Es war hart für die NPD. Eben noch waren sie wer, die bösen Rechten, über deren Verbot diskutiert und deren Partei von V-Männern unterwandert wurde. Dann kam die AfD – eine neue Rechte, die für die Wähler irgendwie sexier zu sein scheint. Umso aufregender müssen die vergangenen Wochen für die Nationaldemokraten gewesen sein. Endlich wurde wieder über sie berichtet. Zuerst die taz, dann auch der Stern, der Tagesspiegel, die Deutsche Welle, die Bild – alle zollten ihnen Aufmerksamkeit. Der Grund: In Berlin sind NPD-Männer in S-Bahnen Streife gelaufen und haben sogenannte Schutzzonen errichtet. Oder sie haben zumindest so getan. Ich habe zwei Tage lang versucht, die NPD-Bürgerwehr bei ihren Patrouillen zu begleiten und in diese “Schutzzonen” zu gelangen.
Wie genau die Schutzzonen aussehen sollen, erklärt die Partei im Internet. Dort stellt sie besorgten Bürgern eine Anleitung in zehn Schritten zur Verfügung. Warum man die braucht:
Videos by VICE
Die massive Zunahme von Gewaltkriminalität und Einbrüchen und der gleichzeitige Abbau von Polizeistellen hat zur weitgehenden Kapitulation des Rechtsstaats geführt.
Die Aufregung um die NPD-Bürgerwehren fing mit einem Video an. Das zeigt, wie fünf Männer sich auf einer sonnigen Berliner Vorstadtstraße treffen. Dazu läuft heroische Musik, Marke “Landung in der Normandie”. Die Männer begrüßen sich mit festem Handschlag, alle vereint der Look aus etwas Bauch und kurzärmligen Karohemden, wodurch sie aussehen wie besonders schlechtgelaunte Baumarktmitarbeiter. “Die Bekämpfung von Kriminalität ist prinzipiell Aufgabe des Staates”, sagt einer und schaut ernst durch seine Brille. “Aber …” Und auf dieses Aber stützt sich die Mission der NPD. Im Folgenden sieht man die Männer nämlich durch eine S-Bahn gehen und “nach dem Rechten sehen”. Wie oft sie das machen, sagen sie nicht. Wo sie das tun, lässt sich aber erkennen. “NPD patrouilliert in Berliner S-Bahn” titelt Stern.de und der RBB berichtet von “NPD-Trupps” in den Zügen.
S-Bahnhöfe Karow, Gesundbrunnen, Schöneweide
In ihrem Video sieht man die NPD-Streife am Bahnhof Gesundbrunnen im Wedding Wache schieben, sich mit Fahrgästen unterhalten und im Gänsemarsch durch S-Bahn-Wagons ziehen. Es ist sogar die Rede davon, dass sie Personen “mit ihrem Gepäck” geholfen haben. Doch heute muss sich offenbar jeder selber um sein Gepäck kümmern. Wo im Video noch grimmige Bürgerwehrler patrouillieren, schaffen es Menschen heute, ganz ohne deren Hilfe in die Bahnen ein- und auszusteigen.
Auch bei VICE: 10 Fragen an Alice Weidel, AfD
Nirgendwo ein Zeichen von der NPD, bisher auch keine “weitgehende Kapitulation des Rechtsstaats”. Es sind 30 Grad, alle schwitzen. Das einzig nachweisbar Illegale: Die NPD hat gegen die Hausordnung der Bahn verstoßen. In ihrem Video sieht man sie nämlich beim Kontrollgang durch die S-Bahn-Wagons. Ohne Genehmigung darf man in S-Bahnen aber nicht filmen. Und die Bahn ist gar nicht amüsiert vom Stunt der NPD. “Wir distanzieren uns ausdrücklich von dem Video der NPD”, sagt ein Sprecher der Bahn zu VICE. Die Sicherheit der Fahrgäste garantiere der Einsatz von 650 DB-Security-Mitarbeitern. Hinweise, dass es tatsächlich zu mehr als dieser einen Streife fürs Video gekommen sei, liegen der Bahn nicht vor.
Aus der NPD-Anleitung: Teilen Sie der gesamten Nachbarschaft mit, dass Sie eine Schutzzone schaffen, was Sie genau tun und wie Ihnen geholfen werden kann.
Um es kurz zu machen: Niemand, der an einem der Bahnhöfe arbeitet, hat jemals eine Streife der NPD gesehen oder hat von den Männern irgendetwas mitgeteilt bekommen. Die Verkäuferin eines Zeitschriftenladens lacht und sagt, “von diesem Schwachsinn” habe sie überhaupt nur durch die Presse erfahren. DB-Sicherheitsmänner am Bahnhof Gesundbrunnen haben noch nicht einmal von der Aktion gehört. Vor dem Imbiss “Bistro Hahn” in Schöneweide ist es schon mittags voll. Handwerker kippen Efes zum Feierabend. Viele Arbeitshosen, viele Stahlkappenschuhe. Ich lasse ein Bild der NPD-Streife rumgehen und ein Typ in farbverspritzten Overall sagt: “Die sehen ja aus wie die Johanniter.” Und: “An die Pappnasen könnte ich mich doch erinnern.” Und vermutlich könnte er das wirklich. Denn in ihrem Video erkennt man die NPD-Streife an ihren roten Warnwesten, auf denen ein zackiges “S” prangt. Das steht für Schutz. Und zackige “S”, die für Schutz stehen, sind bei deutschen Nationalisten schon immer beliebt gewesen.
