lange Badewannensitzungen mit gutem Buch und kleinem Snack, so dass das Bad schon mal 1-2 Stunden am Stück blockiert sein kann. Ich tendiere zu einer alternativen Lebenseinstellung die sich in einigen Bereichen weit weg vom Mainstream bewegt, aber sehr undogmatisch ist. Totale ‚Stinos’, extrem extrovertierte Menschen, leicht erregbare und aufbrausende Charaktere, Selbstdarsteller oder Leute die permanent Besuch anschleppen und nicht auch mit sich allein klarkommen passen aller Erfahrung nach aber nicht dauerhaft zu mir. (…)”
Wenn ihr euch also sozial isoliert und euch eurer extrovertierten Seite nur in den zwei Stunden am Tag widmet, die euer Mitbewohner naschend und lesend in der Badewanne verbringt, könnte aus dieser Zweck-WG vielleicht doch noch eine wunderbare Freundschaft entstehen. Es sei denn, er kommt nachts beim Kiffen auf die Idee, ohne Vorwarnung in euer Zimmer zu stolpern, weil er von eurem Balkon aus seinen Kopf in die Sterne hängen will.
Das eigene Bad
16m² Zimmer in 2er WG, Kreuzberg. Quelle: wg-gesucht.de
„Ich vermiete ein ca. 16 qm großes Zimmer in Kreuzberg. Das Zimmer hat hohe Decken, super schönen Dielenboden (etwas ranzig, aber schön :) ) und ist zum Innenhof gelegen—es ist dementsprechend auch sehr ruhig. Das Zimmer kann, MUSS aber nicht möbliert gemietet werden. Zudem handelt es sich bei diesem Zimmer leider um ein Durchgangszimmer, (damit ich auch weiß, dass ihr meine Anzeige komplett gelesen habt, würde ich euch bitten einfach “Ich mag Einhörner” in den ersten Satz zu schreiben) d.h. wenn man ins Bad möchte, muss man durchs Zimmer gehen. Ich weiß, ein großer Minuspunkt! Andererseits hat man dann so gesehen auch sein ‚eigenes Bad’ :D.”
Für den unerhörten Luxus eines eigenen Badezimmers sind 400 Euro für immerhin 16 Quadratmeter natürlich nicht zu viel verlangt. Nur blöd, wenn eure Mitbewohnerin auch mal duschen oder die Toilette benutzen will. Aber bestimmt ist sie super nett und wäscht sich auch mal in der Küchenspüle die Haare, wenn ihr eure Ruhe haben wollt. Leute, die Schlangen als Haustiere halten, können schließlich keine schlechten Menschen sein.
Noisey: Die musikalischen Probleme des WG-Lebens.
„Natürlich solltest du auch kein Problem mit Schlangen und häufigen Besuch von meinem Freund haben. Dein Besuch ist natürlich auch immer willkommen.”
Klar, wenn ihr euren Freund, eure Freundin oder eine Party-Bekanntschaft mit nach Hause bringen wollt, kein Problem. Nur solltet ihr als mitdenkender und sozialer Mensch darauf achten, dass der Sex nicht zu lange dauert. Schließlich muss eure Mitbewohnerin vielleicht auch nachts mal dringend aufs Klo.
Die elitäre Männerverbindung
Zimmer in 7er-WG (6 Männer), Charlottenburg. Gesucht wird: ein Mann. Quelle: studenten-wg.de
„Spaß, Abenteuer, Mut, Kommunikation, Stil, Leistungsbereitschaft, Verbindlichkeit, das gepflegte Bier, Netzwerk.”
Spaß, Abenteuer und Bier—welcher junge Mann würde sich von dieser unschlagbaren Kombination nicht magisch angezogen fühlen? Und ein bisschen Stil kann natürlich auch nicht schaden. Bei den Schlagwörtern Leistungsbereitschaft und Verbindlichkeit dürfte die Anziehungskraft bei dem ein oder anderen WG-Suchenden dann allerdings schon rapide abnehmen. Schnell wird außerdem klar, dass nicht jeder hier willkommen ist. Gute Noten und exzellente Deutschkenntnisse sind Voraussetzung für ein Leben in diesem Hort der elitären Männlichkeit.
Das Zimmer für äußerst menschliche 200 Euro befindet sich in einer ausgeschriebenen „Villengegend”, in der sich die „gehoben deutsch bis gediegen internationale” Nachbarschaft jeden Tag aufs Neue über das überdurchschnittliche Angebot an freien Parkplätzen freut. Natürlich besitzt auch du als qualifizierter Bewerber ein eigenes Auto, damit du dich nicht mit dem Pöbel in Bus und Bahn herumschlagen musst. Ums Putzen kümmert sich eine Haushaltshilfe, die außerdem anscheinend dafür sorgt, dass „im Salon ein kühles Bier bereit steht”. Die WG-Bewohner selbst haben offensichtlich keine Zeit, sich mit derlei niederen Arbeiten abzugeben, weil sie mit zahlreichen anderen Aktivitäten beschäftigt sind:
„Das WG-Leben ist geprägt von häufigen gemeinsamen Unternehmungen, von kulturellen Ausflügen über Tanzkurse bis Cocktailparties. Eine gemeinsame Aktivität ist das Erlernen des akademischen Fechtens. Wir pflegen Etikette, ob es bei Tisch oder auf dem Parkett und sind angemessen gekleidet. Wir suchen für unsere WG Charaktere, die auch ein qualifiziertes ‚Nein’ vertreten können.”
Willkommen in der wundersamen Welt der Verbindungsbrüder. Für euch als potentiellen neuen Mitbewohner bedeutet das konkret, dass ihr mit sechs Typen zusammenleben werdet, die morgens extra zehn Minuten früher aufstehen, um sich in Ruhe die Krawatte zu binden und es als unentschuldbaren Affront auffassen, wenn ihr die Serviette nicht richtig auf dem Schoß gefaltet habt oder zum Dessert die falsche Gabel benutzt. Woher kommt überhaupt das Essen? Kümmert sich die treusorgende Haushälterin darum? Und was in Gottes Namen soll eigentlich ein qualifiziertes Nein bedeuten? Und Nein zu was? Zum öffentlichen Nahverkehr? Zum 21. Jahrhundert? Oder zum Mitbewohner, der euch nach einem gepflegten Bier zu viel zu einem Duell auf Leben und Tod herausfordert?
9 Quadratmeter Freiheit
9m²-Zimmer in 7er WG, möbliert, Neukölln. Quelle: wgberlin.net
„In der Sonnenallee wird in der 1. Etage ein 9m²- großes Zimmer für einen Nichtraucher frei. Egal ob Frau oder Mann wir nehmen jeden in unserer 7-er WG.”
Super, im Gegensatz zum vorherigen Angebot müsst ihr als Bewerber hier keine besonderen Auflagen erfüllen. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn ihr nicht sonderlich groß oder sonderlich breit seid—vorausgesetzt, ihr wollt euch in eurem eigenen Zimmer auch mal umdrehen. Die Einrichtung, das heißt ein Einzelbett, ein Nachttisch und eine Kleiderstange, ist laut Angabe der Vermieter „neu, sehr stilvoll und schön”, und trotzdem bleibt euch noch „genug Freiraum dem Zimmer deine eigene Note zu verleihen.”
Wenn ihr ambitionierte und nicht klaustrophobisch veranlagte Menschen seid, wünschen wir euch viel Erfolg dabei, eure Wohnträume auf 9 Quadratmetern zu verwirklichen. Vielleicht bekommt ihr sogar noch eine Couch rein, wenn ihr sie senkrecht hinstellt und die Tür offen lasst. Immerhin machen eure zukünftigen Mitbewohner einen toleranten und weltoffenen Eindruck: Männer und Frauen, alle sind willkommen und fundierte Deutschkenntnisse werden hier auch von niemandem verlangt. Das bedeutet für euch aber auch, dass ihr bei diesem winzigen Goldstück sofort zugreifen solltet, bevor sich die Expats aus Paris und London darauf stürzen und vor lauter Freude noch einen Hunderter auf die 330 Euro Warmmiete drauflegen. Zu Hause müssen sie für einen ähnlichen Schuhkarton schließlich doppelt und dreifach hinblättern.
Wenn euch all diese verlockenden Angebote die Lust auf das WG-Leben verdorben haben, solltet ihr euch vielleicht doch nach einer 1-Zimmer-Wohnung umschauen. Für nur 490 Euro bekommt ihr in Neuköllner Toplage zum Beispiel eine 32 m²-Wohnung ohne Klo. Urban und aufregend—willkommen in Berlin!
Titelfoto: Elena Mazzanti | Flickr | CC BY-SA 2.0