Aus der NPD-Anleitung: Bedrohungslage erfassen.
Ich werde bei meinen S-Bahn-Fahrten kein Zeuge einer “massiven Zunahme von Gewaltkriminalität”. Aber tatsächlich begegnen mir Missstände, bei deren Behebung ich die Hilfe einer Bürgerwehr gebrauchen könnte. Es ist extrem heiß in den S-Bahnen und wer groß genug ist, versucht verzweifelt, mit der Stirn den Luftzug aus den offenen Kippfenstern abzufangen. Mehrere Männer steigen zwar oben ohne, aber dafür mit einem Bier in der Hand in den Wagon. Das trinken sie dann im Stehen, während ihnen der Schweiß ins Brusthaar rinnt. Leute essen Döner und lassen in der Sommerhitze kleine Schafskäse-Stückchen auf den Sitz fallen. Eine Frau quetscht sich in letzter Sekunde neben mich, ihr Parfum riecht nach Milchreis. Die Lage ist also ernst, die staatliche Ordnung völlig hilflos. Innerhalb weniger Minuten bin ich klatschnass geschwitzt. Immer wieder wird mir etwas schlecht und ich habe Durst. Wenn mir ein strammer S-Bahn-Sturmbannführer eine kalte Cola in die Hand drücken würde, wäre mir sehr geholfen.
S-Bahnhof Köpenick
Ein drei Tage altes Foto, das die NPD auf Facebook veröffentlicht hat, zeigt die S-Bahn-Streife auf dem Bahnsteig in Köpenick. Angeblich wollten die Männer “die Hotspots des Verbrechens” abklappern. Von VICE darauf angesprochen, ob er Köpenick und Schöneweide da einordnen würde, muss ein Polizeisprecher laut auflachen. Mit Ausnahme von Gesundbrunnen sind die Gegenden, in denen sich die NPD-Streife zeigt, Ostberliner Arbeiterviertel. Keine kriminellen Hotspots, sondern eher Bezirke, in denen Berliner noch “Icke” sagen und das Bier nicht Tegernseer, sondern Kindl heißt.
Auch in Köpenick kann sich niemand an die Männer erinnern. Weder Sinan, der vor dem Bahnhof Döner verkauft, noch die Frau, die im Kiosk vor einem Ventilator sitzt. Bei ihr gibt es Kaffee für einen Euro und Bratwurst für 2,70 Euro. “Ich glaube es nicht”, sagt sie, als sie das Bild der NPDler sieht. “So eine Scheiße, es wird ja immer verrückter.” Wenn irgendjemand die gesehen hätte, sagt sie, dann wüsste sie davon. “Wir reden hier ja alle miteinander.” Fast könnte man denken, es habe in Köpenick nie eine hilfsbereite Gruppe gesetzestreuer S-Bahn-Wächter gegeben, sondern bloß einen Haufen Neonazis, der auf dem Bahnsteig in schneidigen Warnwesten Selfies schießt.
Vor dem Bahnhof stehen fünf Männer und trinken lauwarmes 5.0-Bier aus schwarz-rot-goldenen Dosen. Das machen sie jeden Tag, also auch, als die Männer von der NPD am Bahngleis ihren Fototermin hatten. Gesehen haben die Dosenbiertrinker die S-Bahn-Streife aber auch nicht. “Dabei ist die Idee gar nicht schlecht”, sagt einer von ihnen. “Würde mir auch wünschen, dass in den Bahnen mal für Sicherheit gesorgt wird.” Da stimmen alle zu und: “Gibt ja immer mehr Übergriffe durch junge Männer. Gerade die Nafris haben alle ein Messer dabei, da kannste nichts machen.” Wen sie gewählt haben? “AfD. Wir alle.” Und trotzdem: Als sie erfahren, wer hinter der S-Bahn-Streife steckt, finden sie das “zum Kotzen”. “Das sind doch alles Bratzen.” Mit denen möchten sie offenbar nichts zu tun haben als liberale AfD-Wähler. Es sei doch schlimm, sagen sie, dass die das einfach so machen könnten. “Kann die Polizei das denen nicht verbieten?”
Aus der NPD-Anleitung: Behörden informieren: Stellen Sie der Gemeinde oder der Polizei Ihre Informationen zur Verfügung und bitten Sie um Abhilfe.
“Auf keinen Fall”, sagt ein Sprecher der Polizei gegenüber VICE, “hat sich irgendjemand von der NPD im Vorfeld dieser Aktion bei uns gemeldet.” Man verurteile das Vorgehen der Partei entschieden und könne nur betonen, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt. “Allerdings ist das Tragen selbstdesignter Sicherheitswesten noch keine Straftat”, sagt der Polizeisprecher. “Wenn die aber anfangen sollten, irgendwelche Leute zu drangsalieren, dann machen sie sich strafbar.”
S-Bahnstation Springpfuhl
Letzter Schritt der NPD-Anleitung: Schutzmaßnahmen starten.
Die NPD hat wieder gepostet. “Für die Sicherheit unserer Frauen und Kinder sind wir aktuell in Marzahn Hellersdorf unterwegs”, lassen sie ihre Facebook-Follower wissen. Dazu zeigt ein Bild drei selbsternannte S-Bahn-Wächter neben einem Van, von links nach rechts nach Körpergröße sortiert. Sie sehen aus wie die rechtsradikale Variante der Dalton-Brüder.
Ich brauche lange, um den genauen Ort zu finden, an dem dieses Foto entstanden ist. Denn es ist nicht am Bahnhof aufgenommen worden, sondern zweihundert Meter weiter, an einer vierspurigen Straße. Es gibt keine Ampel, keine Unterführung, keinen Bürgersteig. Wer sich hier fotografiert, steht auf der Schnellstraße vor einem Bauzaun und der einzige Weg, überhaupt hierher zu kommen, ist, genau hier aus dem Auto zu steigen. Hat es die NPD in Springpfuhl noch nicht einmal bis auf den Bahnsteig geschafft?
Marzahn-Hellersdorf am Nachmittag Mitte Juni, das sind schnurgerade Straßen ohne Schatten, 24-stöckige Hochhäuser und ein fast menschenleerer S-Bahnhof Springpfuhl. Die einzige Person auf dem Bahnsteig ist die Verkäuferin des “Star Back”, die vergeblich auf Kunden wartet. “Nein”, sagt sie, sie sei jeden Tag hier und “diese Leute habe ich hier garantiert noch nie gesehen”. Etwas weiter werden vor den Hochhäusern Handtaschen verkauft, die in der Sonne den Plastikgeruch von Kunstleder verströmen. Hier ist der Dönerladen von Enes, der nicht Enes heißt, aber seinen echten Namen hier nicht lesen möchte, weil es in dieser Geschichte um Neonazis geht. “Das ist Fake”, sagt er, “Fake News” und meint damit die NPD-Kampagne. Er ist sich zu einhundert Prozent sicher, dass diese Männer “seinen Bahnhof” nie betreten haben. “Aber vielleicht wissen meine Stammgäste etwas”, sagt er.
Auf seiner Brust steht “Blut, Ehre, Treue” – der richtige Mann, um mit ihm über die NPD zu reden.
Die Stammgäste sitzen unter einem blauen Sonnenschirm und trinken Warsteiner. Martin und Lenny sind Anfang 50 und tragen beide Unterhemd. Ihre Arme sind breit, ihre Nacken noch breiter, ihre haarigen Oberkörper tätowiert. Auf Martins Brust prangt ein Reichsadler, darüber die Worte “Ehre, Blut, Treue”. Offensichtlich ein Experte in Sachen deutsche Werte. “Ich bin ein stolzer Deutscher”, sagt er, “aber ich war nie ein Nazi”, dabei schüttelt er sich dramatisch und klimpert mit seiner dicken Silberkette, mit der er unbesorgt ein Motorrad abschließen könnte. Früher sei er Fremdenlegionär gewesen – “Zehn Jahre Afrika, Dschibuti, ich habe alles gesehen” – jetzt wolle er seine Ruhe haben. Sollte die NPD-Streife hier auftauchen, würde er ihnen aber trotzdem mal die Meinung sagen. Faschos, sagt er, habe er noch nie leiden können.
“Vom Ding her haben die aber Recht”, sagt er. “So wie die Araber sich hier benehmen, das würden die uns bei denen zu Hause nie durchgehen lassen.” Und um das zu beweisen, pfeift er Enes, den Dönerverkäufer herbei. “Enes”, sagt er, “wenn ich in der Türkei eine Frau übel anmache, dann würden die mich doch kastrieren, oder?” Ja sicher, sagt Enes, wenn er richtig Pech habe, könne das passieren, “aber wenn ich dort eine Frau übel anmachen würde, könnte mir das genauso gut passieren.” Enes schaut traurig und legt Martin seine Hand auf die Schulter. “Nur die Deutschen”, sagt er, “denken, bevor sie jemandem den Schwanz abschneiden, darüber nach, welche Hautfarbe er hat.”
Am Bahnhof ist immer noch keine NPD-Streife zu sehen, auch der “Star Back” hat inzwischen geschlossen. Wäre es nicht die NPD, denke ich, wäre es fast schon traurig. Auch wenn die Aktion der Rechtsradikalen offenbar eine Verarsche war, haben sie sich doch sehr viel Mühe damit gegeben. Aber am Ende ist ihr Ruf so mies, dass noch nicht einmal ein Ex-Fremdenlegionär mit Reichsadlertattoo sie haben will.